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In diesen Tagen hat Parmenion einen Boten des Großkönigs abgefangen, der einen Brief an meinen Vetter Amyntas bei sich trug. Amyntas wird darin der Thron von Makedonien und eine Summe von zweitausend Talenten in Gold versprochen, wenn er mich tötet.
Die ganze Geschichte wurde von einem Ägypter namens Si-sines aufgedeckt, der behauptet, mit meinem Vater Philipp befreundet gewesen zu sein. Leider ist dieser Mensch mittlerweile spurlos verschwunden; ich möchte deshalb, daß auch du Nachforschungen über ihn anstellst. Es handelt sich um einen Mann um die Sechzig mit schütterem Haar, Hakennase, flinken, dunklen Augen und einem Muttermal auf der linken Wange. Benachrichtige mich sofort, wenn er in der Stadt oder im Palast gesehen wird. Leb wohl.«
Alexander versiegelte den Brief und schickte ihn augenblicklich mit einem persönlichen Boten auf den Weg, dann begab er sich in das Zelt Parmenions. Der General lag ausgestreckt auf einer Feldpritsche und ließ sich von einem Diener die linke Schulter mit Olivenöl und Brennesselsaft massieren; sie schmerzte ihn bei schlechtem Wetter immer, was von einer Verwundung herrührte, die er sich schon als junger Mann auf einem Feldzug in Thrakien zugezogen hatte. Als er Alexander sah, stand er sofort auf und hängte sich einen Umhang über die Schulter.
»Verzeih Herr, ich hatte nicht mit deinem Besuch gerechnet. Was kann ich dir anbieten? Einen Becher heißen Wein?«
»Nein, danke, General. Ich würde mir gerne mal den persischen Gefangenen ansehen. Kannst du mir einen Dolmetscher beschaffen?«
»Natürlich. Jetzt gleich?«
»Ja, so schnell es geht.«
Parmenion kleidete sich in aller Eile an, befahl einem Diener, den Dolmetscher suchen zu gehen, und begleitete Alexander zu der Hütte, in der man den persischen Boten unter strenger Bewachung gefangenhielt.
»Verhört hast du ihn wahrscheinlich schon, oder?« fragte der König unterwegs.
»Ja«, sagte Parmenion.
»Und was hat er gesagt?«
»Nicht mehr, als du schon weißt: Daß der Großkönig ihm eine vertrauliche Botschaft für einen Yauna-Führer namens Amyntas übergeben hat.«
»Und sonst nichts?«
»Nein. Ich habe natürlich erwägt, ihn zu foltern, aber dann dachte ich, das ist eigentlich sinnlos: Niemand würde einem einfachen Boten irgendwelche wichtigen Geheimnisse anvertrauen.«
»Wie seid ihr überhaupt auf den Mann gestoßen?«
»Das war Sisines' Verdienst.«
»Sisines, der Ägypter?«
»Ja. Er kam eines Tages zu mir und erzählte mir, im Lager der Händler und Frauen treibe sich eine verdächtige Person herum.«
»Du kanntest diesen Sisines also schon?«
»Sicher. Er hat schon das letzte Mal, als ich noch im Auftrag deines Vaters in Asien war, als Spitzel für uns gearbeitet. Aber seit damals hatte ich ihn nicht wiedergesehen.«
»Und das hat dich nicht mißtrauisch gemacht?«
»Nein, dazu gab es keinen Grund: Er hat sich immer als verläßlicher Informant erwiesen und ist entsprechend dafür belohnt worden - genau wie dieses Mal.«
»Du hättest ihn hier festhalten sollen«, sagte Alexander sichtlich verärgert. »Wenigstens bis zu meiner Ankunft.«
»Tut mir leid«, erwiderte Parmenion mit gesenktem Kopf. »Ich habe das nicht für nötig erachtet. Im übrigen gab Sisines mir zu verstehen, daß er einem anderen persischen Spitzel auf der Spur sei, und da wollte ich nicht. . . Aber wenn ich falsch gehandelt habe, bitte ich dich, das zu verzeihen, Herr. Ich . . .«
»Nein, ist schon gut. Du hast gehandelt, wie du es für richtig hieltest. Und jetzt wollen wir mal diesen Gefangenen in Augenschein nehmen.«
Sie waren inzwischen vor der Baracke angelangt, in der man den persischen Boten gefangenhielt. Parmenion befahl dem Wächter, den Türriegel zurückzuschieben.
Der Soldat gehorchte und ging als erster hinein, um sicherzustellen, daß alles in Ordnung war. Einen Moment später kam er mit verstörtem Gesicht wieder heraus.
»Was ist los?« fragte der General.
»Der Gefangene ist... ist tot«, stammelte der Soldat, wobei er aufs Innere der Baracke deutete.
Alexander war mit einem Satz bei dem Perser und kniete neben ihm nieder. »Ruft sofort einen Arzt«, befahl er. »Dieser Mann wußte offensichtlich mehr, als er dir gesagt hat, Parme-nion. Andernfalls wäre er nicht umgebracht worden.«
»Tut mir leid, Herr ...«, erwiderte der General zutiefst betreten. »Ich . . . ich bin nur ein einfacher Soldat. Auf dem Schlachtfeld kannst du mich vor die schwierigsten Probleme stellen - ich finde immer einen Ausweg. Aber Intrigen wie dieser stehe ich völlig hilflos gegenüber. Tut mir wirklich leid . . .«
»Macht nichts«, erwiderte der König. »Warten wir ab, was Philipp zu der Sache sagt.«
Und da betrat der Arzt auch schon die Hütte. Er begann sofort, die Leiche des Boten gründlich zu untersuchen.
»Kannst du irgendwelche Rückschlüsse ziehen?« fragte Alexander nach einer Weile.
»Der Mann ist höchstwahrscheinlich vergiftet worden; ich nehme sogar an, mit dem Essen von gestern abend.«
»Könntest du auch die Art des Gifts feststellen?«
Philipp stand auf und ließ sich eine Schüssel Wasser zum Händewaschen bringen. »Ich glaube ja«, sagte er, »aber dazu müßte ich ihn öffnen . . .«
»Dann tu es«, befahl der König. »Und wenn du damit fertig bist, ordne eine Bestattung nach persischem Brauch an.«
Philipp sah sich ratlos um. »Wie soll das geschehen? Hier gibt es weit und breit keinen Turm des Schweigens«, meinte er.
»Dann lassen wir einen bauen«, sagte Alexander an Par-me-nion gewandt. »An Steinen fehlt es uns ja nicht - und an Männern ebensowenig.«
»In Ordnung, Herr«, entgegnete der General. »Sonst noch ein Befehl?«
Alexander dachte einen Moment nach. »Ja«, sagte er dann. »Laß Amyntas frei und setze ihn wieder in seinen Rang ein. Aber . . . paß auf ihn auf.«
»Selbstverständlich, Herr.«
»Gut. Dann kümmere dich jetzt wieder um deine Schulter, Parmenion, und laß sie ordentlich massieren. Das Wetter wird sich ändern«, meinte er noch und sah zum Himmel hinauf. »Und nicht zum Guten, wie ich fürchte.«
43
Eines Abends mitten im Winter fühlte Kommandant Mem-non sich plötzlich schlecht: Er hatte hohes Fieber und Gliederschmerzen, spürte Stiche in der Nierengegend und übergab sich in einem fort. Als dann noch ein heftiger Schüttelfrost dazukam, zog er sich endgültig in seine Kabine im Achterkastell zurück und begann sogar Speis und Trank abzulehnen.
Er brachte nicht mehr hinunter als dann und wann einen Schluck warme Brühe, aber selbst den behielt er nicht immer bei sich. Sein Arzt verabreichte ihm Schmerzmittel und zwang ihn, soviel wie möglich zu trinken, um den großen Flüssigkeitsverlust durch Schwitzen und Erbrechen wiedergutzumachen, aber heilen konnte er ihn nicht.
Memnons Krankheit stürzte alle in tiefe Ratlosigkeit, alle bis auf einen, dessen offensichtliche Teilnahmslosigkeit auffallend war: Es handelte sich um den neuen Vizeadmiral, einen Perser namens Tigranes, der bis dahin die Flotte im Roten Meer befehligt hatte. Tigranes war ein ambitiöser Intrigant; er hatte schon bei Hofe nie einen Hehl daraus gemacht, daß er König Dareios' Entscheidung, das Oberkommando über die persischen Truppen ausgerechnet einem griechischen Söldnerführer anzuvertrauen, schlichtweg mißbilligte.
Als sich herausstellte, daß Memnon nicht mehr in der Lage sein würde, seinen Verpflichtungen nachzukommen, nahm er dessen Platz ein. Sein erster Befehl lautete: Anker lichten und Kurs nach Süden nehmen, sprich: die Meerengen freigeben.