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23.
Acre
22. Mai 1099
Als die Tür seiner Kerkerzelle geöffnet wurde, glaubte Conn schon nicht mehr daran, dass er dem dunklen Felsenloch jemals wieder entkommen würde. Die große Gestalt, die sich bücken musste, um unter dem niedrigen Sturz hindurch in die Zelle zu gelangen, hielt er zuerst nur für eine Täuschung, die seine gepeinigten Sinne ihm vorspielten.
Aber der Mann war wirklich.
So wirklich wie die eisernen Spangen um Conns Hand- und Fußgelenke, so wirklich wie die Ketten, in die man ihn gelegt hatte und die bei jeder Bewegung leise klirrten; so wirklich wie die feuchte Kälte, die in dem Verlies herrschte; so wirklich wie die Ratten, die quiekend davonwuselten, als sich der Fremde näherte.
Conn schaute an dem Besucher empor. Das Licht der Fackel blendete ihn, aber er erkannte die Gesichtszüge jenes Hauptmanns, der ihn verhaftet hatte und der auch zugegen gewesen war, als man ihn folterte. Conns Knochen schmerzten noch immer, eine Folge der Gelenkschrauben, die man ihm angesetzt hatte. Die Orientalen verfügten noch über weit ausgefeiltere Methoden, jemanden gegen seinen Willen zum Sprechen zu bringen: Die Folterknechte verstanden es, den Schmerz so zu dosieren, dass er für den Augenblick alle vorstellbaren Grenzen sprengte, jedoch schon im nächsten Moment wieder nachließ und dem Gefangenen die Möglichkeit gab zu sprechen. Auf diese Weise war es nicht so sehr der zugefügte Schmerz selbst, der die Zunge des Gefolterten löste, sondern vielmehr die Furcht vor dem, was er noch würde erleiden müssen.
Anfangs hatte Conn nicht geglaubt, dieser Furcht widerstehen zu können, aber wie ein Wanderer, der eine weite Wegstrecke zu gehen hatte und sich stets nur kleine Abschnitte vornahm, hatte auch er es vermieden, in die Zukunft zu schauen, und versucht, eine Etappe nach der anderen zu bewältigen, allem Schmerz und aller Qual zum Trotz. Ihm war klar gewesen, dass, wenn er sein Schweigen brach, die Soldaten des Kalifen als Nächstes zu Chaya gehen würden. Um die ganze Wahrheit zu erfahren, würden sie auch nicht davor zurückschrecken, sie zu foltern oder womöglich dem Kind etwas anzutun. Aus diesem Grund hatte er geschwiegen, aller Todesangst zum Trotz, die irgendwann von ihm Besitz ergriffen hatte, denn nur etwas fürchtete er mehr als sein eigenes Ende – erneut tatenlos zusehen zu müssen, wie ein geliebter Mensch von seiner Seite gerissen wurde.
Damals bei Nia mochte er keine andere Wahl gehabt haben.
Diesmal hatte er sie.
Der Hauptmann – Conn hatte mitbekommen, dass sein Name Bahram war und aus Armenien stammte – sagte etwas, das Conn zwar nicht verstand, jedoch als Frage deutete. Conn zuckte daraufhin mit den Schultern, soweit seine entzündeten Gelenke es zuließen. Doch der Hauptmann schien diesmal nicht an Antworten interessiert zu sein. Stattdessen gab er einen knappen Befehl, worauf einer der fettleibigen Kerkerknechte in die Zelle trat.
Conn stieß einen Laut aus, der gleichzeitig Gebet und Verwünschung war. Er rechnete fest damit, dass man ihn abermals in die Folterkammer schleppen und einer weiteren schmerzhaften Befragung unterziehen würde – als sich der Knecht an seinen Hand- und Fußfesseln zu schaffen machte und die Bolzen löste.
»Was zum …?«
Der Hauptmann sagte erneut etwas, das Conn nicht verstand – der Fingerzeig in Richtung der offenen Tür war dafür umso deutlicher.
»I-ich soll gehen?«, krächzte Conn. Seine Stimme klang dünn und rau. Die letzten Tage hatte er sie nur benutzt, um zu schreien.
Schwerfällig versuchte Conn, sich aufzuraffen, was ihm allerdings nicht recht gelang. Ausgerechnet der Scherge, der ihm gestern noch grässliche Qualen bereitet hatte, griff ihm unter die Arme und stellte ihn auf die Beine. Conn, der noch immer an eine Falle, zumindest aber an einen schlechten Scherz glaubte, machte eine unbestimmte Bewegung in Richtung der Tür, aber niemand reagierte.
Er tat einen weiteren Schritt, wobei er sich an der von Schimmel überzogenen Wand abstützen musste. Noch immer unternahm niemand den Versuch, ihn aufzuhalten. Gebückt und keuchend ob der ungewohnten Anstrengung erreichte Conn den Durchgang. Er bückte sich und schlüpfte nach draußen, wo eine Gruppe Bewaffneter wartete. Bei ihnen war Caleb. Das selbstgefällige Grinsen, das Chayas Cousin noch bei ihrer letzten Begegnung gezeigt hatte, war jedoch verschwunden.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Conn.
»Du bist frei und kannst gehen.«
Conns Mund blieb ihm vor Staunen offen. Mit vielem hatte er gerechnet, damit jedoch ganz sicher nicht. »Warum?«
»Chaya«, sagte Caleb nur, und es klang seltsam gepresst. »Sie hat sich bei Bahram für dich verwendet.«
Inzwischen hatten auch der Hauptmann und sein feister Scherge die Zelle verlassen. Während der Kerkerknecht zurückblieb, um die Tür zu verschließen, bedeutete Bahram Conn, ihm den Gang hinab zu folgen. »Wohin gehen wir?«, erkundigte sich Conn bei Caleb.
»Du wirst schon sehen«, war die barsche Antwort.
Conn verzichtete auf weitere Fragen. Auf seinen schmerzenden Beinen, deren Gelenke noch immer geschwollen waren, folgte er Bahram und Caleb durch dunkle Stollen und die schmale Treppe hinauf, die zurück an die Oberfläche führte und von der er nicht geglaubt hatte, dass er sie jemals wieder emporsteigen würde.
Das Tageslicht schmerzte in Conns Augen, als sie auf den Innenhof traten. Er geriet ins Torkeln. Jemand fasste ihn am Arm und führte ihn, und er stellte verwundert fest, dass es Caleb war. Sie überquerten den Hof, auf dem Soldaten der Garnison an ihren Waffen übten, und betraten ein steinernes Gebäude. Sogleich ließ der stechende Schmerz in Conns Augen nach.
»Du sagst, Chaya hätte sich für mich verwendet?«, erkundigte er sich leise bei Caleb.
»Das hat sie.«
»Und wie? Ich meine, wie hat sie es geschafft, dass ich freigelassen werde?«
Der junge Jude antwortete nicht. Stattdessen führte er ihn durch eine Reihe von Gängen zu einer Tür. Die Posten, die sie begleiteten, blieben als Wachen zurück, während Bahram, Conn und Caleb in den dahinterliegenden Raum traten. Noch immer fragte sich Conn, was all dies zu bedeuten haben mochte, als er die Gestalt gewahrte, die zusammengesunken auf einem Hocker in der Mitte der Kammer kauerte.
Es war Baldric!
Conn brauchte einen Moment, um seine Überraschung zu verwinden.
Noch mehr als die Tatsache, dass er seinen Adoptivvater weit entfernt im Norden vermutet hatte, entsetzte ihn Baldrics Aussehen. Die Gesichtszüge des alten Normannen waren ausgezehrt, seine Wangen hohl, die Haut fleckig; Haupt und Kinn waren kahlgeschoren, eine hässliche Brandwunde entstellte die Mundpartie. Noch schlimmer war die kauernde Haltung, in der Baldric auf dem Schemel hockte, die Arme hängend, die Schulterknochen überdeutlich hervortretend. Dies war nicht der Mann, den er im Lager zurückgelassen hatte, und Conn brauchte nicht lange zu überlegen, was diese Veränderung bewerkstelligt haben mochte.
Mangel und Misshandlung hatten den einstmals stolzen Krieger zu jenem Schemen verblassen lassen, der dort im Halbdunkel saß – und neben dem Mitleid, das er empfand, verspürte Conn brennenden Zorn.
»Was habt ihr ihm angetan?«, wandte er sich an Caleb. »Genügt es nicht, dass ihr mich gefoltert habt?«
Er eilte zu Baldric, der am Ende seiner Kräfte schien. Mit Mühe nur hob er das Haupt, der Blick seines einen Auges war müde. Dennoch brachte er ein Lächeln zustande, als er Conn erblickte.
»Conwulf! Sohn!«, krächzte er.
»Vater!« Conn fiel bei ihm nieder und fasste ihn an den Armen. »Wieso bist du hier? Was haben die Heiden dir nur angetan?«
»Du elender Narr!«, fuhr Caleb ihn an. »Nicht Heiden waren es, die den Alten so zugerichtet haben, sondern Christenmenschen wie du!«
»Er hat recht, Junge«, sagte Baldric.
»Wer?« Conn kämpfte mit den Tränen der Wut. »Wer hat dir das angetan?«
»Guillaume de Rein«, lautete die leise Antwort. »Er sucht nach dir. Er hat mich gefoltert. Ich habe nichts verraten, aber dann hat er gedroht, Bertrand zu töten … Ich konnte nicht anders, bitte verzeih …«
Conn schloss die Augen. Er hatte Mühe, den rasenden Zorn zu unterdrücken, der aus ihm herauszubrechen drohte. Zorn auf Guillaume de Rein, der sich einmal mehr an einem geliebten Menschen vergriffen hatte – aber auch auf sich selbst. Er hatte alles darangesetzt, seine Freunde aus der Sache herauszuhalten und drohenden Schaden von ihnen abzuwenden. Gerade dadurch hatte er sie aber ans Messer geliefert.
»Da ist nichts zu verzeihen, Vater«, flüsterte er. »Ich bin ein Narr gewesen.«
Abermals hob der Alte den Blick und schaute ihn durchdringend an. »Wir waren beide Narren, Conwulf. Guillaume ist noch um vieles gefährlicher, als wir dachten, er schreckt vor keiner Untat zurück. Bertrand ist tot.«
»Was?«
Baldric nickte. »Sie haben ihn getötet, nachdem ich bereits gestanden hatte, ohne jeden Grund. Guillaume ist das Böse, Conwulf! Er will die Lade für sich.«
»Keine Sorge, er wird sie nicht bekommen. Ohne die Hinweise aus der Schriftrolle wird Berengar nicht in der Lage sein, das Versteck ausfindig zu machen, und ohne …« Er unterbrach sich, als er den ernsten, fast mitleidigen Ausdruck in Baldrics narbigen Zügen bemerkte. »Was ist, Vater?«
»Mein guter Junge! Genau wie ich hast du keine Ahnung, wie verschlagen das Böse sein kann.«
»Was meinst du?«
»Ich bin nicht hier, weil ich Guillaume entkommen bin, Conn«, gestand der Normanne leise und, so schien es, voller Selbstverachtung. »Ich bin hier als sein Bote.«
»Als sein Bote?« Conn schaute seinen Adoptivvater verständnislos an. Wovon, in aller Welt, sprach Baldric da? Wenn er in de Reins Auftrag in Acre war, dann weil dieser ihn dazu gezwungen hatte. Aber wie war das möglich? Was mochte der Schurke in der Hand haben, dass er sich einen Mann vom Schlage Baldrics gefügig machen konnte?
Ein hässlicher Verdacht keimte in Conn auf, aber er überging ihn geflissentlich, beruhigte sich damit, dass es schließlich nicht sein konnte und sie hier in Acre in Sicherheit war – bis Baldric seinen Ausflüchten ein jähes Ende setzte.
»Chaya«, erklärte er. »De Rein hat Chaya in seiner Gewalt.«
Für Conn fühlte es sich an, als würde ihm das Herz aus der Brust gerissen. Bilder der Vergangenheit tauchten vor seinem inneren Auge auf, Erinnerungen voller Schmerz und Trauer. Zuerst Nia. Nun Chaya.
»Was will er?«, fragte Conn leise und mit bebender Stimme, obwohl er am liebsten laut geschrien hätte. »Was will dieser Bastard?«
»Die Schriftrolle. Er weiß, dass du sie gestohlen hast. Wenn du sie ihm nicht innerhalb von zwei Tagen übergibst, wird Chaya sterben.«
Abermals schloss Conn die Augen, und größer noch als seine Empörung über Guillaume de Rein war seine Erleichterung darüber, dass Chaya noch am Leben war. Für Conn stand außer Frage, dass er das Buch von Ascalon herausgeben würde, selbst auf die Gefahr hin, dass Guillaume de Rein und seine Bruderschaft in den Besitz der heiligen Lade gerieten. Alles, was er brauchte, war die Schrift.
Conn wandte sich an Bahram und Caleb, die hinter ihm standen, der Jude wie zuvor mit unbewegter Miene, der Armenier mit einer Pergamentrolle in der Hand. Ein flüchtiger Blick genügte und Conn erkannte zu seiner Überraschung das Buch von Ascalon.
»Hauptmann Bahram kennt das Geheimnis«, sagte Caleb, wobei nicht zu erkennen war, wie er darüber dachte.
»Er kennt es? Aber woher? Wie …?«
»Chaya«, unterbrach ihn der andere. »Es war der Preis für deine Freiheit.«
Jäh erfasste Conn die bestürzende Wahrheit.
Um seine Freilassung zu erwirken, hatte Chaya Bahram das Geheimnis des Buches von Ascalon offenbart. Was ihr Vater unter Einsatz seines Lebens gehütet hatte, hatte sie preisgegeben, um Conns Leben zu retten – und war nun selbst in Todesgefahr geraten.
»Gebt mir das Buch«, sagte Conn und deutete auf die Schriftrolle.
»Wozu?«, fragte Caleb.
»Um Chaya auszulösen. De Rein will das Buch haben, also geben wir es ihm und befreien Chaya.«
»Und du glaubst, es wäre so einfach?«
Conn erhob sich. »Willst du etwa, dass sie getötet wird?«
Calebs Gesichtszüge verhärteten sich, der Schmerz war ihnen deutlich anzusehen. »Christ, wenn du nur wüsstest, was du da redest. Ich liebe Chaya nicht weniger, als du es tust, mit dem Unterschied, dass meine Liebe selbstloser ist als deine. Und könnte ich ihr Leben retten, indem ich mir hier und jetzt die Hände abhacken lasse, so würde ich es ohne Zögern tun. Aber das Buch von Ascalon kann ich dir nicht geben.«
»Darüber hast du nicht zu entscheiden.«
»Das ist wahr«, gestand Caleb mit bebender Stimme. »Aber Hauptmann Bahram versteht eure Sprache nicht, also wird er nach dem handeln, was ich für ihn übersetze. Und wenn ich ihm sage, dass du das Buch für die Kreuzfahrer in Besitz nehmen willst …«
»Das darfst du nicht!«, fiel Conn ihm ins Wort. »Damit verurteilst du Chaya zum Tod!«
»Habe ich denn eine andere Wahl?« Calebs Stimme hatte einen brüchigen, fast weinerlichen Ton angenommen. »Dieses Buch ist alles, was meinem Volk geblieben ist, seine Hoffnung und seine Zukunft! Über die Jahrtausende wurde es bewahrt – soll ausgerechnet ich derjenige sein, der es an unsere Feinde ausliefert? Soll ich das Wohl eines ganzen Volkes verraten, um eine einzelne Person zu retten?«
»Diese einzelne Person hat das Buch überhaupt erst hierhergebracht. Ohne Chayas Mut und ihren selbstlosen Einsatz gäbe es längst keine Hoffnung mehr.«
Caleb erwiderte nichts, aber sein Mienenspiel verriet, dass er Conn im Grunde recht gab, sein Pflichtgefühl ihn jedoch davon abhielt, ihm zuzustimmen. Bahram fragte etwas in seiner Sprache, und Caleb antwortete. Wahrscheinlich erkundigte er sich, worum die beiden so leidenschaftlich stritten.
»Bitte, Caleb, sag Hauptmann Bahram, dass ich ins Lager der Kreuzfahrer zurückkehren muss. Und dass ich das Buch brauche, um Chaya zu retten.«
»Nein.« Der andere schüttelte den Kopf, Verzweiflung im Blick.
»Caleb, ich beschwöre dich! Du kannst nicht wollen, dass Chaya einen so sinnlosen Tod stirbt!«
»Natürlich will ich das nicht«, schrie Caleb. »Aber ich kann dich auch nicht einfach mit dem Buch ziehen lassen, Christ, verstehst du das nicht?«
»Und wenn ich dir verspreche, dass ich alles daransetzen werde, dass die Schriftrolle nicht in Guillaumes Besitz verbleibt?«
»Was meinst du damit?«
Conn lächelte schwach. »Ich bin ein Dieb, wie du weißt. Was mir einmal gelungen ist, gelingt mir womöglich auch ein zweites Mal.«
»Warum solltest du das tun?« Der Jude funkelte ihn wütend an. »Wenn Hauptmann Bahram dir das Buch gibt, hast du doch alles, was du jemals wolltest, oder nicht? Nenne mir einen guten Grund, warum du nach Acre zurückkehren solltest.«
»Guillaume de Rein ist mein Feind, Caleb, nicht weniger als der eure. Auch ich will nicht, dass die heilige Lade in seinen Besitz gelangt, und ich werde alles tun, um es zu verhindern. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
»Wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann dass das Wort eines Christen nichts wert ist«, antwortete Caleb.
»Dann werde ich eben hierbleiben«, knurrte Baldric, der sich zwar nicht an dem Wortwechsel beteiligt, ihn aber genau verfolgt hatte. »Als lebendes Unterpfand für Conns Rückkehr.«
»Nein, Vater!«, verwehrte sich Conn entschieden.
»Ich werde hierbleiben und auf deine Rückkehr warten«, erklärte der Normanne schlicht. »Ich vertraue dir, Sohn.«
»Das weiß ich, Vater. Aber …«
»Ich vertraue dir«, sagte Baldric noch einmal, und das eine Auge schaute Conn durchdringend an. »Weißt du noch, was ich dir über mich erzählt habe? Über meine Vergangenheit?«
Conn nickte.
»Dies ist die Stunde, auf die ich gewartet habe, Conwulf«, erklärte Baldric. »Meine Bewährung.«
Die Entschlossenheit in den Gesichtszügen seines Adoptivvaters machte Conn klar, dass es sinnlos gewesen wäre zu widersprechen. Er nickte und wandte sich wieder zu Caleb um. »Wärst du unter diesen Voraussetzungen bereit, mir das Buch auszuhändigen?«
Caleb zögerte. »Darüber habe ich nicht zu entscheiden.«
»Dann sage Hauptmann Bahram, dass mein Vater mit dem Leben für die Rückkehr des Buches einsteht«, verlangte Conn entschlossen – auch wenn er in diesem Augenblick keine Ahnung hatte, wie er die vor ihm liegende Aufgabe bewältigen sollte. Nachdem er sie schon einmal bestohlen hatte, würden Berengar und Guillaume de Rein die Schriftrolle wie ihren Augapfel hüten. Ganz abgesehen davon, dass Conn Zweifel hegte, ob de Rein sich tatsächlich an die Abmachung halten und Chaya freilassen würde.
Caleb nickte langsam und begann dann zu übersetzen. Den Zügen von Bahram war nicht zu entnehmen, was er dachte. Ruhig hörte er sich an, was sein Unterführer zu sagen hatte, dabei blickte er gelegentlich auf die Pergamentrolle in seiner Hand. Nachdem Caleb geendet hatte, setzte er zu einer Antwort an, die er Satz für Satz übertragen ließ:
»Als die Jüdin Chaya mir von dieser Schrift berichtete, konnte ich zunächst nicht glauben, was sie sagte. Als Mann der Wissenschaft hielt ich die Lade stets für einen Schatten der Vergangenheit, einen Mythos – aber ich ahne nun, dass sie weit mehr ist als das. Seit geraumer Zeit beobachte ich die Sterne. Sie haben große und umwälzende Ereignisse vorausgesagt, aber erst in diesen Tagen verstehe ich, wovon sie sprachen. Noch weiß niemand in der Garnison von dem Buch. Ich habe es meinen Vorgesetzten bewusst verschwiegen, weil ich glaube, dass die Lade wichtiger ist als andere Dinge. Wichtiger als die Menschen. Wichtiger als dieser Krieg.«
»Das glaube ich auch«, erklärte Conn ohne Zögern.
»Der Hauptmann weiß, dass du so denkst«, übersetzte Caleb, nachdem Bahram erneut geantwortet hatte. »Deshalb ist er bereit, dich mit dem Buch ziehen zu lassen, wenn dein Vater für deine Rückkehr bürgt.«
»Ich danke Euch, Herr«, entgegnete Caleb und verbeugte sich tief. Als er sich wieder erhob, hielt ihm der Armenier die Rechte hin und schaute ihm direkt in die Augen.
»Du wirst noch heute aufbrechen«, sagte Caleb dazu. »Damit du deinem Feind nicht in Lumpen gegenübertreten musst, wird der Hauptmann dich mit einer Rüstung und Waffen ausstatten – und er wird für deine Rückkehr beten.«
»Danke, Herr«, sagte Conn und ergriff die Hand des Mannes, der vor wenigen Minuten noch sein Feind gewesen war.