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»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber ich gebe dir Bescheid, wenn er wieder einigermaßen bei Kräften ist.«
»Und du meinst, er schafft es?«
»Ja. Im Augenblick leidet er sehr, aber er wird wieder gesund werden. Vielleicht hast du recht, Eumenes, vielleicht ist Alexander ja wirklich kein Mensch wie wir anderen . .. «
Auch Barsine litt in diesen Tagen, allerdings aus einem anderen Grund; sie glaubte, das Andenken ihres verstorbenen Mannes beschmutzt und verraten zu haben und machte sich die schlimmsten Vorwürfe, weil sie sich Alexander hingegeben hatte; gleichzeitig wußte sie aber, wie schlecht es ihm ging, und wäre am liebsten dauernd bei ihm gewesen. Sie hatte eine Amme, eine gute alte Frau namens Artema, die wie eine Mutter für sie war und gemerkt hatte, daß etwas mit ihr los war.
Eines Abends beschloß Artema, der Sache auf den Grund zu gehen. »Warum quälst du dich, mein Kind?« fragte sie Barsine.
Barsine senkte den Kopf und begann, still vor sich hin zu weinen.
»Wenn du es mir nicht erzählen möchtest, kann ich dich nicht dazu zwingen«, meinte die Alte bedauernd, aber schließlich gab Barsine doch dem Bedürfnis nach, ihr Herz auszuschütten.
»Ich habe mich König Alexander hingegeben, Artema. Ich habe ihn vor Schmerz stöhnen und schreien hören, als er vom Schlachtfeld zurückkam, und da bin ich zu ihm gegangen, und es ist passiert.« Barsine hörte nicht auf zu schluchzen. »Er war immer so gut zu mir und meinen Kindern, ich konnte einfach nicht anders . .. Ich bin an sein Bett getreten, habe ihm den Schweiß von der Stirn getupft, sein Gesicht gestreichelt.. . Für mich war er in diesem Moment nur ein armer Junge, der vor Fieber glühte und schreckliche Alpträume und Wahnvorstellungen hatte.« Die Amme hörte still und aufmerksam zu. »Plötzlich hat er mich umschlungen und an sich gezogen. Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte«, murmelte Barsine mit bebender Stimme. »Sein leidender Körper verströmte einen ganz seltsamen, geheimnisvollen Duft, sein fiebriger Blick hatte eine ungeheure Anziehungskraft. ..« Barsine brach erneut in Tränen aus.
»Nicht doch, mein Kind, hör auf zu weinen«, tröstete Artema sie. »Du hast nichts Böses getan. Du bist jung, und das Leben, das in dir steckt, drängt danach, zu seinem Recht zu kommen. Außerdem bist du eine Mutter, die mit ihren Kindern in Feindeshand gefallen ist und daher ist es ganz natürlich, daß du dich instinktiv dem Mann hingibst, der mächtiger ist als alle anderen und dich und deine Kinder verteidigen kann.« Artema strich ihr sanft übers Haar. »Das ist das Schicksal jeder schönen und begehrenswerten Frau: Sie weiß, daß sie ein Beuteobjekt ist und sich und ihre Kinder nur beschützen kann, indem sie dem Mann, der sie gewonnen hat, nachgibt und ihn mit ihrer Liebe beglückt.« Barsine sah sie mit tränenverschleierten Augen an. »Und der Mann, der dich erobert hat, ist obendrein ein schöner Jüngling, einer, der dich stets mit großem Respekt behandelt und damit eigentlich bewiesen hat, daß er deine Liebe verdient.« Artema lächelte ihr aufmunternd zu. »Ich kann verstehen, daß du leidest - in diesem Augenblick streiten völlig gegensätzliche Gefühle um dein Herz: die Liebe zu deinem Gemahl, der tot ist, und die unbewußte Liebe zu einem anderen, den du ablehnst, weil er ein Feind ist und indirekt den Tod deines Gemahls verursacht hat. Aber rede dir nicht ein, daß du etwas Schlimmes getan hast, und wenn du ein Gefühl in dir wachsen spürst, so unterdrücke es nicht, denn nichts geschieht im Herzen der Menschen ohne den Willen Ahura Mazdas - er ist das ewige Feuer, der Ursprung jeglichen Feuers im Himmel wie auf Erden. Nur eins mußt du bedenken, mein Kind: Alexander ist kein gewöhnlicher Mensch. Er ist wie der Wind, der kommt und geht. Niemand kann den Wind festhalten. Gib der Liebe nur nach, wenn du sicher bist, auch eine Trennung ertragen zu können.«
Barsine trocknete ihre Tränen ab und verließ das Zelt. Die Nacht war still und klar, und das Meer glänzte silbern im
Mondschein. Sie ging am königlichen Pavillon vorbei, auf den das Licht der Fackeln ihren schmalen Schatten zauberte, und dann hinunter zum Strand, um bis zu den Knien ins Wasser einzutauchen. Plötzlich glaubte sie, seinen Duft wahrzunehmen und seine Stimme, die Barsine flüsterte.
Es war nicht möglich, und doch stand er so dicht hinter ihr, daß sein Atem ihr Gesicht streifte.
»Ich weiß nicht, wie oft ich geträumt habe, daß du mir deine Liebe geschenkt hast«, sagte er leise, »daß ich deinen Körper streicheln und sanft in dich eindringen durfte. Aber als ich aufgewacht bin, habe ich nur das in meinem Bett gefunden.«
Er zeigte ihr ein Tüchlein aus blauem Byssus und ließ es ins Wasser flattern. »Gehört es dir?«
»Du hast nicht geträumt«, sagte Barsine, ohne sich umzudrehen. »Ich bin in dein Zelt gegangen, weil ich dich vor Schmerzen schreien hörte, und habe mich zu dir gesetzt. Irgendwann hast du mich umarmt, und ich konnte dir nicht widerstehen.«
Alexander legte ihr die Hände auf die Hüften und drehte sie zu sich um. Das Mondlicht überzog ihr Gesicht mit einem elfenbeinfarbenen Schimmer und spiegelte sich in ihren schwarzen Augen.
»Jetzt kannst du, Barsine. Jetzt kannst du nein sagen, wenn ich dich bitte, mich in deine Arme zu schließen. In wenigen Monaten habe ich alle nur erdenklichen Greuel erlebt und auch anderen zugefügt; was noch an Jugendlichem in mir steckte, ist endgültig verlorengegangen; tiefer als ich kann ein Mensch nicht mehr sinken, ich habe vergessen, je ein Kind gewesen zu sein, je einen Vater, eine Mutter gehabt zu haben. Das Feuer des Krieges hat mir das Herz verbrannt, und ich fühle oft ganz deutlich, daß der Tod neben mir herreitet, ohne mich treffen zu können. In diesen Momenten begreife ich, was es heißt, unsterblich zu werden, es erfüllt mich mit Kummer und Angst. Weise mich nicht zurück, Barsine, laß meine Hände dein Gesicht streicheln, verweigere mir nicht deine Wärme, deine Umarmung.«
Alexanders Körper war gezeichnet wie ein Schlachtfeld: kein Fingerbreit Haut ohne Kratzer, Narben, Schürfungen. Nur sein Antlitz war wie durch ein Wunder völlig unversehrt, und die langen, weichen Locken, die es umrahmten, verliehen ihm große Anmut.
»Liebe mich, Barsine«, sagte er, indem er sie an seine Brust zog und leidenschaftlich küßte. Barsine erwiderte seinen Kuß, als habe sie plötzlich Feuer gefangen, aber noch im selben Moment fühlte sie eine dumpfe Verzweiflung in sich aufsteigen. Der Mond hatte sich unterdessen hinter den Wolken versteckt.
Das Heer brach auf und zog der Wüste entgegen, sobald der König dazu in der Lage war. Nach sieben Tagen erreichte man die Stadt Pelusion vor den Toren Ägyptens am Ostufer des Nildeltas. Der persische Gouverneur, der sich auf verlorenem Posten wußte, lieferte Alexander das Land und den großköniglichen Schatz kampflos aus.
»Ägypten!« schrie Perdikkas begeistert, als er von einem Turm der Festung aus zum erstenmal das fruchtbare Land betrachtete, das sich bis zum Horizont ausbreitete, den trägen Lauf des Flusses, der es durchzog, das Wogen der Papyrusstauden entlang der vielen Kanäle, die riesigen Dattelpalmenhaine, in denen walnußgroße Früchte geerntet wurden.
»Ich hab nicht einmal geglaubt, daß es wirklich existiert«, meinte Leonnatos. »Ich dachte, das ist eins von den vielen
Märchen, die der alte Leonidas uns immer erzählt hat.«
Ein Mädchen mit schwarzer Perücke und bisterumrandeten Augen bot den jungen Eroberern Palmenwein und süßes Gebäck an. Ihr weißes Leinenkleid lag so eng an, daß man fast den Eindruck hatte, sie sei nackt.
»Na, bist du immer noch so sicher, die Ägypter nicht ausstehen zu können?« fragte Alexander Ptolemaios, der dem hübschen Mädchen mit offenem Mund nachsah.
»Nein, nicht mehr ganz so . . .«, erwiderte der Gefährte grinsend.
»Schaut mal da, im Fluß! Was sind denn das für Ungetüme?« schrie Leonnatos plötzlich und deutete auf mehrere schuppige Tiere, die für wenige Augenblicke aus dem Wasser auftauchten und gleich wieder verschwanden.
»Das sind Krokodile«, erklärte der Übersetzer, ein Grieche aus Naukratis mit Namen Aristossenos. »Von denen wimmelt es hier, paßt bloß auf, die sind sehr gefährlich. Baden ist hier sehr riskant, weil. . .«
»Und die dort? Schaut nur, dort drüben!« schrie Leonnatos schon wieder. »Die sehen ja aus wie gigantische Schweine!«
»Das sind Flußpferde - so nennen wir Griechen sie«, erklärte der Übersetzer.
»Flußpferde«, erwiderte Alexander lachend. »Bei Zeus, ich glaube, Bukephalos wäre nicht sehr begeistert davon, mit einem dieser Ungeheuer verglichen zu werden.«
»Gefährlich sind sie nicht«, erklärte Aristossenos weiter. »Sie ernähren sich ausschließlich von Gras und Algen. Allerdings können sie aufgrund ihrer enormen Körpermasse ein Boot umstürzen, und die Insassen fallen dann leicht den Krokodilen zum Fraß.«
»Ein Land voller Gefahren«, meinte Seleukos, der bis zu diesem Moment schweigend die Aussicht genossen hatte. »Und was wird deiner Meinung nach jetzt geschehen?« fragte er dann Alexander.
»Keine Ahnung, aber ich denke, daß dieses Volk uns wohlwollend aufnimmt, wenn wir uns bemühen, es zu verstehen. Auf mich haben die Ägypter den Eindruck von freundlichen und klugen, wenn auch sehr stolzen Leuten gemacht.«
»So ist es«, pflichtete Eumenes dem König bei. »Dieses Land hat Fremdherrschaften nie geduldet, aber genau das wollten die Perser nicht begreifen: Sie haben immer einen Gouverneur mit Söldnertruppen in Pelusion eingesetzt mit der Folge, daß sie einen Aufstand nach dem anderen blutig niederschlagen mußten.«
»Und warum sollte das bei uns anders werden?« fragte Se-leukos.
»Es hätte auch bei den Persern anders sein können - sie hätten nur die Religion der Ägypter respektieren und den Großkönig zum Pharao ernennen müssen. In gewissem Sinne ist alles eine Frage der Form ... «
»Eine Frage ... der Form?« wiederholte Ptolemaios.
»Ja«, sagte Eumenes. »Ein Volk, das für seine Götter und das Jenseits lebt, das riesige Summen ausgibt, nur um Weihrauch für seine Tempel einzuführen, ein solches Volk legt mit Sicherheit Wert auf die Form.«
»Ich glaube, du hast recht«, Alexander nickte. »Wie auch immer, wir werden es bald erfahren. Morgen oder übermorgen sollte unsere Flotte ankommen, und danach ziehen wir den Nil hinauf bis nach Memphis, der Hauptstadt von Ägypten.«
Nearchos und Hephaistion liefen zwei Tage später mit den
Schiffen im östlichen Teil des Deltas ein. Bereits am nächsten Morgen reisten der König und seine Gefährten stromaufwärts nach Heliopolis und Memphis, während das Heer ihnen auf dem Landweg folgte.
Die Schiffe glitten ruhig auf dem breiten Strom dahin, vorbei an den mächtigen Pyramiden, die wie Diamanten in der Sonne glänzten, vorbei an der gigantischen Sphinx, die seit Jahrtausenden die Gräber der großen Pharaonen bewachte.
»Herodot schreibt, daß dreißigtausend Mann dreißig Jahre dazu gebraucht haben, sie zu errichten«, erklärte Aristossenos.
»Und du glaubst, das ist wahr?« fragte Alexander.
»Ja, obwohl in diesem Land mehr Geschichten erzählt werden als sonst irgendwo, aus dem einfachen Grund, daß es so alt ist -da ist viel zusammengekommen.«
»Und stimmt es, daß es in der Wüste geflügelte Schlangen gibt?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte der Übersetzer. »Dort bin ich noch nie gewesen, aber diese Wüste ist mit Sicherheit einer der unwirtlichsten Orte auf der ganzen Erde. Schau, Herr, wir kommen zur Landungsbrücke. Die Männer mit den kahlrasierten Köpfen, die du dort vorn siehst, sind die Priester des Zeus Ammon-Tempels. Behandle sie mit Respekt: Sie können dir viel Mühe und Blut ersparen.«
Alexander nickte und machte sich zum Ausstieg bereit. Kaum daß er an Land war, ging er auf die Priester zu, verneigte sich ehrerbietig und bat sie, sogleich in den Tempel geführt zu werden, damit er dem Gott ein Opfer bringen konnte.