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Das >teilzerstörte Schuhgeschäft< in bester Lage von Leverkusen erwies sich als ein Trümmerhaufen. Zwar stand das Haus noch, oder besser — man konnte an den Außenwänden erkennen, daß es ein schönes, stattliches Haus gewesen war… aber von einem Ladengeschäft zeugten nur noch die leeren Schaufensterhöhlen und der dahinter liegende, mit Schutt gefüllte, ziemlich große Raum. Was allein stimmte, war die >beste Lage<… nahe am ebenfalls zerstörten Bahnhof, mitten in dem, was man großzügig eine City nennen würde, eine Straße, durch die jeder gehen mußte, die Aorta Leverkusens gewissermaßen… aber jetzt nur ein geräumter Pfad zwischen
Ruinen und Schuttbergen.
Die Familie Kurowski stand sprachlos vor ihrem neuen Besitz, mit Koffern und Pappkartons neben sich auf dem Bürgersteig, Rucksäcken und einem Flechtkorb, den sich Franz Busko wie eine Kiepe auf den Rücken geschnallt hatte. Die zweitausend Gummisohlen, die Einrichtung der Schuhmacherwerkstatt, die alten Maschinen, der ganze in Lübeck angeschaffte Hausrat aus der schönen ausgebauten Laube rollte mit einem Güterwagen noch von Norden nach Südwesten. Auch hier hatten zwei Pfund Butter und ein Pfund Kaffee dafür gesorgt, daß der Waggon bevorzugt abgefertigt und an die nächsten Züge, die ins Rheinland fuhren, angekoppelt wurde.
«Ist det 'ne Scheiße!«sagte Busko und starrte auf das Ruinenfeld.»Habense det jewußt, Meester?«
«Ich hab's geahnt, Franz. «Paskuleit legte den Arm um Erna Kurowski.»Nun heul nicht los, Schwesterchen… in de Hände spucken, ist wichtiger. Dafür brauchste alle Feuchtigkeit, nicht zum Wegweinen. Was glaubste, was Opa jetzt sagen würde, wenn er noch bei uns wäre.«
«Du Idiot, würde er sagen!«Erna Kurowski lächelte unter Tränen.
«Und dann würde er brüllen: Ran an de Bäume, Maanchen! In drei Wochen kloppen wir de ersten Nägel in de Sohlen!«
«Von mir aus!«Franz Busko setzte sich auf einen der großen schweren Koffer, die sie vom Bahnhof bis vor ihr neues Haus geschleppt hatten. Der frühere Besitzer war noch nicht erschienen, obwohl er zum Empfang der Familie Kurowski zugegen sein wollte, hatte er geschrieben. Er schien zu ahnen, daß in diesen ersten Minuten in der neuen Heimat Julius Paskuleit die letzte Rate des Kaufvertrages mit der Faust bezahlt hätte. Erst eingewöhnen lassen, dachte er. Sie kommen aus dem Lager und aus einer Baracke. sie müssen sich erst an die städtischen Verhältnisse gewöhnen. Wenn sie die Kerle sind, als die sich Paskuleit ausgegeben hat, werden sie in ein paar Jahren hier eine Goldgrube haben.
In ein paar Jahren. mein Gott, um sie durchzustehen, mußte man ein Kreuz aus Beton haben!
«Dann wollen wir — «, sagte Paskuleit rauh und rieb die Hände.»Wir sind da, das Haus gehört uns, ich habe den Kaufvertrag in der Tasche — «er legte die rechte Hand auf seinen Rock, wo in der Innentasche das Dokument knisterte: Julius Paskuleit kauft das Haus Nordstraße 34 in Leverkusen mit allen Einrichtungen und Gegenständen, wie beschrieben —»die Sonne scheint, der Sommer ist die beste Zeit, um die Ärmel hochzukrempeln… also los!«
«Und wo wollen wir schlafen?«fragte Erna.
«Jedes Haus hat einen Keller, Schwester.«
«Wenn er nicht von Bomben eingedrückt ist.«
«Das sehen wir ja! Wir fangen wie normale Menschen an… von unten nach oben! Franz!«
«Meester?«
«In den Keller!«
Es zeigte sich, daß nicht alles so trostlos war, wie es von außen zunächst ausgesehen hatte. Der Keller war unversehrt, hier hatte der Hausbesitzer bis vorgestern noch gewohnt, es gab hier Wasser und einen Kanalanschluß, elektrisches Licht und einen Lokus, verputzte Wände und sogar einen Kellerraum mit einer geblümten Tapete. das Wohnzimmer.
«Na also!«sagte Paskuleit, nachdem er Erna und die Kinder in den Keller geführt hatte, als beträten sie einen Palast.»Wasser und Licht… damit hat man die Kultur aufgebaut. Mehr braucht ein Paskuleit auch nicht. In ein paar Wochen.bis zum Winter bestimmt — sind wir wieder aus der Erde heraus. Hast du Angst, Erna?«
Erna Kurowski saß in dem >Wohnzimmer< auf den Koffern, die Kinder um sich wie eine Glucke ihre Küken. Sie hätte heulen können, ganz laut heulen, wenn sie an die schöne Laube in Lübeck dachte, an den blühenden Garten drum herum, an die neuen Freunde, das nahe Meer und das Gefühl der Sicherheit. Alles war nun aufgegeben, verkauft gegen einen Ruinenhaufen, eingetauscht gegen einen weiträumigen, aber muffigen Keller, in den — wenn der Wind herüberkam von den wieder produzierenden Farbwerken Bayer — eine unsichtbare Wolke von Arzneigestank hineinkroch.
«Ich habe keine Angst, Julius«, sagte sie tapfer und lächelte wieder, obwohl ihr die dicken Tränen aus den Augen tropften.»Es… es ist nur alles so fremd.«
«Wir müssen in das Fremde hineinwachsen, Erna. «Paskuleit zog seinen Rock aus und krempelte die Hemdsärmel hoch. Er hatte dicke Armmuskeln und einen breiten Brustkorb. ein ostpreußischer Baum, den kein Sturm umweht.»Nach Adamsverdruß kommen wir nie wieder.«
«Ist das sicher?«
«Für mich ja! Der Krieg ist verloren. der Verlierer muß bezahlen. Das ist natürlich. Wir bezahlen mit Ostpreußen und Schlesien, und wenn man noch so laut schreit von Heimatrecht und Rückkehr. Verdammt, es wird lange dauern, bis man das begreift. aber ich glaube, schon Ludwig, Peter und Inge werden Ostpreußen nur noch als Fleck auf der Landkarte betrachten. Politik ist ein Generationsprozeß. sollen wir uns davon überrollen lassen? Nee, nicht ein Paskuleit. Wir fangen an, die neue Welt zu erobern!«
«Sie sollten in de Politik geh'n, Meester — «sagte Franz Busko beeindruckt.»Reden können Se.«
«Ich bin Schuster!«Paskuleit klatschte in die Hände.»Das ist mehr als Politiker, Franz. Was ist'n Politiker ohne Schuhe? Wie sieht das aus, wenn er Aufstieg verspricht und steht barfuß da. Los, rauf auf die Straße!«
Die Familie Kurowski begann, das Haus Nordstraße 34 aufzubauen.
Auch im zerstörten Deutschland von 1947 hatte alles wieder seine behördliche Ordnung. Zwar zogen ganze Menschenschlangen aufs Land und fuhren auf den Trittbrettern der Züge, in Güterwagen, Bremserhäuschen, mit Holzgasautos und auf Fahrrädern bis nach Bayern und überfielen die entlegensten Bauernhöfe wie Heuschreckenschwärme, nur um ein paar Pfund Kartoffeln, ein Stückchen Speck, ein Glas Schmalz oder eine Welle Butter zu tauschen; Schnellgerichte saßen stundenlang über ausgemergelten Frauen und
Männern Gericht, die man beim Stehlen von Kohlköpfen, Salat und Steckrüben auf den Feldern erwischt hatte, verurteilten sie wegen Mundraub zu Geldstrafen oder ein paar Tagen Haft, bis die Gefängnisse aus den Nähten platzten und Wartezeiten zum Einsitzen bis zwei Jahre hatten… trotz einer immerwährenden Jagd nach Sattsein, dem einzigen großen Gedanken der Deutschen in diesem Jahr, zu dem sich bei fortschreitender Jahreszeit die Angst vor dem Winter gesellte, arbeiteten die Behörden mit einer geradezu perfiden Präzision.
Paskuleit hatte vierzehn Tage zu tun, um sich in Leverkusen behördlich zu etablieren. Er meldete sein Gewerbe an, seinen Umzug, den Hauskauf, die Eröffnung einer Werkstatt mit Ladengeschäft, stand Schlange vor den Bezugsscheinstellen und beantragte Fensterglas, Leder für sein Gewerbe, Nägel, Zwecken, Garne, Farben, Pech, Leim und Gewebe, stritt sich mit den Beamten herum, die der Ansicht waren, die Genehmigung eines Gewerbebetriebs sei nicht gleichbedeutend mit einer Zuteilung rationierter Sachen, erfuhr, daß in der Kreisverwaltung als Oberinspektor ein alter Bekannter aus Passenheim saß, und drang bis zu ihm vor.
«Der Paskuleit!«sagte der Oberinspektor.»Nee, Maanchen, so 'was! In Leverkusen! Komm, trink einen Schnaps, 'n Selbstgebrannten! Was ist eigentlich aus Adamsverdruß geworden?«
Wer damals einen Vetter — oder auch nur einen alten Bekannten mit einem goldenen Herzen — an der richtigen Stelle sitzen hatte, war vom Glück geküßt. Paskuleit verließ den Oberinspektor aus Passenheim mit vielen Zusicherungen, daß Haus und Laden die Förderung der Stadtverwaltung erhalten würden.
Und siehe da… nun lief es. Bis Ende Oktober hatte man das Untergeschoß ausgebaut und die Decke mit Dachpappe so abgedeckt, daß der Winter kommen konnte. Die Schaufenster waren eingesetzt, der Laden geweißt, die Werkstatt eingerichtet, und hinter der Werkstatt war eine kleine Wohnung entstanden.
«Sogar 'nen Garten haste — «, sagte Paskuleit zu Erna Kurowski.»Zwar nur vier mal fünf Meter jroß… aber für Petersilie und Porree reicht's.«
Es war ein trauriger Garten, eingekeilt zwischen Wohntrakt und der hochragenden, zerborstenen Wand des Hauses der Parallelstraße; ein Fleck Erde voller Trümmerschutt, über dem wie ein viereckiges Fenster der blaue Himmel hing. Der jetzt zwölfjährige Ludwig und der siebenjährige Peter sammelten die Steine auf und gruben die Erde um, die vierjährige Inge richtete sich in einer Ecke an der Hauswand einen Sandkasten ein, Erna Kurowski rammte Eisenstangen in den Boden, die Franz Busko nachher weiß lackierte… zum Wäschetrocknen. Die Hauptsorge einer Hausfrau.
Am 9. November.»Ein blöder Tag«, sagte Paskuleit,»aber es geht nicht anders, mit dem Marsch auf die Feldherrnhalle hat das nichts zu tun. «wurden Geschäft und Werkstatt feierlich eröffnet. Über der Ladentür hing jetzt nicht mehr >Schuhbesohlerei Ewald Kurowski<, sondern ein anderes, breites, blaugrundiges Schild mit leuchtenden gelben Buchstaben: >Westschuh<.
Paskuleit erklärte das so:»Für das Rheinland ist Kurowski ein Name, der nicht lockt. Man muß psychologisch vorgehen, Erna. Westschuh. das trifft hier ins Herz! Das ist ein Teil von ihnen. Das ist nun mal so. wir waren damals stolz, Ostpreußen zu sein — wir sind's noch, Erna! — und die hier sind stolz, Rheinländer zu sein. Deutsche sind wir alle, was macht's also, wenn man sich eingliedert? Wie gefällt dir >Westschuh<?«
«Gut, Julius«, sagte Erna Kurowski und starrte auf das große Schild über dem Ladeneingang. Noch waren die Schaufenster leer.»Aber wenn Ewald zurückkommt.«
«Ewald denkt wie ich, verlaß dich drauf. «Paskuleit steckte die Hände zufrieden in die Hosentaschen.»Die >Westschuh< ist eine GmbH. Ewald, du, die Kinder, ich und Franz sind Gesellschafter. Und morgen fahr ich nach Pirmasens.«
«Was willst du denn da?«fragte Erna entgeistert.
«In Pirmasens lebt Heinrich Ellerkrug.«
«Wer ist denn das?«
«Heinrich hatte in Königsberg eine kleine Schuhfabrik. Sein Schwa-ger Fritz Kämper ist Besitzer der >Kämper-Schuhwerke< in Pirmasens. Und im >Zentralblatt für Lederwaren< hab ich gelesen, daß Heinrich Ellerkrug jetzt Prokurist bei Kämper geworden ist. Ahnste was, Erna?«
«Ja, Julius. Und du glaubst — «
«Mädchen, ich weiß! Eine Laus ist harmlos gegen Julius Paskuleit. Ich bohre mich in die >Kämper-Werke< hinein.«
Am 10. November fuhr Paskuleit, von der ganzen Familie zum Bahnhof begleitet, nach Pirmasens. Den Laden übernahm Franz Busko so lange… zu verkaufen gab es nur die zugeteilten Sandaletten mit dicker Holzsohle… aber man hatte ja aus Opas geklauten Autoreifen zweitausend Schuhsohlen auf Lager, ein Kapital, das jetzt ungeheure Zinsen trug. In drei Tagen hatte Busko neunundsiebzig Reparaturen angenommen.er arbeitete von früh um fünf bis nachts um eins und schlief nur vier Stunden. Neben ihm auf dem Sessel hockte Erna und glättete mit Schleifpapier die Sohlenränder.
Paskuleit blieb zehn Tage in Pirmasens, und Erna Kurowski hatte große Angst, ihm könne etwas geschehen sein. In den Zeitungen las man von Überfällen und Morden, manchmal nur wegen eines Pfundes Speck. Es bildeten sich regelrechte Räuberbanden. Der Krieg war vorbei… die Zeiten wurden wieder normal.
Am elften Tag nach seiner Reise nach Pirmasens stand Paskuleit plötzlich wie ein Käufer im Laden. Er grinste breit, als Erna aus dem Hinterzimmer kam und ohne hinzublicken gewohnheitsmäßig sagte:»Bitte… was darfs sein?«Dann blieb sie stehen und starrte ihren Bruder an.
«Zweimal Erbsensuppe mit Speck!«rief Paskuleit fröhlich.»Erna, ich hab'n gleich mitgebracht. Er will sehen, ob wir eine gute Firma sind!«
«Wer, mein Gott?«
«Heinrich Ellerkrug!«
In der Ladentür stand ein großer, schlanker Mann mit grauen Schlä-fen und schwarzen Locken, elegant, fast vornehm — Opa Jochen würde gesagt haben, ein richtiges Herrchen —, er hatte helle Lederhandschuhe in der rechten Hand und winkte damit Erna zu. Seine ganze Erscheinung strahlte Zufriedenheit und Erfolg aus, Sattsein und Sorgenfreiheit. in dieser Zeit alles kleine Wunder.
Erna Kurowski wußte es nicht zu erklären, — aber als sie Heinrich Ellerkrug da in der Ladentür stehen sah, wurde sie unsicher, spürte ihr Herz schneller klopfen und kämpfte dagegen an, rot zu werden.»Das. das ist schön.«, sagte sie stockend.»Wir haben schon gedacht, Julius ist verschollen… wie mein Mann!«Sie setzte das hinzu, um sich innerlich Halt zu geben, um einen Wall aufzubauen zwischen dem eleganten Ellerkrug und sich. Sie kämpfte dagegen an, aber es nutzte wenig… der Blick aus seinen strahlenden Augen traf sie voll wie ein Schuß, sie spürte ihn in sich eindringen, sagte zu sich, als schlage sie um sich: Ewald! Ewald! Ewald! — und wurde entgegen aller Willenskraft doch rot.
«Wenn Heinrich den Eindruck gewinnt, daß die >Westschuh< ein solider Laden ist und Kämper-Schuhe für ihn nicht zu hochgestochen sind, dann will Heinrich uns beliefern! Erna, weißt du, was das bedeutet? Wir haben das modernste Schuhgeschäft in Leverkusen!«Er wandte sich zu Ellerkrug um und machte eine alles umfassende Handbewegung.»Na, wie ist's, Heinrich? Noch im Aufbau, aber du kennst den Paskuleit! Beste Lage in der Stadt! Und dann eine solche Chefin.«
«Das allein überzeugt. «Ellerkrug kam näher, ergriff Ernas Hand und küßte sie. Es war Ernas erster Handkuß. sie stand steif da, wie versteinert, und merkte nicht, daß Ellerkrug ihre Hand weiter festhielt.»Aus Ihrem Geschäft, Frau Kurowski, machen wir zusammen ein Schmuckkästchen. Und wenn diese Bezugsscheinsache mal aufhört — einmal ist das zu Ende, garantiert — dann sollen Sie mal sehen, wie der Schornstein dampft!«
«Heinrich fährt einen Mercedes — «sagte Paskuleit, als Erna noch immer nicht antwortete.»Er hat von der französischen Militärregierung jede Menge Benzin dazu. Und einen Betrieb haben die in
Pirmasens… Zucker, sage ich. So, und nun koch eine Erbsensuppe! Du ißt doch noch wie früher Erbsensuppe gern, was Heinrich?«
«Immer noch. «Ellerkrug sah Erna tief in die unruhigen, blauen Augen. Wie schön sie ist, dachte er. Ihr Haar leuchtet wie reifer Weizen. Einunddreißig ist sie, sagt Paskuleit. Und drei Kinder hat sie. Man sieht's ihr nicht an. Sie ist zierlich und schüchtern wie ein junges Mädchen. Und dabei kann sie zupacken wie ein ostpreußischer Fuhrknecht. Verdammt, so eine Frau zu haben, ist schon ein Glück.
Heinrich Ellerkrug blieb acht Tage bei den Kurowskis. Er machte — was kluge Männer immer tun, wenn sie Mütter umwerben — einen Umweg über die Kinder, um Erna näher zu kommen. Er kaufte ihnen auf dem Schwarzen Markt Schokolade, brachte Butter und große Fleischportionen heran (Geld spielte keine Rolle bei ihm), spielte mit Inge im Sandkasten, half Erna die Wäsche aufhängen und gab Ludwig, der das Gymnasium besuchte, Nachhilfe in Latein und Mathematik.
«Ein widerlicher Mensch, Meester«, sagte Franz Busko in der Werkstatt zu Paskuleit.»Er schleicht um die Meesterin herum wie'n Fuchs um de Gans.«
«Ellerkrug ist unsere Zukunft, Franz!«
«Und wenn Ewald zurückkommt?«
«Er kommt nicht wieder, Franz. «Paskuleit starrte auf seinen Arbeitsplatz. Es fiel ihm schwer, das zu sagen.»Ewald ist von Rußland gefressen worden. Damit müssen wir uns abfinden. Aber Heinrich Ellerkrug ist da… was Besseres kann uns gar nicht passieren.«
An einem Samstagmorgen — Erna putzte gerade den Laden — sagte Ellerkrug, der an der Theke lehnte und schon vier Eimer schmutzigen Wassers ausgeschüttet und neues Wasser geholt hatte:»Erna, ich bin jetzt fünfundvierzig Jahre alt. Meine Frau starb in Königsberg 1944 bei einem Fliegerangriff. Ich habe keine Kinder. Aber ich habe ein sicheres Auskommen und werde bald Teilhaber der Käm-per-Schuhfabrik. Ich möchte mit Ihnen einmal reden, Erna.«
«Nein!«sagte Erna Kurowski. Sie blickte auf, verzweifelt schrubbte sie die Dielen vor der Theke.»Bitte nicht. Ich warte auf Ewald.einmal kommt er zurück.«
«Und wenn nicht? Wollen Sie Ihr junges, herrliches Leben verwarten? Erna… wir sind keine dummen Kinder mehr. Wir kennen das Leben und sind durch die Hölle gegangen. Jetzt haben wir das Recht auf ein Stückchen Himmel. Erna.«
Er zog sie vom Boden hoch, legte die Arme um sie und küßte sie. Sie wehrte sich nicht, sie machte sich nur steif.
Und sie spürte tief in sich: Mein Gott, ich habe auf diesen Kuß gewartet. Bitte verzeih mir, mein Gott. Dann drückte sie sich von Ellerkrug ab und schüttelte den Kopf.»Nein!«sagte sie leise.»Nein, Heinrich. es. es ist noch zu früh. Laß mir Zeit. noch ein Jahr. Nur ein Jahr.«