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KAPITEL ELF

Am nächsten Tag

Betreff: Mein Vorschlag!

Guten Morgen, liebe Emmi. Ich mache dir einen Vorschlag für die virtuelle Gestaltung der nächsten eineinhalb Wochen: Jeder von uns beiden darf dem anderen täglich je eine Frage stellen und ist dem anderen je eine Antwort auf dessen Frage schuldig. Einverstanden?

20 Minuten später

RE:

Wann ist dir denn diese abstruse Idee gekommen, mein Bester?

Drei Minuten später

AW:

War das schon deine Frage für heute, meine Beste?

Fünf Minuten später

RE:

Moment, Leo, ich habe nicht gesagt, dass ich einverstanden bin. Du weißt, ich spiele gerne, sonst säße ich nicht seit zwei Jahren hier. Aber dieses Spiel ist noch unausgegoren. Wie halten wir es zum Beispiel, wenn sich nach deiner Antwort auf meine Frage eine Rückfrage ergibt?

Eine Minute später

AW:

Dann kannst du diese am nächsten Tag stellen.

50 Sekunden später

RE:

Das ist unfair! Du willst ja nur, dass die Zeit zwischen mir und »Pam« schneller vergeht, damit die Tage deiner letzten dialogischen Tagebuchaufzeichnungen endlich gezählt sind.

40 Sekunden später

AW:

Tut mir leid, Emmi. Aber so geht das Spiel nun einmal. Das weiß ich ganz genau, denn ich habe es erfunden. Fangen wir an?

Eine Minute später

RE:

Moment. Darf man Fragen auch nicht beantworten?

50 Sekunden später

AW:

Nein, nicht beantworten gilt nicht! Höchstens ausweichend beantworten.

30 Sekunden später

RE:

Da bist du im Vorteil, das trainierst du schon seit fünfundzwanzig Monaten.

40 Sekunden später

AW:

Liebe Emmi, fangen wir jetzt an?

30 Sekunden später

RE:

Und was ist, wenn ich nein sage?

Zwei Minuten später

AW:

Dann war das hier soeben gleichzeitig deine heutige Frage und deine heutige Antwort. Und wir lesen uns morgen wieder.

Eine Minute später

RE:

Wärest du nicht Leo Leike, den ich mit eigenen Augen mit ganz anderen Augen an einem Kaffeehaustisch habe schmachten sehen, als er alles dafür gab, so charmant zu sein, dass er es mit meiner Wunschvorstellung von ihm hätte aufnehmen können, dann würde ich sagen: Du bist ein Sadist! Also frage mich. (Aber frage mich bitte nicht, was ich anhabe!) Emmi.

Drei Stunden später

Betreff: Erste Frage

Ich warte noch immer auf deine Frage, mein Guter. Fällt dir nichts ein? Das war übrigens noch nicht meine Frage! Meine Frage lautet: »Lieber Leo, du hast im Zuge deiner jüngsten schriftlichen Komabesäufnis-Kundgebungen über dich und P. P. Pamela behauptet, ihr beide würdet gut zusammenpassen. Inwiefern? Ich bitte um eine nähere Erläuterung.«

Fünf Minuten später

AW:

Meine Frage an dich, Emmi, lautet: »Würdest du es wieder tun?«

15 Minuten später

RE:

Sehr schlau, Leo. Das »Es« darf ich mir also aussuchen, und wehe, ich erwische ein falsches, dann bleibt »es« ewig an mir hängen, obwohl du derjenige warst, der »es« unbedingt hinterfragen wollte. Wärest du nicht Leo, sondern irgendein anderer Mann, dann wäre wohl klar, dass »es« nur Sex bedeuten könnte. In unserem Fall: Mein »Besuch« bei dir, meine Enttäuschung, meine Verzweiflung, meine Zerstörungswut und, daraus resultierend —  »es«. Hättest du dieses »Es« gemeint, dann wäre meine Antwort nein gewesen. Nein, ich würde es nicht mehr tun! Ich wünschte, ich hätte es nie getan.

Da du aber Leo Leike bist, meinst du mit »es« natürlich nicht Sex, sondern etwas Anderes, Größeres, Erhabeneres, Hochwertigeres. Wenn mich nicht alles täuscht, müsste »es« unsere Schreibbeziehung sein. Du fragst: Würdest du es wieder tun? Würdest du mir wieder zurückschreiben? Würdest du dich ein zweites Mal auf diese Weise, mit dieser Intensität, mit diesem emotionalen Aufwand auf mich einlassen? Würdest du »es« tun, obwohl du wüsstest, wie »es« ausgehen würde?

Ja, Leo. Mehr noch: JA! Immer wieder.

So, und jetzt kommst du!

50 Minuten später

RE:

Ich weiß, es macht dir keinen Spaß, meine Frage zu beantworten. Aber du musst, Leo! Du hast das Spiel erfunden!

Eine Stunde später

AW:

Meine Antwort, liebe Emmi, lautet: »Pamela und ich passen gut zusammen, weil ich das Gefühl habe, dass wir eben gut harmonieren. Unser Umgang miteinander ist ungezwungen und unkompliziert. Wenn jeder von uns beiden tut, was er will, dann tut er dabei nichts, was der andere nicht will. Wir haben ähnliche Charaktere, sind beide eher ruhig und bedächtig, reiben uns nicht gegenseitig auf, fordern nicht mehr vom anderen, als dieser zu geben bereit ist, wollen einander nicht verändern, nehmen uns so, wie wir sind. Uns wird nie langweilig miteinander. Wir mögen die gleiche Musik, die gleichen Bücher, Filme, Speisen und Bilder, haben die gleiche Gesinnung, den gleichen Witz oder Nicht-Witz. Kurzum: Wir können und wollen miteinander. Das hatte ich mit »gut zusammenpassen« gemeint. Gute Nacht, Emmi.

Am nächsten Abend

Betreff: ???

Hallo Emmi, meine heutige Frage lautet: »Warum meldest du dich nicht?«

Zehn Minuten später

RE:

Hallo Leo, meine heutige (ungezwungene und unkomplizierte) Antwort lautet: »Lies deine gestrige nächtliche E-Mail über gutes Zusammenpassen, und du müsstest eigentlich wissen, warum ich mich nicht melde.«

15 Minuten später

Betreff: Frage zum Tag

Okay, bringen wir es hinter uns. Meine Frage lautet: »Gehe ich recht in der Annahme, dass du gar nicht willst, dass ich >Pam< mag, und dass du mir gar nicht die Chance gibst, eurer Partnerschaft wohlgesonnen zu sein, andernfalls du mir nicht ein Bild von euch beiden servieren würdest, bei dem ich gar nicht anders kann, als in meinen Bildschirm hineinzukriechen und inbrünstig zu quietschen: Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiih, fürchterlich! Die mögen die gleiche Musik, die gleichen Bücher, Filme, Speisen und Bilder, haben die gleiche Gesinnung, den gleichen Witz beziehungsweise, noch schlimmer, Nicht-Witz. Iiiiiiiiiiiiiiiiih! Vielleicht gehen sie schon in ein paar Wochen in hellblauweiß geringelten Partnerlook-Socken zum Synchron-Abschlag auf den Golfplatz. Aber, siehe da: Den beiden wird nie, nie, nie langweilig miteinander. Wahnsinn, wie machen die das bloß? Mir schläft bereits das Gesicht ein, wenn ich Leo nur zuhöre, wie er sein Zusammenpassen mit »Pam« beschreibt. (Hast du meine Frage verstanden? Sie war eher am Anfang.)

20 Minuten später

AW:

Tobe dich nur aus mit Spott und Zynismus, Emmi. Ich habe nie behauptet, dass ich ein spannender Mann bin. Wenn dir bei meinen Schilderungen das Gesicht einschläft, dann kommt wenigstens irgendwas bei dir zur Ruhe, das kann deinem Blutdruck nur förderlich sein. Kleine Anmerkung, lass sie dir bitte von deiner Therapeutin bestätigen: Emmi, es ist äußerst kontraproduktiv und auch ein bisschen billig, erst den Zug des Mannes abfahren zu lassen (deine Worte), um dann jene Frau herunterzumachen, die mit ihm im neuen Abteil sitzt. Auf diese Art und Weise wirst du sie mir nie und nimmer ausreden können, im Gegenteil, du machst noch Reklame für sie.

Womit ich zur Beantwortung deiner im Emotionshagel beinahe untergegangen Frage schreite: Ob du meiner »Partnerschaft« »wohlgesonnen« bist, Emmi, liegt nicht in meinem Einflussbereich. Lieber wäre mir, du wärest es. Aber wenn es dir besser dabei geht, es nicht zu sein, dann sei es nicht. Ich ertrage das schon. Sollte meine Partnerschaft mit Pamela irgendwann an irgendetwas kranken oder scheitern, dann jedenfalls mit hundertprozentiger Sicherheit nicht an deiner Nicht-Wohlgesonnenheit, Emmi. Angenehmen Abend noch, Leo.

Zehn Minuten später

RE:

Das war böse, Leo! Wenn ich zynisch bin, dann bin ich nur zynisch. Wenn du zynisch bist, dann bist du richtig böse.

Übrigens: ICH habe deinen Zug nicht abfahren lassen, mein Bester. Ich hatte damals vielmehr geschrieben: »Unser gemeinsamer Zug ist abgefahren«. Das ist ein Unterschied. Du tust gerade so, als hätte ich deinen Zug eigenhändig abgefertigt und dich in die Verdammnis geschickt. (Ich meine jetzt nicht »Pam«!) Leo, unseren gemeinsamen Zug haben wir beide sausen lassen, das war professionelle Teamarbeit nach monatelangem hartem Stationsversäumnis-Training. Sei dir dessen bitte bewusst. Gute Nacht.

Drei Minuten später

RE:

Und verzeihe mir die Partnerlook-Ringelsocken. Das war wirklich gemein.

Eine Minute später

AW:

Aber es hat dir Spaß gemacht.

20 Sekunden später

RE:

Ja, riesig!

30 Sekunden später

AW:

Dann hat es schon seinen Zweck erfüllt. Schlaf gut, liebe Spötterin!

20 Sekunden später

RE:

Du auch, du lieber Spott-Wegstecker! Was ich besonders an dir schätze: Du verstehst Spaß, auch wenn er gegen dich gerichtet ist.

40 Sekunden später

AW:

Weil ich dich gerne lachen sehe. Und nichts scheint dich mehr zu erfreuen als gegen mich gerichteter Spaß.

30 Sekunden später

RE:

Du, Leo, ich mag übrigens Ringelsocken! Du siehst sicher süß darin aus. Noch unschuldiger als sonst. Gute Nacht!

Am nächsten Tag

Betreff: Meine Frage

Liebe Emmi, meine heutige Frage lautet: »Wie geht es mit dir und Bernhard weiter?«

Fünf Minuten später

RE:

Leo, nein! Muss das sein?

Sieben Stunden später

Betreff: Bernhard

Also gut. Er fliegt mit mir zu Ostern ohne Kinder eine Woche auf die Kanarischen Inseln, nach La Gomera. Ich betone: ER fliegt mit mir, nicht ich mit ihm. Aber ich fliege wahrscheinlich mit. Ich werde es geschehen lassen. Ich finde es mutig von ihm. Er hat nichts zu erwarten und erwartet sich alles. Er glaubt an die Rückeroberung meiner Gefühle, an die Wiederkehr der großen Liebe, eingebettet in Sand, Salz, Sonnenöl und Steine. Na ja. Ich werde vielleicht den Segelschein machen.

Fünf Minuten später

AW:

Heißt das, du gibst eurer Ehe noch eine Chance?

Drei Minuten später

RE:

Disziplin, lieber Leo! Nur eine Frage pro Tag!

Zwei Minuten später

AW:

Gut, dann stelle ich sie dir morgen noch einmal. Und was ist mit deiner Frage?

Vier Minuten später

RE:

Die hebe ich mir für das Hauptabendprogramm auf. Den heutigen »Tatort« habe ich schon einmal gesehen.

Fünf Stunden später

Betreff: Meine Frage

Hier meine Frage: »Spürst du ihn noch?«

Zwei Stunden später

RE:

Lieber Leo, jede Frage muss beantwortet werden!

Zwei Stunden später

RE:

Feigling! Du hättest ruhig zugeben können, dass du nicht weißt, wer »er« ist, den du spüren solltest. Das wäre dann wenigstens eine stilvolle Umschreibung dafür gewesen, dass du ihn eben nicht mehr spürst. Denn würdest du ihn spüren, wüsstest du, wer »er« ist. Tröste dich: Ich habe auch nicht damit gerechnet. Es ist spät, ich gehe schlafen, gute Nacht. Noch sieben Mal aufstehen, dann sind wir durch. Emmi.

20 Minuten später

Betreff: Natürlich!

Hallo Emmi, ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Zu deiner Frage: »Ja, natürlich, ich spüre ihn noch.« Gute Nacht, Leo.

Drei Minuten später

RE:

Halt, Leo! Ich bin (plötzlich) hellwach und muss dir leider mitteilen: So kannst du dich nicht in den Schlaf stehlen, auch nicht zu dieser Stunde, das lasse ich nicht zu, das entspricht nicht dem Reglement! »Ja, natürlich, ich spüre ihn noch«, ist eine Null-Ansage, keine Antwort, nicht einmal eine ausweichende. Du hast mir keinen Hinweis dafür geliefert, dass du weißt, wer er ist, den du spüren solltest. Wahrscheinlich bluffst du nur, um deine Ruhe zu haben. Aber, tut mir leid, mein Lieber: Du bist mir noch eine wirkliche Antwort schuldig!

15 Minuten später

AW:

Ich habe ebenso kryptisch geantwortet, wie du gefragt hattest, liebe Emmi. Du hast »ihn« nicht beim Namen genannt, weil du mich auf die Probe stellen wolltest, ob ich denn noch wüsste, wer »er« sei. Ich habe »ihn« nicht beim Namen genannt, weil ich dich auf die Probe stellen wollte, ob du mir vertrauen würdest (hast du nicht!), dass ich wüsste, wovon ich spreche, woran ich denke und was ich spüre, wenn ich an dich denke. Zum Beispiel: »ihn«. Ja, immer noch. Manchmal stärker, manchmal schwächer. Manchmal muss ich ihn erst mit der Kuppe des Mittelfingers freilegen. Manchmal streichle ich ihn mit dem Daumen der anderen Hand. Meistens meldet er sich von selbst. Ich kann noch soviel Wasser darüber laufen lassen, er lässt sich nicht wegwaschen, er taucht immer wieder auf. Manchmal kitzelt er, dann schreibst du mir vermutlich gerade eine zynische E-Mail. Und manchmal tut er richtig weh, dann vermisse ich dich, Emmi, und wünschte, alles wäre anders gekommen. Aber ich will nicht undankbar sein. Ich habe »ihn«, deinen Berührungspunkt in der Mitte der Handinnenfläche. Darin sind alle Erinnerungen und Sehnsüchte verpackt. In diesem Punkt vereint sich die komplette Emmi-Vollausstattung mit allem nur erdenklichen Zubehör für den anspruchsvollen In-die-Weite-der-Wunschlandschaften-Starrer Leo Leike. Gute Nacht!

Sieben Minuten später

RE:

Danke, Leo. Das war schön! Ich wäre jetzt gerne bei dir!

Eine Minute später

AW:

Das bist du!

Am nächsten Tag

Betreff: Meine Frage

Hallo Emmi, wie bereits angekündigt, wiederhole ich meine Frage vom Vortag: »Gibst du eurer Ehe noch eine Chance?«

Zwei Stunden später

RE:

Spannend, spannend! Nach dem romantischen Nacht-Leo, der so, so, so einvernehmend von Berührungspunkten sprechen kann, nun also wieder der nüchterne Tages-Leo, der Mailboxseelsorger, der um die Beziehungen seiner Vertrauten kämpft, als wäre er daran umsatzbeteiligt. Hmmmm. Ich schalte da einmal meine Frage dazwischen. Sie lautet: »In den ersten Mails nach dem Wiedereinstieg in meine Leo-Schreibbeziehung habe ich dir erzählt, dass ich mit Bernhard auch viel über dich, über uns beide geredet habe. Wieso fragst du mich nicht, was wir da geredet haben? Wieso willst du Bernhard ausschließlich isoliert von dir betrachten? Wieso begreifst du nicht, dass mein Verhältnis zu ihm mit meinem Verhältnis zu dir in Zusammenhang steht?«(Und behaupte jetzt bitte nicht, das wären drei Fragen gewesen. Es waren drei Fragezeichen, aber es war ein und dieselbe Frage!)

Drei Stunden später

AW:

Liebe Emmi, ich möchte nicht, dass du mit Bernhard über mich redest, zumindest will ich nichts davon wissen. Ich gehöre weder zu eurer Familie noch zu eurem Freundeskreis. Ich will einfach nicht wahrhaben, dass dein Verhältnis zu ihm mit deinem Verhältnis zu mir zusammenhängt. Ich will es einfach nicht! Ich wollte nie gegen ihn ankämpfen. Ich wollte ihn nie verdrängen. Ich wollte mich nie in euer Eheleben hineinpressen. Ich wollte deinem Mann nichts von dir wegnehmen. Und ich ertrage umgekehrt auch nicht die Vorstellung, dass ich für dich nur die Ergänzung zu ihm war und bin. Für mich gab es von Anfang an nur entweder »entweder« oder »oder«. Das heißt: Als du selbst sagtest, dass du »glücklich verheiratet« wärest, gab es für mich eigentlich nur noch »oder«. Schönen Abend, Leo.

20 Minuten später

RE:

Ausnahmsweise eine Replik:

1) Das sollen jetzt zwei Jahre »oder« gewesen sein? Dein »Oder« kann aber mächtig auf die Entweder-Seite ausschwingen, mein Lieber. Wenn du als »Oder« schon so »Entweder« sein kannst, wie »Entweder« wärest du dann wohl erst als »Entweder«?

2) Du schreibst: »Ich wollte deinem Mann nichts von dir wegnehmen«. Siehst du, Leo, genau diesen stinkkonservativen Ansatz nehme ich dir so übel. Damit degradierst du mich. Ich bin keine Ware, die dem einen gehört und deshalb nicht in das Eigentum des anderen übergehen darf. Leo, ICH GEHÖRE MIR, und sonst gar niemandem. Du kannst mich niemandem »wegnehmen«, und kein Ehemann der Welt kann mich einfach so »behalten«. Ausschließlich ICH behalte mich und nehme mich weg. Manchmal gebe ich mich auch her. Und manchmal hin. Aber nur selten. Und nicht irgendwem.

3) Du klebst noch immer an der Formulierung »glücklich verheiratet«. Hast du meine Entwicklung im letzten Jahr verschlafen? Habe ich sie nicht ausreichend kommentiert? Deute ich sie nicht immer wieder an?

4) Womit ich zur Beantwortung deiner salbungsvollen, von streng katholischer Hoffnung getragenen Frage übergeleitet habe: »Gibst du eurer Ehe noch eine Chance?« Gebe ich unserer Ehe noch eine Chance? — Darauf hätte ich eine gute Antwort, mein Lieber! Aber die hebe ich mir noch eine Weile auf. Heute will ich dazu nur festhalten: Oh sakra, Leo, die Institution Ehe ist mir ziemlich egal! Sie ist nur ein Gerüst, an dem sich die daran Beteiligten glauben festkrallen zu können, wenn sie den Halt verloren haben. Es zählen die Menschen. Bernhard ist mir wichtig. Bernhard und die Kinder. Darin sehe ich eine Aufgabe, ja, noch immer. Ob sie »Chancen für die Zukunft« birgt, wird sich weisen.

5) Und morgen wünsche ich mir eine prickelndere Frage!!! Wir haben nur noch sechs Nächte, mein Lieber.

6) Angenehmen Abend. Ich gehe ins Kino.

Am nächsten Abend

Betreff: Okay, prickelnd

Hallo Emmi, meine Frage: »Wie war es im Kino, was hast du dir angesehen?« Nein, Spaß! Meine wirkliche Frage: »Denkst du manchmal an Sex mit mir?«

Zehn Minuten später

RE:

Oh, danke, Leo! Das hast du mir zuliebe gefragt, stimmt's? Du weißt ja, wie ich auf solche Fragen abfahre. Dich selbst beschäftigen derlei Dinge leider nur in Kopfgesellschaft deiner roten Freunde aus Bordeaux. Aber Leo, es freut mich echt, dass du so tust, als wäre Sex auch im nüchternen Zustand kein Tabuthema zwischen uns. Darum hast du dir auch eine ehrliche Antwort verdient: »Nein, ich denke nicht MANCHMAL an Sex mit dir!« Gerne würde ich dir die Frage auch gleich zurückstellen, aber seltsamerweise funkt mir da deine demnächst eintreffende Synchronfreundin »Pam« dazwischen. Und in sexuellen Belangen halte ich es da ganz mit meinem wertkonservativen Schreibpartner Leo »Entweder-Oder« Leike. Küsschen. Emmi.

30 Minuten später

Betreff: Pamela

Seltsam. Du schreibst einmal »Sex«, vermutlich in Ringelsocken, und ich brauche gleich zwei Gläser Whiskey. Leider kann ich dir heute keine so betörende Frage anbieten. Meine lautet: »Was weiß Pamela über uns beide?«(Du siehst, ich habe »Pamela« geschrieben. Deshalb ersuche ich um eine seriöse Antwort.)

Eine Minute später

AW:

Nichts!

Zwei Minuten später

RE:

Echt nichts? Das ist unseriös wenig!

Zehn Minuten später

Kein Betreff

Lieber Leo, wir sind uns hoffentlich einig, dass »Nichts« noch nicht alles gewesen sein kann, ich meine: als Antwort. Meine Frage war ja dahingehend zu verstehen, dass ich wissen wollte, WARUM »Pam« genau so viel über uns weiß, wie sie über uns weiß, und würde sie nichts über uns wissen, WARUM in aller Welt nichts? Natürlich, weil du ihr nichts über uns erzählt hast. Aber WARUM? Das ist meine heutige Frage. (Nein, nicht meine morgige, meine heutige!) Und ich sage dir gleich: Wenn du sie nicht freiwillig hergibst, dann fliege ich zu dir auf Top 15 und hole sie mir, die Antwort. Ich brauche sie, ich muss es wissen, ich muss es morgen früh meiner Therapeutin erzählen!

Eine Minute später

AW:

Ich hab dich vor mir, Emmi! Wenn du in dieser Dringlichkeit etwas (von mir) forderst, schiebt sich der Schleier vor deinen Augen zur Seite und die Pupillen verwandeln sich in grüngelbe Pfeile. Du könntest einen erstechen mit deinem Blick.

40 Sekunden später

RE:

Gut beobachtet! Und bevor ich mit gefletschten Zähnen zum Sprung auf deinen Hals ansetze, blinke ich noch dreimal mit den Wimpern. Eins. Zwei. Zwei und ein Viertel. Zwei und ein Halb (…) Leo, ich warte!

Zehn Minuten später

AW:

In Boston habe ich Pamela nichts von uns erzählt, weil ich unser »Uns« als abgeschlossen betrachtet habe. Und nach Boston habe ich ihr nichts von uns erzählt, weil ich ihr in Boston nichts von uns erzählt hatte. Ich konnte nicht in der Mitte beginnen. Solche irren Geschichten wie die unsere erzählt man von Anfang an oder gar nicht.

Eine Minute später

RE:

Du hättest es nachholen können.

40 Sekunden später

AW:

Ja, schon.

50 Sekunden später

RE:

Aber es hätte sich nicht ausgezahlt, weil du die »irre« Sache mit mir ohnehin so schnell wie möglich beenden (beziehungsweise gar nicht wieder beginnen) wolltest.

30 Sekunden später

AW:

Nein.

20 Sekunden später

RE:

Was nein?

30 Sekunden später

AW:

Deine Überlegung ist falsch.

40 Sekunden später

RE:

Dann verschaffe mir bitte eine richtigere!

Zwei Minuten später

Kein Betreff

Nein, Leo, nicht morgen!! (Achtung, ich setze zum Sprung an.)

Drei Minuten später

AW:

Ich habe ihr nichts von uns erzählt, weil sie es nicht verstanden hätte. Und hätte sie es verstanden, dann wäre es nicht die Wahrheit gewesen. Die Wahrheit über uns ist nämlich unverständlich. Ich verstehe sie im Grunde selbst nicht.

30 Sekunden später

RE:

Komm, Leo, du verstehst sie schon. Du verstehst sie sogar sehr gut. Du verstehst sie nur mindestens genauso gut für dich zu behalten. Du willst »Pam« nicht verunsichern.

40 Sekunden später

AW:

Vielleicht.

Eine Minute später

RE:

Das ist aber nicht gut, eine Beziehung mit einem Geheimnis über eine irre Geschichte mit einer anderen Frau zu beginnen, lieber Leo.

50 Sekunden später

AW:

Das Geheimnis ist abgeschlossen, liebe Emmi.

Zwei Minuten später

RE:

Ach ja, dein Gefühlsschrank. Emmi rein. Türe zu. Schlüssel bis zum Anschlag drehen. Innentemperatur auf minus zwanzig Grad stellen. Fertig. Und alle paar Monate einmal abtauen. Gute Nacht, ich gehe unter die Decke, mir ist kalt!