37408.fb2 Belagerung von Mainw - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

Belagerung von Mainw - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

In Schutt und Trümmer war zusammengestürzt, was Jahrhunderten aufzubauen gelang, wo in der schönsten Lage der Welt Reichtümer von Provinzen zusammenflossen und Religion das, was ihre Diener besaßen, zu befestigen und zu vermehren trachtete.

Die Verwirrung, die den Geist ergriff, war höchst schmerzlich, viel trauriger, als wäre man in eine durch Zufall eingeäscherte Stadt geraten.

Bei aufgelöster polizeilicher Ordnung hatte sich zum traurigen Schutt noch aller Unrat auf den Straßen gesammelt; Spuren der Plünderung ließen sich bemerken in Gefolg innerer Feindschaft.

Hohe Mauern drohten den Einsturz, Türme standen unsicher, und was bedarf es einzelner Beschreibungen, da man die Hauptgebäude nacheinander genannt, wie sie in Flammen aufgingen.

Aus alter Vorliebe eilte ich zur Dechanei, die mir noch immer als ein kleines architektonisches Paradies vorschwebte; zwar stand die Säulenvorhalle mit ihrem Giebel noch aufrecht, aber ich trat nur zu bald über den Schutt der eingestürzten schöngewölbten Decken; die Drahtgitter lagen mir im Wege, die sonst netzweise von oben erleuchtende Fenster schützten; hie und da war noch ein Rest alter Pracht und Zierlichkeit zu sehen, und so lag denn auch diese Musterwohnung für immer zerstört.

Alle Gebäude des Platzes umher hatten dasselbige Schicksal; es war die Nacht vom 27sten Juni, wo der Untergang dieser Herrlichkeiten die Gegend erleuchtete.

Hierauf gelangt' ich in die Gegend des Schlosses, dem sich niemand zu nähern wagte.

Außen angebrachte bretterne Angebäude deuteten auf die Verunreinigung jener fürstlichen Wohnung; auf dem Platze davor standen, gedrängt ineinander geschoben, unbrauchbare Kanonen, teils durch den Feind, teils durch eigene hitzige Anstrengung zerstört.

Wie nun von außen her durch feindliche Gewalt so manches herrliche Gebäude mit seinem Inhalt vernichtet worden, so war auch innerlich vieles durch Roheit, Frevel und Mutwillen zugrunde gerichtet.

Der Palast Ostheim stand noch in seiner Integrität, allein zur Schneiderherberge, zu Einquartierungs- und Wachstuben verwandelt: eine Umkehrung, verwünscht anzusehen.

Säle voll Lappen und Fetzen, dann wieder die gips-marmornen Wände mit Haken und großen Nägeln zerspengt, Gewehre dort aufgehangen und umher gestellt.

Das Akademiegebäude nahm sich von außen noch ganz freundlich aus, nur eine Kugel hatte im zweiten Stock ein Fenstergewände von Sömmerrings Quartier zersprengt.

Ich fand diesen Freund wieder daselbst, ich darf nicht sagen eingezogen, denn die schönen Zimmer waren durch die wilden Gäste aufs schlimmste behandelt.

Sie hatten sich nicht begnügt, die blauen reinlichen Papiertapeten, so weit sie reichen konnten, zu verderben; Leitern, oder übereinander gestellte Tische und Stühle mußten sie gebraucht haben, um die Zimmer bis an die Decke mit Speck oder sonstigen Fettigkeiten zu besudeln.

Es waren dieselbigen Zimmer, wo wir vorm Jahr so heiter und traulich zu wechselseitigem Scherz und Belehrung freundschaftlich beisammen gesessen.

Indes war bei diesem Unheil doch auch noch etwas Tröstliches zu zeigen; Sömmerring hatte seinen Keller uneröffnet und seine dahin geflüchteten Präparate durchaus unbeschädigt gefunden.

Wir machten ihnen einen Besuch, wogegen sie uns zu belehrendem Gespräch Anlaß gaben.

Eine Proklamation des neuen Gouverneurs hatte man ausgegeben. Ich fand sie in eben dem Sinne, ja fast mit den gleichen Worten meiner Anmahnung an jenen ausgewanderten Perückenmacher; alle Selbsthülfe war verboten; dem zurückkehrenden Landesherrn allein sollte das Recht zustehen, zwischen guten und schlechten Bürgern den Unterschied zu bezeichnen.

Sehr notwendig war ein solcher Erlaß, denn bei der augenblicklichen Auflösung, die der Stillstand vor einigen Tagen verursachte, drangen die kühnsten Ausgewanderten in die Stadt und veranlaßten selbst die Plünderung der Klubistenhäuser, indem sie die hereinziehenden Belagerungssoldaten anführten und aufregten.

Jene Verordnung war mit den mildesten Ausdrücken gefaßt, um, wie billig, den gerechten Zorn der grenzenlos beleidigten Menschen zu schonen.

Wie schwer ist es, eine bewegte Menge wieder zur Ruhe zu bringen!

Auch noch in unserer Gegenwart geschahen solche Unregelmäßigkeiten.

Der Soldat ging in einen Laden, verlangte Tabak, und indem man ihn abwog, bemächtigte er sich des Ganzen.

Auf das Zetergeschrei der Bürger legten sich unsere Offiziere ins Mittel, und so kam man über eine Stunde, über einen Tag der Unordnung und Verwirrung hinweg.

Auf unseren Wanderungen fanden wir eine alte Frau an der Türe eines niedrigen, fast in die Erde gegrabenen Häuschens.

Wir verwunderten uns, daß sie schon wieder zurückgekehrt, worauf wir vernahmen, daß sie gar nicht ausgewandert, ob man ihr gleich zugemutet, die Stadt zu verlassen.

«Auch zu mir«, sagte sie,»sind die Hanswürste gekommen mit ihren bunten Schärpen, haben mir befohlen und gedroht; ich habe ihnen aber tüchtig die Wahrheit gesagt: 'Gott wird mich arme Frau in dieser meiner Hütte lebendig und in Ehren erhalten, wenn ich euch schon längst in Schimpf und Schande sehen werde'.

Ich hieß sie mit ihren Narreteien weiter gehen.

Sie fürchteten, mein Geschrei möchte die Nachbarn aufregen, und ließen mich in Ruhe.

Und so hab' ich die ganze Zeit teils im Keller, teils im Freien zugebracht, mich von wenigem genährt, und lebe noch Gott zu Ehren, jenen aber wird es schlecht ergehen«.

Nun deutete sie uns auf ein Eckhaus gegenüber, um zu zeigen, wie nahe die Gefahr gewesen.

Wir konnten in das untere Eckzimmer eines ansehnlichen Gebäude hineinschauen, das war ein wunderlicher Anblick!

Hier hatte seit langen Jahren eine alte Sammlung von Kuriositäten gestanden, Figuren von Porzellain und Bildstein, chinesische Tassen, Teller, Schüsseln und Gefäße; an Elfenbein und Bernstein mocht' es auch nicht gefehlt haben, so wie an anderem Schnitz- und Drechselwerk, aus Moos, Stroh und sonst zusammengesetzten Gemälden und was man sich in einer solchen Sammlung denken mag.

Das alles war nur aus den Trümmern zu schließen: denn eine Bombe, durch alle Stockwerke durchschlagend, war in diesem Raume geplatzt; die gewaltsame Luftausdehnung, indem sie inwendig alles von der Stelle warf, schlug die Fenster herauswärts, mit ihnen die Drahtgitter, die sonst das Innere schirmten und nun zwischen den eisernen Stangengittern bauchartig herausgebogen erschienen.

Die gute Frau versicherte, daß sie bei dieser Explosion selbst mit unterzugehen geglaubt habe.

Wir fanden unser Mittagsmahl an einer großen Wirtstafel; bei vielen Hin- und Widerreden schien uns das beste, zu schweigen.

Wundersam genug fiel es aber auf, daß man von den gegenwärtigen Musikanten den Marseiller Marsch und das» ca ira «verlangte; alle Gäste schienen einzustimmen und erheitert.

Bei unserm folgenden Hin- und Herwandern wußten wir den Platz, wo die Favorite gestanden, kaum zu unterscheiden.

Im August vorigen Jahrs erhub sich hier noch ein prächtiger Gartensaal, Terrassen, Orangerie, Springwerke machten diesen unmittelbar am Rhein liegenden Lustort höchst vergnüglich.

Hier grünten die Alleen, in welchen, wo der Gärtner mir erzählte, sein gnädigster Kurfürst die höchsten Häupter mit allem Gefolge an unübersehbaren Tafeln bewirtet; und was der gute Mann nicht alles von damastnen Gedecken, Silberzeug und Geschirr zu erzählen hatte.

Geknüpft an jene Erinnerung, machte die Gegenwart nur noch einen unerträglichern Eindruck.

Die benachbarte Kartause war ebenfalls wie verschwunden, denn man hatte die Steine dieser Gebäude sogleich zur bedeutenden Weißenauer Schanze vermauert.

Das Nonnenklösterchen stand noch in frischen, kaum wieder herzustellenden Ruinen.

Die Freunde Gore und Krause begleitete ich auf die Zitadelle. Da stand nun Drusus' Denkmal, ohngefähr noch ebenso, wie ich es als Knabe gezeichnet hatte, auch diesmal unerschüttert, so viel Feuerkugeln daran mochten vorbeigeflogen sein, ja daraufgeschlagen haben. Herr Gore stellte seine tragbare dunkle Kammer auf dem Walle sogleich zurechte, in Absicht, eine Zeichnung der ganzen durch die Belagerung entstellten Stadt zu unternehmen, die auch von der Mitte, vom Dom aus, gewissenhaft und genau zustande kam, gegen die Seiten weniger vollendet, wie sie uns in seinen hinterlassenen, schön geordneten Blättern noch vor Augen liegt.

Endlich wendeten sich auch unsere Wege nach Kastel; auf der Rheinbrücke holte man noch frischen Atem wie vor alters und betrog sich einen Augenblick, als wenn jene Zeit wiederkommen könnte.

An der Befestigung von Kastel hatte man während der Belagerung immerfort gemauert; wir fanden einen Trog frischen Kalks, Backsteine daneben und eine unfertige Stelle; man hatte nach ausgesprochenem Stillstand und Übergabe alles stehn und liegen lassen.

So merkwürdig aber als traurig anzusehen war der Verhau rings um die Kasteler Schanzen; man hatte dazu die Fülle der Obstbäume der dortigen Gegend verbraucht.

Bei der Wurzel abgesägt, die äußersten zarten Zweige weggestutzt, schob man nun die stärkeren, regelmäßig gewachsenen Kronen ineinander und errichtete dadurch ein undurchdringliches letztes Bollwerk, es schienen zu gleicher Zeit gepflanzte Bäume, unter gleich günstigen Umständen erwachsen, nunmehr zu feindseligen Zwecken benutzt, dem Untergang überlassen.

Lange aber konnte man sich einem solchen Bedauern nicht hingeben, denn Wirt und Wirtin und jeder Einwohner, den man ansprach, schienen ihren eigenen Jammer zu vergessen, um sich in weitläufigere Erzählungen des grenzenlosen Elends herauszulassen, in welchem die zur Auswanderung genötigten Mainzer Bürger zwischen zwei Feinde, den innern und äußern, sich geklemmt sahen.

Denn nicht der Krieg allein, sondern der durch Unsinn aufgelöste bürgerliche Zustand hatte ein solches Unglück bereitet und herbeigeführt.