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Friedrich Wilhelm I

Eine Aufregung war das! Ein Hasten und Schimpfen, ein Putzen und Wienern, ein Schrubben und Bohnern, daß den Mamsellen die Rücken wehtaten und die Lakaien Blasen an den Händen bekamen. Der Haushofmeister schrie herum — er war einer der wenigen Hofbediensteten, die nach der Thronbesteigung des Königs 1713 nicht den sofort folgenden Reformen zum Opfer gefallen waren. In der Küche wurden Fasanen und Hühner gerupft, Kräuter gehackt und Gemüse abgekocht, die Silbertabletts poliert und die Geschirre und Bestecke kontrolliert.

Am aufgeregtesten war Sophie Dorothea selbst, die Königin von Preußen. Zwischen Küche, Empfangssaal, Gästezimmer und Kabinett des Königs rannte sie hin und her und fiel schließlich erschöpft in einen Sessel im Arbeitszimmer des Preußenherrschers.

«Diese Ruhe!«sagte sie mit fliegendem Atem.»Ihre Ruhe… sie zerreißt mich noch! Um alles muß ich mich kümmern… und was tun Sie?! Sie stehen am Fenster und sehen dem Exerzieren Ihrer Riesengarde zu!«

«Wie nötig das ist! Die Grenadiere des Zweiten Bataillons sollten den Stock spüren! Sie marschieren wie lahme Enten! Keine Richtung halten sie. In Falten hängen die Strümpfe! Er soll was erleben, der Kommandeur des Zweiten Bataillons! Dieser träge Saukerl! Zum Teufel jage ich ihn! Nach Ostpreußen, wo es am einsamsten ist! Dort kann er Gemüse anbauen und Hühner exerzieren.«

Friedrich Wilhelm, trotz seiner achtundzwanzig Jahre schon dicklich und behäbig, mit einem runden Gesicht, kräftigen Armen und stämmigen Beinen, trat vom Fenster weg in das Kabinett und prustete seinen Zorn hinaus. Sein Gesicht war gerötet, seine Augen verrieten urplötzlich aufbrechenden Jähzorn und wilde Entschlossenheit.

Als sein Vater, Friedrich I., am Sonnabend, dem 25. Februar

1713, starb und der Kronprinz Friedrich Wilhelm nun den Thron bestieg, ahnte das übrige Europa, was sich da in Preußen alles verändern würde. Der englische Hof hatte schon früh Beschwerden verlauten lassen, nannte den rauhen Unteroffizierston, mit dem er die Diplomaten behandelte, eine Brutalität des Kronprinzen, und in Frankreich sah man mit Sorge nach Berlin, da man unterrichtet war, daß die Politik des kommenden Königs sich von der seines Vaters grundlegend unterscheiden würde. War Friedrich I. noch ein lebensfroher Herrscher mit französischen Allüren gewesen, zu denen Prunk, Prachtentfaltung, Völlerei und Mätressen gehörten, dann kam mit seinem Sohn ein anderer Wind nach Preußen: Armee und Finanzen, Familie und das einfache Leben waren die Eckpfeiler seines Lebens. Der französische Gesandte drückte es so aus:

«Der neue König hat keine anderen Umgangsformen als Kommandieren und Ordreparieren, er strebt seine Ziele, und das ist in erster Linie der Ausbau der Armee, mit Gewalt und skrupelloser Einseitigkeit an. Er hat sich vorgenommen, einen völlig neuen Typ von Offizieren und Beamten zu schaffen. Er ist der Garant eines absoluten Militarismus.«

Die erste Ansprache Friedrich Wilhelms I. nach seiner Thronbesteigung an die Minister war deutlich genug, allen zu zeigen, was ihnen bevorstand. Der holländische Gesandte Lintelo erlebte diese Vorstellung und schrieb in seinem Bericht:»Der König sagte mit großem Ernst und kräftigem Nachdruck zu uns allen, also auch zu mir: >Mein Vater fand Freude an prächtigen Gebäuden, großen Mengen Juwelen, Silber, Gold und äußerlicher Magnifizenz… erlauben Sie, daß ich auch mein Vergnügen habe, das hauptsächlich in einer Menge guter Truppen besteht.< Ohne Zweifel haben wir es mit einem Herrscher zu tun, der eine neue Regierungsform demonstrieren wird. Er berät nicht mit seinen Ministern und Administranten, er erteilt nur Befehle mit schnarrendem Kommandoton und duldet keinen Widerspruch. Wir werden von dem neuen Preußenkönig noch viele Überraschungen erwarten können.«

Der holländische Gesandte hatte die Lage richtig beurteilt und vorausgesehen: Friedrich Wilhelm räumte zunächst im eigenen Hause auf. Vorbild sein, das war seine erste Devise. Sofort schaffte er den Millionen verschlingenden Hofstaat seines Vaters ab, und ab sofort gab es auch keine prächtigen Hoffeste mehr, mit ein paar Ausnahmen, wie bei Staatsbesuchen fremder Fürsten oder bei Hochzeiten in der weit verzweigten Verwandtschaft. Die Hofbediensteten schaffte er weitgehend ab, die Pagen steckte er in die Kadettenanstalten, die Lakaien mußten den Uniformrock der Soldaten anziehen, de Ausgaben für Küche und Keller wurden rigoros zusammengestrichen, was eine Einsparung von jährlich 400 000 Taler bedeutete, ein Betrag, der sofort in die Vergrößerung der Armee floß. Aber damit nicht genug, das Heulen und Zähneklappern begann erst noch: alle Gehälter wurden gekürzt. Ob Minister oder Beamte, Generäle oder sonstige Offiziere, jeder wurde kürzer gehalten und zahlte diesen»Überschuß«in die Armeekasse ein.

Verblüfft, ja geradezu erschrocken war Friedrich Wilhelm, als er nach dem Tode seines Vaters eine geheime Schatulle entdeckte, in der Gold- und Silbermünzen im Werte von 2,5 Millionen Taler lagen. Sofort machte er sich ans Rechnen, zählte den ererbten Reichtum und die zukünftigen Einkünfte zusammen und ließ seinen zwölf Jahre älteren Freund und Helfer ins Stadtschloß bitten, den Reichsfürsten Leopold von AnhaltDessau, der einmal der» Alte Dessauer «heißen sollte.

«Fürst — «sagte Friedrich Wilhelm zu ihm, als sie die Rechenzeilen durchgesehen hatten,»ich bin reicher, als ich gedacht habe… diese Taler sind genug, um unser Heer auf 60 000 Mann zu vergrößern.«

Und Fürst Anhalt-Dessau hatte geantwortet:»Das ist ein gutes Erbe. Ich helfe Ihnen, Majestät, Preußen zur unbesiegbaren Militärmacht zu machen.«

Es war die Geburtsstunde des» Soldatenkönigs«. Das große Sparen wurde zum Leitmotiv. Friedrich Wilhelm selbst ging mit einem Beispiel voran, das Sophie Dorothea überhaupt nicht gefiel. Das noch nicht in allen Teilen ausgebaute Berliner Stadtschloß, entworfen von dem berühmten Andreas Schlüter und von Hofbaumeister Eosander gebaut, blieb, wie es war — der spartanischste Sitz, den je ein König bewohnt hatte. Eo-sander, von Friedrich Wilhelm entlassen, ging nach Schweden; der große Schlüter fuhr 1713 nach Petersburg und kam nicht mehr zurück. Die Erzgießerei des Meisters Johann Jakobi, bei der Schlüter sein berühmtes Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, dem Großvater des neuen Königs, gießen ließ, mußte sich umstellen — statt Denkmäler goß sie jetzt Kanonen.

Sophie Dorothea, von Friedrich Wilhelm zärtlich Fiekchen genannt, wenn sie allein waren in den schmucklosen, fast kahlen Räumen, die sie bewohnten, schlug mit der Faust auf die Lehne des Sessels. Sie war eine schöne, stolze, aber auch eine kühle und beherrschte Frau, die wenig Angst vor ihrem königlichen Gemahl hatte, vor allem nachdem sie ihm den Thronerben, den Kronprinzen Friedrich, 1712 geboren hatte. Auch jetzt war sie wütend, was sich mit dem Zorn des Königs über das schlappe Zweite Bataillon vermischte.

«Hören Sie mir überhaupt zu?«rief sie.»Es ist, als habe jeder den Verstand verloren.«

«Wer keinen hat, kann ihn nicht verlieren. Wozu die Aufregung?«

Er blieb vor ihr stehen, sein wütender Blick milderte sich; Immer, wenn er Fiekchen ansah, wurde ihm bewußt, wie glücklich er mit ihr war.

«Wozu?!«rief sie empört.»Wenn uns der Zar schon mit seinem Besuch beehrt…«

«Was weißt denn du, was er will, Fiekchen? Kommt er, um einen fetten Kapaun zu essen, eine gute Pfeife zu rauchen und einen Krug Bier zu leeren? Er kommt, um mich in den Nordischen Krieg hineinzuziehen. Hilfe von mir gegen Karl XII. von Schweden will er. Da kann es ihm gleich sein, ob er eine Kohlsuppe oder einen Fasan ißt, ob er in einem Holzbett schläft oder auf weichem Damast. Wer etwas von mir will, muß sich nach meiner Fasson richten!«

«Preußen wird sich blamieren! Morgen blickt die Welt auf uns.«

«Mit dieser Armee — «der König streckte den Arm zum Fenster hinaus»- ist es mir einen Scheißhaufen wert, was andere

Souveräns über mich denken! Sie sollen sich um ihr Mätressenpack kümmern und nicht um mich. Sie werden einmal Preußen bestaunen und fürchten. Eine große Tafel für den Zaren! Ich muß sparen! Weißt du noch, wie das bei unserer Hochzeit war? Mein Vater wollte der Welt zeigen, was für ein Kerl er ist, wieviel Geld er hat, daß er nicht neidisch zu sein hat vor dem Hof in Versailles. «Er wanderte in dem kargen Zimmer umher, mit stampfenden Schritten, die Hände auf den Rücken gelegt.»Am 14. November 1706 haben wir geheiratet, Fiekchen. Bis Weihnachten ließ mein Vater die Taler springen und die Seidenröcke tanzen, fressen und saufen. Ballette führte er auf, Opern, Konzerte, Komödien, Maskenspiele, Festbeleuchtungen und Feuerwerke. Und — ich hab's nicht vergessen und mir die Zahlen gemerkt — an unsere Küche mußten die Bauern aus allen Provinzen als >Geschenk< abliefern: 7600 Hühner, 1102 Puten, 1000 Enten, 650 Gänse und 640 Kälber. Und alles wurde kahlgefressen! Aber nicht bei mir, Fiekchen! Ich verfresse nicht den Staat… ich bin der erste Diener des Staates. Auch wenn der Zar von Rußland kommt, die ewige Seligkeit ist vor Gott — alles andere muß vor mir sein!«

Sophie Dorothea, obwohl völlig anderer Ansicht, vermied es, gerade heute den König noch mehr zu reizen. Was er gerade gesagt hatte, war sein Wahlspruch Nummer eins. Der zweite lautete: Menschen achten für den größten Reichtum, und der dritte enthielt alles, was das Ziel seines Lebens war: Ich stabilisiere die Souveränität und setze die Krone fest wie einen ehernen Fels. Es war klar, daß man deshalb mit ihm kaum diskutieren konnte und schon gar nicht anderer Meinung zu sein hatte, denn auch hier hatte Friedrich Wilhelm deutlich gesagt, daß nur sein Wort galt. In seiner berühmten Antrittsrede als König schleuderte er den Ministern ins Gesicht:

«Sollte jemand unter Ihnen sein, der neue Kabalen anfängt, so werde ich ihn auf eine Weise züchtigen, die ihn verwundern wird. Man möge sich merken, daß ich weder Rat brauche noch Räsonnement, sondern Gehorsam!«

«Noch nicht einmal ein Plan der Veranstaltungen liegt vor«, sagte Sophie vorsichtig.»Die Minister sind verzweifelt, die

Generäle haben keine Order von Ihnen, ein Verwaltungsrat soll bereits geweint haben, weil er nachher wieder der Schuldige sein wird…«

«Was er herausweint, braucht er nicht auszupinkeln…«

Sophie Dorothea saß steif und aufgerichtet in ihrem Sessel. Was für Manieren!» Sie müssen doch dem Zaren etwas zeigen! Ein Programm muß gemacht werden…«

«Er wird genug sehen, der Petersburger Bär. Mir wird einiges einfallen.«

«Ja. Exerzierübungen, Paraden Ihrer Grenadiere und Füsiliere, der Kavallerie und Artillerie, Ihre Garde wird stampfen wie eine Herde Stiere…«

«Fiekchen, laß mir meine Langen Kerls in Ruhe. «Der König blieb vor ihr stehen und reckte sich. Auf seine Gardegrenadiere ließ er nichts kommen. Jegliche Kritik wischte er mit einer Handbewegung weg oder brüllte sie so nieder, daß niemand mehr wagte, ein Wort darüber zu verlieren.

Nur einmal, bei einer fröhlichen Runde in seinem berüchtigten Tabakskollegium in Potsdam, einem achteckigen Pavillon mit einer hohen Turmspitze, den er auf einer Insel im Faulen See bauen ließ, nicht zuletzt wegen des ihn erheiternden Namens, in dieser absoluten Männergesellschaft von Freunden und Generälen, zu der jedem Frauenzimmer der Eintritt verboten war, sagte er, indem er seinen» Heeresfinanzminister «Generalleutnant von Grumbkow anstarrte:

«Meine Langen Kerls verpflege ich von meinem Menu Plaisir, weil ich doch in der Welt in nichts Plaisir finde als in einer guten Armee!«

Menu Plaisir… das war sein Ausdruck für Taschengeld.

«Der Zar wird genug zu sehen bekommen, außerdem ist er in Eile und nur auf der Durchreise nach Frankreich und Holland. Gib ihm was zu Kauen und zu Saufen, führ ihm unsere Kinder vor, entschuldige dich, daß hier nicht wie in Versailles eine Kompanie parfümierter dummer Kühe als Mätressen herumlaufen… für alles andere werde ich sorgen.«

Es klopfte kurz, dann wurde die Tür aufgestoßen, und Prinzessin Wilhelmine kam ins Kabinett. An der Hand zog sie den vierjährigen Kronprinzen Friedrich mit ins Zimmer, er wehrte sich zaghaft, stemmte die Beinchen gegen das Parkett und versuchte, sich durch Rucken dem Griff seiner älteren Schwester zu entziehen. Es gelang ihm nicht. Wilhelmine, sieben Jahre alt, war stärker. Er war ein schmalgliedriger, hübscher Junge mit hellen wachen Augen und einem erstaunlich weichen Mund, von dem sein Vater sagte:»Kommt er im Kollegium an die Pfeife, werden wir einen Mann aus ihm machen! Der Kronprinz von Preußen muß ein Kämpfer sein!«

«Welch ein unwürdiges Schauspiel!«sagte Friedrich Wilhelm laut.»Der Kronprinz läßt sich von einem Frauenzimmer herumzerren! Warum wehren Sie sich nicht?!«

«Sie ist meine Schwester, Papa.«

«Wer bin ich?«schrie der König mit dröhnender Stimme.»Pardon… mein Vater. «Der Kleine hatte sich jetzt aus dem Griff Wilhelmines befreit und eilte zu seiner im Sessel sitzenden Mutter.

«Er hat Angst!«rief die Prinzessin.

«Hält's Maul!«brüllte der König.»Ein Kronprinz hat keine Angst zu haben.«

«Er fürchtet sich vor dem Zaren, Vater.«

«Fritz — «

«Vater?«Der Kleine, eng an seine Mutter gedrückt, nahm seinen kleinen Mut zusammen und sah seinem Vater voll in das strenge Gesicht.

«Du hast Gott zu fürchten… sonst keinen. Ein Zar ist kein Gott, auch wenn die Russen oft so tun, als sei er einer!«

«Man erzählt sich böse Dinge über ihn, Vater. Dinge, die Fritz ängstlich machen«, sagte die kleine Prinzessin furchtlos.»Ist das alles wahr?«

«Was soll wahr sein?«

«Der Zar soll mit den Fingern essen… mit den Saucen spritzt er um sich… wischt sich den Mund mit dem Handrücken ab. Wenn er Hühner oder Fasanen ißt, wirft er die abgenagten Knochen über den Tisch, und wen er trifft, der muß aufstehen, sich tief verneigen und sagen: Erhabener Zar, ich danke für den Orden. Er soll geeiste Sahne den Damen in den Busen gegossen haben, und der Fürstin Trubetzkoj schob er mit eigener Hand Früchte in Gelee in den Mund und drückte mit den Fingern nach, damit es rascher ging. Sie wäre bald erstickt…«Sophie Dorothea schlug die Hände zusammen. Der König winkte mit dem Zeigefinger, gehorsam kam die kleine Wilhelmine näher.»Wer erzählt solche Sachen?«

«Ich weiß es nicht, Vater. Ein paar Männer standen zusammen, und ich hörte, was sie sagten.«

«Du hast gelauscht?«

«Ja, Vater.«

Mit schnellem Griff faßte Friedrich Wilhelm nach seinem immer in der Nähe liegenden Buchenstock, schwang ihn durch die Luft.

«Mein Kind schleicht herum und belauscht fremde Männer. Eine Prinzessin von Preußen! Und sie glaubt auch noch, was sie hört! Hast du den Stock verdient?«

«Ja, Vater.«

«Und wenn der Zar morgen nackt an unserem Tisch sitzt… wir sehen so etwas nicht. Er ist ein Souverän und kann machen, was er will.«

Sophie Dorothea hatte den Kronprinzen umfaßt und zog mit der anderen Hand die Prinzessin zu sich.

Der König legte den Stock auf den Tisch.»Der Zar ist ein guter Soldat… da darf er auch am Tisch rülpsen!«

Am Vormittag des nächsten Tages traf die Reisekolonne von Peter I. in Berlin ein.

Er reiste, wie oft, nur mit kleinem Gefolge… vorweg zehn Reiter in der grünen Uniform des Regimentes Preobraschenskij, dann, in einer einfachen, aber stabilen Kalesche, der Zar mit seiner Begleitung, dahinter ein paar Wagen mit Lakaien, Pagen, seinem Lieblingsmohr Abraham Petrowitsch Hannibal und dem Zwerg Lewon Uskow. Den Schluß bildete eine verhängte Kutsche, in der zusammen mit zwei Zofen die gegenwärtige Mätresse des Zaren saß, die schöne Natalja Jemilianowna Gasenkowa, eine glutäugige Armenierin, deren Mann von Peter I. zum Verwalter des Munitionsdepots der Peter-und-Pauls-Festung ernannt worden war. Eine kleine

Kolonne also für einen Zaren, für einen der mächtigsten Männer der Welt.

Friedrich Wilhelm trat vor die Tür, als sein Gast vor dem Schloß vorfuhr, so wie es sich für einen Hausvater gehörte. Er hielt nicht viel von einem prunkvollen Empfang mit angetretener Ehrengarde, Trompeten- und Fanfarengeschmetter, wehenden Fahnen, sich verneigenden Ministern und kichernden Ehrenjungfrauen, einem Spalier von Lakaien und Höflingen. Allein, hinter sich nur seinen Freund, den Freiherrn von Pöll-nitz, stand er unter der Tür, in einem einfachen Rock, gestützt auf seinen Buchenstock und auf dem Kopf eine biedere dunkelbraune Perücke mit einer Rollenlocke an jeder Schläfe. Genau vor dem Eingang des Schlosses ließ der russische Kutscher die Kalesche ausrollen und hielt ganz vorsichtig die Pferde an, um jeden Ruck zu vermeiden und den Zaren nicht auf seinem Sitz durchzurütteln. Einmal, vor einem halben Jahr, war ihm das nicht gelungen, die Pferde waren aus irgendeinem Grund nervös geworden, die Kutsche machte wahre Sprünge vor dem Anhalten, und der Zar war herausgestürzt, hatte seinen Knüppel geschwungen und den Kutscher so arg verprügelt, daß dieser drei Monate lang im Bett liegen mußte, bis er wieder den Kutschbock besteigen konnte.

Kaum hielt der Wagen, sprangen zwei Lakaien heran, rissen die Fahrzeugtür auf und standen stramm. Der Zar kletterte aus der Kalesche.

Tief bücken mußte er sich, die Tür war viel zu niedrig für ihn, aber er ließ sich keine seiner Größe entsprechende Kutsche bauen, einerseits aus Sparsamkeit, andererseits nach seinem Ausspruch handelnd: Ein Haupt zu beugen, ist keine Schande, auch der Zar muß es tun, allerdings nur vor Gott.

Friedrich Wilhelm umfaßte mit einem Blick, wer da in sein Haus kam, und war sehr zufrieden.

Peter I. maß an die zwei Meter, ein kräftiger Kerl, muskelbepackt und mit breiten Schultern, ein wahrer Riese, wie ihn Friedrich Wilhelm gern bei seinen Langen Kerls gehabt hätte. Das Gesicht des Zaren war sonnengebräunt, ein kleiner Schnurrbart glänzte über dem sinnlichen Mund, seine Augen blickten herrisch um sich. Das braune, gelockte Haar war die-sesmal kurz geschnitten, gewiß wegen seiner Reise und der Königsbesuche, denn sonst ließ er selten eine Schere an seine Locken, eine Perücke war ihm lästig, und — was den Preußenkönig geradezu brüderlich stimmte — er stützte sich auf einen Knüppel, ein starkes spanisches Rohr, ähnlich dem Stock, mit dem Friedrich Wilhelm sein Preußen regierte.

Nach dem Zaren kletterten Fürst Netjajew und General Odojewskij aus der Kalesche, aus dem nächsten Wagen watschelte der Zwerg Lewon heran, gefolgt von Hannibal, dem Leibmohren des Kaisers.

Jeder Mensch hat seine Verrücktheiten, dachte der preußische König und kam Peter zwei Schritte entgegen. Er hat seine Mohren und Zwerge, ich habe meine Langen Kerls, der König von Frankreich befiehlt über ein Heer von Mätressen — jedem das Seine.

«Ich begrüße Sie in Berlin«, sagte Friedrich Wilhelm und streckte seine Hand aus. Wie immer sprach er schnarrend und befehlend, so als sollte es heißen: Hier ist Berlin! Nehme Er Haltung an, Kerl!

Peter ergriff die Hand, drückte und schüttelte sie… ein so massiver, schraubstockähnlicher Händedruck, daß Friedrich Wilhelm die Zähne zusammenbiß, um keinen Schmerzenslaut auszustoßen. Es stimmt, dachte er. Er hat Kräfte wie ein Stier. Die großen, harten Hände eines Arbeiters hat er, bedeckt mit Schwielen. Mein Vater mochte ihn nicht — er war ihm zu bäuerlich, zu ordinär, ein Zar, der wie ein Tagelöhner wirkte und lebte.

«War's eine gute Reise?«fragte der König und geleitete den Zaren ins Schloß. In der Halle knicksten die Hofdamen, Sophie Dorothea, links neben sich den Kronprinzen Friedrich, rechts die Prinzessin Wilhelmine, verneigte sich. Sie trugen festliche, seidene Kleider mit Brokatstickereien, ganz im Gegensatz zu dem König, der seinen einfachen Rock und Gamaschenhosen bevorzugte. Auch der Zar war einfach gekleidet: ein Anzug aus grobgesponnenem Tuch, das vom vielen Tragen schon abgewetzt und fadenscheinig war, ein von der

Sonne ausgebleichter dunkelgrüner Rock mit einem verschossenen blauen Futter und großen Messingknöpfen, auf dem Kopf ein bänderloser Hut, an den Beinen alte Strümpfe und Schuhe mit schiefgelaufenen Absätzen. In Versailles würde man ein solches» Subjekt «aus der Schloßnähe verjagt oder sogar verhaftet haben.

«Sie haben gute Straßen in Preußen. «Peter I. nickte den Damen zu, musterte mit Kennerblick die junge Gräfin von Donnersmarck, blinzelte ihr ungeniert zu und ging dann mit weit ausgreifenden Schritten und schlenkernden Armen auf die Königin zu. Kronprinz Friedrich starrte hinauf zu dem Riesen, betrachtete die Warze auf der rechten Wange, bemerkte ein nervöses Zucken im Gesicht des Zaren und klammerte sich an seiner Mutter fest.

«Welche Freude, Sie so blühend zu sehen!«rief Peter laut aus, umfaßte ohne Zögern und mit festen Griff ihren Kopf, zog ihn an sich und schmatzte der Erstarrten und Überrumpelten zwei Küsse auf die Stirn. Der König, der hinter ihm stand, genoß amüsiert das Entsetzen seiner Frau.

So ist er, der Zar, dachte er. Völlig unkompliziert. Ein Kerl mit den Manieren eines sibirischen Holzfällers. Peter Alexeje-witsch, wir könnten uns verstehen und Freunde werden, wenn du nur nicht immer Krieg führen würdest und dich von deinen Hurenweibern trennen könntest. Du hast doch eine brave Frau, die Katharina, die fast jedes Jahr schwanger ist. Was willst du mehr?

Peter hatte den Kopf der Königin wieder freigegeben und wartete nun darauf, was das Protokoll vorbereitet hatte. Aber es gab kein Protokoll. Nachdem schon 1713 der Hofmarschall und Oberkämmerer, der Oberheroldsmeister und Oberzeremonienmeister und andere Hofschranzen abgeschafft worden waren, gestaltete der König allein mit seinen Offizieren die Veranstaltungen für seine Besucher. Nur in der Küche befahl noch der königliche Küchenmeister seine ebenfalls zusammengeschrumpfte Kochbrigade — das, was der König und seine Familie aßen, konnte auch eine Bauersfrau kochen.

«Die Reise war lang — «sagte Friedrich Wilhelm —»war sie ermüdend? Wollen Sie sich ausruhen? Ich werde Sie in Ihre Gemächer begleiten. Ihr Gesinde ist ebenfalls bestens versorgt. Oder trinken wir erst einen Becher?«

«Trinken wir!«Peter I. rieb sich die Hände.»Und eine Pfeife rauchen wir. Meine holländischen Porzellanpfeifen, ich habe sie mit. «Er drehte sich um, winkte energisch, und da man das gewöhnt war, erschien sofort der Mohr Hannibal und trug eine große Schatulle auf beiden Händen.»Gehen wir — «

In dem sparsam möblierten Kabinett des Königs mit seinen weißgetünchten Wänden, wo es weder Teppiche noch Gardinen gab, waren sie dann allein, sogar Hannibal wurde weggeschickt, und der Lieblingszwerg Lewon durfte erst gar nicht ins Zimmer, sondern hockte sich vor der Tür auf den Boden. Wie eine große, bekleidete Kröte sah er aus.

Peter sah sich um und nickte mehrmals.»Wie bei mir. Was soll der ganze Prunk? Natürlich ist der Kreml in Moskau prachtvoll, die Paläste in Petersburg stellen sogar Versailles in den Schatten, die Schlösser in meiner Sommerresidenz Zarskoje Selo werden von den besten Baumeistern der Welt gebaut, von den besten Malern ausgestattet, von den besten Bildhauern und Silberschmieden geschmückt, man erwartet so etwas von einem Zaren… aber ich, mein lieber Freund, lebe lieber in einer massiven Holzhütte als zwischen Seide, Damast und Purpur.«

Er ging zum Tisch, auf den Hannibal die Schatulle gelegt hatte, öffnete das Schloß, hob den Deckel hoch und ließ Friedrich Wilhelm einen Blick hineinwerfen. Pfeifen in allen Formen und Längen aus Porzellan, gerade und gebogene, gebettet in grünen Samt, und an den Außenseiten bemalte Deckeltöpfe, gefüllt mit Tabak und Holzspänen zum Anzünden der Pfeifen.

«Ich lebe in kleinen Zimmern, schlafe auf hartem Bett und wohne, wie Sie, mit stabilen Möbeln. «Er suchte sich eine Pfeife aus, nahm eine andere, gebogene, aus der Samtklemme und reichte sie dem König hin.»Nehmen Sie diese. Meine beste, sie kühlt den Rauch, und nichts brennt mehr in der Kehle.«

«Ich werde es zu würdigen wissen. «Friedrich Wilhelm nahm die Pfeife tapfer und mit freundlicher Miene an, obwohl das Mundstück tief braun war und sichtlich kaum gereinigt wurde.»Was trinken wir?«.»Was Sie trinken, König von Preußen.«»Ein volles, herb gebrautes Bier.«

«Muß das sein?«Peter verzog den Mund. Ein heftiges Zucken ließ sein Gesicht zu einer Fratze werden, der Kopf zuckte hin und her, der riesige Körper krümmte sich etwas, seine Augen weiteten sich. Nur kurz war dieser Anfall, jeder Fremde, der so etwas sah, erschrak zu Tode, nur der König nicht. Er wußte von diesen plötzlich auftretenden Krämpfen, die Peter von Kind an schüttelten und gegen die es kein Mittel gab.

Der Zar griff in eine Tasche seiner fleckigen Weste, holte ein Bernsteinkästchen hervor und entnahm ihm zwei Fingerspitzen voll Pulver, das er hinunterwürgte.

«Das einzige, was hilft«, sagte er und klappte das Döschen zu.»Von einem Schamanen hergestellt. Ein Pulver aus dem Magen und den Flügeln einer Elster. Alle Ärzte sind Idioten. Fände ich einen, der mir diesen Krampf nimmt, würde er der reichste Mann der Welt sein! Trinken wir einen Tokajer?«

Der König stampfte zur Tür, riß sie auf, stolperte fast über den dort kauernden Zwerg Lewon und brüllte dann zu den wartenden Lakaien hinüber.

«Tokajer!«

Darauf warf er die Tür wieder zu und stürmte ins Zimmer. Er zeigte auf Peters Stock und stakte mit seinem Buchenstock auf die Dielen.

«Mich interessiert Ihr Stock«, sagte Friedrich Wilhelm.»Ein schönes Stück.«

«Ohne ihn wäre ich nur halb. «Peter schwang den Knüppel durch die Luft. Ein Windhauch traf den König, und ein Zischen flog um seine Ohren.»Gutes spanisches Rohr. Und hier der Knauf aus Elfenbein, habe ich selbst geschnitzt. Meine >Dubi-na< nenne ich den Stock. Der Mensch ist ein merkwürdiges Wesen. Man muß ihn züchtigen, sonst wird er faul und dumm! Sie haben meinen Mohren Hannibal gesehen? Ich liebe ihn. Als Elfjähriger kam er zu mir, mein Gesandter Tolstoj hatte ihn in Konstantinopel gekauft und mir geschenkt. Ich habe ihn tau-fen und erziehen lassen, er hat auch das Drechslerhandwerk erlernt, schläft in meiner Werkstatt, begleitet mich überall hin… und wöchentlich einmal verprügele ich ihn mit meiner Dubina. Nein, nichts hat er angestellt… ich verprügele ihn aus Liebe. Eine Auszeichnung ist es für ihn. «Er griff wieder zu seinem Bernsteindöschen, nahm eine Fingerspitze voll Pulver und betrachtete darauf die geschnitzten Steine.»Der Sonnenstein«, sagte er nachdenklich.»Das Gold der Ostsee…«

«Das Gold Preußens, Zar Peter. «Das klang stolz und endgültig. Eine Diskussion über dieses Thema wäre sinnlos gewesen.

«Ihr Vater zeigte mir bei meinem letzten Besuch hier im Schloß ein Zimmer ganz aus Bernstein.«

«In der dritten Etage, ein Eckzimmer. Unser Bernsteinkabinett. «Friedrich Wilhelm nickte.»Dafür, für solchen Firlefanz, hatte er Geld übrig. Elf Jahre haben die Bernsteinmeister daran gearbeitet. Elf Jahre Geld für einen Prunk, ohne den man leben kann. 1712 hat es mein Vater hier im Stadtschloß einbauen lassen.«

«Und in diesem Jahr habe ich es gesehen. Auf dem Weg zu meinen Truppen in Pommern war ich…«

«Ich erinnere mich gut. Ein großes Fest gab es. Die Mätresse meines Vaters, die grünäugige und rothaarige Gräfin Colbe von Wartenberg, ich habe sie nur die >große Hur< genannt, gefiel auch Ihnen. Ihr Dekollete war so tief, daß man die Brustmonde sehen konnte. Stimmt's? Diese Wartenberg. War ein Bürgermädchen, eine Mamsell Kathi Rickers, ehe mein Vater sie mit dem Trottel Wartenberg verheiratete. Wissen Sie, was sie getan hat? Zu mir ist sie gekommen, hat mit Brüsten und Hintern gewackelt und mir den Antrag gemacht, mit ihr zu Bette zu gehen. Und dabei war ich erst vierzehn Jahre alt.«

Der Zar lachte laut, hieb mit seiner Dubina auf den Tisch und bog sich in den Hüften.»Vierzehn Jahre und flüchtet vor einem heißen Weib! Mein lieber Friedrich Wilhelm, mit vierzehn hatte ch es schon aufgegeben, meine Geliebten zu zählen! Hofdamen, Putzmädchen, Bauernmägde, Ministerfrauen, Fürstinnen und Melkerinnen… vor mir gab es kein Entkommen. Außerdem wollten sie es alle. Sie haben viel verpaßt, lieber Vetter.«

«Ich bin glücklich mit meinem Fiekchen«, sagte der König verhalten und wechselte das Thema.»Das Bernsteinzimmer hat Ihnen gefallen?«

«Es ist ein einmaliges Kunstwerk! Ein ganzes Zimmer aus den Tränen der Sonne, wie die Slawen sagen. Gibt es etwas Schöneres? Ich habe noch nichts gesehen, was mit diesem Zimmer konkurrieren könnte.«

«Wollen Sie es noch einmal besichtigen, Peter?«

«Es ist noch hier?«

«Es wird nie betreten. Ich mag es auch nie betreten… ich ärgere mich bei seinem Anblick immer über die Verschwendungssucht meines Vaters. «Der König klemmte seinen Stock unter die Achsel, wuchtete wieder zur Tür, riß sie auf und winkte den wartenden Lakaien.»Herkommen!«brüllte er, und als sie zu ihm liefen, riß er den Buchenstock unter der Achsel hervor und schlug auf sie ein. >Wo bleibt der Tokajer?!«schrie er mit gewaltiger Stimme.»Komme Er her, Er Hundsfott! Näher! Soll ich ihm nachlaufen mit dem Stock?! Ja, heb Er nur die Arme, ich treffe Ihn doch!«

Der Zwerg Lewon rollte sich wie eine Kugel zur Seite und starrte hinauf zu seinem Zaren und seiner Dubina. Prügelte er jetzt auch? Zwei stockschwingende Herrscher… eine neue Zeit war angebrochen.

«Sehen wir uns das Bernsteinzimmer an, Peter«, sagte Friedrich Wilhelm mit zufriedener Stimme. Noch einen Hieb versetzte er einem aufheulenden Lakaien quer über den Rücken.»Ich habe uns den Weg freigemacht. Klettern wir in die dritte Etage.«

Das Gebrüll und die Prügelei des Königs hatten die Flure und Treppen leergefegt. Allein stiegen sie hinauf zu dem Eckzimmer, Friedrich Wilhelm stieß die Tür auf, und dann stand der Zar in diesem Zimmer, das unvergleichlich war.

Die Sonne schien durch die beiden Fenster in der Ecke, das eine ging hinaus zum Lustgarten, das andere zur Schloßfreiheit. Wie geblendet von dem in allen Gelbtönen schimmernden Bernstein, von diesem Leuchten, das wirklich einer eingefangenen Sonne glich, von dem Flimmern der gebrochenen Strahlen, die von den Mosaiken und Figuren, den Rosetten und Akanthusranken, den plastischen Köpfen und den acht Masken der Sterbenden zurückgeworfen wurden, blieb Peter I. ergriffen stehen und tastete mit seinen Blicken Wandtafel nach Wandtafel ab. So einfach der Zar selbst lebte, so kunstbesessen war er, wenn es darum ging, sein geliebtes Petersburg zur schönsten Stadt der westlichen Welt auszubauen. Schon

1714, nachdem er das Bernsteinzimmer zwei Jahre zuvor zum erstenmal bewundert hatte, gründete er die Kunstkammer von Petersburg mit dem Erlaß, planmäßig Kunstwerke und Raritäten zu sammeln und sie in der Kunstkammer abzuliefern. Die unermeßlichen Schätze der Eremitage wurden herangetragen.»Welch ein Wunder«, sagte Peter leise, als stehe er in einer Kirche.»Friedrich Wilhelm, ich beneide Sie um diesen Schatz. Es ist auch mein einziger Neid…«

«Es gefällt Ihnen, Peter?«

«Wäre ich allein, würde ich niederknien und die Wände küssen.«

«Wir haben noch vieles zu besprechen. «Friedrich Wilhelm, wie Peter kein Mann, der diplomatische Schnörkel flocht, sondern der mit Direktheit auf sein Ziel losging, legte die Hände auf den Rücken. Er beobachtete still, wie der Zar jetzt von Wandtafel zu Wandtafel ging, im ganzen waren es zwölf und aneinandergereiht auf einer Länge von 14 Metern, sich vorbeugte und die Bernsteinschnitzereien betrachtete, mit den Fingerkuppen geradezu zärtlich über die Mosaike und Bordüren strich und dabei immer wieder bewundernd den Kopf schüttelte.»Peter, ich brauche Vorpommern. Es gehört zu Preußen und nicht zu Schweden. Wie denken Sie über ein Bündnis Rußland-Preußen?«

«Mein Wunsch seit vier Jahren. «Peter richtete sich auf und drehte sich zu dem König herum.»Ihr Vater ließ mich 1712 abblitzen, als ich ihn für ein Bündnis gewinnen wollte. >Ich will nicht schießen, ich will tanzen<, hat er mir ins Gesicht gelacht.«»Und führte Preußen an den Rand der Pleite. Peter, ich bin dabei, eine andere Zeit aufzubauen. Ein starkes, unbesiegbares Heer, Zucht und Ordnung, Arbeitswillen und Vaterlandsliebe, Gehorsam bis in den Tod… der Mensch muß erzogen werden, sonst bleibt er ein blökendes Schaf! Die Zukunft verlangt Stärke.«

«Ein Bündnis zwischen Preußen und Rußland wird unsere Freundschaft vertiefen. «Der Zar zeichnete mit seiner Dubina eine grobe Karte in den Staub, der die Dielen bedeckte. Nur einmal in der Woche wurde der Boden gereinigt und nicht jeden Tag zweimal wie die anderen Räume. Wer betrat denn schon das Bernsteinzimmer oben im dritten Stock? »Das ist Westrußland, Oslpreußen, Polen, Pommern, Brandenburg, Preußen. «Peter tippte auf eine Stelle der Karte im Staub und nickte mehrmals.»Das ist Vorpommern, Friedrich Wilhelm. Ich habe kein Interesse daran… natürlich muß es zu Preußen gehören. Wir müssen nur die Schweden besiegen und wegjagen. Wir beide schaffen es.«

«Ich danke Ihnen, Peter. «Einen Augenblick dachte der König an Sophie Dorothea, der er genau das Gegenteil erzählt hatte. Aber dann wischte er die Gedanken weg. Weiber und Politik! Kinder sollen sie kriegen und ihre Männer erfreuen, das ist ihre Aufgabe. Über das Schicksal der Völker sollen Männer entscheiden. Männer wie Peter und ich. Zwei richtige Kerle!» Nehmen Sie das Bernsteinzimmer mit.«

«Ein schlechter Scherz, Friedrich Wilhelm!«

«Kein Scherz. Ich schenke es Ihnen.«

«Das kann ich nicht annehmen. «Der Zar zeigte sich verwirrt, ein seltener Anblick, den nur wenige kannten. Immer war er der Erste, der Beste, der Klügste und der Tapferste, der Alleskönner und Unwiderstehlichste.»Nein, das kann ich nicht. Ein Kunstwerk, das nicht seinesgleichen hat — «

«Vorpommern ist mir wertvoller und wichtiger. «Der König schlug mit seinem Buchenstock gegen die Knöpfe seiner Gamaschen.»Ich lasse es ausbauen und bis an die Grenze bei Memel bringen. Dort können es Ihre Leute übernehmen.«

«Ich kann es noch nicht fassen, mein Freund. «Peter stürzte auf Friedrich Wilhelm zu, wollte ihn an sich reißen und küssen, aber der König, der an die Bärenkräfte des Zaren dachte und keine Lust verspürte, sich vor lauter Zuneigung ein paar Rippenbrüche einzuhandeln, ließ seinen Buchenstock fallen und bückte sich. Dadurch entkam er elegant der schmerzhaften Umarmung und richtete sich erst wieder auf, als Peters erste Anwandlung von zärtlicher Dankbarkeit verflogen war.

«Gehen wir zu Tisch!«sagte der König. Dabei ließ er seinen Stock wippen.»Der Tokajer ist noch immer nicht bei uns angelangt. Ich werde diese Hundsfotte lehren, wie Wiesel zu rennen!«

«Was gibt es bei Tisch?«fragte der Zar.

«Weiß ich es? Das ist Sache der Königin. Mein Fiekchen hat einen guten Geschmack.«

«Ich bin mit wenig zufrieden. Eine Krautsuppe, Grütze, kalter Braten mit Gurken und gesalzenen Zitronen, etwas Gemüse, und zum Dessert nichts Süßes, das stört meinen Magen, sondern nur Obst und Käse aus Limburg.«

«Von all dem haben wir bestimmt nichts im Haus. «Friedrich Wilhelm lachte dröhnend.»Das hätte ich mal meinem Küchenmeister befehlen sollen, der Schlag hätte ihn getroffen. Wie sind wir uns gleich, Peter. Eine Kanne Bier schmeckt auch mir besser als dieser französische Champagner. Und auf einem Holzschemel sitze ich ebenso gern wie auf einem Polster. Meinem Hintern ist das gleich.«

Der Zar folgte dem König zur Tür und blieb dort noch einmal stehen. Ein langer, glänzender Blick flog über die goldschimmernden Wände des Bernsteinzimmers.

«Es gehört jetzt wirklich mir?«fragte er wie ein Junge, der überraschend beschenkt worden ist.

«Sie können mit ihm anstellen, was Sie wollen.«

«Unfaßbar. Das werde ich Ihnen nie vergessen, Friedrich Wilhelm.«

«Vergessen Sie nicht Vorpommern… das ist mir hundert Bernsteinzimmer wert, Peter.«

Sie verließen das Eckzimmer, stiegen die Treppe hinunter zur großen Halle und trafen dort auf die wartenden Gäste des

Festmahls. Der König blieb auf der Treppe stehen und zupfte den Zaren am Ärmel.

«Da stehen sie, die mir die Haare vom Kopf fressen!«sagte er.»Sehen Sie sich die erwartungsvollen Fratzen an. Sie schmatzen schon in der Vorfreude. Ha, wer ist denn das?«Friedrich Wilhelms Blick blieb an einer Dame hängen, die mit tiefem Dekollete und prächtigen Brüsten, mit langer Lockenperücke und seidenschimmernder Robe neben dem Fürsten Net-jajew stand. Mit dem Finger zeigte er auf sie, und alle Blicke folgten der Richtung und starrten die Schönheit an. Der Zar lächelte breit. Sein Bart tanzte über der Oberlippe.

«Natalja Jemilianowna ist es«, sagte er unbefangen.»Meine Reisemätresse. Ich weiß, wie Sie darüber denken, Bruder, aber nicht nur der Magen sehnt sich nach Speise und Trank, nicht nur der Geist sucht das anregende Gespräch, das Herz stellt auch seine Forderungen. Natalja ist wie ein Steppensturm im Bett.«

«Mein Vater würde sich jetzt wie ein Narr benommen haben. «Der König stieg wuchtig de letzten Treppenstufen hinunter.»Ich dulde Ihre Natalja an meinem Tisch, weil sie in Ihrer Begleitung ist, Zar Peter.«

Das Festessen konnte beginnen.

Es wurde ein Festmahl, wie man es im Berliner Schloß so schnell nicht vergaß.

Der Zar saß rechts rieben der Königin Sophie Dorothea, die Mätresse Natalja links von ihm, und neben ihr hätte der König sitzen sollen. Friedrich Wilhelm änderte sofort die Sitzordnung, nahm den Stuhl neben seinem Fiekchen und befahl dem Grafen von Bülow, sich neben die» weißen Kugeln «zu setzen, wie er das Dekollete der Gasenkowa bezeichnete. Ob dieser Wechsel Peter gefiel, war ihm gleichgültig. Hier war er der Hausherr, und das Haus des Königs von Preußen war ein sittliches Haus, ohne Dirnen, ohne Knabenliebhaber und ohne schleimige Kriecher. Neben Fiekchen hockte der Kronprinz Friedrich, unter sich einen kleinen Kissenberg, damit er über die geschmückte Tafel sehen konnte. An den Wänden aufgereiht standen die Lakaien, im Hintergrund spielte verhalten ein Streichorchester Musik von Händel, Scarlatti und Schütz. Man hatte am Hof einen Wink aus Petersburg bekommen: Bei offiziellen Essen liebte der Zar gern Musikbegleitung.

Peter I. war ein großer, ja grandioser Esser. Wie befürchtet, konnte er mit der ihm gereichten Serviette aus feinstem Damasttuch nichts anfangen, ging mit Messer und Gabel sehr ungeschickt um, vergoß Sauce und leckte seine Finger ab. Als Bratensaft auf seine Weste spritzte, machte ihn das nicht verlegen, nein, er schabte mit seinem Daumen den Saft von seinem Anzug und steckte dann den Daumen in den Mund.

«Es schmeckt vorzüglich, Madame«, sagte er zu Sophie Dorothea.»Der Fasan ist zart wie eine Mädchenbrust. Man beißt hinein und hat die Seligkeit im Mund.«

Er sagte das so laut, daß jeder am Tisch es verstand, auch die Prinzessin Wilhelmine, die den Kopf senkte und leise vor sich hinkicherte. Sie saß zu weit weg von ihrem Vater, sonst hätte Friedrich Wilhelm mit seinem Buchenstock über den Tisch gelangt und ihr einen Schlag versetzt.

Aber wütend war er allemal über die Bemerkung des Zaren, die man in einem Männerkreis machen kann, aber nicht vor den Damen, und da Friedrich Wilhelm nicht daran gewöhnt war, eine Wut zu unterdrücken, sondern ihr immer freien Lauf ließ, suchte er nach jemandem, der den Zorn auffing. Sein Blick traf auf einen Lakaien, der ihm gegenüber an der Wand stand und für das Wohlergehen des Generals Odojewskij zu sorgen hatte. Sein Weinglas war leer, Grund genug, den unaufmerksamen Lakaien zu strafen.

Schon beim Platznehmen an der Tafel hatte der Zar mit Verwunderung gesehen, daß zwei Pistolen neben dem Gedeck des Königs lagen, und er hatte schon fragen wollen, ob der König Angst vor einem Attentat während des Essens habe. Erstaunt sah Peter jetzt, wie der König aufsprang, eine Pistole ergriff, hochriß und auf den erbleichenden und zitternden Lakaien anlegte.»Er Coujon!«brüllte Friedrich Wilhelm.»Sieht nicht ein leeres Glas. Schläft im Stehen.«,

Der Schuß krachte, aber aus dem Pistolenlauf zischte keine

Kugel, sondern eine Wolke von groben Salzkristallen. Sie traf den armen Lakaien mitten ins Gesicht, riß kleine Löcher in die Haut, er wandte sich ab, rannte aus dem Saal und begann, hinter der Tür bitterlich zu weinen.

Der Zar blickte amüsiert über die Festgesellschaft. Seine Russen waren starr vor Staunen, die preußischen Herrschaften zeigten keinerlei Entsetzen — sie aßen ungerührt weiter, als sich Friedrich Wilhelm wieder setzte und die abgeschossene Pistole mit der Salzladung neben seinen Teller legte. Sie kennen das, dachte Peter. Eine der vielen Marotten des preußischen Königs — man sollte sie sich merken.

Fürst Netjajew und General Odojewskij wechselten einen schnellen Blick. Der Zar hatte wieder etwas gelernt, er lernte ja dauernd und überall, fällte Bäume, sägte Balken, schnitzte Elfenbein, schmiedete Hufeisen und zog sogar Zähne. Zurück in Petersburg würde er nun mit einer Salzpistole um sich schießen und seine große Freude haben, die Lakaien und Pagen hüpfen zu sehen.

Gott schütze Rußland… es könnte auch mal eine Kugel statt grobem Salz im Lauf stecken.

Nach dem Dessert erhob sich der König und löste die Tafel auf. Die Damen versanken in einem tiefen Knicks vor den Zaren und verließen den Saal, die Herren blieben zurück, um unter Führung des Königs in das Rauchkabinett zu gehen, wo Branntwein, Bier und ungarischer Rotwein auf sie warteten. Nur die Mätresse Natalja Jemilianowna blieb auf einem Wink Peters zurück, alle Männerblicke auf ihr tiefes Dekollete ziehend. Friedrich Wilhelm wölbte die Unterlippe vor. Einem Gast wie dem Zaren kann man nicht sagen, daß eine Hur nicht in den Kreis der Männer gehört. Nicht am Hof von Preußen.

«Ihr Salzgeschoß war beeindruckend — «sagte Peter zu Friedrich Wilhelm und lachte. Dabei legte er den Arm um die schmale, geschnürte Taille der Mätresse und klopfte ihr ungeniert auf den Hintern.»Es zeigt Ihre Macht über die Menschen, Ihre souveräne Stärke. Ich habe auch ein Zeichen, das jeder versteht. Sehen Sie zu, liebster Freund…«

Er griff auf den Tisch, hob einen Silberteller hoch und faßte ihn mit beiden Händen. Und dann begann er, ohne Anstrengung, den Silberteller aufzurollen, so wie man ein Stück Papier zusammenrollt. Die Gasenkowa klatschte in die Hände, der König starrte etwas sauer auf den zerstörten Teller, und der Zar überreichte ihm die Silberrolle, als sei sie ein Zepter.

«Eine kleine Erinnerung«, lachte er dabei.»Begreifen Sie nun, warum meine kleine Natalja immer bei mir ist? Wo soll ich hin mit meiner Kraft?«

Er ist wirklich ein sibirischer Bauer, dachte Friedrich Wilhelm. Dagegen bin ich ein gerechter Hausvater. Potz Blitz und Kanonen… er ist gröber als ich. Das hat nun Fiekchen auch gesehen. Wie mich das beruhigt…

«Zu den Pfeifen und Branntwein!«kommandierte Friedrich Wilhelm gutgelaunt. Zwei Diener rissen die Türe zum Rauchkabinett auf.»Lassen wir's uns schmecken, meine Herren… nachher werden wir die Truppen besichtigen.«

Im Lustgarten war das 1. Bataillon des 1. Garderegiments zu Fuß, die Langen Kerls, angetreten und wartete auf den König und seinen Besuch, den Zaren von Rußland. Für diese Parade hatte man wochenlang geübt, hatte man herumgeschrien, hatten die Unteroffiziere und Feldwebel mit ihren Stöcken auf die Soldaten eingeprügelt, wenn die Richtung nicht stimmte, wenn der Gleichschritt aus dem Rhythmus kam, wenn die Wendungen zu müde waren und die Kampfübungen aussahen wie das Spielen mit Kinderholzgewehren. Der Kommandeur der Garde, Oberst von Rammstein, hatte jeden Tag die Truppe inspiziert und eine Stunde lang den Übungen zugesehen. Vorzüglich klappte alles, aber zufrieden war er nicht. Ein Kommandeur darf nie zufrieden sein, es macht die Soldaten übermütig und faul. Nach diesem selbstgedrechselten Spruch handelte von Rammstein, schnauzte die Offiziere an, die schrien die Feldwebel an, und die Feldwebel brüllten wie gestochene Stiere auf die Grenadiere ein und prügelten sie.

Nun stand das l. Bataillon auf dem riesigen Exerzierplatz im Lustgarten und wartete auf Zar und König. So wichtig war diese Demonstration preußischer Militärerziehung, daß der Reformator des preußischen Heeres, noch 1713 von König Friedrich I. zum Feldmarschall ernannt und damit auf die höchste Stufe der preußischen Gesellschaft gehoben, einen Tag vor Eintreffen des Zaren in Berlin die Gardebataillone zu einer Sondervorführung antreten ließ und selbst inspizierte.

«Es geht nicht allein um Reputation!«sagte dabei der Alte Dessauer zu Oberst Rammstein.»Wir müssen den Eindruck hinterlassen, daß wir unschlagbar sind. Und das sind wir — wir müssen nur wollen. Seine Pflicht tun kann jeder… seine Pflicht lieben, darauf kommt es an.«

Oberst von Rammstein antwortete:»So ist es, Herr Feldmarschall!«und nahm sich vor, diesen neuen Ausspruch des Dessauers seinen Offizieren als neuen Leitspruch weiterzugeben.

So vieles war durch Leopold von Anhalt-Dessau neu in die Armee eingeführt worden. Der berühmt-berüchtigte preußische Drill war sein Werk.»Alles Militärische muß eins sein«, hatte er zur Grundlage erklärt.»Von der Sprache der Kommandos bis zur Fortbewegung in Gleichschritt und Paradeschritt und dem Kaliber seines Gewehres. Das Exerzieren ist eine Gleichheit aller Glieder der Soldaten wie Teile einer Maschine und muß geübt werden, immer und unaufhörlich, bis der Soldat ein Ganzes alles Militärischen ist.«

Der Grundstein für eine Armee reiner Befehlsempfänger und wegexerzierter Persönlichkeiten war damit gelegt worden. Ein Soldat hat nicht zu denken, sondern nur zu gehorchen. Er hat Futter für den Moloch Krieg zu sein.

Schon 1698 machte der Dessauer eine weitsichtige Erfindung. Um die Gewehre von vorn, man nannte sie Vorderlader, mit Pulver und Bleikugeln zu laden, benutzte man hölzerne Ladestöcke, die oft im Kampf bei hastigem Stopfen der Läufe zerbrachen. Dann fiel die Feuerkraft dieses Soldaten aus. Den Dessauer durchzuckte bei solchem Anblick eine ebenso einfache wie geniale Idee, wie so viele geniale Ideen einfach waren: Er erfand den eisernen Ladestock. Der zerbrach nie, ließ ein schnelleres Laden zu und erhöhte die Feuergeschwindigkeit.

«Gut schießen, rasch laden, Unerschrockenheit und mutiger Angriff, das bestimme das Leben der Soldaten«, ließ der Dessauer die Armee wissen, und das wurde tagaus, tagein geübt, und in die Soldaten hineingebrüllt und hineingeprügelt.

Der Alte Dessauer ließ noch einmal alles durchexerzieren, was dem Zaren vorgeführt werden sollte, dann nickte er dem Oberst von Rammstein gnädig zu.

«Das wird Eindruck machen«, sagte er.»Ich bin zufrieden. Der König wird es auch sein.«

Einen Mann ließ er sich persönlich vorführen, den Feldwebel Hans Hoppel. In Ostpreußen geboren, war er ein breiter, schnauzbärtiger Kerl, gefürchtet von allen Rekruten, die ihm in die Hände fielen, ein Mensch mit einem Maul und einer Lunge, die zusammen ein noch nie gehörtes Gebrüll fabrizierten, ein Vorgesetzter zudem, der in allem voranging, nie ermüdete und alle Schlaffen anschrie:»Was ich kann, kann Er auch, Er Hundsfott! Er muß nur wollen!«

Das Gesetz des Alten Dessauers.

«Er macht morgen mit zwölf ausgesuchten Grenadieren eine besondere Vorführung?«fragte der Dessauer, als Hans Hoppel steif wie ein Eichenstamm vor ihm stand,»Er will einen Nahkampf zeigen?«

«So ist es befohlen!«antwortete Hoppel zackig.»Angriff und Vernichtung des Gegners mit allen Waffen.«

«Sei Er vorsichtig, Feldwebel!«Der Dessauer hob warnend die Hand.»Zeige Er dem Zaren nicht zuviel von unserer Taktik. Er wird sie kopieren. Nur ein paar Dinge zeige Er: Stürmen, Hauen, Stechen. Das genügt. Unbesiegbar ist auch der, dessen Waffen man nicht kennt. Mach Er's gut, Feldwebel…«Es war eine Auszeichnung ohne Beispiel. Das Ansehen des Hans Hoppel wuchs, und auch die Furcht vor ihm.

Das Erscheinen des Generals Johann von Schweinitz, einer der Armee-Inspekteure, kündete das Nahen des Königs und des Zaren an. Durch die Reihen des 1. Bataillons ging eine kurze nervöse Bewegungswelle… dann aber standen die Langen Kerls, keiner unter 1,90 Meter groß und mit ihren hohen, turmähnlichen Helmen noch gewaltiger wirkend, wie leblose, aus Ton geformte Figuren, Riesenleiber und Riesenköpfe, erschreckend für einen normalen Menschen, wenn er ihnen in seiner Kleinheit gegenüberstand.

Und dann kam der König über den Exerzierplatz, an seiner Seite — die aus den Augenwinkeln schielenden Grenadiere glaubten es kaum — ein Riese wie sie, zwei Meter hoch, mit dem wiegenden Gang eines Seemannes, der selbst an Land das Meer unter sich spürt, ein Kaiser ohne Perücke und seidenem Gewand, mit derben Hosen und Schuhen, aber mit Augen, die scharf und durchbohrend bis ins Herz blicken konnten.

Vor der Front des 1. Bataillons blieb Peter stehen und sah auf Friedrich Wilhelm hinab. Hinter ihnen, zwei Schritte zurück, hielt die Begleitung an: der Alte Dessauer, Generalleutnant von Grumbkow, General von Schweinitz, General von Ren-ckendorff, Freiherr von Pöllnitz, Fürst Netjajew, General Odo-jewskij und der Zwerg Lewon Uskow. Vor solcher Ansammlung von Riesen mußte sich dieser wie ein Käferlein vorkommen.

«Ich gratuliere«, sagte der Zar.»Noch nie habe ich eine solche Truppe gesehen. Überall spricht man von ihr, in allen Ländern, aber sie mit eigenen Augen zu sehen, wischt alle Erzählungen fort. Wie groß ist der Kleinste?«

«Einen Meter neunzig, Majestät«, sagte von hinten General von Schweinitz.

«Ein gutes Maß!«Der Zar sah an sich hinunter.»Ich könnte auch bei Ihnen dienen, Friedrich Wilhelm.«

«Sie würden bei mir sofort Feldwebel!«Der König lachte und zeigte mit seinem Stock auf die bewegungslose Uniformenreihe.»Schreiten wir die Front ab, lieber Freund.«

Die Majestäten gingen weiter, an die Spitze der Truppen, und Oberst von Rammstein selbst befahl mit heller, durchdringender Stimme das» Habt acht! Präsentiert das Gewehr!«

Durch die Riesenreihe flog ein Ruck, die Gewehre sausten in die Luft, fielen kerzengerade in die linke Hand und vor die Brust, ein lautes schmatzendes Klatschen erfüllte die Luft, nur ein einziger Laut, kein Nachklappern, in einer Höhe waren die

Hände, die Gewehrkolben, die Läufe, die Helmspitzen und die Kappen der Lederschuhe. Ein Lineal konnte nicht gerader sein. Hinter dem König nickte zufrieden der Dessauer. Da staunt er, der Zar! Das ist preußische Gründlichkeit.

Oberst von Rammstein meldete die Truppen, stieß vor dem Zaren seinen langen Offiziersspieß in den Boden und schnarrte seine Begrüßung. Vor ihren Kompanien standen, ebenfalls mit in den Boden gerammten Spießen, die Offiziere und rissen mit der linken Hand ihre Spitzhüte von den weißen Perücken. Stolz schritt Friedrich Wilhelm die Front ab, seinen Gast neben sich völlig vergessend. Das war der Gipfel seines irdischen Glücks. An seinen Langen Kerls entlangzugehen, jedem in das Gesicht zu sehen und jeden spüren zu lassen: Ich bin euer Vater. Ich liebe euch alle, ihr Halunken und Hundsfotte! Am Ende der Besichtigung schien es, als wache der König wieder auf. Mit leuchtenden Augen sah er zu dem Zaren hoch. Sein Stock stieß auf den Boden.

«So wie sie aussehen, kämpfen sie auch!«sagte er voller Stolz.»Sie werden Ihnen vorführen, daß es gegen sie keine Wehr gibt. Und so wie meine Garde, ist mein ganzes Heer erzogen..«

Während unten im Lustgarten das Kriegspielen begann, standen oben am Eckfenster im dritten Stock zwei Männer im Bernsteinzimmer und beobachteten das Exerzieren. Der eine von ihnen trug einen einfachen, langen, blauen Rock, der andere die Uniform des Hofverwalters.

«Es ist wirklich wahr, was Ihr gehört habt?«fragte der Zivile und sah hinunter zu dem Zaren, der auf einem breiten Sessel Platz genommen hatte und den zwölf Grenadieren unter dem Befehl von Feldwebel Hoppel genau auf ihre Bewegungen guckte, als sie mit Angriff und Eroberung von feindlichen Stellungen anfingen.

«Aus erster Hand, Wachter. Die Königin selbst sagte es zur Generalin von Knobelsdorff: >Stellen Sie sich vor, der König hat das Bernsteinzimmer dem Zaren zum Geschenk gegebene Nur einen Meter stand ich hinter ihnen, habe es ganz deutlich gehört.«

«Der König kann doch das Bernsteinzimmer nicht verschenken. «In Wachters Stimme war ein deutliches Zittern.»Warum kann er nicht… es gehört ihm.«

«Verschenken nach Rußland… für Preußen auf ewig verloren. Das darf er nicht!«

«Ein König kann und darf alles… wer will ihn daran hindern?«Der Hofbeamte, der Karl Urban hieß, faßte Wachter an den linken Arm.»Ich hielt es für notwendig, Euch sofort zu unterrichten… damit Euch der Schreck nicht in die Glieder fährt, wenn Ihr's vom König selbst erfahrt.«

«Ihr seid ein wahrer Freund, Urban. «Wachter starrte wieder auf den Zaren, der jetzt in die Hände klatschte, als Hoppels Grenadiere demonstrierten, wie man dem Gegner mit dem Säbel den Kopf spaltet.»Ich werde mit dem König sprechen.«»Sprechen? Wollt Ihr lahmgeprügelt werden, Wachter? Ein Geschenk kann man doch nicht zurückholen! Wachter, haltet bloß den Mund. Nehmt es als eine Fügung Gottes. Der König wird eine andere Aufgabe für Euch finden. Es gibt genug Dinge, die verwaltet werden müssen. Ich flehe Euch an: Es ist Schicksal… beugt Euch vor ihm…«

Wachter nickte ruckartig, als sei ihm der Kopf zu schwer geworden und falle nach vorn. Er klopfte Karl Urban auf die Schulter, drehte sich um, ließ seinen Blick über das sonnenleuchtende Bernsteinzimmer schweifen und verließ dann mit gesenktem Haupt den Raum.

Längst war der Zar weitergereist, als Freund von Preußen und beeindruckt von dessen Armee, über die er in Paris Wunderdinge zu berichten wußte, als ein Lakai in die Wohnung des Herrn Friedrich Theodor Wachter kam und einen Befehl Friedrich Wilhelms überbrachte:»Er komme sofort zu mir.«

Wachter sah zum Fenster hinaus. Es war schon dunkel, die königliche Familie hatte wie üblich sehr einfach zu Abend gegessen. Es war eigentlich die Zeit, in der der König hinter seinen Akten saß, die Militärausgaben durchrechnete und Berichte der verschiedenen Rechnungskammern las und mit Randbemerkungen versah. Rastloser Arbeiter, der er war, kümmerte er sich um alles, von den Erträgen des Handels bis zur Urbarmachung versumpften Landes, von der Kleiderordnung seiner Soldaten bis zum häuslichen Frieden seiner Bürger. Wie oft war er mit seinem Buchenstock zwischen streitende Eheleute gefahren, wenn er sie auf seinen Wanderungen durch Berlin bis auf die Straße keifen hörte.

«Wann?«fragte Wachter erstaunt.

«Sofort. So steht's da.«

Wachter zog seinen blauen Rock an, seine Frau Adele reichte ihm die braune Perücke. Im Hintergrund des Zimmers, unter einem sechsflammigen Kerzenleuchter, saß ihr zehnjähriger Sohn Julius und las in einem Schulbuch.

«Was will der König von dir?«fragte Adele Wachter besorgt.»Um diese Zeit? Hat der Urban, dieser Kriecher, dich verraten und von deinen Worten berichtet? Schläge wirst du bekommen, Fritz, das mindeste wird das sein. Vielleicht wirft er dich ins Gefängnis, steckt dich unter die Soldaten… Warum hast du nicht den Mund gehalten…«

«Wir wollen sehen, Deichen. «Er gab seiner Frau einen Kuß auf die Augen, knöpfte den Rock zu und folgte dem Lakaien zum Arbeitskabinett des Königs.

Friedrich Wilhelm arbeitete wirklich und saß gebeugt über lange Listen, als die Türwache ihn ins Zimmer ließ. Einen tiefen Diener machte Wachter und wartete dann an der Tür, was nun kommen würde. Der König hob den Kopf und sah ihn an.»Trete Er näher«, sagte er mit ruhiger Stimme. Sie klang zwar immer noch befehlend, hatte aber nicht den Unterton des Zorns.»Komm Er hierher zu mir, ganz nah… Fürchtet Er sich?«

«Nein, Majestät.«

«Das hat Er klug gesagt. Den König von Preußen soll man nicht fürchten, man soll ihn lieben. Auch wenn Er den Stock spürt — es ist nur zu seinem Guten. Er weiß, daß ich das Bernsteinzimmer dem Zaren zum Geschenke machte? Man hat es Ihm hinterbracht?!«

«Ja; Majestät.«

«Und, Wachter?«

«Ich bin traurig, Majestät.«

«Er weiß nicht, um was es geht, Er kennt nichts von Politik. Er soll's auch nicht wissen, denn Er begreift es doch nicht. Wachter, Er ist der Verwalter und Aufseher des Bernsteinzimmers? Ich erinnere mich, zweimal hat Er mir Meldung gemacht.«»Dreimal, Majestät.«

«Belehre Er mich nicht, Coujon!«Die Miene Friedrich Wilhelms verfinsterte sich.»Seit wann betreut er das Bernsteinzimmer?«

«Seit 1707, Majestät. Die Sockel- und Wandfelder waren fertiggestellt, die restlichen Weiterarbeiten übernahmen die Bernsteinmeister Ernst Schacht und Gottfried Turow aus Danzig. Da hat Ihre Majestät Friedrich I. mich auf Lebenszeit beauftragt, über das Bernsteinzimmer zu wachen. «Wachter schwieg und fügte dann leise hinzu:»Das sind nun zwölf Jahre.«

«Glaubt Er, Kanaille, ich könne nicht rechnen?«Die königliche Faust sauste auf die Tischplatte.»Und nun kommt das Bernsteinzimmer weg. Wird nach Petersburg gebracht. Was heißt nun auf Lebenszeit, Wachter? Ist sein Leben nun damit herum?«

«Fast, Majestät. Mir wird es das Herz brechen, wenn das Zimmer nach Rußland kommt.«

Friedrich Wilhelm sah ihn lange und stumm an. Jetzt denkt er darüber nach, dachte Wachter, was er mit mir tun soll. Den Stock, das Gefängnis, der Zwangsdienst in der Armee oder ein einfaches Wegjagen ins Vogelfreie. Wie's auch sei… mein Leben ist nur noch wenig wert. Aber plötzlich sagte der König, und es riß Wachter fast um, als sei er vom Blitz getroffen:

«Er ist ein treuer Diener des Königs und der Krone. Ich habe Wohlgefallen an Ihm. Glaubt Er, ich trenne mich von meinem Bernsteinzimmer wie von einem Bandwurm im Gedärm?! Noch einmal sag ich's Ihm: Die Politik begreift Er nicht. Um Preußens Größe geht es. Ich will mich nicht wie mein Vater König in Preußen nennen, sondern König von Preußen… und dazu fehlt mir Vorpommern, die von den Schweden besetzten Gebiete. Sie gehören zu Preußen! Versteht Er das, Wachter?«»Ja, Majestät. Der Pakt mit dem russischen Zaren…«

«Genug mit dem Geschwätz!«Der König machte eine energische Handbewegung.»Was geht Ihn das alles an! Er hat für das Bernsteinzimmer zu leben… und Er wird für das Bernsteinzimmer leben. Wachter, Er begleitet das Zimmer nach Petersburg und wird bis zu seinem Tode bei ihm sein. Dem Zaren schicke ich ein Schreiben. Hat Er einen Sohn?«

«Ja, Majestät. «Wachter war die Kehle zugeschnürt, seine Stimme zerpreßte die Worte. Nach Petersburg… mit meinem Bernsteinzimmer zum Zaren… ich werde bei ihm bleiben. Herz, steh nicht still, halte es aus… Berlin müssen wir verlassen, aber in Petersburg werden wir leben, im Versailles des Ostens.»Julius ist zehn Jahre alt, Majestät.«

«Und Seine Frau?«

«Wird einunddreißig.«

«Und Er?«

«Bin dreiundvierzig.«

«Und nur ein Kind? Wachter, Er ist doch ein kräftiger Kerl, hat eine junge Frau — und nur einen Sohn?! Enttäusche Er mich nicht in Petersburg, mach Er Seiner Frau noch einige Kinder, noch Söhne. Einer ist keine Garantie. Er kann sterben. Ich habe einen Auftrag für Ihn… nicht zuletzt, weil ich meinen Vater trotz allem liebe. Wachter, schwör Er mir, heb Er die Hand hoch zu Gott…«

Der König erhob sich von seinem Stuhl und streckte ebenfalls drei Finger an die Decke. So feierlich war es, daß Wachter die Knie weich wurden und seine hochgestreckten Finger hin und her schwankten.

«Schwöre Er bei Gott«- begann der König wie ein Prediger in der Kirche —»das Bernsteinzimmer nie zu verlassen, es zu pflegen wie Sein eigen Aug und Kind, mit Seinem Leben zu schützen in allen Gefahren und Sorge zu tragen, daß immer ein Sohn die Pflege als Erbe übernimmt, über alle Generationen und Zeiten hinweg bis an der Welt Ende, solange auch das Bernsteinzimmer lebt.«

«Ich schwöre es, Majestät.«

Wachter senkte den Kopf und die Hand. Es war nicht mehr zu übersehen, er weinte.

«Sei Er keine Memme!«rief Friedrich Wilhelm und gab Wachter einen Klaps auf die gesenkte Stirn.»Weiber weinen, ein Mann steht immer aufrecht. Auch wenn Er jetzt sagen wird, Er weine aus Glück.«

«Ich weine aus Glück, Majestät — «

«Dann geh Er schnell weg von mir, bevor der Stock hüpft. Laß Er sich morgen hundert Taler von der Kasse auszahlen. Er soll nicht wie eine Vogelscheuche in Petersburg einziehen, sondern wie ein Vertrauter des Königs von Preußen. Er vertritt unser Land wie ein Gesandter. Ist Ihm das klar? Und wehe Ihm, wenn seine Nachkommen meinen Auftrag vergessen. Ob in hundert oder zweihundert Jahren… mein Fluch wird sie zerstören! Ein Wachter hat ab heute die ewige Pflicht, Söhne zu zeugen und das Bernsteinzimmer zu pflegen. Und jetzt geh Er, ich habe genug mit Ihm geschwatzt…«

«Ist eine Frage noch erlaubt, Majestät?«

«Was?«

«Wann wird das Zimmer ausgebaut und nach Petersburg gebracht?«

«Noch in diesem Jahr, Wachter. Sonst im Januar des nächsten Jahres. Beeil Er sich also… Er hat lang genug auf der faulen Haut gelegen. Provozier Er mich nicht, ihn zu züchtigen. «Wachter verbeugte sich tief, wischte sich dabei die Tränen aus den Augen und verließ das Arbeitskabinett. Zufrieden kehrte Friedrich Wilhelm zu seinem Tisch zurück, hockte sich auf den einfachen, rohen Holzschemel und griff nach einer Pfeife.

Der Ausbau des Bernsteinzimmers, das Abnehmen der schweren geschnitzten Vertäfelung, der Ornamente, Figuren, Köpfe und Mosaiken von den Wänden, brauchte mehr Zeit, als der König angenommen hatte. Nur Spezialisten durften das Zimmer zerlegen, und die fand man nicht in Berlin. Aus Danzig und Königsberg forderte Wachter Fachleute an, bekam dreimal Krach mit dem König, der herumschrie, alles sei zu teuer, die Reisen, die Verpflegung, die Gehälter, hätte er das vorher gewußt, hätte er das verdammte Sonnenzimmer von den

Wänden gesprengt, mit einigen guten Ladungen Pulver. Und als Wachter es wagte, zu sagen:»So ist es mit teuren Geschenken, Majestät«, bekam er den Buchenstock zu spüren, aber es tat ihm nicht weh… seine Freude, dem König das gesagt zu haben, überdeckte den Schmerz.

Dreimal stieg der König auch hinauf in die dritte Etage, stellte sich in die Tür und sah mit kritischen Augen zu, wie die Fachleute aus Königsberg vorsichtig das Bernsteinzimmer auseinandernahmen. Es gab Wandbilder aus geschnitztem Bernstein, für deren unversehrte Ablösung man einen halben Tag brauchte. Millimeter um Millimeter mußte man sie vom Untergrund abheben, denn man hatte schlechtes Holz genommen, es war hinter dem Kunstwerk von Schimmel befallen, zerbröselte und gab keinen Halt mehr. Alles, was man von den Wänden löste, wurde auf massive, gut mit Öl getränkte Holztafeln neu verlegt, haltbar für Jahrhunderte, wie Wachter sagte, wenn man das Zimmer pflegte.

«Dafür sind die Wachters da!«sagte Friedrich Wilhelm.»Der Teufel hole den Wachter, der seine Pflicht vergißt! Und wenn's in fünfhundert Jahren ist! Wann ist Er fertig, Halunke?!«

«Ich weiß nicht, Majestät. In diesem Jahre nicht mehr.«

«Ist sein Weib wenigstens schwanger?«

«Adele weiß es nicht… die Zeit ist noch zu kurz.«

«Aber beschlafen hat Er sie?!«

«Wie Majestät befohlen haben.«

«Dann mach er weiter so… mit dem Bernsteinzimmer und dem Kindermachen. Wachter, Er soll mir Erfolge zeigen, keine Vertröstungen…«

Drei Tage vor Weihnachten wußte es Adele Wachter. Die Hebamme hatte sie untersucht und bestätigt, daß sie schwanger sei. Friedrich Theodor Wachter meldete es sofort dem König.»Jetzt hoffe Er, daß es ein kleiner Kerl wird«, sagte der König wohlwollend.»Wird's ein Mädchen, muß Er weitermachen, Wachter. So lange, bis er zwei Jungen in Reserve hat! Laß er bloß nicht nach mit seinen Bemühungen — «

«Es ist mir keine Mühe.«

«Das will ich meinen!«Friedrich Wilhelm lachte donnernd.

«Ein richtiger Kerl hat Ausdauer wie ein Wolf im Winter. «Weniger vergnüglich war Adele Wachter. Nicht, daß es hr nicht gefiel, noch mehrmals Mutter werden zu müssen, in Berlin hätte sie den Auftrag des Königs fleißig erfüllt… aber in Petersburg? Bei den Russen? Bei diesen Wilden, wie alle sie nannten? Die rohe Zwiebeln fraßen und bei Tische furzten, auf gemauerten Öfen schliefen, wenn der Winter kam, und oben auf der Ofenplattform, im Beisein der Kinder, neue Kinder zeugten. Aljoscha, rück zur Wand, Mütterchen muß die Beine breiter machen… O Gott, da soll man nun für immer leben?! Muß das sein?

Und Wachter hatte von seinem Generationenschwur erzählt und zum Schluß mit fester Stimme gesagt:

«Ja, es muß sein, Deichen. Alle auf dieser Erde sind Menschen, ob sie weiß sind oder ein Mohr, Schlitzaugen haben oder platte Nasen… und wenn auch wir Menschen bleiben, wird man uns überall lieben und wie Bruder und Schwester aufnehmen. Petersburg… die schönste Stadt nach Paris. Sie wird unsere Heimat werden, die Heimat aller unserer Nachkommen, solange das Bernsteinzimmer dort besteht. Laß uns überzeugt sein, daß wir glückliche Menschen sind. Du wirst auch die Russen lieben lernen, und die nächsten sieben Jahre liegst du sowieso nur im Wochenbett…«

Zu Weihnachten ließ der König den Wachters noch einmal großzügig 200 Taler zuweisen, ein unfaßbarer Reichtum für einen einfachen Mann, der nur Kohlsuppe kannte, geschmortes Gemüse, am Sonntag ein Fleckchen Fleisch und ab und zu, wie jetzt zum heiligen Feste, ein mageres Gänschen oder einen älteren zähen Hahn. 200 Taler für Petersburg, für Kleidung und Schuhe, für die Ausstattung an Küche und Bett. Gott im Himmel, wie hast du uns gesegnet.

Der Ausbau des Bernsteinzimmers war nun besser zu übersehen und abzuschätzen. Wachter verpflichtete sich, bis spätestens 20. Januar 1717 die wertvollen Stücke zur Verpackung bereitliegen zu haben. Riesige Kisten wurden in der Hof Schreinerei bereits zusammengefügt, Sägespäne und sogar kostbare Gänsedaunen wurden gelagert, um den unersetzlichen Schatz unbeschädigt in Petersburg ankommen zu lassen.

«Bisher ist es gutgegangen«, sagte der König zu Wachter.»Saubere Arbeit hat Er abgeliefert. Nun kümmere Er sich um den Transport auch. Ich sag Ihm: Wenn man mir meldet, daß in Petersburg Trümmer angekommen sind, nehme ich die nächste Kutsche, verfolge Ihn in Rußland und prügele Ihn in die Erde.«

«Für den Transport bin ich nicht verantwortlich, Majestät.«

«Er ist es, Wachter! Braucht Er eine Order? Er bekommt sie von mir. Jeder soll auf Sein Wort hören. Den Garnisonen, durch die der Transport geht, wird befohlen werden, Ihm jegliche Hilfe zu gewähren. Ist Er jetzt zufrieden, Er Halunke?!«»Sehr zufrieden, Majestät.«

«Ich werde dem Zaren schreiben — in Holland ist er jetzt, daß Er mit dem Zimmer Ende Januar in Memel eintrifft und es dann offiziell von Preußen an Rußland übergeben wird. Ist es so richtig?«

«Ja, Majestät. «Wachter, der seit Wochen über Wegekarten brütete, um die beste Strecke nach Memel herauszufinden, überdachte die Wahl jedes Wortes.»Ich brauche ein Schiff.«»Ist Er toll? Wozu ein Schiff?«

«Der beste und sicherste Weg nach Memel ist der Wasserweg. Immer der Küste entlang, ohne Mühe und Sorgen wegen vereister Straßen, unpassierbarer Wälder, gesperrter Brücken, zerbrechenden Rädern, Schäden durch Sturm und Schnee, Erfrierungen und anderem Leid. Von Memel an werden die Russen den Weg bestimmen.«

Friedrich Wilhelm sah Wachter böse an.

«Ein Schiff will Er von mir haben? Wachter, Er macht Seinen König arm! Preußens Straßen sind bekannt für ihre Güte. Der Zar selbst hat sie gelobt. Aber für Ihn sind sie nicht gut genug, was?!«

«Es geht nur um die Sicherheit des Bernsteinzimmers, Majestät. Ich bürge mit meinem Kopf, und ihn möchte ich nicht verlieren.«

«Ich verstehe Ihn, Wachter. Laß Er mich überlegen, was wir tun werden.«

Am 17. Januar 1717 schrieb Zar Peter I. einen Brief an seine Gemahlin Katharina. Aus Amsterdam.

«Kathinka, mein Geliebtes. Neben vielem Neuen, von dem noch zu berichten ist, habe ich eine große Freude in Berlin erfahren. Der König von Preußen hat mir als Geschenk ein Bernsteinzimmer gemacht, ein Kabinett, wie es seinesgleichen auf der ganzen Welt nicht gibt. Ich will es in Petersburg aufstellen lassen, in unserem Winterhaus an der Newa. Gefallen wird es dir, es ist von einmaligerSchönheit…«

Und nach Petersburg gab er die Order:

«Ende des Januars hat eine Sondermission unter Leitung des Oberhofmarschalls sich nach Memel zu begeben. Er nimmt dort einen Wagenzug des Königs von Preußen entgegen, den ein Friedrich Theodor Wachter aus Berlin befehligt, und bringt die Ladung unversehrt, mit größter Sorgfalt fahrend, in meine Stadt. Gelagert wird im Winterhaus, bis ich zurückkomme aus Amsterdam. Es soll bewacht werden Tag und Nacht…«

Es wurde ein Wettlauf gegen die Zeit. Fast war der Abbau des Bernsteinzimmers vollendet, waren die Schnitzereien und Mosaike auf neuen, kräftigen Holztafeln verklebt und verklammert, standen die Kisten in der Tischlerei bereit, war ein Schiff von Stettin bis Memel gefunden und ein großer Laderaum belegt, da brach der Winter über das Land herein, mit Schneestürmen und Vereisungen, so daß Wachter zu seinem König sagte:

«Majestät, ich wage nicht, bei diesem Wetter die Fuhrwerke nach Stettin auf den Weg zu bringen. «Friedrich Wilhelm nahm es zur Kenntnis.

«Da sieht Er, wie erbärmlich Menschenwerk gegen die Natur ist. Warte Er also auf eine gute Zeit«, sagte er einsichtig.»Was macht Sein Bein?«

Wachter hob die Schultern. Bei einem Besuch der Hoftischlerei war er auf dem vereisten Boden ausgeglitten und so unglücklich gefallen, daß sein linkes Bein zu Bruch ging. Der Militärarzt der Garde, vor dem sogar die Langen Kerls zitterten, hatte ihn behandelt, das Bein zwischen zwei Bretter gepreßt und dann bandagiert. Auf einer Krücke humpelte er herum, oft mit schmerzverzerrtem Gesicht, und der Medicus hatte ihm bereits angekündigt, daß er vielleicht für immer hinken würde, von jetzt ab ein Invalide, ein komplizierter Bruch sei's, der Knochen würde schief wieder zusammenwachsen, ein kürzeres linkes Bein würde bleiben.

«Es ist zu ertragen, Majestät«, antwortete Wachter.

«Sei Er froh, daß Er nicht nur ein Bein hat wie viele meiner Soldaten nach dem Kampf. Und das Bernsteinzimmer stört das nicht, und Kinder macht man nicht mit den Beinen! Er ist immer noch ein richtiger Kerl.«

Adele Wachter hatte in dieser Zeit viel eingekauft. Die Reisekisten waren gefüllt, und trotzdem hatte sie noch 70 Taler übrig. Das Söhnchen Julius studierte Karten, Kupferstiche und Beschreibungen von Petersburg und Rußland und schlug sich mit seinen Spielgefährten herum, die ihn bereits» den Russen «nannten. Adele war es jetzt viel übel, sie erbrach sich oft, das Wachsen des zweiten Kindes in ihrem Leib machte ihr zu schaffen. Sie aß viele Äpfel und in Zuckersirup eingelegte Kirschen, und die Hebamme, die weise Frau, sah sie forschend an und sagte ein paarmal:»Ein Mädchen wird's. Jawohl, ein Mädchen. So wie Ihr ausseht, Wachterin, muß es ein Mädchen werden.«

Es wurde April.

Der Bauch der Wachterin hatte sich gerundet, nun sah man deutlich ihren Zustand, und Wachter humpelte ohne Stock und Beinstützen herum, er hinkte wirklich etwas, aber war mit sich und seinem Körper zufrieden, nachdem ihm der Garde-Medicus mitgeteilt hatte:»Gute Knochen hat Er. Und ein gutes

Heilfleisch. Er ist früher wieder unter den Gesunden, als ich dachte.«

Bei schönem Frühlingswetter knirschten die Fuhrwerke über den Hof des Berliner Stadtschlosses. Achtzehn Kisten waren gepackt worden, große, massive Behälter, gefüllt mit Sägespänen und Decken und Daunen, darin die Bernsteinwandtafeln, die Ornamente, Figuren, Masken, Gesimse und Sockel. Die kostbarste Fracht, die jemals von Land zu Land transportiert wurde. Den achtzehn Fuhrwerken waren noch zwei Kaleschen beigeordnet, in denen der Hausrat der Wachters verstaut war und in denen die schwangere Wachterin saß, der Junge Julius und das Hündchen Moritz. Auch er, der zur Familie seit sechs Jahren gehörte, mußte mit nach Petersburg, eine abenteuerliche Mischung aus Spitz, Windspiel und Hühnerhund und mit wachen, tatsächlich blauen Augen. Ein braun-weiß geflecktes Fell hatte er, und seine größte Tat war bisher gewesen, daß er den Feldwebel Hans Hoppel während des Exerzierens in die rechte Wade biß. Nur mit Mühe hatte man Hoppel davon abhalten können, Moritz mit dem Säbel in zwei Teile zu spalten.

Zum letztenmal stand Wachter seinem König gegenüber und hatte, er wollte es nicht, aber er konnte es nicht bezwingen, wieder Tränen in den Augen.

«Wachter, Er heult zuviel!«sagte der König streng.»Im Himmel sehe ich euch alle wieder… meine Langen Kerls und Ihn! Mach Er's gut, sei Er ein braver Diener des Zaren, pflege Er mir das Bernsteinzimmer, wie Er geschworen, und denke Er daran, daß Gott seine Hand über Ihn hält.«

Dann gab er Wachter einen leichten, väterlichen Klaps mit dem Buchenstock auf die linke Schulter, ein Beweis seiner Güte, den Wachter wie einen Ritterschlag empfing.

«Gott schütze Sie, Majestät«, sagte er mit schwerer Zunge, verneigte sich tief und verließ das Arbeitskabinett des Königs. Eine Stunde später war die Kolonne auf dem Schloßhof zur Abfahrt bereit. Die Frühlingssonne bestrahlte sie mit goldenem Glanz, die 108 Pferde — vor jedem Fuhrwerk also sechs kräftige, hohe Pferde, bestens im Futter, stark und ausdauernd, erprobt beim Ziehen der Kanonen — wieherten wie zum Abschied. Die vier Pferde der Kutsche tänzelten in ihrem Geschirr, und Friedrich Theodor Wachter saß im Sattel eines Apfelschimmels, umritt noch einmal die Kolonne und gab dann das Handzeichen zum Abmarsch.

Friedrich Wilhelm stand am Fenster seines Kabinetts und blickte, auf seinen Stock gestützt, dem Abzug der Gespanne zu. Wird mir das Vorpommern bringen? dachte er. Werde ich Preußen zum stärksten Staate in Europa machen? Lohnt sich das Geschenk?

Reise Er gut, Wachter, und komme Er gesund in Petersburg an. Sein König wird an Ihn denken -