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16.

Pons Farreus

21. Oktober 1097

Der Kampf war zu Ende. Mit ernüchterndem Ergebnis.

Auf einem Hügelgrat stehend, der nach Südwesten sanft abfiel, beobachtete Guillaume de Rein den Rückzug des Heeres – oder besser von dem, was noch davon übrig war.

Mit eintausend Reitern und etwa doppelt so viel Fußvolk war Herzog Robert von der Normandie vorausgezogen, um dem Hauptheer den Weg nach Antiochia zu ebnen. Durch das Tal von Amuk waren sie zum Orontes vorgestoßen und ihm gefolgt, bis sie zu jener Brücke gelangten, die in der Nähe des Ortes Farreus über den Fluss führte. Die Kreuzfahrer jedoch hatten ihr einen eigenen Namen gegeben.

Pons ferri.

Die Brücke aus Eisen – und diesem Namen hatte sie alle Ehre gemacht. Noch immer klangen Guillaume die Schreie der Männer in den Ohren, die versucht hatten, den Wachturm einzunehmen, der den Brückenkopf sicherte, und die geradewegs in den Pfeilhagel des Feindes geraten waren, dazu das panische Wiehern der Pferde, die unter ihren Reitern zusammenbrachen. Und sobald er die Augen schloss, sah Guillaume überall blutende, mit Pfeilen gespickte Leiber. Hundertfach hatte der gefiederte Tod die Kreuzfahrer ereilt und ihren Angriff jäh ins Stocken gebracht.

Auch Guillaume blutete. Die Wunde an seinem Arm war nicht tief, aber sie schmerzte höllisch. Einer der unzähligen Pfeile, die auf die normannische Vorhut niedergegangen waren, hatte das Kettengeflecht seiner Rüstung durchdrungen und sich durch Polsterung und Haut geschnitten. Jedesmal, wenn der Schmerz durch seinen Arm flutete und er am liebsten laut aufgeschrien hätte, fragte sich Guillaume, warum er den Auftrag, den König Rufus ihm erteilt hatte, nicht längst ausgeführt und Herzog Robert, der sich als völlig unfähig erwiesen hatte, eine Truppe zu führen, einfach beseitigt hatte. Doch seine Mutter hatte es ihm verwehrt mit dem Hinweis, dass die Zeit noch nicht reif dafür sei.

So hatte Guillaume also stillgehalten, hatte die entbehrungsreichen Märsche durch das anatolische Hochland und über die schneebedeckten Gipfel Armeniens bestritten und darauf gewartet, dass seine Stunde schlug. In diesem Augenblick allerdings kam es ihm vor, als wäre sie in weite Ferne gerückt.

»Ein trauriger Anblick, nicht wahr?«

Eustace de Privas, der neben ihm stand und wie er auf das elende Schauspiel blickte, verzog angewidert das Gesicht. Obschon er weder Normanne war noch zu Roberts Gefolge gehörte, hatte er sich der Vorhut angeschlossen, zusammen mit einigen anderen Rittern der Bruderschaft, von denen nicht alle das Scharmützel am Fluss überlebt hatten.

»Adelard und Huidemar sind tot, Landri liegt schwer verwundet«, erstattete Eustace Bericht, während er erschöpft ins gelbe Gras sank. Auch er blutete aus einer Wunde am Kopf, die er sich beim Sturz vom Pferd zugezogen hatte. »Zusammen mit jenen Brüdern, die wir vor Herakleia und beim Überqueren der Berge verloren haben, sind es damit nun schon achtundzwanzig, Guillaume. Achtundzwanzig! Und dabei haben wir das Heilige Land noch nicht einmal erreicht.«

Guillaume betrachtete seinen Waffenbruder von der Seite. Mehr als ein Jahr war vergangen, seit er in den unterirdischen Verliesen von Caen in die Bruderschaft der Suchenden eingeführt worden war – ein Jahr, in dem viel geschehen war und sich noch mehr verändert hatte. Viele von denen, die der geheimen Vereinigung die Treue geschworen und ihr Leben in den Dienst der Suche nach den heiligen Reliquien gestellt hatten, waren nicht mehr am Leben. Obschon die Bruderschaft dafür gesorgt hatte, dass ihre Kämpfer nicht zu darben hatten wie so viele andere, waren viele der Hitze oder grassierenden Krankheiten zum Opfer gefallen – oder wie zuletzt einem unbarmherzigen Feind.

Eustace de Privas gehörte zu denen, die überlebt hatten, aber auch er hatte sich verändert, war nicht mehr jener vor Zuversicht strotzende Recke, als der er Guillaume in Caen erschienen war. Das Oberhaupt der Bruderschaft, die er zusammen mit einigen französischen Rittern gegründet hatte, hatte an Glanz verloren. Sein einst makelloser Teint war fleckig, seine hohen, aristokratischen Wangen eingefallen und sein Bart war nicht länger eine fein getrimmte Zier, sondern ein wucherndes Ungetüm, das die untere Hälfte seines Gesichts verschlang; sein Waffenrock schließlich war zerschlissen, die einstmals blaue Farbe ausgebleicht und schmutzig. Das allein wäre nicht weiter verwunderlich gewesen, denn viele Edle waren im Zuge der vielen Entbehrungen verwildert und zu Schatten ihrer selbst geworden. Doch mit einer Mischung aus Verblüffung und Genugtuung stellte Guillaume fest, dass in Eustaces Zügen erstmals auch Zweifel zu lesen waren.

Er selbst hatte nie Hoffnungen gehegt, was die Ziele des Feldzugs betraf, also hatten sie auch nicht enttäuscht werden können. Seine Interessen richteten sich ausschließlich auf sich selbst, seine beherrschende Empfindung in diesem Augenblick war nicht Niedergeschlagenheit oder Trauer, sondern Wut …

»Wen will das wundern bei solchen Führern«, entgegnete er auf Eustaces Einwurf. »Dummheit und Unfähigkeit regieren, wo Tapferkeit und weise Voraussicht das Sagen haben sollten.«

»Du solltest froh sein, dass ich und niemand sonst dich so reden hört«, erwiderte Eustace. Im Lauf der Zeit waren sie einander vertrauter geworden, und Guillaume genoss inzwischen das Privileg, sich zum engsten Kreis der Bruderschaft zählen zu dürfen – was wohl auch daran lag, dass von Eustaces alten Freunden viele nicht mehr am Leben waren. Zwar waren im Gegenzug zahlreiche junge Adelige aufgenommen worden, doch konnten sie nicht alle Verluste ersetzen.

»Meinst du?« Guillaume schüttelte das Haupt. Angewidert starrte er auf den nicht enden wollenden Zug der Kämpfer, der sich durch die Talsohle schleppte. Auf jeden Ritter, der noch auf dem Pferd saß, kamen zwei, die zu Fuß gingen, und noch ein weiterer, der verwundet war und den sie trugen. Der Pfeilhagel der Muselmanen, in den ihr Anführer sie blindlings hatte rennen lassen, hatte hohe Verluste gefordert, nicht nur unter den Reitern und Fußsoldaten, sondern auch unter den Tieren. »Robert ist ein Dummkopf«, fügte Guillaume bitter hinzu. »Das hat er auch früher schon gezeigt. Ein Stümper wie er verdient es nicht, uns anzuführen.«

»Um Himmels willen«, zischte Eustace und sah sich auf dem Hügelgrat um, so als fürchtete er, sie könnten belauscht werden. »Mäßige dich, Bruder, ich bitte dich!«

»Nein, Eustace.« Guillaume verzog das Gesicht. »Ich bin der Bruderschaft nicht beigetreten, um mich zu mäßigen. Und ganz sicher nicht, um am Ende der Welt mit einem Pfeil in der Brust elend zu verrecken. Wir sind zu Höherem berufen, hast du das vergessen?«

»Natürlich nicht. Aber wie können wir hoffen, die weltlichen Hinterlassenschaften des Herrn zu finden, wenn es uns nicht einmal gelingt, die Stätten seines Wirkens zu erreichen? Bedenke, was sich uns bislang in den Weg gestellt hat, Guillaume: Nicht nur der grausame Feind, auch Elend, Seuchen und Unwetter sind über uns hereingebrochen. Es gibt Prediger, die davon sprechen, dass sich die Prophezeiungen aus der Apokalypse an uns bewahrheiten würden.«

»Und solch einen Unfug glaubst du?« Guillaume schnaubte.

»Du etwa nicht?«

»An den Hindernissen, die sich uns in den Weg gestellt haben, war nichts Übernatürliches. Sie waren die Folge falscher Entscheidungen, die von den Fürsten getroffen wurden, und es ist an der Zeit, dass sich das ändert.«

»Wie?«, fragte Eustace verblüfft.

»Die Bruderschaft hat bislang immer Lösungen gefunden«, schnaubte Guillaume. »Sie hat uns genährt, als andere hungerten, und sie füllt unsere Börsen, wo andere bereits verarmt sind und als elende Bettler nach Hause zurückkehren mussten.«

»Nun«, meinte der Provenzale, »Proviant zu besorgen und Karawanen der Heiden zu überfallen ist eine Sache – unseren Auftrag zu erfüllen hingegen etwas anderes.«

»Es kommt darauf an.«

»Wie meinst du das?«

Um Guillaumes schmale Lippen spielte ein grausames Lächeln. »Weder haben sich die Fleischtöpfe von selbst gefüllt, Eustace, noch haben die Heiden ihren Besitz freiwillig an uns abgegeben. Wir haben die Initiative ergriffen. Hast du nicht selbst gesagt, dass die heiligen Reliquien demjenigen, der sie findet, Macht und Einfluss eintragen werden?«

»Das habe ich, aber …«

»Also sollten wir dafür sorgen, dass sie gefunden werden«, schnitt Guillaume dem Vorsteher der Bruderschaft das Wort ab. »Anders werden wir die Machtverhältnisse im Heer nicht ändern können.«

»Bruder!« Eustace sah ihn zweifelnd an. »Ich höre deine Worte, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was sie bedeuten.«

»Oh, doch, du hast verstanden.« Ebenso wie er selbst es getan hatte, als seine Mutter ihm den Plan zum ersten Mal vorstellte. »Vor einigen Wochen machte ich die Bekanntschaft eines Mannes, der sich Peter Bartholomaios nennt.«

»Peter Bartholomaios?« Eustace schüttelte den Kopf. »Ich habe nie von ihm gehört.«

»Die wenigsten haben das. Er stammt aus einfachen Verhältnissen, und ich werde dich nicht mit Berichten darüber langweilen, wie ich ihn kennenlernte. Aber jener Bartholomaios behauptet, Visionen vom heiligen Andreas zu haben.«

»Er hat Visionen von Sankt Andreas?«, fragte Eustace staunend.

»Nein«, widersprach Guillaume. »Du hörst mir nicht richtig zu. Ich sagte, er behauptet, Visionen zu haben. Ob er die Wahrheit spricht oder nur ein verrückter Eiferer ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Es ist auch nicht von Belang. Ich weiß nur, dass dieser Mann etwas an sich hat, das Menschen zu überzeugen vermag. Und ich denke, dass wir uns seiner bedienen sollten, um unseren Einfluss zu mehren.«

»Uns seiner bedienen?« Eustace starrte Guillaume fragend an, so als müsse er sich versichern, ob er recht gehört hatte. »Aber das … das wäre Betrug! Mehr noch, es wäre eine Sünde gegen alles, was …«

»Ist es eine Sünde, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen? Wir wissen beide, dass es jene Reliquien gibt, die der Herr auf Erden zurückließ, und wir haben einen feierlichen Eid geleistet, sie zu suchen und zu finden, was uns vielleicht auch irgendwann gelingen wird. Aber das Wunder wird nicht irgendwann benötigt, Eustace, sondern bald. Sieh hinab ins Tal, auf diesen Haufen trauriger Verlierer – das ist es, wozu wir verkommen sind! Denkst du nicht, dass diese Männer Hoffnung und Zuversicht verdienen?«

»Nun … ja. Aber durch eine Lüge?«

»Die Lüge ist die Wahrheit der Mächtigen, Eustace, das weißt du so gut wie ich, und wir sollten uns nicht länger scheuen, nach deren Regeln zu spielen. Die heutige Niederlage wird nicht endgültig sein. Wenn das Hauptheer eintrifft, wird es uns fraglos gelingen, die Brücke über den Orontes einzunehmen, und auch Antiochia wird früher oder später fallen. Aber ohne Zweifel werden Tage kommen, da sich unsere Anführer erneut entzweien und sich als unfähig erweisen werden, dieses Heer zu führen – und wie viele Rückschläge können wir noch verkraften? Wie lange noch, bis diese heiligste und größte aller Unternehmungen am Kleinmut ihrer Führer scheitern wird? Man braucht kein Prediger zu sein, um zu ahnen, dass das Ende nahe ist – es sei denn, die Bruderschaft ist bereit, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Die Frage, die wir uns also stellen müssen, lautet: Ist die Bruderschaft dazu bereit? Bist du dazu bereit, Bruder?«

In Wirklichkeit war es keine Frage, sondern eine Aufforderung. Guillaume hatte sich Eustace zugewandt und streckte ihm die Rechte entgegen, um ihm wieder auf die Beine zu helfen.

Die dunklen Augen des Provenzalen musterten ihn prüfend. Es war nicht zu erkennen, ob Eustace de Privas begriff, dass jener junge normannische Edelmann, den er aus reiner Gefälligkeit in seine Reihen aufgenommen hatte, in diesem Augenblick versuchte, ihn an Macht und Geltung zu überflügeln. Dennoch kam er zu einem raschen Entschluss. »Ich bin bereit, Bruder«, versicherte er, während er sich aus eigener Kraft auf die Beine raffte. »Bereit, gemäß dem Schwur zu handeln, den ich gegeben habe, und nötigenfalls auch mein Leben dafür einzusetzen. Aber ich bin nicht bereit, unsere Mitbrüder und alle anderen, die sich der Teilnahme an diesem Feldzug verschrieben haben, dreist zu belügen – und wenn dir deine Ehre etwas wert ist, solltest du es auch nicht sein.«

»Hier geht es nicht um Ehre, Eustace. Es geht darum, den Sieg und die Macht in den Händen zu halten! Begreifst du das nicht?«

»Ich begreife nur, dass du mich in Versuchung führen willst, gerade so, wie der Teufel unseren Herrn Jesus einst in Versuchung zu führen suchte. Aber es wird dir nicht gelingen.«

»Du wirst deine Meinung ändern, glaub mir. Schon sehr bald.«