37349.fb2 Arc de Triomphe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

Arc de Triomphe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

17

Ravic ging zur Klinik. Er war seit einer Woche zurück von der Riviera. Plötzlich blieb er stehen. Was er sah, wirkte wie eine Kinderspielerei. Der Neubau glänzte in der Sonne, als wäre er aus einem Modellkasten aufgebaut; die Gerüste standen wie Filigran vor dem hellen Himmel — und als eines sich davon löste und ein Balken mit einer Figur langsam zu kippen begann, sah es aus, als fiele ein Streichholz mit einer Fliege daran herunter. Es fiel und fiel und schien endlos zu fallen — die Figur löste sich und war jetzt eine kleine Puppe, die die Arme ausstreckte und ungeschickt durch den Raum segelte. Es war, als sei die Welt einen Augenblick eingefroren und totenstill. Nichts regte sich, kein Wind, kein Atem, kein Ton — nur die kleine Figur und der starre Balken fielen und fielen...

Dann war plötzlich alles Lärm und Bewegung. Ravic fühlte, daß er den Atem angehalten hatte. Er lief.

Der Verunglückte lag auf dem Pflaster. Die Straße war eine Sekunde vorher fast leer gewesen. Jetzt schwärmte sie von Menschen. Sie kamen von allen Seiten, als hätte eine Alarmglocke geläutet. Ravic drängte sich durch. Er sah, daß zwei Arbeiter den Verunglückten hochzuheben versuchten. »Nicht heben! Liegenlassen!« rief er.

Die Leute um ihn und vor ihm machten Platz. Die beiden Arbeiter hielten den Verunglückten halb schwebend. »Langsam herunterlassen! Vorsichtig! Langsam!«

»Was sind Sie?« fragte einer der Arbeiter. »Arzt?«

»Ja.«

»Gut.«

Die Arbeiter legten den Verunglückten auf das Pflaster. Ravic kniete neben ihm nieder und horchte. Er öffnete vorsichtig die schweißige Bluse und fühlte den Körper ab. Dann stand er auf. — »Was?« fragte der Arbeiter, der ihn vorher gefragt hatte. »Bewußtlos, was?«

Ravic schüttelte den Kopf. »Was?« fragte der Arbeiter.

»Tot«, sagte Ravic.

»Tot?«

»Ja.«

»Aber«, sagte der Mann verständnislos, »wir haben doch gerade noch mit ihm zusammen Mittag gegessen.«

»Ist da ein Arzt?« fragte jemand hinter dem Ring von starrenden Menschen.

»Was ist los?« fragte Ravic.

»Ist da ein Arzt? Schnell!«

»Was ist los?«

»Die Frau...«

»Was für eine Frau?«

»Der Balken hat sie getroffen. Sie blutet.«

Ravic drängte sich durch. Eine kleine Frau in einer großen blauen Schürze lag auf einem Haufen Sand neben einer Kalkgrube. Ihr Gesicht war faltig, sehr blaß, und ihre Augen standen regungslos wie Kohlen darin. Unter dem Hals spritzte das Blut wie eine kleine Fontäne hervor. Es spritzte in einem puckernden, schiefen Strahl seitlich heraus, und das wirkte sonderbar unordentlich. Unter dem Kopf fraß sich eine schwarze Lache rasch durch den Sand.

Ravic drückte die Arterie ab. Er riß eine Bandage aus der schmalen Notfalltasche, die er automatisch bei sich trug. »Halten Sie das!« sagte er zu dem nächsten neben ihm.

Vier Hände griffen gleichzeitig nach der Tasche. Sie fiel in den Sand und öffnete sich. Er riß eine Schere und einen Knebel heraus und riß die Bandage auf.

Die Frau sagte nichts. Nicht einmal ihre Augen bewegten sich. Sie war starr, und jeder Muskel ihres Körpers war gespannt. »Alles in Ordnung, Mutter«, sagte Ravic.

»Alles in Ordnung.«

Der Balken hatte Schulter und Hals getroffen. Die Schulter war zerschmettert; das Schlüsselbein gebrochen und das Gelenk zerschlagen. Es würde steif bleiben. »Es ist der linke Arm«, sagte Ravic und fühlte langsam den Nacken ab. Die Haut war eingerissen, aber alles andere war heil. Der Fuß war verdreht; er betastete den Knochen und das Bein. Graue Strümpfe, oft gestopft, aber heil, mit einem schwarzen Band unter dem Knie gehalten — wie genau man das immer wieder alles sah! Schwarze Schnürschuhe geflickt, die Schnürriemen geknotet mit einem doppelten Knoten, die Schuhe an den Spitzen repariert.

»Hat jemand nach der Ambulanz telefoniert?« fragte er.

Niemand antwortete. »Ich glaube, der Polizist«, sagte jemand nach einer Weile.

Ravic hob den Kopf. »Polizist? Wo ist er?«

»Drüben — bei dem andern...«

Ravic stand auf. »Dann ist alles in Ordnung.«

Er wollte gehen. In diesem Augenblick schob sich der Polizist durch die Menge. Es war ein junger Mann mit einem Notizblock in der Hand. Er leckte aufgeregt an einem kurzen, stumpfen Bleistift.

»Einen Augenblick«, sagte er und begann zu schreiben. »Hier ist alles in Ordnung«, sagte Ravic. »Einen Augenblick, mein Herr.« »Ich bin sehr eilig. Ich muß zu einem dringenden Fall.« »Einen Augenblick, mein Herr. Sie sind der Arzt?« »Ich habe die Ader abgebunden, das ist alles. Jetzt brauchen Sie nur noch auf die Ambulanz zu warten.«

»Einen Moment, mein Herr! Ich muß Ihren Namen aufschreiben. Es ist wichtig, daß Sie Zeuge sind. Die Frau kann sterben.«

»Sie wird nicht sterben.«

»Das weiß niemand. Da ist noch die Frage des Schadenersatzes.« »Haben Sie einer Ambulanz telefoniert?« »Mein Kollege tut das. Stören Sie mich jetzt nicht, sonst dauert es noch länger.« »Die Frau ist halbtot, und Sie wollen weg«, sagte einer der Arbeiter vorwurfsvoll zu Ravic.

»Sie wäre tot, wenn ich nicht dagewesen wäre.«

»Na also«, sagte der Arbeiter ohne sichtbare Logik. »Da müssen Sie doch bleiben.«

Ein Kameraverschluß tickte. Ein Mann, der einen Hut trug, der vorn aufgeschlagen war, lächelte. »Würden Sie noch einmal so tun, als machten Sie den Verband fest?« fragte er Ravic.

»Nein.«

»Es ist die Presse«, sagte der Mann. »Sie kommen mit hinein, mit Adresse und Text: daß Sie die Frau gerettet haben. Gute Reklame. Bitte hier, so — das Licht ist so besser.«

»Gehen Sie zum Teufel!« sagte Ravic. »Die Frau braucht dringend eine Ambulanz. Der Verband kann nicht lange so bleiben. Sehen Sie zu, daß eine Ambulanz kommt.«

»Alles nacheinander, mein Herr«, erklärte der Polizist. »Ich muß erst einmal das Protokoll fertig haben.«

»Hat der Tote dir schon gesagt, wie er heißt?« fragte ein halbwüchsiger Junge.

»Ta gueule!« Der Polizist spuckte ihm vor die Füße.

»Fotografieren Sie es noch einmal von hier«, sagte jemand zu dem Fotografen.

»Warum?«

»Damit man sieht, daß die Frau auf dem abgesperrten Trottoir war. Die Straße war gesperrt. Sehen Sie dort...«, er zeigte auf eine schrägstehende Latte mit der Aufschrift : Attention! Danger! »Nehmen Sie das so auf, daß man es sieht. Wir brauchen das. Schadenersatz kommt nicht in Frage.«

»Ich bin Pressefotograf«, sagte der Mann mit dem Hut ablehnend. »Ich fotografiere nur, was ich für interessant halte.«

»Aber das ist doch interessant! Was ist denn sonst interessant? Mit dem Schild im Hintergrund.«

»Ein Schild ist nicht interessant. Aktion ist interessant.«

»Dann nehmen Sie es ins Protokoll.« Der Mann tippte dem Polizisten auf die Schulter.

»Wer sind Sie denn?« fragte der ärgerlich.

»Ich bin der Vertreter der Baufirma.«

»Schön«, sagte der Polizist. »Bleiben Sie auch mal hier. Wie heißen Sie? Das müssen Sie doch wissen?« fragte er die Frau. — Die Frau bewegte die Lippen. Die Augenlider begannen zu flattern. Wie Schmetterlinge, wie todmüde, graue Motten, dachte Ravic, und im gleichen Moment: ich Idiot! Ich muß sehen, daß ich verschwinde!

»Verdammt!« sagte der Polizist. »Vielleicht ist sie verrückt geworden. Das gibt Arbeit! Und mein Dienst ist um drei zu Ende.«

»Marcel«, sagte die Frau.

»Was? Augenblick mal. Was?« Der Polizist beugte sich wieder hinunter.

Die Frau schwieg. »Was?« Der Polizist wartete. »Noch einmal! Sagen Sie das noch einmal!«

Die Frau schwieg. »Sie mit Ihrem gottverdammten Gerede«, sagte der Polizist zu dem Vertreter der Baufirma. »Wie soll man dabei sein Protokoll kriegen?«

In diesem Augenblick klickte wieder der Verschluß der Kamera. »Danke«, sagte der Fotograf. »Sehr lebendig.«

»Haben Sie unser Zeichen mit drauf?« fragte der Vertreter der Baufirma, ohne auf den Polizisten zu hören. »Ich bestelle sofort ein halbes Dutzend.«

»Nein«, erklärte der Fotograf. »Ich bin Sozialist. Zahlen Sie nur die Versicherung, Sie jammervoller Jagdhund der Millionäre.«

Eine Sirene schrillte. Die Ambulanz. Dies ist der Augenblick, dachte Ravic. Er machte vorsichtig einen Schritt. Aber der Polizist hielt ihn fest. »Sie müssen mit zur Wache gehen, mein Herr. Es tut mir leid, aber es muß alles aufgenommen werden.«

Der zweite Polizist stand jetzt neben ihm. Es war nichts zu machen. Hoffentlich geht es gut, dachte Ravic und ging mit.

Der zuständige Beamte im Polizeirevier hatte schweigend dem Gendarmen und dem Polizisten, der das Protokoll neu aufnahm, zugehört. Jetzt wandte er sich an Ravic. »Sie sind kein Franzose«, sagte er. Er fragte nicht; er stellte es fest.

»Nein«, sagte Ravic.

»Was sind Sie?«

»Tscheche.«

»Wie kommt es, daß Sie hier Arzt sind? Als Ausländer können Sie doch nicht praktizieren, wenn Sie nicht naturalisiert sind?«

Ravic lächelte. »Ich praktiziere hier nicht. Ich bin hier als Tourist. Zu meinem Vergnügen.«

»Haben Sie Ihren Paß bei sich?«

»Brauchen wir das, Fernand?« fragte der andere Beamte. »Der Herr hat der Frau geholfen, und wir haben seine Adresse. Das ist doch genug. Da sind ja noch mehr Zeugen.«

»Es interessiert mich. Haben Sie Ihren Paß bei sich? Oder Ihre Carte d’Identité?«

»Natürlich nicht«, sagte Ravic. »Wer hat schon immer seinen Paß bei sich?«

»Wo haben Sie ihn?«

»Im Konsulat. Habe ihn vor einer Woche hingebracht. Er muß verlängert werden.«

Ravic wußte, daß, wenn er sagte, der Paß sei im Hotel, ein Polizist mitgeschickt und der Schwindel sofort entdeckt werden konnte. Außerdem hatte er zur Vorsicht ein falsches Hotel angegeben. Mit dem Konsulat hatte er eine bessere Chance.

»Bei welchem Konsulat?« fragte Fernand.

»Beim tschechischen. Wo sonst?«

»Wir können da anrufen und anfragen.« Fernand sah Ravic an.

»Natürlich.«

Fernand wartete eine Weile. »Schön«, sagte er dann. »Werden wir mal anfragen.«

Er stand auf und ging in einen Nebenraum. Der andere Beamte war sehr verlegen. »Entschuldigen Sie, mein Herr«, sagte er zu Ravic. »Es ist natürlich gar nicht nötig. Wird sofort aufgeklärt sein! Wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Hilfe.«

Aufgeklärt, dachte Ravic. Er sah sich ruhig um, während er eine Zigarette hervorholte. Der Gendarm stand neben der Tür. Das war zufällig.

Niemand verdächtigte ihn bis jetzt ernstlich.

Er konnte ihn beiseite stoßen — aber da waren noch der Mann von der Baufirma und zwei Arbeiter. Er gab es auf. Es war zu schwierig, durchzukommen; draußen vor der Tür standen auch gewöhnlich immer noch ein paar Polizisten herum.

Fernand kam zurück. »Auf dem Konsulat ist kein Paß mit Ihrem Namen.«

»Möglich«, sagte Ravic.

»Wieso möglich?«

»Ein einzelner Beamter weiß doch nicht gleich alles am Telefon. Da sind ein halbes Dutzend Leute mit diesen Dingen beschäftigt.«

»Dieser wußte Bescheid.«

Ravic erwiderte nichts. »Sie sind kein Tscheche«, sagte Fernand.

»Hör mal, Fernand«, begann der zweite Beamte.

»Sie haben keinen tschechischen Akzent«, sagte Fernand. — »Meinetwegen nicht.«

»Sie sind ein Deutscher«, erklärte Fernand triumphierend. »Und Sie haben keinen Paß.«

»Nein«, erwiderte Ravic. »Ich bin ein Marokkaner, und ich habe jeden französischen Paß der Welt.«

»Mein Herr!« brüllte Fernand. »Was erlauben Sie sich? Sie beleidigen das französische Kolonialreich.«

»Merde!« sagte einer der Arbeiter. Der Vertreter der Baufirma machte ein Gesicht, als wollte er salutieren!

»Fernand, nun laß doch...«

»Sie lügen! Sie sind kein Tscheche! Haben Sie einen Paß oder nicht? Antworten Sie!«

Die Ratte im Menschen, dachte Ravic. Die Ratte im Menschen, die man nie ersäufen kann. Was geht es diesen Idioten an, ob ich einen Paß habe? Aber die Ratte riecht etwas, und schon kriecht sie aus dem Loch.

»Antworten Sie!« schnauzte Fernand.

Ein Stück Papier! Ob man es besaß oder nicht. Diese Kreatur würde sich entschuldigen und verbeugen, wenn man diesen Fetzen Papier hätte. Es würde gleichgültig sein, ob man eine Familie ermordet oder eine Bank beraubt hätte — der Mann würde salutieren. Aber selbst Christus ohne Paß — heute würde er im Gefängnis verkommen. Er würde ohnehin lange vor seinem dreiunddreißigsten Jahre erschlagen worden sein.

»Sie bleiben hier, bis sich das geklärt hat«, sagte Fernand. »Ich werde dafür sorgen.«

»Schön«, sagte Ravic.

Fernand stampfte hinaus. Der zweite Beamte kramte in seinen Papieren. »Mein Herr«, sagte er dann, »es tut mir leid. Er ist verrückt mit diesen Sachen.«

»Macht nichts.«

»Sind wir fertig?« fragte einer der Arbeiter.

»Ja.«

»Gut.« Er wandte sich an Ravic. »Wenn die Weltrevolution kommt, brauchen Sie keinen Paß mehr.«

»Sie müssen verstehen, mein Herr«, sagte der Beamte. »Fernands Vater ist im Weltkrieg gefallen. Daher haßt er die Deutschen und macht solche Sachen.« Er sah Ravic einen Augenblick verlegen an. Er ahnte scheinbar, was los war. »Tut mir furchtbar leid, mein Herr. Wenn ich allein wäre...«

»Macht nichts.« Ravic sah sich um. »Kann ich einmal telefonieren, bevor dieser Fernand zurückkommt?«

»Natürlich. Drüben am Tisch. Tun Sie es rasch.«

Ravic telefonierte mit Morosow. Er erklärte ihm auf deutsch, was geschehen war. Er möchte Veber Bescheid sagen.

»Joan auch?« fragte Morosow.

Ravic zögerte. »Nein. Noch nicht. Sag ihr, ich sei zurückgehalten worden, aber in zwei, drei Tagen sei alles in Ordnung. Kümmere dich um sie.«

»Schön«, erwiderte Morosow nicht allzu enthusiastisch. »Schön, Wozzek.«

Ravic legte das Telefon nieder, als Fernand hereinkam. »Was sprachen Sie da gerade?« fragte er grinsend. »Tschechisch?«

»Esperanto«, erwiderte Ravic.

Veber kam am nächsten Vormittag. »Eine verdammte Bude«, sagte er und sah sich um.

»Französische Gefängnisse sind noch richtige Gefängnisse«, erwiderte Ravic. »Nicht angefault von Humanitätsduselei. Gutes, stinkendes, achtzehntes Jahrhundert.«

»Zum Kotzen«, sagte Veber. »Zum Kotzen, daß Sie da ’reingeraten sind.«

»Man soll keine guten Taten ausüben. Rächt sich sofort. Ich hätte die Frau verbluten lassen sollen. Wir leben in einem eisernen Zeitalter, Veber.«

»In einem gußeisernen. Haben die Brüder ’rausgekriegt, daß Sie illegal hier sind?« »Natürlich.«

»Die Adresse auch?«

»Natürlich nicht. Ich werde das alte ›International‹ doch nicht bloßstellen. Die Wirtin würde eine Strafe bekommen, weil sie unangemeldete Gäste hat. Und eine Razzia würde erfolgen, bei der man ein Dutzend Refugiés schnappen würde. Als Adresse habe ich diesmal das Hotel Lancaster angegeben. Teures, feines, kleines Hotel. Habe da in meinem früheren Leben mal gewohnt.«

»Und Ihr neuer Name ist Wozzek?«

»Wladimir Wozzek.« Ravic grinste. »Mein vierter.«

»Scheiße«, sagte Veber. »Was können wir tun, Ravic?«

»Nicht viel. Die Hauptsache ist, daß die Brüder nicht ’rauskriegen, daß ich schon ein paarmal hier war. Das gibt sonst sechs Monate Gefängnis.« »Verdammt.« »Ja, die Welt wird täglich humaner. Lebe gefährlich, sagte Nietzsche. Die Emigranten tun es — wider Willen.« »Und wenn man es nicht herausfindet?« »Vierzehn Tage, denke ich. Und die bekannte Ausweisung.« »Und dann?« »Dann komme ich wieder.« »Bis Sie wieder geschnappt werden.« »Genauso. Diesmal hat es lange gedauert. Zwei Jahre. Ein Menschenleben.« »Wir müssen da etwas machen. Das geht nicht mehr so weiter.« »Doch, es geht. Was wollen Sie schon machen?« Veber dachte nach. »Durant«, sagte er dann plötzlich.

»Natürlich! Durant kennt einen Haufen Leute und hat Einfluß...« Er unterbrach sich. »Mein Gott, Sie haben ja einen der Oberbonzen selbst operiert! Den mit der Gallenblase!«

»Ich nicht. Durant...«

Veber lachte. »Ich kann es dem Alten natürlich nicht sagen. Aber er kann irgendwas tun. Ich werde ihm auf der Seele knien.«

»Sie werden wenig erreichen. Ich habe Durant vor einiger Zeit um zweitausend Frank gebracht. Das vergißt der Typ nicht leicht.«

»Er wird«, sagte Veber ziemlich vergnügt, »er wird nämlich Angst haben, daß Sie etwas über schwarze Operationen erzählen. Sie haben ja Dutzende für ihn gemacht. Außerdem braucht er Sie!«

»Er kann leicht jemand anders finden. Binot oder einen Refugiéchirurgen. Es gibt genug.«

Veber strich sich seinen Schnurrbart. »Nicht mit Ihrer Hand. Wir werden das auf jeden Fall versuchen. Ich werde es noch heute machen. Kann ich hier was für Sie tun? Wie ist das Essen?«

»Schauderhaft. Aber ich kann mir was besorgen lassen.«

»Zigaretten?«

»Genug. Was ich brauche, können Sie mir nicht besorgen: ein Bad.«

Ravic lebte zwei Wochen mit einem jüdischen Installateur, einem halbjüdischen Schriftsteller und einem Polen zusammen. Der Installateur hatte Heimweh nach Berlin; der Schriftsteller haßte es; dem Polen war alles egal. Ravic sorgte für Zigaretten. Der Schriftsteller erzählte jüdische Witze. Der Installateur war unersetzlich als Fachmann gegen den Gestank.

Nach zwei Wochen wurde Ravic abgeholt. Man brachte ihn zunächst zu einem Inspektor, der ihn fragte, ob er Geld hätte.

»Ja.«

»Gut. Dann können Sie ein Taxi nehmen.«

Ein Beamter ging mit ihm. Die Straße war hell genug und sonnig. Es war gut, einmal wieder draußen zu sein. Ein alter Mann am Eingang verkaufte Luftballons. Ravic konnte sich nicht denken, weshalb er das gerade vor dem Gefängnis tat. Der Beamte winkte ein Taxi heran. »Wohin fahren wir?« fragte Ravic.

»Zum Chef.«

Ravic wußte nicht, was für ein Chef das war. Es war ihm auch ziemlich gleich, solange es nicht der Chef eines deutschen Konzentrationslagers war. Es gab nur einen wirklichen Schrecken in der Welt: völlig hilflos brutalem Terror ausgeliefert zu sein. Dies hier war harmlos.

Das Taxi hatte ein Radio. Ravic stellte es an. Er bekam die Nachrichten über den Gemüsemarkt; dann politische Neuigkeiten. Der Beamte gähnte. Ravic drehte weiter. Musik. Ein Schlager. Der Beamte hellte sich auf. »Charles Trenet«, sagte er. »Menilmontant. Klasse.«

Das Taxi hielt. Ravic zahlte. Man brachte ihn in einen Warteraum, der, wie alle Warteräume der Welt, nach Erwartung, Schweiß und Staub roch.

Er saß eine halbe Stunde und las eine alte Nummer von »La Vie Parisienne«, die ein Besucher liegengelassen hatte.

Sie war wie klassische Literatur nach zwei Wochen ohne Bücher. Dann wurde er zum Chef geführt.

Es dauerte eine Weile, ehe er den kleinen fetten Mann erkannte. Er kümmerte sich gewöhnlich nicht um Gesichter, wenn er operierte. Sie waren ihm so gleichgültig wie Nummern. Ihn interessierte nur die kranke Stelle. Aber dieses Gesicht hatte er sich mit Neugier angesehen. Da saß er, gesund, den Spitzbauch schon wieder angefressen, ohne Gallenblase, Leval. Ravic hatte schon vergessen gehabt, daß Veber Durant mobilisieren wollte, und er hatte nicht erwartet, zu Leval selbst geführt zu werden.

Leval sah ihn von oben bis unten an. Er ließ sich dabei Zeit. »Sie heißen natürlich nicht Wozzek«, knurrte er dann.

»Nein.«

»Wie heißen Sie?«

»Neumann.« Ravic hatte das mit Veber arrangiert. Der hatte es Durant erklärt. Wozzek war zu exzentrisch. »Sind Deutscher, was?« »Ja.« — Refugié?« »Ja.« »Weiß man nie. Sehen nicht so aus.« »Nicht alle Refugiés sind Juden«, erklärte Ravic. »Weshalb haben Sie gelogen? Mit Ihrem Namen?« Ravic zuckte die Achseln. »Was soll man machen? Wir lügen, so wenig wir können. Wir müssen — aber wir tun es nicht aus Spaß.«

Leval schwoll auf. »Glauben Sie, es macht uns Spaß, daß wir uns mit Ihnen abgeben müssen?«

Grau, dachte Ravic. Der Kopf war weißgrau, die Tränensäcke schmutzigblau, der Mund halb offen. Damals redete er nicht; damals war er ein Haufen quabbeliges Fleisch mit einer faulenden Gallenblase darin.

»Wo wohnen Sie? Die Adresse war auch falsch.«

»Ich habe irgendwo gewohnt. Einmal hier, einmal da.«

»Wie lange?«

»Drei Wochen. Ich bin vor drei Wochen aus der Schweiz gekommen. Wurde dort über die Grenze geschoben. Sie wissen ja, daß wir illegal, ohne Papiere, nirgendwo das Recht haben zu leben — und daß die meisten von uns sich noch nicht entschließen können, Selbstmord zu begehen. Das ist der Grund, weshalb wir Ihnen Scherereien machen.«

»Sollten in Deutschland geblieben sein«, knurrte Leval. »Es ist alles gar nicht so schlimm da. Wird viel übertrieben.«

Eine Spur anders geschnitten, dachte Ravic, und du wärest nicht hier, um diesen Unsinn zu reden. Die Würmer hätten ohne Papiere deine Grenzen überschritten — oder du wärest eine Handvoll Staub in einer geschmacklosen Urne.

»Wo haben Sie hier gewohnt?« fragte Leval.

Das möchtest du gern wissen, dachte Ravic, um andere da zu fangen. »In guten Hotels«, sagte er. »Unter verschiedenen Namen. Immer für ein paar Tage.

»Das ist nicht wahr.«

»Weshalb fragen Sie mich, wenn Sie es besser wissen«, sagte Ravic, der langsam genug hatte.

Leval schlug mit der flachen Hand ärgerlich auf den Tisch. »Seien Sie nicht unverschämt!« Er besah sich gleich darauf seine Hand genau.

»Sie haben auf die Schere geschlagen«, sagte Ravic.

Leval steckte die Hand in die Tasche. »Finden Sie nicht, daß Sie ziemlich frech sind?« fragte er plötzlich mit der Ruhe eines Mannes, der es sich leisten kann, sich zu beherrschen, weil der andere völlig auf ihn angewiesen ist.

»Frech?« Ravic blickte ihn erstaunt an. »Frech nennen Sie das? Wir sind hier doch weder in der Schule noch im Stift für reuige Verbrecher! Ich handle in Notwehr — und Sie möchten, daß ich mich wie ein Gauner fühle, der um ein mildes Urteil bittet? Nur, weil ich kein Nazi bin und deshalb keine Papiere habe? Daß wir uns noch immer nicht für Verbrecher halten, obschon wir Gefängnisse, Polizei, Demütigungen jeder Art kennen, nur weil wir am Leben bleiben wollen — das ist das einzige, was uns noch aufrechterhält, verstehen Sie das nicht? Das ist weiß Gott etwas anderes als Frechheit.«

Leval antwortete nicht darauf. »Haben Sie hier praktiziert?« fragte er.

»Nein.«

Die Narbe muß jetzt kleiner sein, dachte Ravic. Ich habe damals gut genäht. Es war eine mächtige Arbeit mit all dem Fett. Inzwischen hat er sich wieder angefressen. Angefressen und angesoffen.

»Das ist die größte Gefahr«, erklärte Leval. »Ohne Examen, ohne Kontrolle treiben Sie sich hier herum! Wer weiß, wie lange schon! Denken Sie nicht, daß ich Ihnen die drei Wochen glaube. Wer weiß, wo Sie schon überall Ihre Finger drin gehabt haben, in wieviel dunklen Sachen.«

In deinem Balg mit den harten Arterien, der dicken Leber und der gärenden Galle, dachte Ravic. Und wenn ich sie nicht drin gehabt hätte, dann hätte dein Freund Durant dich human und idiotisch getötet und wäre dadurch wieder berühmter als Operateur geworden und hätte seine Preise erhöht.

»Die größte Gefahr«, wiederholte Leval. »Sie dürfen nicht praktizieren. Also nehmen Sie alles, was Ihnen in den Weg kommt, das ist doch klar. Ich habe mit einer unserer Autoritäten darüber gesprochen: er ist vollkommen derselben Meinung. Wenn Sie etwas von ärztlicher Wissenschaft verstehen, sollten Sie seinen Namen kennen...«

Nein, dachte Ravic. Das ist nicht wahr. Er wird jetzt nicht Durant sagen. Das Leben macht solche Witze nicht.

»Professor Durant«, sagte Leval mit Würde. »Er hat es mir erklärt. Heildiener, ausgelernte Studenten, Masseure, Assistenten, das alles gibt sich hier für große Ärzte aus Deutschland aus. Wer kann das kontrollieren? Unerlaubte Eingriffe, Abtreibungen, Zusammenarbeit mit Hebammen, Pfuschereien, weiß der Himmel, was da noch alles vor sich geht! Wir können gar nicht scharf genug sein!«

Durant, dachte Ravic. Das ist die Rache für die zweitausend Frank. Aber wer macht ihm jetzt seine Operationen? Binot, wahrscheinlich. Haben sich doch wohl wieder vertragen.

Er merkte, daß er nicht mehr zugehört hatte. Erst als Vebers Name fiel, wurde er wieder aufmerksam. »Ein Doktor Veber hat sich für Sie verwendet. Kennen Sie ihn?«

»Flüchtig.«

»Er war hier.« Leval starrte einen Moment glotzäugig vor sich hin. Dann nieste er mächtig, holte ein Taschentuch hervor, schneuzte sich umständlich, besah, was er geschneuzt hatte, faltete das Taschentuch zusammen und steckte es wieder ein. »Ich kann nichts für Sie tun. Wir müssen strikt sein. Sie werden ausgewiesen.«

»Das weiß ich.«

»Waren Sie schon einmal in Frankreich?«

»Nein.«

»Sechs Monate Gefängnis, wenn Sie wiederkommen. Wissen Sie das?«

»Ja.«

»Ich werde dafür sorgen, daß Sie so bald wie möglich ausgewiesen werden. Das ist alles, was ich für Sie tun kann. Haben Sie Geld?«

»Ja.«

»Gut. Dann müssen Sie die Reise für den begleitenden Polizisten und für sich bis zur Grenze bezahlen.« Er nickte. »Sie können gehen.« »Irgendeine bestimmte Zeit, wann wir zurück sein müssen?« fragte Ravic den Beamten, der ihn zurückbrachte. »Nicht genau. Je nachdem. Warum?« »Ich möchte einen Aperitif trinken.« Der Beamte sah ihn an. »Ich laufe nicht weg«, sagte Ravic, holte einen Zwanzigfrankschein hervor und spielte damit. »Schön. Ein paar Minuten können nichts ausmachen.«

Sie ließen das Taxi am nächsten Bistro halten. Ein paar Tische standen bereits draußen. Es war kühl, aber die Sonne schien. »Was nehmen Sie?« fragte Ravic.

»Amèr Picon. Nichts anderes um diese Zeit.«

»Mir einen großen Fine. Ohne Wasser.«

Ravic saß ruhig da und atmete tief. Luft — was das sein konnte! Die Zweige an den Bäumen auf dem Trottoir hatten braun glänzende Knospen. Es roch nach frischem Brot und jungem Wein. Der Kellner brachte die Gläser. »Wo ist das Telefon?« fragte Ravic.

»Drinnen, rechts, neben der Toilette.«

»Aber...«, sagte der Beamte.

Ravic steckte ihm den Zwanzigfrankschein in die Hand.

»Sie können sich wohl denken, an wen ich telefoniere. Ich verschwinde nicht. Sie können ja mitgehen. Kommen Sie.«

Der Beamte zögerte nicht lange. »Schön«, sagte er und stand auf. »Mensch ist schließlich bloß Mensch.«

»Joan...«

»Ravic! Mein Gott! Wo bist du? Haben Sie dich herausgelassen? Sag mir, wo bist du...«

»In einem Bistro...«

»Laß das. Sag mir, wo du wirklich bist.«

»Ich bin in einem Bistro.«

»Wo? Bist du nicht mehr im Gefängnis? Wo bist du die ganze Zeit gewesen? Dieser Morosow...«

»Er hat dir genau das gesagt, was los war.«

»Er hat mir nicht einmal gesagt, wohin sie dich gebracht haben. Ich hätte dich sofort...«

»Deshalb hat er es dir nicht gesagt, Joan. Besser so.«

»Weshalb telefonierst du von einem Bistro? Weshalb kommst du nicht hierher?«

»Ich kann nicht kommen. Ich habe nur wenige Minuten Zeit. Konnte den Beamten überreden, hier einen Augenblick zu halten. Joan, ich werde in den nächsten Tagen zur Schweiz gebracht und...« Ravic spähte durch das Glasfenster. Der Beamte lehnte an der Th eke und redete. »Und ich komme gleich wieder.« Er wartete. »Joan...«

»Ich komme. Ich komme sofort. Wo bist du?«

»Du kannst nicht kommen. Ich bin eine halbe Stunde weit von dir. Ich habe nur ein paar Minuten.«

»Halte den Beamten fest! Gib ihm Geld! Ich kann Geld mitbringen!«

»Joan«, sagte Ravic. »Es geht nicht. Es ist einfacher so. Es ist besser.«

Er hörte sie atmen. »Du willst mich nicht sehen?« fragte sie dann.

Es war schwer. Ich hätte nicht telefonieren sollen, dachte er. Wie soll man etwas erklären, ohne den andern dabei ansehen zu können. »Ich möchte nichts weiter als dich sehen, Joan.«

»Dann komm! Der Mann kann mitkommen!«

»Es geht nicht. Ich muß aufhören. Sag mir rasch noch, was du jetzt tust.«

»Was? Wie meinst du das?«

»Was hast du an? Wo bist du?«

»In meinem Zimmer. Im Bett. Es war spät gestern nacht. Ich kann in einer Minute etwas anziehen und sofort kommen.«

Spät, gestern nacht. Richtig! Das ging ja alles weiter, auch wenn man eingesperrt war. Man vergaß das. Im Bett, halb verschlafen, die Mähne wirr auf den Kissen, auf Stühle verstreut Strümpfe, Wäsche, ein Abendkleid — wie das schwankte: die vor Atem halb angelaufene Scheibe der heißen Telefonbox; der endlos weit entfernte Kopf des Beamten, der darin schwamm wie in einem Aquarium — er riß sich zusammen. »Ich muß jetzt aufhören, Joan.«

Er hörte ihre fassungslose Stimme. »Aber das ist doch unmöglich! Du kannst nicht einfach so weggehen, und ich weiß nichts, nicht wohin und was...« Aufgestützt, die Kissen fortgestoßen, das Telefon wie eine Waffe und wie einen Feind in der Hand, die Schultern, die Augen, tief und dunkel vor Erregung...

»Ich gehe nicht in den Krieg. Ich muß nur einfach einmal in die Schweiz reisen. Ich werde bald zurück sein. Denk, ich sei ein Geschäftsmann, der beim Völkerbund eine Ladung Maschinengewehre verkaufen will.«

»Wenn du zurückkommst, wird es dann wieder dasselbe sein. Ich werde nicht leben können vor Angst.«

»Sag das letzte noch einmal.«

»Es ist doch wahr!« Ihre Stimme war zornig. »Ich bin die letzte, die irgend etwas weiß! Veber kann dich besuchen, ich nicht! Morosow hast du telefoniert, mir nicht! Und jetzt gehst du fort...«

»Mein Gott«, sagte Ravic. »Wir wollen uns nicht streiten, Joan.«

»Ich streite nicht. Ich sage nur, was los ist.«

»Gut. Ich muß jetzt aufhören. Adieu, Joan.«

»Ravic«, rief sie, »Ravic!«

»Ja...«

»Komm wieder! Komm wieder! Ich bin verloren ohne dich!«

»Ich komme wieder!«

»Ja — ja...«

»Adieu, Joan. Ich bin bald zurück.«

Er stand einen Augenblick in der heißen, dunstigen Box. Dann sah er, daß seine Hand den Hörer nicht losgelassen hatte. Er öffnete die Tür. Der Beamte sah auf, er lächelte gutmütig. »Fertig?«

»Ja.«

Sie gingen nach draußen zurück an den Tisch. Ravic trank sein Glas aus. Ich hätte nicht anrufen sollen, dachte er. Vorher war ich ruhig. Jetzt bin ich durcheinander. Ich hätte wissen sollen, daß ein Telefongespräch nicht anderes bringen konnte. Für mich und für Joan nicht. Er spürte die Versuchung, zurückzugehen und noch einmal anzurufen und ihr alles zu sagen, was er eigentlich hatte sagen wollen. Ihr zu erklären, warum er sie nicht sehen konnte. Daß er nicht wollte, daß sie ihn so sah, dreckig, gefangen. Aber er würde herauskommen, und es würde auch wieder so sein.

»Ich glaube, wir müssen aufbrechen«, sagte der Beamte.

»Ja...«

Ravic winkte dem Kellner. »Geben Sie mir zwei kleine Flaschen Kognak, alle Zeitungen und ein Dutzend Päckchen ›Caporal‹. Und die Rechnung.« Er sah den Beamten an. »In Ordnung, was?«

»Mensch ist Mensch«, sagte der Beamte.

Der Kellner brachte die Flaschen und die Zigaretten. »Ziehen Sie mir die Pfropfen«, sagte Ravic, während er die Zigaretten sorgfältig in seine Taschen verteilte. Er korkte die Flaschen wieder so zu, daß er sie bequem ohne Korkenzieher wieder öffnen konnte, und steckte sie in die Innentasche seines Mantels.

»Sie machen das gut«, sagte der Beamte.

»Übung. Leider. Hätte als Junge auch nicht geglaubt, daß ich im Alter noch einmal Indianer spielen müßte.«

Der Pole und der Schriftsteller waren begeistert über den Kognak. Der Installateur trank keinen Schnaps. Er war Biertrinker und erklärte, wieviel besser das Bier in Berlin sei. Ravic lag auf einer Pritsche und las die Zeitungen. Der Pole las nicht; er verstand kein Französisch. Er rauchte und war glücklich. Nachts begann der Installateur zu weinen. Ravic war wach. Er horchte auf das unterdrückte Schluchzen und starrte auf das kleine Fenster, hinter dem der bleiche Himmel schimmerte. Er konnte nicht schlafen. Auch später nicht, als der Installateur ruhig war. Zu gut gelebt, dachte er. Zu vieles schon, das schmerzt, wenn man es nicht mehr hat.