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Lucienne Martinet saß am Fenster, als Ravic hereinkam. »Wie ist das« fragte er, »so zum erstenmal aus dem Bett zu sein?«
Das Mädchen sah ihn an und dann hinaus in den grauen Nachmittag und wieder zurück zu ihm. »Kein gutes Wetter heute«, sagte er.
»Doch«, erwiderte sie. »Für mich schon.«
»Warum?«
»Weil ich nicht ’raus muß.«
Sie saß zusammengekauert in ihrem Sessel, einen billigen baumwollenen Kimono um die Schultern gezogen, ein schmales, unansehnliches Wesen mit schlechten Zähnen — aber für Ravic war sie im Augenblick schöner als Trojas Helena. Sie war ein Stück Leben, das er mit seinen Händen gerettet hatte. Es war nichts, um besonders stolz zu sein; eine hatte er kurz vorher verloren. Die nächste verlor er vielleicht wieder; und am Ende verlor man sie alle und sich selbst auch. Aber diese hier war für den Augenblick gerettet.
»Hüte herumschleppen ist kein Spaß bei diesem Wetter«, sagte Lucienne. »Haben Sie Hüte herumgeschleppt?« »Ja. Für Madame Lanvert. Das Geschäft an der Avenue Matignon. Bis fünf Uhr mußten wir arbeiten. Dann mußte ich die Kartons zu den Kunden bringen. Jetzt ist es halb sechs. Jetzt wäre ich unterwegs.« Sie blickte durch das Fenster. »Schade, daß es nicht mehr regnet. Gestern war es besser. Da regnete es in Strömen. Jetzt muß jemand anders da hindurch.«
Ravic setzte sich ihr gegenüber auf die Fensterbank. Merkwürdig, dachte er. Man erwartet immer, Menschen müßten hemmungslos glücklich sein, wenn sie dem Tode entronnen sind. Sie sind es fast nie. Diese hier ist es auch nicht. Ein kleines Wunder ist geschehen, und alles, was sie daran interessiert, ist, daß sie nicht durch den Regen gehen muß. »Wie sind Sie gerade hierher, in die Klinik, gekommen, Lucienne?« fragte er.
Sie sah ihn vorsichtig an. »Jemand hat es mir gesagt.«
»Wer?«
»Eine Bekannte.«
»Was für eine Bekannte?«
Das Mädchen zögerte. »Eine Bekannte, die auch hier war. Ich habe sie hierhergebracht, bis vor die Tür. Daher wußte ich es.«
»Wann war das?«
»Eine Woche bevor ich kam.«
»War es die, die während der Operation gestorben ist?«
»Ja.«
»Und trotzdem sind Sie hierhergekommen?«
»Ja«, sagte Lucienne gleichgültig. »Warum nicht?«
Ravic sagte nicht, was er sagen wollte. Er sah das kleine kalte Gesicht an, das einmal weich gewesen war und das das Leben so rasch hart gemacht hatte. »Waren Sie vorher auch bei derselben Hebamme?« fragte er.
Lucienne antwortete nicht. »Oder bei demselben Arzt? Sie können es mir ruhig sagen. Ich weiß ja nicht, wer es ist.«
»Marie war zuerst da. Eine Woche früher. Zehn Tage früher.« »Und Sie sind später hingegangen, trotzdem Sie wußten, was Marie passiert war?«
Lucienne hob die Schultern. »Was sollte ich machen? Ich mußte es riskieren. Ich wußte niemand anderes. Ein Kind... was sollte ich mit einem Kind?« Sie sah aus dem Fenster. Auf einem Balkon gegenüber stand ein Mann in Hosenträgern, der einen Schirm über sich hielt. »Wie lange muß ich noch hierbleiben, Doktor?«
»Ungefähr zwei Wochen.«
»Zwei Wochen noch?«
»Das ist nicht lange. Warum?«
»Es kostet und kostet...«
»Vielleicht können wir es ein paar Tage früher machen.« »Glauben Sie, daß ich es abzahlen kann? Ich habe nicht genug Geld. Es ist teuer, jeden Tag dreißig Frank.« »Wer hat Ihnen denn das gesagt?« »Die Schwester.« »Welche? Eugenie, natürlich...«
»Ja. Sie sagte, die Operation und die Verbände wären noch extra. Ist das sehr teuer?«
»Die Operation haben Sie schon bezahlt.«
»Die Schwester sagt, es wäre längst nicht genug gewesen.«
»Das weiß die Schwester nicht so genau, Lucienne. Da fragen Sie besser später Doktor Veber.«
»Ich möchte es gern bald wissen.«
»Warum?«
»Ich kann es mir dann besser einteilen, wie lange ich dafür arbeiten muß.« Lucienne blickte auf ihre Hände. Die Finger waren dünn und zerstochen. »Ich muß auch noch einen Monat Zimmermiete zahlen«, sagte sie. »Als ich hierherkam, war es gerade der dreizehnte. Am fünfzehnten hätte ich kündigen müssen. Jetzt muß ich noch den Monat bezahlen. Für nichts.«
»Haben Sie nicht jemand, der Ihnen hilft ?«
Lucienne blickte auf. Ihr Gesicht war plötzlich zehn Jahre älter. »Das wissen Sie doch selbst, Doktor! Der war nur ärgerlich. Er hätte nicht gewußt, daß ich so dumm sei. Sonst hätte er nie mit mir angefangen.«
Ravic nickte. So etwas war nichts Neues. »Lucienne«, sagte er, »wir können versuchen, von der Frau, die den Eingriff gemacht hat, etwas zu bekommen. Sie war schuld. Sie müssen uns nur ihren Namen geben.«
Das Mädchen richtete sich rasch auf. Es war plötzlich nichts als Abwehr. »Polizei? Nein, da fliege ich selbst ’rein.«
»Ohne Polizei. Wir drohen nur.«
Sie lachte nur. »Von der kriegen Sie damit nichts. Die ist aus Eisen. Dreihundert Frank habe ich ihr bezahlen müssen. Und dafür...« Sie strich ihren Kimono glatt. »Manche Menschen haben eben gar kein Glück«, sagte sie ohne Resignation, als spräche sie von jemand anderem als sich selbst.
»Doch«, erwiderte Ravic. »Sie hatten eine Menge Glück.«
Er sah Eugenie im Operationssaal. Sie putzte Nickelsachen blank. Es war eine ihrer Liebhabereien. Sie war so versunken in ihre Arbeit, daß sie ihn nicht kommen hörte.
»Eugenie«, sagte er.
Sie fuhr herum. »Ach Sie! Müssen Sie einen dauernd erschrecken?«
»Ich glaube nicht, daß ich soviel Persönlichkeit habe. Aber Sie sollten die Patienten nicht erschrecken mit Ihren Geschichten über Honorare und Kosten.«
Eugenie richtete sich auf, die Putzlappen in der Hand. »Die Hure hat natürlich sofort geklatscht.«
»Eugenie«, sagte Ravic. »Es gibt mehr Huren unter Frauen, die nie mit einem Mann geschlafen haben, als unter denen, die einen schwierigen Broterwerb daraus machen. Ganz zu schweigen von den Verheirateten. Außerdem hat das Mädchen nicht geklatscht. Sie haben ihm nur den Tag verdorben, das ist alles.«
»Na, wennschon! Empfindlichkeit noch bei dem Lebenswandel!«
Du wandelnder Moralkatechismus, dachte Ravic. Du ekelhafter Tugendprotz — was weißt du von der Verlassenheit dieser kleinen Hutmacherin, die tapfer zu derselben Hebamme gegangen ist, die ihre Freundin verpfuscht hat — und zum selben Hospital, in dem die andere gestorben ist, und die nichts weiter dazu sagt als: Was sollte ich machen, und: wie kann ich es bezahlen...
»Sie sollten heiraten, Eugenie«, sagte er. »Einen Witwer mit Kindern. Oder den Besitzer eines Begräbnisinstituts.«
»Herr Ravic«, sagte die Schwester mit Würde. »Wollen Sie sich bitte nicht um meine Privatsachen kümmern? Ich muß mich sonst bei Herrn Doktor Veber beschweren.«
»Das tun Sie ohnehin den ganzen Tag.« Ravic sah mit Freude zwei rote Flecken auf ihren Wangenknochen erscheinen. »Warum können fromme Menschen so selten loyal sein, Eugenie? Den besten Charakter haben Zyniker; am unerträglichsten sind Idealisten. Gibt Ihnen das nicht zu denken?«
»Gottlob nein.«
»Das dachte ich mir. Ich gehe jetzt hinüber zu den Kindern der Sünde. Zum ›Osiris.‹ Für den Fall, daß Doktor Veber etwas für mich hat.«
»Ich glaube kaum, daß Doktor Veber etwas für Sie haben wird.«
»Jungfräulichkeit macht noch nicht zur Hellseherin. Es könnte doch sein. Ich werde bis ungefähr fünf Uhr dort sein. Dann in meinem Hotel.«
»Schönes Hotel, die Judenbude.«
Ravic drehte sich um. »Eugenie, nicht alle Refugiés sind Juden. Noch nicht einmal alle Juden sind Juden. Und manche sind es, von denen man es nicht glaubt. Ich kannte sogar mal einen jüdischen Neger. War ein furchtbar einsamer Mensch. Das einzige, was er liebte, war chinesisches Essen. So geht es in der Welt zu.«
Die Schwester antwortete nicht. Sie putzte eine Nickelplatte, die völlig blank war.
Ravic saß in dem Bistro an der Rue La Boissiere und starrte durch die verregneten Scheiben, als er den Mann draußen sah. Es war wie ein Schlag in den Magen. Im ersten Augenblick fühlte er nur den Schock, ohne zu realisieren, was es war — aber gleich darauf stieß er den Tisch beiseite, sprang von seinem Stuhl auf und drängte sich rücksichtslos durch den vollen Raum der Tür zu.
Jemand hielt ihn am Arm fest. Er drehte sich um. »Was?« fragte er verständnislos. »Was?«
Es war der Kellner. »Sie haben nicht bezahlt, mein Herr.«
»Was? — Ach so... ich komme zurück...« Er zerrte seinen Arm los.
Der Kellner wurde rot. »Das gibt es hier nicht! Sie...«
»Hier...«
Ravic riß einen Schein aus der Tasche, warf ihn dem Kellner zu und riß die Tür auf. Er drängte sich an einer Gruppe von Leuten vorbei und stürzte nach rechts, um die Ecke, die Rue La Boissiere entlang.
Jemand schimpfte hinter ihm her. Er besann sich, hörte auf zu laufen und ging weiter, so schnell er konnte, ohne aufzufallen. Es ist unmöglich, dachte er, es ist völlig unmöglich, ich bin verrückt, es ist unmöglich! Das Gesicht, dieses Gesicht, es muß eine Ähnlichkeit sein, irgendeine hundsgemeine, verfluchte Ähnlichkeit, ein blöder Trick, den meine Nerven mir spielen — es kann nicht in Paris sein, dieses Gesicht, es ist in Deutschland, es ist in Berlin, die Scheibe war verregnet, man konnte nicht deutlich sehen, ich muß mich geirrt haben, bestimmt…
Er ging weiter, eilig, er schob sich durch die Menge, die aus einem Kino strömte, er musterte jedes Gesicht, das er überholte, genau, er starrte unter Hüte, er begegnete ärgerlichen und erstaunten Blicken, weiter, weiter, andere Gesichter, andere Hüte, graue, schwarze, blaue, er überholte sie, er wandte sich um, er starrte sie an...
An der Kreuzung der Avenue Kléber blieb er stehen. Eine Frau, eine Frau mit einem Pudel, erinnerte er sich plötzlich. Gleich hinterher war der andere gekommen.
Die Frau mit dem Pudel hatte er schon längst überholt. Rasch ging er zurück. Als er die Frau mit dem Hund von weitem sah, blieb er an der Bordkante stehen. Er ballte die Fäuste in den Taschen und musterte jeden Vorübergehenden genau. Der Pudel blieb an einem Laternenpfahl stehen, schnupperte und hob unendlich langsam ein Hinterbein. Dann kratzte er umständlich das Pflaster und lief weiter. Ravic spürte plötzlich, daß sein Nacken naß war von Schweiß. Er wartete noch einige Minuten — das Gesicht kam nicht. Er musterte die geparkten Autos. Niemand saß darin. Er kehrte wieder um und ging bis zur Untergrundbahn an der Avenue Kleber. Er lief den Eingang hinunter, löste ein Billett und ging den Bahnsteig entlang. Es waren ziemlich viel Leute da. Bevor er durch war, lief ein Zug ein, hielt und verschwand in dem Tunnel. Der Bahnsteig war leer.
Langsam ging er zurück in das Bistro. Er setzte sich an den Tisch, an dem er vorher gesessen hatte. Da stand noch ein Glas, halbvoll mit Calvados. Es schien sonderbar, daß es immer noch da stand...
Der Kellner schlurfte heran. »Entschuldigen Sie, mein Herr. Ich wußte nicht...«
»Gut, gut«, sagte Ravic. »Bringen Sie mir ein anderes Glas Calvados.«
»Ein anderes?« Der Kellner blickte auf das halbvolle Glas auf dem Tisch. »Wollen Sie dieses nicht erst trinken?«
»Nein. Bringen Sie mir ein anderes.«
Der Kellner nahm das Glas und roch daran. »Ist er nicht gut?«
»Doch. Ich will nur ein anderes haben.«
»Gut, mein Herr.«
Ich habe mich geirrt, dachte Ravic. Die verregnete Scheibe, halb beschlagen, wie konnte man da etwas genau erkennen? Er starrte durch das Fenster. Er starrte aufmerksam hinaus, wie ein Jäger auf dem Anstand, er beobachtete jeden Menschen, der vorüberging — aber schattenhaft, grau und scharf, jagte gleichzeitig ein Film darüber, ein Fetzen Erinnerung...
Berlin. Ein Sommerabend 1934 — das Haus der Gestapo; Blut; ein kahles Zimmer ohne Fenster; das grelle Licht nackter elektrischer Birnen; ein rotbespritzter Tisch mit Riemen zum Festschnallen; die übernächtige Helligkeit seines Gehirns, das ein dutzendmal aus Ohnmachten durch halbes Ersticken in einem Wassereimer wieder aufgeschreckt worden war; seine Nieren, die so zerschlagen waren, daß sie nicht mehr schmerzten; das verzerrte, fassungslose Gesicht Sybils; ein paar Henkersknechte in Uniform, die sie hielten — und eine Stimme und ein lächelndes Gesicht, das freundlich erklärte, was mit der Frau geschehen würde, wenn man nicht gestand — Sybil, die dann drei Tage später angeblich erhängt aufgefunden wurde.
Der Kellner erschien und stellte das Glas auf den Tisch. »Dies ist eine andere Sorte, mein Herr. Von Didier aus Caën. Älter.«
»Gut, gut. Danke.«
Ravic trank das Glas aus. Er holte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, zog eine heraus und zündete sie an. Seine Hände waren noch immer nicht ruhig. Er warf das Streichholz auf den Boden und bestellte einen anderen Calvados.
Das Gesicht, dieses lächelnde Gesicht, das er soeben wiedergesehen zu haben glaubte — es mußte ein Irrtum sein! Es war unmöglich, daß Haake in Paris war. Unmöglich! Er schüttelte die Erinnerungen ab. Es hatte keinen Zweck, sich damit kaputtzumachen, solange man nichts tun konnte. Die Zeit dafür war, wenn das drüben zusammenkrachte und man zurückkonnte. Bis dahin...
Er rief den Kellner und zahlte; aber er konnte es nicht hindern, daß er jeden unterwegs genau beobachtete.
Er saß mit Morosow in der Katakombe.
»Du glaubst nicht, daß er es war?« fragte Morosow.
»Nein. Aber er sah so aus. Irgendeine verdammte Ähnlichkeit. Oder mein Gedächtnis, das nicht mehr sicher ist.«
»Pech, daß du im Bistro warst.«
»Ja.«
Morosow schwieg eine Weile. »Regt einen verflucht auf, was?« sagte er dann.
»Nein. Warum?«
»Weil man es nicht weiß.«
»Ich weiß es.«
Morosow erwiderte nichts.
»Gespenster«, sagte Ravic. »Dachte, ich wäre drüber weg.«
»Das ist man nie. Ich habe das auch gehabt. Im Anfang hauptsächlich. In den ersten fünf, sechs Jahren. Ich warte noch auf drei in Rußland. Es waren sieben. Vier sind gestorben. Zwei davon erschossen von der eigenen Partei. Ich warte jetzt schon seit über zwanzig Jahren. Seit 1917. Einer von den dreien, die noch leben, ist jetzt an siebzig. Die anderen beiden um vierzig, fünfzig herum. Die werde ich hoffentlich noch kriegen. Es sind die für meinen Vater.«
Ravic sah Boris an. Er war ein Riese, aber über sechzig. »Du wirst sie kriegen«, sagte er.
»Ja.« Morosow öffnete und schloß die großen Hände. »Darauf warte ich. Lebe deshalb vorsichtiger. Trinke nicht mehr so oft. Vielleicht dauert es noch eine Zeit. Ich muß kräftig sein dann. Ich will nicht schießen und nicht stechen.«
»Ich auch nicht.«
Sie saßen eine Zeitlang. »Wollen wir eine Partie Schach spielen?« fragte Morosow.
»Ja. Aber ich sehe kein freies Brett.«
»Drüben der Professor hört auf. Hat mit Levy gespielt. Gewonnen wie immer.«
Ravic ging, das Brett und die Figuren holen. »Sie haben lange gespielt, Professor, den ganzen Nachmittag.«
Der alte Mann nickte. »Es lenkt ab. Schach ist vollkommener als Kartenspielen. Kartenspielen ist Glück und Pech. Das lenkt nicht genug ab. Schach ist eine Welt für sich. Solange man spielt, tritt sie an die Stelle der anderen da draußen.« Er hob seine entzündeten Augen. »Die ist nicht so vollkommen.«
Levy, sein Partner, meckerte plötzlich auf. Dann schwieg er, sah sich erschrocken um und folgte dem Professor.
Sie machten zwei Spiele. Dann stand Morosow auf. »Ich muß gehen, Türen öffnen für die Blüte der Menschheit. Warum schaust du eigentlich nie mehr bei uns herein?«
»Ich weiß nicht. Zufall.«
»Wie ist es mit morgen abend?«
»Morgen abend kann ich nicht. Da gehe ich essen. Ins Maxime.«
Morosow grinste. »Für einen illegalen Flüchtling treibst du dich eigentlich ziemlich frech in den elegantesten Lokalen von Paris herum.«
»Das sind die einzigen, in denen man völlig sicher ist, Boris. Wer sich benimmt wie ein Refugié, wird bald erwischt. Das solltest selbst du noch wissen, du Nansenpaßbesitzer.«
»Stimmt. Mit wem gehst du denn? Mit dem deutschen Gesandten als Protektion?«
»Mit Kate Hegström.«
Morosow tat einen Pfiff. »Kate Hegström«, sagte er. »Ist sie zurück?«
»Sie kommt morgen früh. Von Wien.«
»Gut. Dann sehe ich dich also doch später bei uns.«
»Vielleicht auch nicht.«
Morosow winkte ab. »Unmöglich! Die Scheherazade ist Kate Hegströms Hauptquartier, wenn sie in Paris ist.« »Diesmal ist es anders. Sie kommt, um in die Klinik zu gehen. Wird in den nächsten Tagen operiert.«
»Dann wird sie gerade kommen. Du verstehst nichts von Frauen.« Morosow kniff die Augen zusammen. »Oder willst du nicht, daß sie kommt?«
»Warum nicht?«
»Mir fällt gerade ein, daß du nicht bei uns warst, seit du mir damals die Frau geschickt hast. Joan Madou. Scheint mir doch kein reiner Zufall zu sein.«
»Unsinn. Ich weiß nicht einmal, daß sie noch bei euch ist. Konntet ihr sie gebrauchen?« »Ja. Sie war zuerst im Chor. Jetzt hat sie eine kleine Solonummer. Zwei oder drei Lieder.« »Hat sie sich inzwischen einigermaßen gewöhnt?« »Natürlich. Warum nicht?« »Sie war verdammt verzweifelt. Ein armer Teufel.« »Was?« fragte Morosow. »Ein armer Teufel, sagte ich.« Morosow lächelte. »Ravic«, erwiderte er väterlich mit einem Gesicht, in dem plötzlich Steppen, Weite, Wiesen und alle Erfahrung der Welt waren. »Rede keinen Unsinn. Das ist ein ziemlich großes Luder.«
»Was?« sagte Ravic.
»Ein Luder. Keine Hure. Ein Luder. Wenn du ein Russe wärest, würdest du das verstehen.«
Ravic lachte. »Dann muß sie sich sehr geändert haben. Servus, Boris! Gott segne deine Augen.«