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»Heute vormittag. Der Mann wollte mit dir sprechen, aber du warst mit Hephaistion und den anderen Gardisten gerade beim
Appell der neu eingetroffenen Soldaten, und deshalb habe ich ihn empfangen.«
»Gut getan«, erwiderte Alexander. »Aber sind wir sicher, daß er wirklich von Eumolpos kam?«
»Der Bote hatte sein Losungswort. Du kennst es . . .«
Alexander schüttelte den Kopf: »Ja, Schafshirn! Hat man je eine blödsinnigere Losung gehört?«
»Schafshirn ist nun mal seine Leibspeise«, meinte der alte General schulterzuckend.
»Wie gesagt«, fuhr der »Schwarze« fort, »Dareios soll angeblich mit seinem gesamten Heer in Richtung der Stadt Thapsakos unterwegs sein.«
»Wahrscheinlich, um dort den Euphrat zu überqueren«, erwiderte der König. »Genau wie ich gedacht habe: Dareios will mir den Weg durch die Syrische Pforte versperren.«
»Ja, ich glaube, du hast recht«, Kleitos nickte.
»Wie viele Soldaten hat Dareios bei sich?« fragte Alexander.
»Sehr viele«, erwiderte Parmenion.
»Sag es mir genau«, entgegnete der König gereizt.
»Etwa eine halbe Million.«
»Das sind wirklich sehr viele. Damit steht es eins zu zehn. . .«
»Was sollen wir machen?«
»Weitermarschieren, etwas anderes bleibt uns gar nicht übrig. Bereitet den Aufbruch vor.«
Die beiden Generäle grüßten und schickten sich an, zu gehen, doch Alexander rief Parmenion noch einmal zurück.
»Was gibt es noch, Herr?« fragte der alte General.
»Wir beide sollten vielleicht auch eine Losung für den Austausch von mündlichen Botschaften abmachen, meinst du nicht?«
Parmenion senkte den Kopf. »Als ich dir Sisines geschickt habe, hatte ich keine andere Wahl; bei unserer Trennung hat keiner daran gedacht, daß ein Losungswort nötig sein könnte.«
»Stimmt, aber jetzt brauchen wir eins. Es wird in Zukunft noch öfter vorkommen, daß wir uns trennen und über mündliche Botschaften verständigen müssen.«
Parmenion lächelte.
»Warum lächelst du?«
»Weil ich an den Auszählreim denken muß, den du als kleiner Junge immer aufgesagt hast. Die alte Artemisia, die Amme deiner Mutter, hatte ihn dir beigebracht, erinnerst du dich noch?
Der alte Soldat zieht in den Krieg, fällt in den Dreck, und du bist weg!
Und danach hast du dich immer auf den Boden geworfen.«
»Warum nicht?« meinte Alexander. »Dieser Spruch erweckt bestimmt keinen Verdacht, ja, ich denke, er eignet sich als Losung.«
»Und auswendig lernen müssen wir ihn auch nicht erst«, erwiderte Parmenion. »Tja, dann gehe ich jetzt.«
Doch Alexander rief ihn noch einmal zurück: »General!«
»Herr?«
»Was macht Amyntas?«
»Er tut seine Pflicht.«
»Gut. Aber fahre fort, ihn zu überwachen, ohne daß er es merkt. Und versuche herauszubringen, ob Memnon wirklich gestorben ist und woran.«
»Ich will mein möglichstes tun. Herr. Eumolpos' Bote ist noch immer im Lager. Ich werde ihm auftragen, Nachforschungen anzustellen.«
Am folgenden Tag machte sich der Bote auf den Weg, und die makedonischen Truppen begannen ihren Aufbruch vorzubereiten. Es wurde alles so eingerichtet, daß man am nächsten Morgen nur noch die Zelte abzubrechen brauchte und losmarschieren konnte: Die Lasttiere wurden beladen, die Wagen mit Proviant und Waffen angefüllt und die verantwortlichen Offiziere arbeiteten die Marschrouten aus, die das Heer in sieben Tagen bis an die Kilikische Pforte bringen sollten - eine Paßstraße im Tauros-Gebirge, die so eng war, daß zwei Saumtiere nicht nebeneinander gehen konnten.
Noch am selben Abend erschien einer der Soldaten, die mit dem Verstärkungskontingent eingetroffen waren, bei Kal-listhenes und händigte ihm ein kleines Päckchen aus. Der Geschichtsschreiber, der gerade mit seinem Tagesbericht beschäftigt war, erhob sich vom Schreibtisch, gab dem Soldaten eine entsprechende Belohnung und öffnete - kaum daß er alleine war - das Päckchen. Es enthielt zwei Papyrusbogen, der erste mit einem Text gänzlich allgemeinen Inhalts: irgendeine Abhandlung über das Züchten von Bienen, die er mit Sicherheit nicht angefordert hatte. Und tatsächlich handelte es sich um eine Geheimbotschaft, die entschlüsselt folgendermaßen lautete:
»Ich habe Theophrast das Medikament geschickt, damit er es dem Arzt von Lesbos übergibt. Leider sind die Witterungsverhältnisse so schlecht, daß in den nächsten Tagen wohl kaum ein Schiff in See sticht. Der Ausgang dieser Geschichte ist also sehr ungewiß.«
Bei dem anderen Papyrusbogen handelte es sich um einen normal verfaßten Brief:
»Aristoteles an seinen Neffen Kallisthenes. Heil! Ich habe eine Person getroffen, die Pausanias, den Mörder König Philipps, kannte; auch im Lichte dessen, was diese Person mir erzählt hat, scheint mir die Geschichte von der angeblichen Männerliebschaft zwischen dem König und seinem Leibwächter immer unglaubwürdiger. Im übrigen habe ich einen der überlebenden Komplizen des Mörders ausfindig gemacht und in einem Gasthaus in Beroea getroffen. Der Mann war außerordentlich mißtrauisch und hat alles geleugnet, so sehr ich auch versuchte, ihn in Sicherheit zu wiegen. Das einzige, was ich herausbringen konnte, ist seine wahre Identität; dazu mußte ich eine Sklavin, die gleichzeitig seine Konkubine ist, mit Geld bestechen. Jetzt weiß ich, daß er eine junge Tochter hat, die er regelrecht vergöttert und die er unter den Jungfrauen eines Artemistempels an der Grenze nach Thrakien versteckt. Ich muß nach Athen zurück, werde meine Nachforschungen aber weiterführen und dich immer auf dem laufenden halten. Hab acht auf dich und leb wohl.«
Kallisthenes verstaute die Briefe in einem kleinen Tresor und legte sich schlafen, denn er wußte, daß am nächsten Morgen sehr früh aufgebrochen wurde.
Eumenes und Ptolemaios weckten ihn, als es draußen noch dunkel war.
»Hast du schon gehört?« fragte Eumenes.
»Was?« entgegnete Kallisthenes, indem er sich die Augen rieb.
»Memnon soll gestorben sein. An einer Krankheit.«
»Sie war anscheinend unheilbar«, setzte Ptolemaios hinzu.
Kallisthenes setzte sich auf den Rand seiner Pritsche und goß etwas Öl in die Lampe nach.
»Wann ist das passiert?«
»Die Nachricht ist mit einem der Offiziere unserer Verstärkungstruppen eingetroffen. Wenn wir rechnen, wie lange die unterwegs waren, müßte Memnon vor zwei Wochen bis einem
Monat gestorben sein. Es läuft alles wie am Schnürchen.«