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14.

Damaskus

Oktober 1097

Es war nicht mehr als ein Gefühl, das Bahram al-Armeni hegte, aber er wurde es nicht mehr los.

Es begleitete ihn, als er am frühen Morgen das Haus verließ, um in der Kirche von Johannes dem Täufer zu beten; es verfolgte ihn, als er unter den großen, Schatten spendenden Planen hindurch die Gassen und Säulenhallen des Basars abschritt; und weder ließ es ihn los, als er seinem alten Freund, dem Mosaikmaler Kele einen Besuch abstattete, noch als er die Bibliothek der Großen Moschee aufsuchte, um seine Studien der arabischen Philosophie fortzuführen.

Erst als er in sein Haus zurückkehrte und sein Diener ihm berichtete, dass Abu Nasr al-Muluk Duqaq, der ebenso mächtige wie zum Jähzorn neigende Emir der Stadt, ihn unverzüglich in seinem Palast zu sprechen wünsche, schien sich die dumpfe Vorahnung zu bestätigen wie ein Sandsturm, der sich zunächst nur als ferner Schleier am Horizont ankündigte und sich dann mit aller Macht entlud. Bahram folgte dem Ruf, nicht ohne Turban und Kaftan abzulegen und sie gegen Helm und Harnisch zu tauschen. Wenn Duqaq ihn zu sehen wünschte, dann nicht als Mann der Wissenschaft.

Sondern als Soldat.

Der Palast erhob sich jenseits des Flusses, inmitten der unzähligen Kuppeln und Türme der von hohen Mauern umgebenen Stadt. Es war ein mächtiges Gebäude mit einem eindrucksvollen Portal, kühn geformten Erkern und wehrhaften Zinnen, über denen sich ein einzelner Turm erhob. Bahram war lange nicht dort gewesen. Länger, als aufgrund der politisch unsicheren Zeiten zu befürchten gewesen war; kürzer, als er sich insgeheim erhofft hatte.

In die Offiziersrobe aus orangefarbenem Brokat gehüllt, über der er den breiten Gürtel mit dem kilij trug, dazu den spitz geformten goldfarbenen Zeremonienhelm mit dem Turban, durchschritt Bahram die Eingangshalle. Ein Hofbeamter nahm ihn in Empfang und führte ihn zu Duqaq, vorbei an prächtigen Säulen und Wandteppichen, die die Taten von Duqaqs Vater Tutush priesen, der sich zum Sultan hatte aufschwingen wollen, dabei jedoch gescheitert war.

Nach Tutushs Tod war dessen einstiger Herrschaftsbereich unter seinen Söhnen Duqaq und Ridwan aufgeteilt worden: Während Duqaq Damaskus erhalten hatte, war die Stadt Aleppo mit all ihren Besitzungen Ridwan zugesprochen worden. Die aus dieser ungleichen Teilung resultierende Feindschaft zu seinem Bruder war die eine Eigenschaft, die den Fürsten von Damaskus kennzeichnete; sein berechnendes Wesen und sein messerscharfer Verstand die andere.

Und er war kein Mann, der leicht verzieh.

Eigentlich hatte Bahram gehofft, nie mehr in seine Dienste treten zu müssen. Nachdem er viele Jahre unter Tutush gedient hatte, hatte er nach dessen Tod um Entlassung aus der Armee gebeten, und Duqaq hatte sie ihm bereitwillig gewährt. Jedoch nur zeitweilig, wie es den Anschein hatte.

»Friede mit Euch, mein Fürst.«

Bahram verbeugte sich tief, als er vor seinem Herrscher stand, und er verharrte in seiner Verbeugung, bis der Emir von Damaskus seine Begrüßung erwiderte.

»Friede auch mit dir, Armenier«, entgegnete er, worauf Bahram sich wieder aufrichtete.

Duqaq hatte sich seit ihrer letzten Begegnung verändert, wenngleich Bahram nicht zu sagen wusste, worin genau diese Veränderung bestand. Lag es daran, dass graue Fäden seinen sorgsam gestutzten Kinnbart durchzogen? Dass er Gewicht verloren hatte und dadurch seinem Vater ähnlicher geworden war? Oder lag es am Glanz seiner Augen, der unverhohlen begehrlich wirkte?

»Ihr habt mich rufen lassen, mein Fürst?«

»In der Tat.« Duqaq war damit beschäftigt, seine beiden Falken mit kleinen Fleischbrocken zu füttern – prächtige Tiere, die auf einem holzgeschnitzten Ständer thronten. Unmittelbar dahinter öffnete ein breiter Fensterbogen den Blick auf das sandfarbene Häusermeer der Stadt, über dem sich ein blau leuchtender Himmel spannte – unerreichbar für die Vögel, deren Krallen an das Holz gekettet waren und deren Schicksal Bahram an sein eigenes erinnerte.

Obschon er dringend nach ihm hatte schicken lassen, schien der Emir jetzt, wo Bahram bei ihm war, keine Eile mehr zu verspüren. In aller Langsamkeit – wohl, um ihm seine Überlegenheit zu demonstrieren – brachte er die Fütterung der Vögel zu Ende. Erst dann wandte er sich seinem Besucher zu. Eine scharlachrote Robe, die an den Ärmeln mit einer goldenen Stickerei der Anrufung Gottes, dem tiraz, verziert war, umfloss seine hagere Gestalt.

Rot, dachte Bahram.

Die Farbe des Krieges.

»Du kommst spät«, stellte Duqaq fest.

»Verzeiht, mein Fürst, das lag nicht in meiner Absicht.«

Der Stadtherr von Damaskus nickte verzeihend, der Blick seiner grünen Augen jedoch blieb forschend. »Was weißt du über die Ereignisse im Norden?«, fragte er dann.

Bahram seufzte innerlich. Er hatte befürchtet, dass Duqaq ihm diese Frage stellen würde.

»Nur das, was man auf dem Basar und in den Souks zu hören bekommt. Dass sich die Franken mit dem Kaiser verbündet haben und ins Land der Seldschuken eingefallen sind. Nicaea ist gefallen.«

»Und nicht nur das«, stimmte Duqaq grimmig zu. Die Gesichtszüge unter dem weißen Turban verzerrten sich in schierer Missbilligung. »Dieser Schwächling Arslan hat den Angreifern Tür und Tor zu seinem Reich geöffnet und sie unbehelligt bis Iconium marschieren lassen.«

»Unbehelligt?« Bahram hob die Brauen. »Herr, wie ich hörte, hat der Sultan von Rum sein eigenes Land verwüstet, um den Vormarsch der Barbaren aufzuhalten.«

»Das hat er, aber die Franken haben ihren Weg dennoch fortgesetzt und sind bis Heraklea gelangt, wo sie die Überreste seiner Armee vernichtend geschlagen haben. Und nun«, fügte der Herr von Damaskus mit unheilvollem Lächeln hinzu, »sind sie auf dem Weg nach Syrien.«

Bahram wappnete sich innerlich. Er hatte Gerüchte gehört, sie jedoch nicht wahrhaben wollen. Wohl weil er geahnt hatte, was sie für ihn bedeuteten …

»Wie zu hören ist, hat sich das Heer der Kreuzfahrer, wie sie sich nennen, inzwischen getrennt«, fuhr der Emir in seiner Rede fort. Jedes Wort erweckte den Anschein, genau ausgewählt worden zu sein. »Ein kleiner Teil hat es vorgezogen, den direkten Weg durch die kilikische Pforte zu nehmen und nach Tarsus vorzustoßen, dessen Bewohner ihnen bereitwillig die Tore geöffnet haben, nachdem des Sultans Soldaten die Stadt über Nacht verlassen hatten.«

»Das ist Verrat, mein Fürst«, warf Bahram ein.

»Wie erfreulich, dass wir uns darüber einig sind, mein guter Armenier«, entgegnete Duqaq, wobei sein Augenspiel unmöglich zu deuten war. »Der größere Teil des Frankenheeres indes ist weiter nach Caesarea gezogen, das sich ebenfalls kampflos ergeben hat. Von dort haben sie vor wenigen Wochen die Pässe nach Süden überwunden.«

»Um diese Jahreszeit? Dann sind die Franken ebenso barbarisch wie töricht.«

»Sie wissen über dieses Land genauso wenig, wie sie über uns wissen. Der Marsch über das Gebirge war beschwerlich. Viele, die zu schwach dazu waren, mussten zurückgelassen werden, und der einsetzende Winter im Gebirge hat viele weitere das Leben gekostet, die des Nachts erfroren sind oder von dunklen Klüften verschlungen wurden. Aber ihre Streitmacht besteht noch immer, denn sie sind zahlreich wie die Sterne, und ihr Vormarsch geht weiter. Sie haben Marash hinter sich gelassen. Wie meine Boten mir berichten, sind sie dabei, sich wieder zu einem großen Heer zu vereinen. Und wie ich dich kenne, brauche ich dir nicht zu sagen, was ihr nächstes Ziel sein wird.«

»Antiochia«, sagte Bahram ohne Zögern.

»Ohne Zweifel.« Der Emir nickte. »Die Perle des Orontes ist der Schlüssel zu Syrien und zu Palaestina. Die Franken brauchen die Stadt, wenn sie die Kontrolle über den Süden erlangen wollen – sogar ein Narr wie Yaghi Siyan ist sich dessen ganz offenbar bewusst.«

Bahram nickte. Emir Yaghi Siyan war der Statthalter von Antiochia, ein einstiger Gefolgsmann Tutushs, der es nach dessen Tod jedoch vorgezogen hatte, sich dem Schutz von Duqaqs Bruder Ridwan von Aleppo zu unterstellen. Entsprechend schlecht war Duqaq auf den Emir von Antiochia zu sprechen – auch wenn dieser zwischenzeitlich längst mit Ridwan gebrochen hatte.

»Ihr habt Kunde aus Antiochia, Herr?«, fragte Bahram.

Der Herr von Damaskus lächelte, ein Ausdruck tiefster Genugtuung. »Es mag dich verwundern, Armenier, aber unter dem Eindruck der nahenden Bedrohung sah sich der Emir von Antiochia dazu veranlasst, Boten mit der Bitte um Hilfe zu entsenden – nicht nur nach Aleppo, das ihm bei allen Widrigkeiten am nächsten liegt, sondern auch zu mir nach Damaskus, nach Mossul und sogar ins ferne Bagdad. Daran magst du erkennen, wie groß die Furcht dieses elenden Verräters ist, den Allah einst strafen möge.«

»Ich verstehe, Herr«, sagte Bahram nur, der allmählich zu ahnen begann, weshalb man ihn hatte rufen lassen.

»Wie auch immer – mein tumber Bruder wird Yaghi Siyan wohl nicht unterstützen, dafür hat der ihm in den letzten Jahren zu sehr zugesetzt. Ohne die Bedrohung für das Sultanat zu erkennen, wird er Antiochien seinem Schicksal überlassen wollen. Und das gibt mir die Gelegenheit, ihm zu entreißen, was von Beginn mein hätte sein sollen.«

»Mein Fürst?«, fragte Bahram.

»Ich werde Yaghi Syans Hilferuf Folge leisten«, erläuterte Duqaq seinen Entschluss, während er über den mit Leopardenfellen bedeckten Boden zur Stirnseite des Raumes schritt und sich auf eines der großen seidenen Kissen fallen ließ. »Ich werde mit einer Armee nach Antiochia marschieren und die Barbaren ins Meer jagen. Mehr noch, ich werde ein Bollwerk nach Norden errichten, auf dass kein Franke es jemals wieder wagen soll, seinen Fuß auf diese Seite des Gebirges zu setzen – und mein Name wird auf ewig mit der Befreiung des Landes von der Geißel der Barbaren verbunden sein.«

»Ein Platz in den Chroniken der Geschichtsschreiber ist Euch damit gewiss, mein Fürst. Aber ich nehme nicht an, dass dies der einzige Grund dafür ist, dass Ihr Eure alte Feindschaft zu Yaghi Siyan überwindet.«

Duqaq lachte auf, eine Reaktion, die in ihrer Offenheit nicht zu seinem undurchschaubaren, fast verschlagenen Wesen passen wollte. »Bei des Propheten Bart. Jahre mögen vergangen sein, seit du meinem Vater gedient hast, Armenier, aber deine Zunge hat nichts von ihrer Schärfe eingebüßt.«

»Verzeiht, mein Fürst. Das lag nicht in meiner Absicht.«

»Ich weiß, Armenier. Du bist ein Freund offener Worte, anders als diese Speichellecker von Hofbeamten und Beratern, die mich umgeben. Schon mein Vater wusste deine Wahrheitsliebe zu schätzen, sonst hätte er dir die Zunge wohl längst herausgeschnitten.«

»Das ist anzunehmen«, gab Bahram zu.

»Auch ich schätze ein offenes Wort, deshalb gestehe ich ein, dass deine Vermutung richtig ist. Es geht mir nicht darum, diesem verräterischen Narren Yaghi zu Hilfe zu kommen – von mir aus könnten die Barbaren seine Stadt niederbrennen und sein gesamtes Herrschaftsgebiet in Schutt und Asche legen, es wäre mir gleichgültig. Aber sein Hilferuf, mein guter Bahram, ebnet mir den Weg nach Antiochia. Gelingt es mir, es vor dem Zugriff der Franken zu bewahren, so werde ich mich ohne Schwierigkeit zum Herrscher der Stadt aufschwingen können. Und habe ich erst Antiochien und Damaskus unter meiner Gewalt vereint, so ist mir die Vormachtstellung über ganz Syrien sicher.«

Bahram war überrascht. Duqaqs Ehrgeiz war schon immer ausgeprägt gewesen, und so verwunderte es nicht, dass er die sich bietende Gelegenheit zu seinen Gunsten nutzen wollte. Ambitionen wie diese jedoch, die sich auf ganz Syrien bezogen, waren neu und ließen erstmals das Erbe seines Vaters durchblicken.

Die Vorteile einer solchen Politik waren allerdings offensichtlich. In der Vergangenheit hatten die Stadtherren Syriens sich in nicht enden wollenden Machtkämpfen gegenseitig zermürbt, während im Süden die Bedrohung durch den Kalifen von Kairo immer größer geworden war. Ein starkes, vereintes Syrien würde Frieden und Sicherheit bedeuten und in der Lage sein, sowohl dem Kalifat als auch den Eroberern aus dem Norden die Stirn zu bieten.

»Wie kann ich Euch helfen, Herr?«, fragte Bahram.

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Ich hege einen Verdacht.«

»Und?«

Bahram seufzte, fügte sich in das Unausweichliche. »Ich habe Eurem Vater viele Jahre treu gedient, Herr. Er war es, der einem Namenlosen ein ehrenvolles und ruhmreiches Leben ermöglichte. Ich habe es ihm vergolten, indem ich ihm treu zur Seite stand und gegen seine Feinde kämpfte. Nach dem Tod Eures Vaters glaubte ich daher, dass die Tage des Kampfes für mich zu Ende seien – doch wenn Feinde das Sultanat bedrohen, bin ich bereit, das Schwert erneut zu erheben.«

»Nichts anderes habe ich erwartet«, sagte Duqaq mit wissendem Lächeln. »Doch ich muss wissen, ob ich deiner Loyalität in diesem Fall ganz sicher sein kann, Bahram al-Armeni.«

»Das könnt Ihr, Herr.«

»Auch wenn es gegen Christen geht?« Die grünen Augen des Fürsten musterten ihn prüfend. »Du weißt, dass dein Irrglaube nie eine Rolle gespielt hat, weder unter meinem Vater noch unter meiner Herrschaft. Dennoch muss ich mir gewiss sein, dass du für die Kreuzfahrer am Ende nicht doch größere Zuneigung hegst als für deinen Landesherrn, der Allahs Diener und Zeuge ist.«

»Das wird nie geschehen, mein Fürst«, versicherte Bahram ohne Zögern. »Mögen jene Angreifer sich auch Christen nennen – in Wirklichkeit verraten sie alles, was der Herr sie gelehrt hat, und sind nichts weiter als ungebildete Barbaren, deren einziges Ansinnen die Zerstörung ist. Mein Platz, Herr«, fügte er mit fester Stimme hinzu, wobei er die linke Hand auf die Scheide und die rechte auf den Griff seines Schwertes legte, »ist hier bei Euch, so wie er einst bei Eurem Vater war.«

Statt zu antworteten, taxierte Duqaq ihn weiter, wobei nicht zu erkennen war, was der Emir von Damaskus dachte.

»Gut«, sagte er schließlich, ohne seinen Blick zu wenden oder ihn auch nur etwas abzumildern. »Dann ernenne ich dich hiermit zum Oberbefehlshaber der askar

»Mein Fürst?«

»Du hast verstanden, Bahram. Meine Entscheidung ist getroffen.«

Einmal mehr hatte Duqaq die Überraschung auf seiner Seite. Der askar genannte Teil des Heeres stellte die besten Kämpfer des Fürsten und setzte sich zum größten Teil aus ghulam zusammen, gepanzerten Reitern, die einst Sklaven gewesen waren und sich im Kriegsdienst Respekt und Anerkennung verdient hatten. Die meisten von ihnen waren, ihrer Herkunft ungeachtet, zum Islam übergetreten, sodass die Berufung eines armenischen Christen zu ihrem Anführer zumindest sonderbar war.

»Darf ich Euch etwas fragen, Herr?«

Wieder spielte das rätselhafte Lächeln um Duqaqs Züge. »Natürlich.«

»Warum beruft Ihr keinen Sohn Mohammeds an die Spitze der askar? Ich bin sicher, dass es viele ebenso tapfere wie kluge Krieger gibt, die sich der Aufgabe mit Eifer stellen würden und deren Loyalität Ihr Euch nicht erst versichern müsstet.«

»Die gibt es zweifellos, aber ich möchte, dass ein Christ die askar befehligt.«

»Warum?«

»Zum einen, weil du die Schliche unserer Feinde kennst und weißt, wie sie denken. Heißt es nicht, dass man Feuer am besten mit Feuer bekämpft?«

»So heißt es. Aber ich bitte Euch zu bedenken, mein Fürst, dass ich über jene Christen auch nicht mehr weiß als Ihr. Sie sind mir nicht weniger fremd als …«

»Zum anderen«, fuhr Duqaq unbeirrt fort, der offenbar keine Einwände hören wollte, »will ich ein leuchtendes Zeichen setzen.«

»Ein Zeichen, mein Fürst? Wofür?«

»Wenn du der bist, als der mein Vater dich stets schätzte und pries, dann muss ich dir das nicht erklären, Bahram. Yaghi Siyan schickt nicht von ungefähr nach Hilfe. Er weiß, dass seine Seldschukenkrieger nur einen kleinen Teil der Bevölkerung Antiochias ausmachen. Der überwiegende Teil besteht aus Christen, und natürlich fürchtet er, dass sie ebenso wie ihre Brüder in Armenien den Kreuzfahrern bereitwillig die Tore öffnen könnten, sobald sie nahen – nicht von ungefähr hat er bereits viele von ihnen der Stadt verwiesen. Die Kreuzfahrer wiederum gebärden sich als Befreier ihrer Glaubensbrüder. Was aber werden sie sagen, wenn einer der Oberbefehlshaber des feindlichen Heeres ebenfalls ein Christ ist?«

»Ich verstehe, mein Fürst.« Bahram nickte. Duqaqs Taktik entbehrte nicht einer gewissen Raffiniertheit – etwas, das er seinem Vater und seinem Bruder voraushatte.

Der Herr von Damaskus beugte sich auf seinem Kissen vor und zischte die folgenden Worte. »Die Franken mögen behaupten, im Namen ihres Glaubens hier zu sein, einen Feldzug um ihres Glaubens willen zu führen wie einst der Prophet – aber natürlich ist das eine Lüge. In Wahrheit geht es ihnen nur darum, Land und Macht zu gewinnen. Es ist das alte Spiel mit neuen Regeln, der Kampf zweier Reiche.«

Der Kampf zweier Reiche …

Dem Widerhall eines Hammerschlags gleich wirkten die Worte im Bewusstsein von Bahram nach. Unwillkürlich musste er an jene Nacht denken, in der Ibn Khallik ihm die Sterne gedeutet hatte. Ein Reich wird untergehen – und ein neues entstehen, hatte der alte Sterndeuter gesagt. War die Prophezeiung bereits dabei, sich zu erfüllen?

Eine Sorgenfalte erschien auf der hohen Stirn des Armeniers, was Duqaq nicht verborgen blieb. »Was hast du?«, wollte er wissen.

»Nichts, mein Fürst. Ich musste nur gerade an etwas denken.«

»Fühlst du dich der Aufgabe gewachsen?«

Bahram straffte seine sehnige Gestalt. Das Licht der Nachmittagssonne, das unter dem Fensterbogen hindurchdrang, ließ seine orangerote Robe leuchten. »Ja, mein Fürst«, entgegnete er.

»Dann ruf die Krieger zu den Waffen. Nicht nur die askar, auch die ajnad des Umlandes wird sich formieren, dazu Söldner aus dem Osten. Das Heer der Kreuzfahrer soll unter unserem Ansturm erzittern, und die Welt soll mich als den Befreier Antiochiens feiern!«

»Wann werden wir aufbrechen, mein Fürst?«

»Wann immer ich den Befehl dazu gebe«, erwiderte Duqaq, und wieder war jenes geheimnisvolle Blitzen in seinen Augen zu erkennen. Der Emir von Damaskus liebte es, seine wahren Absichten hinter Rätseln und Andeutungen zu verbergen.

Eines jedoch stand Bahram nur zu deutlich vor Augen.

Dass die Zeit der Muße und der friedlichen Studien unwiderruflich zu Ende war.