37286.fb2
»Nein, das ist es nicht, Herr, es ist. . .«
»Du möchtest mit deiner Frau schlafen.«
»Offen gestanden: ja. Und vielen anderen geht es genauso. Unsere Familien wollten, daß wir uns verheiraten; wenn einer in den Krieg zieht, ist es besser, er hinterläßt einen Erben; du weißt ja, wie das ist, für den Fall. . .«
Alexander schmunzelte. »Ich verstehe dich gut. Mich wollten sie auch verheiraten, aber einer der wenigen Vorteile, die das Königsein hat, ist, daß man nur heiratet, wenn man will. Wie viele seid ihr?«
»Sechshundertdreiundneunzig.«
»Bei den Göttern, das war aber schnell gerechnet!« erwiderte der König überrascht.
»Nun ja, die Sache ist so ... Wir dachten, wo jetzt doch bald Winter ist und in der Kälte sowieso nicht gekämpft werden kann, ob wir dich da nicht bitten . . .«
». . . zu euren Frauen heimkehren zu dürfen.«
»Genau, König«, der Soldat nickte, ermutigt von Alexanders Freundlichkeit.
»Und deine Kameraden haben dich dazu bestimmt, ihr Sprecher zu sein.«
»Ja.«
»Warum?« »Weil. . .«
»Sprich nur ganz offen.«
»Weil ich der letzte war, der nach dem Einsturz der Mauer aus dem brennenden Belagerungsturm gesprungen ist, und der erste, der sich in die Bresche vorgewagt hat.«
»Perdikkas hat mir von einem Mann erzählt, der diese Heldentaten vollbracht hat, aber er hat mir seinen Namen nicht genannt. Ich bin stolz, dich persönlich kennenzulernen, Eude-mos, und es ist mir eine große Freude, dir und deinen Kameraden euren Wunsch erfüllen zu können. Jeder von euch soll hundert Kyzikener ausbezahlt bekommen und für zwei Monate nach Hause gehen dürfen.«
Die Augen des jungen Soldaten glänzten vor Rührung. »König . . . ich . . .«, stammelte er.
»Unter einer Bedingung.«
»Ja, Herr?«
»Bei eurer Rückkehr, also so in zwei Monaten, müßt ihr mir neue Soldaten mitbringen. Hundert auf jeden von euch, egal, ob Fußsoldat oder Reiter.«
»Verlaß dich drauf, Herr. Tu so, als hättest du sie alle schon ins Heer eingegliedert.«
»So, und jetzt nichts wie ab«, sagte Alexander.
Doch der Soldat, der nicht wußte, wie er ihm danken sollte, blieb wie angewurzelt stehen.
»Was ist? Ich dachte, du vergehst nach deiner Frau.«
»Schon, aber ich wollte dir noch sagen, Herr, daß ich . . . daß wir . . .«
Alexander lächelte und bedeutete ihm, einen Augenblick zu warten. Darauf ging er zu einem kleinen Schrein, entnahm ihm ein goldenes Kettchen mit Anhänger - eine kleine Gemme, auf der die Göttin Artemis abgebildet war - und überreichte es dem jungen Mann.
»Das ist die Göttin, die unsere Frauen und Mütter beschützt. Schenke sie deiner Frau in meinem Namen.«
Der Soldat hätte gerne etwas gesagt, aber ein dicker Kloß im Hals hinderte ihn daran. Erst nachdem er mehrmals geschluckt hatte, konnte er mit rauher Stimme »Danke, König« murmeln. die jungen Männer, die den Wunsch geäußert hatten, zu ihren Frauen heimkehren zu dürfen, machten sich Anfang Herbst auf den Weg nach Makedonien, um dort den Winter zu verbringen. Kurz nach ihnen brach auch Parmenion mit einem Teil des Heeres und der thessalischen Reiterei auf. Der König hatte nach Rücksprache mit dem alten General das Kommando seinem Vetter Amyntas übertragen, der stets großen Mut und absolute Loyalität bewiesen hatte. Auch Kleitos der »Schwarze«, Philotas und Krateros schlossen sich ihnen an.
Einen Tag später hielt Alexander einen Kriegsrat im engsten Kreise ab, indem er Seleukos, Ptolemaios und Eumenes zum Abendessen einlud.
Um Eifersüchteleien zu vermeiden, richtete er es so ein, daß die anderen Kameraden, einschließlich Hephaistion, in der umliegenden Gegend beschäftigt waren und die drei zum Essen Geladenen den Eindruck hatten, rein zufällig im Lager zurückgeblieben zu sein. Aber das Thema, das er alsbald zur Sprache brachte, machte ihnen deutlich, daß er in diesem Augenblick mehr noch auf ihre Intelligenz als auf ihre Kampfestüchtigkeit zählte.
Niemand außer Leptine, von der die Speisen aufgetragen wurden, durfte sonst noch anwesend sein. Man saß im trauten Kreise um einen Tisch herum, wie damals in Mieza während Aristoteles' Unterricht.
»Meine Informanten berichten mir, daß Memnon sich vom Großkönig eine Riesensumme Geld hat schicken lassen - und zwar auf dem Seeweg«, hob der König an.
»Riskantes Unternehmen«, meinte Ptolemaios.
»Allerdings, doch es scheint gelungen. Memnon will nun mit dem Geld eine Truppe von über hunderttausend Mann ausheben und nach Griechenland einmarschieren. Vor allem aber scheint er bereits damit begonnen zu haben, vielen einflußreichen Männern in verschiedenen griechischen Städten großzügige Geschenke zu machen. General Parmenion hat mir seine Meinung bezüglich unseres weiteren Vorgehens bereits zum Ausdruck gebracht.. .«
»Umdrehen«, riet Seleukos.
»Genau«, Alexander nickte.
Leptine begann das Essen zu servieren. Es gab gerösteten Fisch und Hülsenfrüchte und dazu mit Wasser vermischten Wein -ein leichtes Mahl, bei dem man ohne weiteres einen klaren Kopf bewahren konnte.
»Und du? Was hast du vor?« fragte Ptolemaios.
»Das sage ich euch später. Zunächst möchte ich eure Meinung hören. Seleukos, fang du an.«
»Ich finde, wir sollten weiter vordringen. Denn selbst wenn Memnon ganz Griechenland gegen uns aufbringt, was hätte er davon? Nach Makedonien wird er niemals reinkommen, dafür sorgt schon Antipatros. Und wenn es uns gelingt, wie geplant sämtliche Häfen der asiatischen Küste zu erobern, kann der Großkönig bald keine Verbindung mehr zu ihm halten, sprich: Früher oder später muß Memnon so oder so kapitulieren.«
»Ptolemaios?«
»Ich sehe es wie Seleukos: weiterziehen. Und wenn wir eine Möglichkeit finden könnten, Memnon umzubringen, wäre es noch besser. Das würde den Großkönig um seine rechte Hand bringen und uns viel Kopfzerbrechen ersparen.«
Alexander schien dieser Vorschlag zu überraschen, ja zu schockieren, aber er sagte nichts.
»Ptolemaios hat recht«, pflichtete Eumenes bei. »Laß uns weiter vordringen, aber wenn möglich Memnon aus dem Weg räumen: Dieser Mann ist zu gerissen und zu gefährlich, einfach unberechenbar.«
Alexander schwieg eine Weile, während er lustlos an einem Stück Fisch herumkaute, dann nahm er einen Schluck Wein und sagte: »Gut, dann ziehen wir weiter. Ich habe Hephaistion bereits vorausgeschickt, um den angeblich so gefährlichen Küstenstreifen zwischen Lykien und Pamphylien auszukundschaften. In ein paar Tagen wissen wir mehr. Parmenion zieht das Hermos-Tal hinauf bis zur anatolischen Hochebene, wo wir im Frühling, von der Küste kommend, zu ihm stoßen.«
Alexander stand auf und trat an die Landkarte, die auf einer Staffelei stand. »Unser Treffpunkt ist hier: in Gordion.«
»Gordion? Weißt du, was es mit Gordion auf sich hat?« fragte Ptolemaios.
»Klar weiß er das«, sagte Eumenes. »Dort befindet sich der Streitwagen von König Midas, dessen Joch mit Hilfe eines langen Riemens und durch einen unentwirrbaren Knoten an der Deichsel befestigt ist. Ein antikes Orakel der Großen Mutter aller Götter besagt, daß derjenige, der den Knoten löst, Herrscher von Asien wird.«
»Gehen wir deshalb nach Gordion?« fragte Seleukos mißtrauisch.
»Schweift nicht vom Thema ab«, erwiderte Alexander trocken. »Wir sind nicht hier, um über Orakel zu sprechen, sondern um unser Vorgehen in den nächsten Monaten zu planen. Es freut mich, daß ihr alle dafür seid, weiter vorzudringen. Ich sehe es genauso. Wir werden weder im Herbst noch im Winter rasten. Unsere Männer kommen aus den Bergen und sind an die Kälte gewöhnt, die thrakischen und agrianischen Hilfstruppen erst recht. Und Parmenion weiß auch, daß er nicht innehalten darf, bevor er am Ziel ist.«