37289.fb2 Ali und Nino - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 14

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14. Kapitel

Tage wuchsen heran zu Wochen, zu Monaten. Es hatte sich viel ereignet in der Welt, im Lande und im Haus. Die Nächte wurden lang, gelbes Laub lag tot und traurig auf allen Wegen des Gouverneursgartens. Herbstlicher Regen verdunkelte den Horizont. Eisschollen trieben im Meer herum und zerrieben sich an den felsigen Ufern. Eines Morgens bedeckte hauchdünner Schnee die Straßen, und einen Augenblick lang herrschte der Winter.

Dann wurden die Nächte wieder kurz.

Kamele kamen daher, traurigen Schrittes aus der Wüste. Sie trugen Sand in ihren gelben Haaren, und ihre Augen, die die Ewigkeit gesehen, blickten immerzu in die Ferne. Auf ihren Höckern schleppten sie Kanonen, deren Läufe, seitlich festgeschnallt, mit der Mündung zur Erde herabhingen; Kisten mit Munition und Gewehre: die Kriegsbeute aus den großen Kämpfen. Gefangene Türken zogen durch die Stadt in grauen Enverlyks, zerfetzt und zerschunden. Sie marschierten zum Meer, und kleine Küstendampfer brachten sie zur Insel Nargin. Dort starben sie an Ruhr, Hunger oder Heimweh. Oder sie flohen und kamen um in den Salzwüsten Persiens und in den bleiernen Fluten des Kaspischen Meeres.

Weit in der Ferne tobte der Krieg. Doch diese Ferne war plötzlich nahe und greifbar. Züge mit Soldaten kamen vom Norden. Züge mit Verwundeten vom Westen. Der Zar setzte seinen Onkel ab und führte selbst das Heer von zehn Millionen. Der Onkel herrschte jetzt über Kaukasien, und sein düsterer und gewaltiger Schatten fiel über unser Land. Großfürst Nikolai Nikolajewitsch. Bis ins Herz von Anatolien griff seine lange, knochige Hand. Der Groll, den er gegen den Zaren hegte, entlud sich in den wilden Angriffen seiner Divisionen. Über Schneeberge und Sandwüsten rollte der Groll des Großfürsten gen Bagdad, gen Trapezunt, gen Stambul. »Der lange Nikolai« sagten die Menschen und sprachen voll Schreck von der wilden Raserei seiner Seele, von dem dunklen Wahn des tobenden Kriegers.

Länder ohne Zahl griffen in den Kampf ein. Von Afghanistan bis zur Nordsee zog sich die Front, und die Namen der verbündeten Monarchen, Staaten und Feldherren bedeckten die Zeitungsspalten wie giftige Fliegen die Leichen der Helden.

Und wieder kam der Sommer. Sengende Glut ergoß sich über die Stadt, der Asphalt schmolz unter den Schritten der Fußgänger. Siege wurden gefeiert in Ost und West, und Nino stand im Prüfungssaal des Lyzeums der hl. Tamar und bewies ihre Reife durch mathematische Gleichnisse, klassische Zitate, historische Daten und in verzweifelten Fällen durch flehendes Aufschlagen ihrer großen georgischen Augen.

Ich saß herum in Teestuben, in Kaffeehäusern, bei Freunden und zu Hause. Viele Leute schalten mich wegen der Freundschaft mit dem Armenier Nachararjan. Das Regiment Iljas Begs stand immer noch in der Stadt und übte auf dem staubigen Kasernenhof die Regeln der Kriegskunst. Oper, Theater und Kinos spielten nach wie vor. Es hatte sich viel ereignet, aber nichts geändert in der Welt, im Lande und im Haus.

Wenn Nino, unter der Last des Wissens seufzend, zu mir kam, berührten meine Hände ihre kühle und glatte Haut. Ihre Augen waren tief und von neugieriger Angst erfüllt. Wir gingen in den Stadtklub, ins Theater und zu den Bällen. Iljas Beg, Mehmed Haidar, Nachararjan, sogar der fromme Seyd Mustafa begleiteten uns. Freundinnen aus dem Lyzeum der hl. Tamar blickten uns lange nach, und Aische, die Kusine, berichtete, wie die Lehrer in stiller Nachsicht der künftigen Frau Schirwanschir ein Genügend nach dem andern ins Klassenheft eintrugen.

Wir waren selten allein. Die Freunde umgaben uns wie eine steile Wand des besorgten Wohlwollens. Untereinander vertrugen sie sich nicht immer. Wenn Nachararjan, dick und reich, seinen Sekt schlürfte und von der gegenseitigen Liebe der kaukasischen Völker sprach, so verdüsterte sich das Gesicht Mehmed Haidars, und er sagte:

»Ich glaube, Herr Nachararjan, daß Ihre Sorge überflüssig ist. Es wird nach dem Kriege sowieso nur eine ganz geringe Zahl von Armeniern übrigbleiben.«

»Aber Nachararjan wird zu den übriggebliebenen gehören«, rief Nino. Nachararjan schwieg und schlürfte den Sekt. Wie ich hörte, war er gerade im Begriff, sein ganzes Geld nach Schweden zu bringen.

Mich ging es nichts an. Wenn ich Mehmed Haidar bat, etwas freundlicher zu Nachararjan zu sein, zog er seine Stirn in Falten und sagte:

»Ich kann die Armenier nicht leiden, weiß der Himmel, warum.«

Als ich nach dem Maturaball die strahlende Nino nach Hause brachte, sagte der alte Kipiani:

»Jetzt seid ihr verlobt. Pack deine Koffer, Ali Khan. Wir fahren nach Tiflis. Ich muß dich der Familie vorstellen.«

So fuhren wir nach Tiflis, der Hauptstadt von Georgien.

Tiflis glich einem Urwald; doch hatte jeder Baum seinen besonderen Namen und war ein Onkel, ein Vetter, eine Tante oder eine Base. Es war nicht leicht, sich in diesem Wald zurechtzufinden. Namen klirrten in der Luft und klangen wie alter Stahl. Orbeliani, Tschawtschawadse, Zereteli, Amilachwari, Abaschidse. Am Rande der Stadt, im Garten Didube, gab das Haus Orbeliani zu Ehren des neuen Vetters ein Fest. Die georgische Zurna spielte Mrawaljawer, das kachetische Kriegslied, und das wilde chewsurische »Lilo«. Ein Vetter aus Kutais, Abaschidse war sein Name, sang die »Mgali Delia«, den Sturmgesang der imeretischen Berge. Ein Onkel tanzte die »Dawlur« und ein alter Mann mit weißem Bart sprang auf den tuchbedeckten, grünen Rasen und erstarrte im Pathos der »Bukhna«. Die ganze Nacht dauerte das Fest. Als sich hinter den Bergen langsam die Sonne zeigte, stimmten die Musiker den Hymnus an: »Steh auf, Königin Tamar, um dich weint Georgien«. Ich saß regungslos am Tisch neben Nino. Degen und Dolche blitzten vor uns auf. Der georgische Messertanz, im Morgengrauen von einer Schar Vettern vorgeführt, glich einem Bühnenspiel, unwirklich und weit. Ich hörte den Gesprächen der Nachbarn zu. Sie klangen wie aus der Tiefe der Jahrhunderte:

»Unter Saakadse verteidigte ein Zereteli Tiflis vor Dschingis Khan.«

»Sie wissen doch, wir Tschawtschawadse sind älter als die Bagrations, das königliche Haus.«

»Der erste Orbeliani? Er kam aus China, vor dreitausend Jahren. Er war ein Sohn des Kaisers. Manche Orbelianis haben auch heute noch geschlitzte Augen.«

Schüchtern blickte ich mich um. Was waren dagegen die wenigen Schirwanschirs, die vor mir in die Ewigkeit eingegangen waren? Nino tröstete mich.

»Gräme dich nicht, Ali Khan. Die Vettern sind natürlich sehr edler Herkunft, aber bedenke: — wo waren ihre Vorfahren, als dein Ahne Tiflis eroberte?«

Ich sagte nichts, war aber sehr stolz: schon jetzt, inmitten ihrer eigenen Sippe, fühlte sich Nino als die Frau eines Schirwanschir. Ich blickte sie dankbar an.

Der rote Kachetiner war wie flüssige Flamme. Ich hob zögernd das Glas zu Ehren des Hauses Orbeliani, und eine alte Frau beugte sich zu mir und sagte:

»Trinken Sie ruhig, Ali Khan. Im Wein ist Gott. Nur wenige wissen es. Jeder andere Rausch kommt vom Teufel.«

Es war ganz hell, als wir in die Stadt zurückfuhren. Ich wollte ins Hotel. Ein Vetter oder Onkel hielt mich zurück.

»Heute nacht waren Sie Gast des Hauses Orbeliani, jetzt sind Sie mein Gast. Wir frühstücken in Purgwino. Und zu Mittag empfangen wir unsere Freunde.«

Ich war ein Gefangener der georgischen Fürstengeschlechter.

Das ging so eine Woche lang. Immer wieder alsanische und kachetische Weine, Hammelbraten und Motalikäse. Die Vettern lösten einander ab wie Soldaten an der Front der georgischen Gastfreundschaft. Nur wir blieben — Nino und ich. Ich bewunderte Ninos Ausdauer. Am Ende der Woche war sie immer noch so frisch wie der erste Tau im Frühling. Ihre Augen lächelten, ihre Lippen wurden nicht müde, sich mit Vettern und Tanten zu unterhalten. Nur eine kaum hörbare Heiserkeit in ihrer Stimme verriet, daß sie Tage und Nächte getanzt, getrunken und fast gar nicht geschlafen hatte.

Am Morgen des achten Tages traten in mein Zimmer die Vettern Sandro, Dodiko, Wamech und Soso. Ängstlich verkroch ich mich unter die Decke.

»Ali Khan«, sagten sie erbarmungslos, »heute sind Sie der Gast der Familie Dschakeli. Wir fahren nach Kadschory zu dem Landgut der Dschakelis.«

»Heute bin ich Niemandes Gast«, sagte ich düster, »heute öffnen sich vor mir, dem armen Märtyrer, die Pforten des Paradieses. Erzengel Michael mit dem flammenden Schwert läßt mich ein, denn ich starb auf dem Pfade der Tugend.«

Die Vettern sahen einander an und lachten schallend und mitleidslos. Dann sagten sie nur ein Wort:

»Schwefel.«

»Schwefel«, wiederholte ich, »Schwefel? Den gibt es in der Hölle. Ich aber komme ins Paradies.«

»Nein«, sagten die Vettern, »Schwefel ist das richtige.«

Ich erhob mich im Bett. Mein Kopf war schwer. Die Glieder hingen herab, als wären sie fremde Gegenstände. Ich blickte in den Spiegel und sah ein fahles, grüngelbes Gesicht mit glanzlosem Blick.

»Ja«, sagte ich, »flüssiges Feuer«, und dachte an den kachetischen Wein, »es geschieht mir recht. Ein Muslim soll nicht trinken.«

Ich kroch aus dem Bett, ächzend wie ein Greis. Die Vettern hatten Ninos Augen und ihren schlanken, biegsamen Wuchs. Der Georgier ist wie ein edles Reh, das sich unter die Urwaldgesellschaft der asiatischen Völker verirrt hat. Keine andre Rasse des Ostens hat diese Grazie, diese Anmut der Bewegungen, diese trunkene Lust am Leben und die gesunde Freude am Nichtstun.

»Wir werden Nino verständigen«, sagte Wamech, »nach Kadschory kommen wir vier Stunden später, wenn du wieder gesund bist.«

Er ging hinaus, und ich hörte seine Stimme am Telephon.

»Ali Khan ist plötzlich erkrankt. Er wird jetzt mit Schwefel behandelt. Er wird erst in vier Stunden wieder gesund sein. Prinzessin Nino soll mit den Ihrigen vorausfahren. Wir kommen nach. Nein, es ist nichts Schlimmes. Er ist nur ein bißchen krank.«

Träge zog ich mich an. Mir schwindelte. Die georgische Gastfreundschaft war so ganz anders als die stillen und würdigen Empfänge bei meinem Onkel in Teheran. Dort trank man starken Tee und sprach von Gedichten und Weisen. Hier trank man Wein, tanzte, lachte und war geschmeidig und hart wie eine Stahlfeder. War das die Pforte Europas? Nein, natürlich nicht. Das gehörte zu uns und war doch so anders als das übrige Asien. Eine Pforte, aber wohin? Vielleicht zur letzten Weisheit, die in kindliche, unbekümmerte Verspieltheit übergeht. Ich wußte es nicht. Ich war maßlos müde. Beinahe taumelnd ging ich die Treppe hinunter. Wir bestiegen den Wagen.

»Zur Pforte des Bades«, rief Sandro. Der Kutscher schlug auf die Pferde ein. Wir fuhren zum Stadtviertel Maidan und hielten vor einem großen Gebäude mit kuppelförmigem Dach. An der Türe stand ein halbnackter Mann mit hagerem, skelettartigem Körper. Seine Augen waren wie das Nirwana und blickten durch uns hindurch.

»Hamardschoba, Mekisse«, rief Sandro.

Der Wächter fuhr zusammen. Er verbeugte sich und sagte:

»Hamardschoba, Tawadi. Guten Tag, meine Fürsten.«

Dann führte er uns in die Halle des großen Bebutowschen Bades.

Sie war geräumig und warm und hatte viele steinerne Pritschen, auf denen nackte Leiber ruhten. Wir legten die Kleider ab. Durch einen Gang gelangten wir in einen zweiten Raum. Dort waren viereckige Löcher in den Boden eingelassen und mit dampfendem Schwefelwasser angefüllt. Wie im Traum hörte ich die Stimme Sandros:

»In Mztecha ließ einmal ein König einen Falken steigen. Der Falke verfolgte einen Auerhahn. Der König wartete. Weder Falke noch Auerhahn waren zu sehen. Der König ging auf die Suche und kam zu einem Hain. Durch den Hain floß ein schwefelfarbiges Wasser, darin war der Auerhahn ertrunken. Der Falke war ihm nachgefolgt. So entdeckte der König das Schwefelbad und legte den Grundstein zu der Stadt Tiflis. Hier ist das Bad des Auerhahns, und draußen am Maidan stand der Hain. Mit Schwefel begann Tiflis, in Schwefel wird es enden.«

Dampf füllte das gewölbte Zimmer und schwefliger Geruch. Ich stieg in das heiße Bad wie in ein Gebräu aus faulen Eiern. Die Körper der Vettern glänzten vor Feuchtigkeit. Ich rieb mit der nassen Hand meine Brust. Der Schwefel drang in meine Haut. In diese Quelle tauchten alle Eroberer und Krieger, die während zweier Jahrtausende diese Stadt bezwangen: der Chwaresmir Dschelaleddin, Dschagatai, Sohn des Dschingis Khan, und der lahme Timur, Trichter des Samums. Die Eroberer waren vom Blut berauscht und schwer. Sie stiegen ins Schwefelbad, und alle blutige Schwere fiel von ihnen ab.

»Genug, Ali Khan, steig aus.«

Die Stimme der Vettern zerriß das Traumbild von den badenden Eroberern. Ich kroch aus dem Schwefel, ging in den Nebenraum und fiel entkräftet auf die steinerne Pritsche.

»Mekisse«, rief Sandro.

Der Masseur — hager wie ein Skelett und Augen wie das Nirwana — kam heran. Er war nackt und trug einen Turban auf dem glattrasierten Schädel. Ich legte mich auf den Bauch. Mit nackten Beinen sprang der Mekisse auf meinen Rücken. Er trampelte leichtfüßig auf ihm herum wie ein Tänzer auf einem Teppich. Sodann bohrten sich seine Finger in mein Fleisch, als wären sie scharfe Widerhaken. Er drehte meine Arme aus, und ich hörte das Knacken meiner Knochen. Die Vettern standen um die Pritsche und gaben Ratschläge:

»Drehe ihm die Arme noch einmal aus, Mekisse, er ist sehr krank.«

»Spring ihn noch einmal auf das Rückgrat, so, und nun kneife ihn tüchtig in die linke Seite.«

Es muß sehr geschmerzt haben, doch ich empfand den Schmerz nicht. Ich lag da, weiß von schaumigen Seifenblasen, den harten und elastischen Schlägen des Mekisse hingegeben, und hatte einzig das Gefühl, als lösten sich langsam alle Muskeln meines Leibes auf.

»Genug«, sagte der Mekisse und erstarrte wieder in der Haltung eines Propheten. Ich erhob mich. Mein Körper schmerzte. Ich lief ins Nebenzimmer und stürzte mich in die eiskalte Schwefelflut des zweiten Bades. Mein Atem stockte. Doch die Glieder spannten sich wieder und füllten sich mit neuem Leben. Ich kam zurück, in ein weißes Tuch gehüllt. Die Vettern und der Mekisse blickten mich erwartungsvoll an.

»Hunger«, sagte ich mit Würde und setzte mich mit gekreuzten Beinen auf die Pritsche.

»Er ist gesund«, brüllten die Vettern, »schnell eine Wassermelone, Käse, Gemüse, Wein.«

Die Kur war beendet.

Wir lagen im Vorraum des Bades und schmausten. Alle Müdigkeit und Schwäche war von mir gewichen. Das rote, duftende Fleisch der eiskalten Wassermelone vertrieb mir den Geschmack des Schwefels. Die Vettern nippten am weißen Napareuli.

»Siehst du«, sagte Dodiko und beendete den Satz nicht, denn in diesem »Siehst du« war bereits alles enthalten, der Stolz auf das einheimische Schwefelbad, das Mitleid mit dem Fremden, der unter der georgischen Gastfreundschaft zusammenbrach, und die verwandtschaftlich liebevolle Versicherung, daß er, Dodiko, für die Schwächen seines mohammedanischen Vetters volle Nachsicht habe.

Unser Kreis erweiterte sich. Nachbarn kamen herbei, nackt und mit Weinflaschen bewaffnet. Fürsten und die Gläubiger der Fürsten, Diener, Schmarotzer, Gelehrte, Dichter und Gutsbesitzer aus den Bergen saßen friedlich beisammen, ein heiteres Bild georgischer Gleichheit. Es war kein Bad mehr, es war ein Klub, ein Kaffeehaus oder eine Volksversammlung nackter lustiger Menschen mit unbekümmerten, lachenden Augen. Hie und da aber fielen ernste Worte, die von düsteren Vorahnungen erfüllt waren.

»Der Osmane kommt«, sagte ein dicker Mann mit kleinen Augen, »der Großfürst wird Stambul nicht einnehmen. Ich habe gehört: ein deutscher General hat in Stambul eine Kanone gebaut. Wenn sie schießt, trifft sie genau die Kuppel des Zionsdomes in Tiflis.«

»Sie irren, Fürst«, sagte ein Mann mit dem Gesichte eines Kürbis, »die Kanone ist noch gar nicht gebaut. Sie ist nur geplant. Aber auch wenn sie fertig wird, kann sie Tiflis nicht treffen. Alle Landkarten, nach denen sich die Deutschen richten müssen, sind falsch. Russen haben sie gezeichnet. Noch vor dem Kriege. Sie verstehen? Russische Karten. Können die stimmen?«

Jemand seufzte in der Ecke. Ich blickte mich um und sah einen weißen Bart und eine lange gebogene Nase.

»Armes Georgien«, seufzte der Bart, »wir sind wie zwischen zwei Scheren einer glühenden Zange. Siegt der Osmane — ist es aus mit dem Lande Tamars. Siegt der Russe — was dann? Der bleiche Zar hat sein Ziel erreicht, aber unsern Hals umklammern die Finger des Großfürsten. Schon jetzt fallen unsere Söhne im Kampf, die Besten der Besten. Und dann? Was übrigbleibt, erwürgt der Osmane, der Großfürst oder sonst jemand, vielleicht eine Maschine, vielleicht ein Amerikaner. Es scheint ein Rätsel: unser kriegerisches Feuer und sein jähes Verlöschen. Es ist aus mit dem Lande Tamars. Schaut doch: die Krieger sind klein und schmächtig, die Ernte arm, der Wein sauer.«

Der Bart verstummte, leise schnaufend. Wir schwiegen. Plötzlich flüsterte eine ängstliche, unterdrückte Stimme:

»Den Bagration haben sie umgebracht, den edlen. Die Nichte des Zaren hat er heimgeführt, und die Russen verzeihen es ihm nicht. Der Zar selbst befahl ihn ins Eriwanische Regiment, an die Front. Wie ein Löwe kämpfte Bagration und fiel, von achtzehn Kugeln durchbohrt.«

Die Vettern nippten den Wein. Ich saß mit gekreuzten Beinen und starrte vor mich hin. Bagration, dachte ich, das älteste Fürstengeschlecht der Christenwelt. Der Bärtige hat recht. Georgien vergeht zwischen zwei Scheren einer glühenden Zange.

»Einen Sohn hat er hinterlassen«, ergänzte ein anderer, »Teymuras Bagration, den wahren König. Jemand hütet ihn.«

Es wurde still. Der Mekisse stand an der Wand. Dodiko reckte sich und gähnte verzückt.

»Schön ist es«, sagte er, »unser Land. Der Schwefel und die Stadt, der Krieg und der kachetische Wein. Schaut, wie die Alasan durch die Ebene fließt. Es ist schön, Georgier zu sein, auch wenn Georgien vergeht. Was ihr da sagt, klingt hoffnungslos. Aber wann war es anders im Lande Tamars? Und dennoch fließen die Flüsse, wächst die Rebe, tanzt das Volk. Schön ist unser Georgien. Und wird es immer bleiben, in all seiner Hoffnungslosigkeit.«

Er erhob sich, jung und schlank, mit weicher, samtener Haut, der Nachfahre von Sängern und Helden. Der weiße Bart in der Ecke lächelte wohlgefällig.

»Bei Gott, wenn es noch solche Jugend gibt.«

Wamech beugte sich zu mir.

»Ali Khan, vergiß nicht. Du bist heute Gast des Hauses Dschakeli in Kadschory.«

Wir erhoben uns und gingen hinaus. Der Kutscher schlug auf die Pferde ein. Wamech sagte:

»Die Dschakelis stammen aus dem alten, fürstlichen Geschlecht der…«

Ich lachte fröhlich und ausgelassen.