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Anseli, Rescht, Straßen und Dörfer, umgeben vom Hauche der Wüste. Hin und wieder spukt am Horizont das Abi-Jesid, das Wasser des Teufels, die persische Fata Morgana. Der große Weg nach Rescht führt an einem Flußbett entlang. Der Fluß selber ist versiegt, sein Grund rissig. Es gibt kein Wasser in den Flüssen Persiens, nur hie und da stehengebliebene Pfützen und Lachen. Felsen erheben sich am trockenen Ufer und werfen Riesenschatten. Sie gleichen Giganten der Vorzeit, dickbäuchig, befriedigt und schläfrig. In der Ferne ertönen die Glocken einer Karawane. Der Wagen verlangsamt die Fahrt. Am steilen Berghang schreiten die Kamele. Voran, mit dem Stab in der Hand, der Karawanenführer. Menschen in schwarzen Gewändern folgen ihm. Voll gespannter Kraft schreiten die Kamele. Langsam bimmeln an ihrem Hals die kleinen Glocken. Rechts und links hängen von den grauen Rücken längliche, dunkle Säcke. Stoffe aus Ispahan? Wolle aus Giljan? Der Wagen bleibt stehen. Leichen hängen an den Rücken der Kamele. Hundert, zweihundert Leichen, in schwarze Tücher gehüllt. Die Kamele schreiten an uns vorbei, und ihre Köpfe gleichen den Ähren im Wind. Durch Wüsten und Berge, durch die weiße Glut der Salzsteppe, durch grüne Oasen, vorbei an großen Seen, trägt die Karawane ihre Last. Weit im Westen, an der türkischen Grenze, werden die Kamele niederknien. Beamte im roten Fes werden die Leichen betasten, und weiter zieht die Karawane, bis zu den Kuppeln der heiligen Stadt Kerbela. An der Gruft des Märtyrers Hussein hält die Karawane. Behutsame Hände tragen die Leichen zu Grabe, damit sie im Sande von Kerbela ruhen, bis die Trompete des Erzengels sie aus dem Schlafe erwecken wird.
Wir verbeugen uns. Unsere Hände bedecken die Augen.
»Betet auch für uns am Grabe des Heiligen«, rufen wir, und der Führer antwortet:
»Wir selbst sind eines Gebetes bedürftig.«
Und weiter zieht die Karawane, still und schattenhaft, wie das Abi-Jesid, die Fata Morgana der großen Wüste…
Wir fahren durch die Straßen von Rescht. Holz und Lehm verdecken den Horizont. Hier wittert man die vergangenen Jahrtausende. Mit einem Blick umfaßt man Häuser aus Lehm und enge Gassen. Die Enge der Gassen verrät die Furcht vor dem Raum. Alles ist einfarbig. Asche oder glühende Kohle. Alles ist winzig klein, vielleicht aus Ergebenheit vor dem Schicksal. Nur hie und da tauchen plötzlich Moscheen auf.
Menschen mit runden, kürbisähnlichen Mützen und geschorenen Schädeln. Die Gesichter sind wie Larven.
Überall Staub und Schmutz. Nicht, als ob der Perser den Staub liebte oder den Schmutz. Aber er läßt die Dinge wie sie sind, weil er weiß, daß sich schließlich alles in Staub verwandelt. Wir rasten in einer kleinen Teestube. Der Raum duftet nach Haschisch. Schiefe Blicke streifen Nino. In Lumpen gehüllt, mit zerzausten Haaren, den Mund offen, die Lippen voll Speichel steht an der Ecke ein Derwisch mit einer ziselierten Kupferschale in der Hand… Er blickt alle an und sieht niemanden, als ob er dem Unsichtbaren lausche und von ihm ein Zeichen erwarte. Unerträgliches Schweigen geht von ihm aus. Plötzlich springt er hoch, mit immer gleich geöffnetem Mund, und ruft:
»Ich sehe die Sonne im Westen aufgehen.«
Die Menge erschauert.
Ein Bote des Gouverneurs erscheint an der Tür.
»Seine Exzellenz haben eine Wache beordert wegen der nackten Frau.«
Er meint die unverschleierte Nino. Ninos Gesicht bleibt gleichmütig. Sie versteht kein Persisch. Wir verbringen die Nacht im Hause des Gouverneurs. Am Morgen sattelt die Wache ihre Pferde. Sie geleitet uns bis Teheran. Wegen der Nacktheit Ninos, die ihr Gesicht nicht verbirgt, und wegen der Räuber, die das Land durchziehen.
Langsam schleppt sich das Auto durch die Wüste. Kasvin. Uralte Ruinen. Schah Schapur sammelte hier die Heere. Die zarten Sefewiden, Künstler, Mäzene und Apostel zugleich, hielten hier Hof.
Noch 80, noch 70, noch 60 Kilometer. Die Straße windet sich wie eine Schlange. Die Kacheln des Stadttores von Teheran sind bunt. Die Farben milde und weich. Die vier Türme des Tores zeichnen sich vom Schnee des fernen Demawend ab. Der arabische Bogen mit der weisen Aufschrift blickt mich an wie das schwarze Auge eines Dämons. Bettler mit grauenerregenden Geschwüren, Derwische, Wanderer in bunten Lumpen liegen im Staub unter dem großen Tor. Ihre Hände mit schmalen, edlen Fingern strecken sich uns entgegen. Sie singen von der Pracht der Kaiserstadt Teheran, und in ihren Stimmen liegt Wehmut und Trauer. Auch sie kamen einst voll Hoffnung in die Stadt der vielen Kuppeln. Nun liegen sie im Staube, selbst Staub und Schutt, und singen wehmütige Weisen von dieser Stadt, die sie verstoßen hat.
Der kleine Wagen schlängelt sich durch das Gewirr der Gassen, über den Kanonenplatz, am Diamantentor des kaiserlichen Palastes vorbei und, wieder außerhalb der Mauern, auf der breiten Straße zum Vororte Schimran.
Die Tore des Palais in Schimran sind weit geöffnet. Rosenduft schlägt uns entgegen. Die blauen Kacheln der Wände sind kühl und freundlich. Wir eilen durch den Garten, am Springbrunnen vorbei. Das dunkle Zimmer mit verhängten Fenstern ist wie eine kühle Quelle. Nino und ich werfen uns auf die weichen Kissen und versinken sofort in einen endlosen Schlaf.
Wir schliefen, wachten auf, schlummerten, träumten und schliefen weiter. Es war herrlich in dem kühlen Zimmer mit verhängten Fenstern. Unzählige Kissen, Matten und Polster bedeckten die niedrigen Diwane und den Boden. Im Traume hörten wir das Schlagen der Nachtigall. Es war ein wunderliches Gefühl in dem großen, ruhigen Hause zu schlummern, fern allen Gefahren, fern der verwitterten Mauer von Baku. Stunden vergingen. Hin und wieder seufzte Nino, erhob sich schlaftrunken und legte ihren Kopf auf meinen Bauch. Ich vergrub mein Gesicht in den weichen Kissen, die den süßlichen Duft des persischen Harems ausströmten. Eine unendliche Trägheit überfiel mich. Ich lag stundenlang und litt, weil mich die Nase juckte und ich zu faul war, die Hand auszustrecken und sie zu reiben. Schließlich hörte die Nase von selber zu jucken auf, und ich schlief ein.
Plötzlich wachte Nino auf, erhob sich und sagte: »Ich habe einen Wolfshunger, Ali Khan.« Wir gingen in den Garten. Die Sonne war im Sinken. Rosenbüsche umgaben den Springbrunnen. Zypressen ragten zum Himmel. Ein Pfau, mit entfächertem Schweif, blickte regungslos in die untergehende Sonne. In der Ferne erhob sich die weiße Spitze des Demawend. Ich klatschte in die Hände. Ein Eunuch mit aufgedunsenem Gesicht stürzte herbei. Hinter ihm torkelte ein altes Weib, mit Teppich und Kissen beladen. Wir ließen uns im Schatten einer Zypresse nieder. Der Eunuch brachte Wasser und Waschschüssel und bedeckte den ausgebreiteten Teppich mit den Leckerbissen der persischen Küche.
»Lieber mit Fingern essen als dem Maschinengewehr lauschen«, sagte Nino und steckte ihre linke Hand in den dampfenden Reis. Der Eunuch machte ein entsetztes Gesicht und blickte weg. Ich belehrte Nino, wie man in Persien Reis ißt: mit drei Fingern der rechten Hand. Sie lachte zum erstenmal, seit wir Baku verließen, und eine große Ruhe überkam mich. Es war schön im stillen Lande des Schahs, im Palais von Schimran, im Lande der frommen Dichter und Weisen.
Plötzlich fragte Nino: »Wo bleibt dein Onkel Assad es Saltaneh und sein ganzer Harem?«
»Er wird vermutlich im Stadtpalais sein. Seine vier Frauen sind wohl bei ihm. Und der Harem? Der Harem ist ja dieser Garten und die Zimmer, die in den Garten führen.«
Nino lachte: »Dann bin ich also doch im Harem eingesperrt. Ich sah es kommen.«
Ein zweiter Eunuch, ein trockener Greis, kam und fragte, ob er uns etwas vorsingen dürfe… Wir wollten nicht. Drei Mädchen rollten den Teppich zusammen, das alte Weib von vorhin trug die Überreste der Speisen weg, und ein kleiner Knabe fütterte den Pfau.
»Wer sind all diese Leute, Ali Khan?«
»Dienerschaft.«
»Mein Gott, wie viele Diener sind denn hier?«
Ich wußte es nicht und rief den Eunuchen. Er dachte lange nach, mit lautlos sich bewegenden Lippen. Es stellte sich heraus, daß der Harem von achtundzwanzig Menschen betreut wurde.
»Wie viele Frauen wohnen denn hier?«
»So viele du befiehlst, Khan. Im Augenblick nur die eine, die neben dir sitzt. Es ist aber genug Platz da. Assad es Saltaneh ist mit seinen Frauen in der Stadt. Dieses ist dein Harem.«
Er kauerte nieder und fuhr würdevoll fort:
»Mein Name ist Jahja Kuli. Ich bin der Hüter deiner Ehre, Khan. Ich kann lesen, schreiben und rechnen… Ich kenne mich in allen Fragen der Verwaltung und der Weiblichkeit aus. Du kannst dich auf mich verlassen. Wie ich sehe, ist dieses Weib eine Wilde, aber ich werde ihr die guten Sitten allmählich beibringen. Sag mir, wann sie unwohl wird, damit ich es mir aufschreibe. Ich muß es wissen, um das Maß ihrer Launen beurteilen zu können.
Denn sie hat bestimmt Launen. Ich werde sie selbst waschen und rasieren. Ich sehe, sie hat sogar in den Achselhöhlen Haare. Es ist bedauernswert, wie in manchen Ländern die Erziehung der Frau vernachlässigt wird. Morgen werde ich ihr die Nägel rot färben, und vor dem Schlafen schaue ich ihr in den Mund.«
»Mein Gott, wozu denn das?«
»Frauen mit schlechten Zähnen riechen schlecht aus dem Munde. Ich muß ihre Zähne sehen und ihren Atem riechen.«
»Was plappert dieses Geschöpf?« fragte Nino.
»Er empfiehlt sich als Zahnarzt. Scheint ein komischer Kauz zu sein.«
Es klang einigermaßen verlegen. Zum Eunuchen sagte ich:
»Ich sehe, Jahja Kuli, daß du ein erfahrener Mensch bist, der um die Dinge der Kultur Bescheid weiß… Allein, meine Frau ist schwanger, und man muß sie schonen. Deshalb verschieben wir die Erziehung, bis sie das Kind bekommen hat.«
Ich sprach und fühlte, wie meine Wangen rot wurden. Nino war wirklich schwanger, und ich hatte dennoch gelogen.
»Du bist weise, Khan«, sagte der Eunuch, »schwangere Frauen sind sehr schwer von Begriff. Übrigens gibt es ein Mittel dafür, daß es ein Knabe wird. Aber«, — er blickte prüfend auf Ninos schlanke Gestalt — »ich glaube, es hat noch ein paar Monate Zeit.«
Draußen auf der Veranda schlurften zahlreiche Pantoffel. Eunuchen und Weiber machten geheimnisvolle Zeichen. Jahja Kuli ging hinüber und kehrte mit ernstem Gesicht zurück.
»Khan, Seine Ehrwürden, der hochgelehrte Hafis Seyd Mustafa Meschedi will dich begrüßen. Ich würde es nie wagen, dich, Khan, mitten in den Freuden des Harems zu stören. Aber der Seyd ist ein gelehrter Mann aus der Sippe des Propheten. Er erwartet dich in den Herrengemächern.«
Bei dem Wort »Seyd« hob Nino den Kopf.
»Seyd Mustafa?« sagte sie. »Er soll kommen, wir werden zusammen Tee trinken.«
Das Ansehen des Hauses Schirwanschir blieb nur dadurch erhalten, daß der Eunuch kein Russisch verstand. Es wäre kaum auszudenken — die Frau eines Khans empfängt einen fremden Mann im Harem. Ich sagte verlegen und etwas beschämt:
»Der Seyd darf doch nicht herein. Hier ist Harem.«
»Ach so. Komische Sitten. Na schön, dann empfangen wir ihn draußen.«
»Ich fürchte Nino… wie soll ich es dir sagen… es ist alles etwas anders in Persien. Ich meine… der Seyd gilt doch als Mann.«
Ninos Augen wurden rund vor Staunen.
»Du meinst, daß ich mich dem Seyd nicht zeigen darf, dem Seyd, der mich zu dir nach Daghestan gebracht hat?«
»Ich fürchte, Nino, wenigstens die erste Zeit.«
»Gut«, sagte sie mit plötzlicher Kühle, »aber nun geh.«
Ich ging und war bedrückt. Ich saß in der großen Bibliothek und trank Tee mit dem Seyd. Er sprach von seiner Absicht, zu seinem berühmten Onkel nach Mesched zu fahren, bis Baku aus den Händen der Ungläubigen befreit sei. Ich pflichtete ihm bei. Der Seyd war ein höflicher Mann. Er fragte nicht nach Nino, er erwähnte nicht einmal ihren Namen. Plötzlich öffnete sich die Tür.
»Guten Abend, Seyd.«
Ninos Stimme klang ruhig, aber gepreßt. Mustafa sprang auf. Sein pockennarbiges Gesicht drückte beinahe Schrecken aus. Nino setzte sich auf die Matten.
»Noch einen Tee, Seyd?«
Draußen schlurften verzweifelt zahlreiche Pantoffel hin und her. Die Ehre des Hauses Schirwanschir brach unwiderruflich zusammen, und es dauerte Minuten, bis der Seyd sich von seinem Entsetzen erholen konnte.
Nino lächelte schmollend: »Ich habe mich vor den Maschinengewehren nicht gefürchtet, ich werde mich auch vor deinen Eunuchen nicht fürchten.«
Und so blieben wir zusammen bis in den späten Abend. Denn der Seyd war ein taktvoller Mensch.
Vor dem Schlafengehen näherte sich der Eunuch demütig.
»Herr, strafe mich. Ich durfte sie nicht aus den Augen lassen. Aber wer konnte ahnen, daß sie so wild ist, so wild. Es ist mein Verschulden.«
Sein dickes Gesicht war zerknirscht.