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»Am Granikos?«
Spithridates nickte. »Kennst du das Gebiet, Kommandant?«
»Einigermaßen.«
»Ich kenne es gut, ich war dort oben schon öfter zur Jagd. Der Fluß hat an dieser Stelle steile, lehmige Ufer: Für Reiter dürfte es fast unmöglich sein, dort raufzukommen, und für Fußsoldaten äußerst schwierig.«
Spithridates schlug mit der Faust auf den Tisch und sah auf.
»Wir werden sie zurückwerfen, und noch am selben Abend treffen wir uns hier in meinem Palast in Zelea zum Siegesban-
kett!«
3
Memnon, der Rhodier, kehrte erst mit Einbruch der Nacht in seinen Palast auf dem Hügel zurück. Die herrliche Villa war in orientalischem Stil erbaut und lag inmitten eines riesigen Parks, in dem es vor Jagdwild nur so wimmelte. Auch Weinberge, Obstplantagen, Olivenhaine und Getreidefelder sowie Höfe, Bauernhäuser und Viehherden gehörten zu dem Anwesen.
Der griechische Söldnerführer lebte seit Jahren wie ein Perser unter Persern. Seine Gemahlin Barsine war eine Tochter des persischen Satrapen Artabazos - eine wunderschöne Frau mit dunkler Haut, langem schwarzem Haar und den zierlich geschmeidigen Körperformen einer Antilope.
Ihre beiden Söhne, elf- und fünfzehnjährig, sprachen fließend Griechisch und Persisch und waren in beiden Kulturen erzogen worden. Als persische Jungen hatten sie neben Reiten und Bogenschießen auch moralische Tugenden wie die, niemals zu lügen, gelernt, als Griechen hielten sie Tapferkeit und Ehre hoch, kannten Homers Epen, die Tragödien von Sophokles und Euri-pides und die Lehren der ionischen Philosophen. Ihren olivfar-benen Teint und das pechschwarze Haar hatten sie von der Mutter geerbt, den muskulösen Körper und die grünen Augen vom Vater. Eteokles, der Ältere, hatte einen griechischen Namen, sein Bruder Phraates einen persischen.
Der paradiesische Garten von Memnons Palast wurde von persischen Gärtnern versorgt und enthielt viele seltene Pflanzen- und Tierarten, darunter zauberhafte indische Pfauen aus der legendären Ganges-Stadt Palimbothra. Die Villa selbst schmückten persische und babylonische Skulpturen, alte hethi-tische Flachreliefs, die Memnon aus einer verlassenen Stadt im Hochland hatte, wundervolle attische Speise-Service, Bronzefiguren aus Korinth und dem fernen Etrurien sowie in leuchtenden Farben bemalte Skulpturen aus parischem Marmor.
An den Wänden hingen Gemälde der berühmtesten zeitgenössischen Maler: Apelles, Zeuxis, Parrhasios. Es handelte sich vorwiegend um Jagd- und Kriegsszenen, aber auch um Darstellungen der großen Sagenhelden und ihrer Abenteuer.
Das ganze Haus war ein einziger Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen, und doch hatte jeder Besucher, ohne es begründen zu können, den Eindruck einer wundervollen Harmonie.
Memnon wurde bei seiner Ankunft von zwei Dienern empfangen, die ihm aus der Rüstung halfen und ihn ins Bad begleiteten, damit er sich vor dem Abendessen ein wenig erfrischen konnte. Dort gesellte sich Barsine zu ihm und reichte ihm ein Glas leichten Weins, bevor sie sich neben der Wanne niederließ, um ein wenig mit ihm zu plaudern.
»Weiß man schon Neues über die Invasion?« fragte sie.
»Ja, Alexander dringt ins Landesinnere vor. Vermutlich legt er es auf einen frontalen Zusammenstoß mit uns an.«
»Sie wollten nicht auf dich hören, und jetzt haben wir den Feind vor der Haustür.«
»Keiner hat dem Jungen so viel zugetraut. Alle waren überzeugt, er würde noch jahrelang in Griechenland Krieg führen und dabei seine Kräfte restlos aufzehren. Aber das war offensichtlich eine fatale Fehleinschätzung.«
»Was ist er für ein Mensch?« fragte Barsine.
»Schwer zu sagen ... Er ist jung und sieht gut aus. Vom Wesen her soll er leidenschaftlich, ja aufbrausend sein, in Momenten der Gefahr jedoch kalt wie ein Eisblock. Offenbar kann er dann selbst die heikelsten und schwierigsten Situationen mit kühlem Kopf beurteilen.«
»Und Schwächen hat er keine?«
»Nun, er trinkt gern Wein und liebt die Frauen, aber feste Verbindungen hat er nicht - bis auf die mit einem gewissen Hephaistion . .. anscheinend mehr als ein guter Freund: Die beiden sollen Liebhaber sein.«
»Ist er verheiratet?«
»Nein. Er ist aus Makedonien aufgebrochen, ohne einen Thronfolger zu hinterlassen. Und vorher hat er angeblich sämtliche privaten Besitztümer unter seinen engsten Freunden aufgeteilt.«
Als Memnon aus dem Bad stieg, bedeutete Barsine den Dienerinnen, sich zurückzuziehen, und kümmerte sich selbst um ihren Mann. Sie hüllte ihn in ein weiches Tuch aus ionischem Linnen und trocknete ihm damit den Rücken ab, während er weiter über seinen Feind sprach:
»Einer von diesen reich beschenkten Freunden soll ihn gefragt haben: >Und was behältst du für dich?< - >Die Hoffnung<, soll er gesagt haben. Ob man das nun glaubt oder nicht, es zeigt jedenfalls, daß der junge König bereits eine Legende ist, und das paßt mir überhaupt nicht: Gegen einen Mythos anzukommen ist verflixt schwierig.«
»Und es gibt wirklich keine Frau an seiner Seite?« wollte Bar-sine wissen.
Eine Dienerin holte das feuchte Badetuch ab, und eine andere half Memnon dabei, in einen knöchellangen blauen Chiton mit silberbestickten Säumen zu schlüpfen.
»Warum interessiert dich das so?«
»Weil Frauen meistens der schwache Punkt der Männer sind.«
Memnon hakte sich bei seiner Gemahlin unter und führte sie in den Speisesaal, der nach griechischer Art mit niederen Tischen und Liegen ausgestattet war.
Nachdem er sich ausgestreckt hatte, schenkte eine Magd ihm aus einem herrlichen, zweihundert Jahre alten korinthischen Mischkrug noch etwas von dem leichten, spritzigen Wein nach.
Memnon deutete auf ein Gemälde des Malers Apelles - eine gewagte Liebesszene zwischen Ares und Aphrodite -, das ihm gegenüber an der Wand hing. »Weißt du noch, wie Apelles dieses Bild bei uns gemalt hat?«
»Natürlich, ich erinnere mich noch sehr gut«, erwiderte Bar-sine, die dem Gemälde absichtlich immer den Rücken zuwandte: Sie errötete heute noch bei seinem Anblick und hatte sich nie an die griechische Freizügigkeit in solchen Dingen gewöhnen können.
»Und das Mädchen, das als Aphrodite für ihn Modell gestanden hat - kannst du sie dir noch denken?«
»Ja, sie sah wundervoll aus - eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe. Man glaubte fast, die Göttin der Schönheit und Liebe in Person vor sich zu haben.«
»Dieses Mädchen war Alexanders griechische Geliebte.«
»Das ist doch nicht dein Ernst!«
»Doch. Sie heißt Kampaspe, und als sie sich zum erstenmal vor Alexander auszog, war er so hingerissen, daß er augenblicklich Apelles bestellt und damit beauftragt hat, ein Nacktporträt von ihr zu malen. Aber der Maler hat sich in sein Modell verliebt,
und Alexander hat es gemerkt.«
»Oh, Schreck!« entfuhr es Barsine. »Und was hat er gemacht?«
»Er hat sie ihm geschenkt! Und zum Dank dafür wollte er nur das Bild. Tja, dieser Alexander ist nicht kleinzukriegen, nicht einmal durch die Liebe, fürchte ich ... ein zäher Bursche, glaub mir.«
Barsine sah ihm tief in die Augen. »Und du?« fragte sie. »Läßt du dich von der Liebe kleinkriegen?«
Memnon erwiderte ihren Blick und sagte: »Sie ist der einzige Gegner, dem ich mich beuge.«
In diesem Moment kamen die beiden Jungen herein, um gute Nacht zu sagen.
»Wann nimmst du uns endlich in eine Schlacht mit, Papa?« fragte der ältere der beiden.
»Das hat noch Zeit«, schmunzelte Memnon. »Werdet erst einmal groß.«
Eteokles und Phraates gaben Vater und Mutter einen Gutenachtkuß. ».. . und entscheidet, auf welcher Seite ihr kämpfen wollt«, murmelte Memnon leise vor sich hin, während die Jungen schon wieder aus dem Zimmer rannten.
Barsine schwieg lange.