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»Und du vertraust ihm?«
»Ja. Als mein Vater ermordet wurde, hat er sich sofort auf meine Seite gestellt und war mir seither immer treu ergeben.«
»Bist du dir sicher?« hakte der Mann nach.
Alexander begann langsam die Geduld zu verlieren: »Wenn du mir etwas zu sagen hast, so fang endlich damit an, anstatt mir nur Fragen zu stellen.«
»Parmenions Leute haben einen persischen Boten abgefangen, der einen Brief des Großkönigs an deinen Vetter bei sich hatte.«
»Kann ich ihn sehen?« fragte Alexander und streckte die Hand aus.
Sisines schüttelte lächelnd den Kopf. »Bitte versteh, daß wir nicht riskieren konnten, ein so heikles Dokument zu verlieren. Ich hätte nur überfallen werden müssen . . . General Parmenion hat mich aber beauftragt, dir seinen Inhalt mündlich mitzuteilen.«
Alexander bedeutete ihm weiterzusprechen.
»Der Großkönig bietet deinem Vetter Amyntas darin den Thron von Makedonien sowie zweitausend Talente Gold an, "wenn er dich umbringt.«
Der König schwieg. Er dachte an die Worte Eumolpos' aus Soloi, der ihm von einer großen Summe Geldes berichtet hatte, das von Susa nach Anatolien unterwegs war, und er dachte auch an den mutigen Beistand und die Loyalität, die sein Vetter ihm bis zu diesem Augenblick stets bewiesen hatte.
Kein Zweifel, er war ins Netz einer Intrige geraten, aus dem er sich weder mit Kraft noch durch Mut befreien konnte - eine Situation, in der seine Mutter sich bestimmt tausendmal besser zurechtgefunden hätte als er, und doch mußte das Problem gelöst werden.
»Wenn du mir nicht die Wahrheit gesagt hast, lasse ich dich in Stücke hacken und den Hunden zum Fraß vorwerfen«, drohte er dem Mann.
Peritas, der in einer Ecke friedlich vor sich hin gedöst hatte, hob den Kopf und fuhr sich mit der Zunge übers Maul, als fände er mit einemmal Interesse an dieser Unterhaltung. Doch Sisines wirkte völlig gelassen. »Ob ich lüge, kannst du ja von Parmenion erfahren, wenn ihr euch wieder trefft.«
»Was für Beweise habt ihr dafür, daß mein Vetter auf das Angebot des Großkönigs einzugehen gedenkt?«
»Theoretisch gar keine. Aber überleg doch mal, Herr: Hätte König Dareios ihm je diesen Vorschlag gemacht und solche Reichtümer auf die lange Reise nach Anatolien geschickt, wenn er seiner Sache nicht ziemlich sicher gewesen wäre? Und wer ist schon so stark, der Verlockung von Reichtum und Macht zu widerstehen? Also ich an deiner Stelle würde kein Risiko eingehen. Mit all diesem Geld könnte dein Vetter tausend Mörder anheuern, ja den Sold eines ganzen Heers bezahlen.«
»Willst du mir etwa vorschreiben, was ich zu tun habe?«
»Die Götter mögen mich davor behüten! Ich bin dein ergebener Diener, der nichts als seine Pflicht tut. Und dazu habe ich schneebedeckte Berge überquert, Hunger und Durst gelitten und mehr als einmal mein Leben riskiert in den Gebieten, die noch in den Händen der Soldaten und Spitzel des Großkönigs sind.«
Alexander antwortete nichts, aber es war ihm klar, daß er an diesem Punkt irgendeine Entscheidung treffen mußte. Sisines deutete sein Schweigen auf die logischste Art.
»General Parmenion hat mir befohlen, so schnell wie möglich mit deinen Anordnungen zurückzukehren. Auch sie dürfen nicht niedergeschrieben werden - ich soll sie dem General mündlich überbringen; er vertraut mir blind.«
Alexander wandte sich ab, denn er wollte nicht, daß Sisines seinem Gesicht ablas, was in ihm vorging. Erst als er lange nachgedacht und das Für und Wider sorgfältig gegeneinander abgewägt hatte, drehte er sich wieder um und sagte:
»Richte General Parmenion folgende Botschaft aus:
Ich habe deine Nachricht erhalten und danke dir, daß du ein Komplott aufgedeckt hast, das unserem Unternehmen großen Schaden zugefügt und möglicherweise meinen Tod zur Folge gehabt hätte.
Nach allem, was mir berichtet wurde, haben wir jedoch keinen sicheren Hinweis darauf, daß mein Vetter tatsächlich willens wäre, das Angebot des Großkönigs anzunehmen. Ich möchte deshalb, daß du ihn bis zu meiner Ankunft und bis ich ihn persönlich vernommen habe, unter Arrest stellst. Er soll aber seiner Würde und seinem Rang entsprechend behandelt werden. Ich schließe in der Hoffnung, daß es dir gutgeht. Leb wohl.«
»Und jetzt wiederhole«, befahl Alexander dem Ägypter.
Sisines sah ihm in die Augen und wiederholte die Botschaft Wort für Wort, ohne auch nur einmal steckenzubleiben.
»Ausgezeichnet«, sagte der König, insgeheim staunend. »Geh und stärke dich jetzt. Meine Leute weisen dir für diese Nacht eine Unterkunft zu. Wenn du frisch und ausgeruht bist, kannst du den Rückweg antreten.«
»Wenn du erlaubst Herr, lasse ich mir einen Quersack mit Proviant und einen Wasserschlauch mitgeben und breche sofort auf.«
»Warte.«
Sisines, der gerade dabei war, sich zu verbeugen, richtete sich sofort wieder auf. »Zu Befehl.«
»Wie viele Tage warst du von Parmenion zu uns unterwegs?«
»Elf Tagesritte auf einem Maulesel.«
»Richte dem General aus, daß ich in spätestens fünf Tagen von hier aufbrechen und in derselben Zeit, die du gebraucht hast, in Gordion zu ihm stoßen werde.«
»Soll ich diese Botschaft auch wiederholen?«
Alexander schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht nötig. Ich danke dir für deine Informationen und werde Eumenes anweisen, daß er dir eine ordentliche Belohnung gibt.«
»Oh, nein, Herr. Meine größte Belohnung ist es, zur Sicherheit deiner Person beitragen zu dürfen. Mehr verlange ich nicht.« Er warf ihm einen letzten Blick zu, der alles heißen konnte, verbeugte sich tief und ging hinaus. Alexander ließ sich auf einen Hocker fallen und vergrub das Gesicht in den Händen.
So saß er lange reglos da und ließ noch einmal die schönen Kindheitstage in Pella an seinem inneren Auge vorüberziehen, als er mit seinen Gefährten und Vettern Ball und Versteck gespielt hatte, und plötzlich verspürte er den Drang, laut zu schreien oder in Tränen auszubrechen.
Leptine trat, sanft wie immer, von hinten an ihn heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Schlechte Nachrichten, mein Herr?« fragte sie leise.
»Ja«, erwiderte Alexander, ohne den Kopf zu heben. Leptine drückte ihm eine Wange auf den Rücken. »Ich habe etwas Holz gefunden und Wasser damit warm gemacht. Hättest du nicht Lust auf ein Bad?«
Der König nickte, rührte sich jedoch nicht vom Fleck und versank neuerdings in tiefes Grübeln. Leptine störte ihn nicht. Als er endlich wieder zu sich kam, war die Nacht längst her-
eingebrochen.
Mit Aristandros' Hilfe gelang es Eumenes in kürzester Zeit, ein Abkommen mit der nahe gelegenen Stadt Selge zu schließen, deren Bewohner erbitterte Feinde der Termesser waren, obwohl sie dieselbe Sprache sprachen und dieselben Götter verehrten. Er bezahlte ihnen eine größere Summe Geldes und ließ ihrem Anführer von Alexander den klangvollen Titel des »obersten autokratischen Dynasten von Pisidien« verleihen, worauf die Selger Termessos augenblicklich umzingelten und sich auf eine längere Belagerung vorbereiteten.
»Siehst du? Ich hatte dir ja gesagt, daß die Stadt dir ausgeliefert sein würde«, rief Aristandros dem König in Erinnerung, wobei er die Situation freilich sehr zu seinen eigenen Gunsten auslegte.
Nachdem das Problem Termessos gelöst war, schloß Alexander Unterwerfungsverträge mit einigen nicht weit entfernten Küstenstädten, wie Side und Aspendos - wunderschöne, zum Teil in griechischem Stil erbaute Orte mit herrlichen Plätzen, Säulengängen und statuengeschmückten Tempeln. In den Verträgen wurde festgelegt, daß die bisher an Susa abgeführten Steuern ab sofort Alexander bezahlt werden mußten. Zum Schluß wählte der König unter seinen Hetairoi eine Gruppe von Offizieren aus, versah sie mit einer Sturmtruppe aus schildtragenden Gardisten und stellte beide seinen barbarischen Verbündeten vor der Stadtmauer von Termessos zur Seite. Dann nahm er den Marsch nach Norden wieder auf.
Die Berge des Tauros waren alle schneebedeckt, aber das Wetter war freundlich und der Himmel blank und von strah-lendem Blau. Hier und dort gab es vereinzelte Buchen oder Eichen, deren Blätter noch gelb und rot gefärbt waren; wie Edelsteine von einem Silbertablett stachen sie vom strahlenden Weiß des Schnees ab. Alexanders Heer rückte geschlossen vor; nur die von Lysimachos angeführten thrakischen und agriani-schen Hilfstruppen wurden immer ein Stück vorausgeschickt, um die Gegend auszukundschaften und mögliche Pässe zu besetzen, damit das Heer sie gefahrlos überwinden konnte. Auf diese Weise vollzog sich der Vormarsch ohne nennenswerte Zwischenfälle.
Eumenes ließ die Verpflegung grundsätzlich in den Dörfern entlang des Weges kaufen, um deren Bewohner nicht zu erzürnen und dem Heer einen friedlichen Durchzug durch die vielen gefährlichen Schluchten des großen Gebirges zu sichern. Alexander ritt auf Bukephalos alleine an der Spitze der Marschkolonne, und es war ihm unschwer anzumerken, daß er sich Sorgen machte. Er trug seinen breitkrempigen makedonischen Hut und hatte eine schwere Militärchlamys aus grobem Wollstoff über der Schulter hängen. Peritas trottete dicht neben Bukephalos her. Die beiden Tiere verstanden sich mittlerweile prächtig, und wenn der Hund nicht vor Alexanders Bett schlief, legte er sich neben Bukephalos ins Stroh.
Nach drei Tagen Gebirgsmarsch öffnete sich ihnen mit einemmal der Blick auf die anatolische Hochebene; ein eisiger Wind fegte über die öde, topfebene Fläche. In der Ferne konnte man einen spiegelglatten, dunklen See erkennen, um dessen Ufer sich weithin ein geradezu blendendes Weiß ausbreitete.
»Immer noch Schnee«, brummte Eumenes, der nach wie vor sehr verfroren war, obwohl er seinen kurzen Militärchiton inzwischen gegen eine warme phrygische Hose eingetauscht hat-
»Nein, das ist Salz«, entgegnete Aristandros, der neben ihm ritt. »Und der See dort, das ist der Askania-See; er ist salziger als das Meer. Im Sommer trocknet er zu einem guten Teil aus und hinterläßt eine riesige Fläche Salz. Die Leute, die hier wohnen, verkaufen es im ganzen Tal.«
Als das Heer die schneeweiße Ebene überquerte, begann die Sonne gerade hinter den Bergen zu verschwinden; ihre schräg einfallenden Strahlen brachen sich millionenfach in den winzigen Salzkristallen und schufen eine irreale, geradezu magisch anmutende Atmosphäre. Alexander und seine Soldaten genossen das herrliche Schauspiel schweigend.