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25.

Gebirge von Nakura

Morgen des 24. Mai 1099

Der Platz, der zum Schauplatz des Kampfes ausgewählt worden war, war eine nach Süden flach abfallende, nach Norden hin jedoch von stufenförmig angeordneten Felsen begrenzte Senke, die eine Art natürliches Amphitheater bildete.

Da sich sowohl das Gerücht von einem geplanten Mord an Herzog Robert als auch die Kunde von dem bevorstehenden Zweikampf in Windeseile verbreitet hatte, waren zahllose Schaulustige zusammengekommen, die dabei sein wollten, wenn das Gottesurteil gefällt wurde; nicht nur rings um den Kampfplatz, sondern auch auf den Felsterrassen hatten sie sich versammelt. Zwei Zelte waren auf den gegenüberliegenden Seiten des Kampfplatzes errichtet worden, in denen sich die beiden Duellanten von Blicken ungestört auf die Begegnung vorbereiten konnten. Über dem Zelt Guillaumes wehte sowohl das Banner der Familie de Rein als auch das seiner Mutter; dazu hatten viele normannische und provenzalische Edle, die de Rein nahestanden, ihre Farben angebracht, um ihre Solidarität mit dem ihrer Überzeugung nach unschuldigen Baron zu bekunden. Im Gegenzug hatte Hugo von Monteil es sich nicht nehmen lassen, sein Banner über Conns Zelt zu errichten, der keine eigenen Farben besaß.

Der kriegerische Klang der Trommeln, die in hartem, langsamem Rhythmus geschlagen wurden, drang ins Innere des Zeltes und verriet Conn, dass der Augenblick der Entscheidung gekommen war.

Während es auf Guillaume de Reins Seite des Kampfplatzes vor dienstbaren Geistern wimmelte, war Conn in seinem Zelt allein. Zwar hatte Hugo von Monteil angeboten, ihm seine Knappen zur Verfügung zu stellen, aber Conn hatte abgelehnt. Der Gedanke, jemandes verlängerter Waffenarm zu sein, gefiel ihm nicht. Er war hier um seiner eigenen Rache willen, um zu Ende zu bringen, was in jener regnerischen Mainacht vor fast genau drei Jahren begonnen hatte. In diesen einen Augenblick schien alles zu münden – Vergangenheit und Gegenwart, jeder Schwur, den Conn geleistet, jede Anstrengung, die er unternommen hatte. Gerechtigkeit, Rache und Erlösung, all das war an diesem Morgen untrennbar miteinander verbunden.

Die Vorbereitungen waren abgeschlossen.

Conn hatte das Kettenhemd und das lederne Rüstzeug angelegt, darüber trug er das leuchtend gelbe Gewand, das Bahram ihm gegeben hatte. Da die orientalische Panzerung anders als die der Normannen über keine seitliche Öffnung verfügte, sodass das Schwert darunter getragen und trotzdem problemlos gezogen werden konnte, hatte Conn den Waffengurt darübergeschlungen. Dergestalt gerüstet, ließ er sich auf die Knie nieder, senkte das Haupt und bekreuzigte sich.

Conn hatte nie zu beten gelernt, aber er hatte Baldric dabei beobachtet, und Berengar hatte ihn gelehrt, dass ein Gebet ungleich mehr war als eine bloße Formel. Es war ein Zwiegespräch mit Gott, das ein Lobpreis, eine Wehklage oder Bitte sein mochte. In Conns Fall war es von allem etwas. So dankbar er dafür war, dass sein Weg ihn hierhergeführt hatte, so sehr verspürte er nun, da er sich ihr unwiderruflich stellen musste, den Schmerz der Vergangenheit. Voller Demut erbat er den Beistand des Höchsten in dem bevorstehenden Kampf.

Der Tag war gekommen, an dem er Nias Mörder bestrafen konnte. Conn wusste, dass seine Chancen, Guillaume de Rein zu besiegen, gering waren. Aber er wusste auch, dass er für die Wahrheit stritt und für Chayas Freiheit, und dieses Wissen gab ihm mehr Mut und Kraft, als er selbst es je für möglich gehalten hätte. Mit der innigen Bitte, der Herr möge ihn zum Werkzeug der Gerechtigkeit machen, bekreuzigte er sich abermals und erhob sich. Inzwischen war der Trommelklang angeschwollen, und hundertfaches Stimmengewirr war zu hören. Conn atmete tief ein und aus. Der Gedanke, dass der Herzog der Normandie auf seiner Seite stand, beruhigte ihn ein wenig, auch wenn ihm klar war, dass ihm dort draußen auf dem Kampfplatz niemand helfen würde. Die Konfrontation mit Guillaume de Rein würde er ganz allein austragen müssen, und er war bereit, alles zu geben.

Für Nia.

Für Baldric.

Und für Chaya.

Hörnerklang ertönte draußen.

Conn nahm den Helm und setzte ihn auf, schloss den Riemen unter dem Kinn. Dann griff er nach dem Schild, der kreisrund, leicht gewölbt und in der Mitte mit einem metallenen Buckel versehen war.

Schließlich verließ Conn das Zelt.

Es war früh am Morgen und noch kühl. Die ersten Sonnenstrahlen, die von Osten über den Rand des Amphitheaters blitzten, waren hell und gleißend, sodass Conns Augen einen Moment brauchten, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Erst dann nahm er die Menschenmenge wahr, die sich um den Kampfplatz versammelt hatte.

Es waren viele. Unglaublich viele. Nicht nur Soldaten, Knechte und Gemeine, die sich nach Abwechslung sehnten, sondern auch zahlreiche Noble und Fürsten. Sogar Angehörige des Rates waren zugegen, unter ihnen Herzog Robert, sein flämischer Namensvetter sowie der Normanne Tankred, die mit ihren Rittern und Gefolgsleuten dem Kampf beiwohnten und erfahren wollten, ob es tatsächlich ein Mordkomplott gab, das sich in höchste Herrscherkreise erstreckte. Doch Conns suchender Blick galt einzig und allein Chaya, und er atmete auf, als er sie beim Gefolge des Grafen Hugo fand, der sie in seine Obhut genommen hatte, bis der Kampf entschieden war.

Im sanften Blick ihrer dunklen Augen fand Conn Trost, und für einen Augenblick schien es keinen Kampfplatz zu geben, keine Schaulustigen und keinen Gegner, der darauf wartete, Conn zu töten. Selbst über die Distanz hinweg fanden sie zueinander, und für einen kurzen Moment waren sie eins.

Mit einer Zuversicht, die er selbst nicht verspürte, nickte er ihr zu, dann trat er weiter vor. Ein Knecht hielt die Lanze aus Bambusholz, ein anderer hatte den Araberhengst am Zügel. Unter den Blicken der Schaulustigen stieg Conn in den Sattel und ließ sich die Lanze reichen. Dann erst richtete er seinen Blick zum entgegengesetzten Ende des Platzes, wo Guillaume de Rein ebenfalls sein Schlachtross bestiegen hatte, das von breiterem Wuchs war als der sehnige Orientale und dessen Hals und Stirnpartie mit Kettengeflecht gepanzert waren.

Auch sein Reiter bot einen furchterregenden Anblick.

Zur Verstärkung des Kettenhemdes trug Guillaume de Rein einen Harnisch aus Metallplatten, die an der Schulter mit Dornen versehen waren. Ein metallener Kragen schützte Hals und Genick, der Helm verfügte neben der Nasenspange auch über einen ledernen Nackenschutz. Guillaumes Schild reichte so weit herab, dass er nicht nur seine Seite, sondern auch sein linkes Bein schützte, und seine Lanze verfügte über eine mörderisch aussehende Spitze.

Conn versuchte, sich seine wachsende Unruhe nicht anmerken zu lassen. Mit der Lanze zu streiten, hatte Baldric ihm nie beigebracht. Seine einzige Chance bestand darin, den Kampf zu Pferd möglichst rasch zu beenden und sich dann auf das zu besinnen, was sein Adoptivvater ihn gelehrt hatte – und zu hoffen, dass es genügen würde.

Der Trommelschlag setzte aus, und ein Sprecher des Fürstenrats trat auf, der noch einmal Ursache und Anlass des Kampfes kundtat. Ihm folgte ein Priester, der um Gottes Beistand bei der Wahrheitsfindung bat und den Segen des Herrn für beide Kontrahenten herabrief.

Conn hörte weder dem einen noch dem anderen zu.

Seine Aufmerksamkeit gehörte allein dem Mann, der ihm auf der anderen Seite des Kampfplatzes gegenüberstand und mit dem er sich in wenigen Augenblicken ein Duell auf Leben und Tod liefern würde.

Guillaume de Rein.

Wie oft hatte Conn diesen Namen in Gedanken vor sich hergesagt, im Zorn, in Trauer, in beinahe grenzenlosem Hass. Nun würden beider Schicksale sich entscheiden.

Erneut erklang ein Hornsignal, und die Knechte räumten das Feld. Das Gemurmel der Menge legte sich, Stille legte sich schwer und drückend über die Senke, in der nur noch das Schnauben der beiden Pferde zu hören war – und dann das Schlagen der Hufe.

Ein Ruck durchlief Guillaumes gepanzertes Ross, als sein Reiter ihm die Sporen gab, und es warf sich nach vorn, galoppierte quer über das Feld. Conn brauchte einen Moment, um seinen unruhigen Araber unter Kontrolle zu bringen, dann setzte auch er vor, und die beiden Gegner jagten aufeinander zu.

Da Conn im Umgang mit der Lanze keine Erfahrung hatte, tat er es Guillaume gleich, der die Waffe senkte und in die Armbeuge nahm, um die ganze Wucht seinen Angriffs auf einen einzigen Punkt zu konzentrieren. Conn sah die Lanzenspitze auf sich zufliegen und hob den Schild, um seinen Körper zu schützen, während er gleichzeitig versuchte, seine eigene Waffe ins Ziel zu lenken.

Schon einen Lidschlag später hatten die Kontrahenten einander erreicht. Wirkungslos zersplitterte der Baumbusschaft an Guillaumes Schild, und Conn erwartete fast, von der Lanze des Feindes durchbohrt zu werden. Doch im nächsten Moment war Guillaume schon an ihm vorbei. Ein Raunen ging durch die Menge. Conns Araber trabte weiter, und fast glaubte Conn, den ersten Waffengang wie durch ein Wunder überstanden zu haben – als ihm auffiel, dass sein Pferd immer langsamer wurde.

Noch drei, vier Schritte ging das prächtige Tier, dann brach es wiehernd zusammen. Conn, der darauf nicht gefasst gewesen war, flog aus dem Sattel und überschlug sich. Er landete hart auf dem sandigen Boden und spürte jedes einzelne seiner schmerzenden Gelenke. Dennoch wälzte er sich herum und raffte sich wieder auf die Beine. Erst jetzt sah er, was geschehen war.

Der Araberhengst lag zuckend im Staub, die abgebrochene Spitze von Guillaumes Lanze ragte aus seiner Brust. Gezielt hatte der Normanne sie auf das Tier gelenkt. Offenbar wollte Guillaume Conn nicht nur besiegen. Er wollte über ihn triumphieren, ihn vor aller Augen demütigen und ihm dadurch jede Glaubwürdigkeit nehmen, ehe er ihn vernichtete.

Hufschlag und ein erneutes Raunen der Menge ließen Conn herumfahren. Erneut jagte sein Feind heran. Die Überreste der Lanze hatte er weggeworfen und stattdessen sein Schwert gezogen, das er seitlich führte, um Conn zu enthaupten. Schon war er heran, und Conn hob seinen Schild. Der metallene Orientalenschild war zwar leichter als sein aus Holz gefertigtes normannisches Gegenstück, dafür aber auch weniger widerstandsfähig. Unter dem furchtbaren Hieb, in den Guillaume die ganze Kraft seines Angriffs legte, verformte er sich an Conns Arm. Zwar durchdrang die Klinge das dünne Metall nicht, jedoch war die Wucht des Aufpralls so groß, dass Conn davon zu Boden geschmettert wurde und sich abermals im Staub liegend wiederfand.

Erneut ging ein Raunen durch die Menge, entsetzte Schreie vermischten sich mit Rufen der Begeisterung – und schon wieder griff Guillaume an.

Conn hörte das Blut in seinem Kopf rauschen. Er wusste, dass er in Bewegung bleiben musste, wollte er nicht in Stücke gehauen werden, also brachte er mit eisernem Willen die Beine unter den Körper und riss den Schild empor, den er inzwischen mit beiden Händen hielt. Das Schlachtross stampfte heran, Conn musste aufpassen, nicht unter seinen Hufen zermalmt zu werden. Dann erneut ein vernichtender Hieb, den Conn zwar abwehren konnte, jedoch nicht zur Gänze. Die Klinge drang durch die Deckung und traf seine linke Schulter, wo sie die Lederplatte durchschlug, aber nicht das Kettengeflecht.

Conn konnte hören, wie Guillaume vor Enttäuschung aufschrie. Mit einer geschickten Bewegung brachte er sein Pferd dazu, sich auf der Hinterhand umzudrehen, um sogleich zu einem neuerlichen Angriff anzusetzen.

Und diesmal brachte Conn den Schild zu spät empor.

Der Schwerthieb traf seinen Helm. Die Schaulustigen schrien auf, teils vor Entsetzen, teils vor Vergnügen, als Conn zu Boden ging. Blut rann ihm an den Schläfen und über das Gesicht herab, sodass es aussehen musste, als hätte sein Gegner ihn tödlich getroffen. Doch der Hieb hatte nur dafür gesorgt, dass der Rand des Helmes in Conns Kopfhaut eingeschnitten hatte, sodass die Blutung zwar stark, aber nicht lebensgefährlich war.

Auf dem Boden kniend, löste Conn den Kinnriemen und warf den Helm vor sich, wischte sich mit dem Ärmel seines Übergewandes das Blut aus den Augen. Verzweiflung packte ihn, und erstmals seit Beginn des Kampfes fühlte er Todesangst. Seine Vermutung, dass de Rein ihm hoffnungslos überlegen wäre, war zur schrecklichen Gewissheit geworden. Nicht die Wahrheit würde an diesem Tag siegen, sondern die Lüge, und es gab nichts, was Conn dagegen unternehmen konnte.

Einem Impuls folgend, schaute er an den Felsen empor, dorthin, wo er Chaya wusste. Er entdeckte sie in der Menge und sah das Entsetzen in ihrem Gesicht – und neuer Überlebenswille flammte in ihm auf.

Er sprang auf die Beine, und keinen Augenblick zu früh – denn erneut fegte Guillaume auf seinem Schlachtross heran.

Wieder ein harter Schlag auf den Schild, der Conns noch immer schmerzende Gelenke erzittern ließ. Zudem zeigte das Metall, das nie dafür gedacht gewesen war, den wuchtigen Hieben eines Breitschwerts zu trotzen, erste Risse. Sein wieherndes Ross herumreißend, griff Guillaume abermals an. Conn, der keinen Helm mehr trug, duckte sich, worauf die Klinge seinen Scheitel nur um Haaresbreite verfehlte. Hastig wischte Conn das Blut ab, das ihm immer wieder in Gesicht und Augen rann. Er wusste, dass er etwas unternehmen musste, oder er würde in wenigen Augenblicken tot sein, und Guillaume würde triumphieren.

Das Pferd, Conwulf! Das Pferd!

Conn vermochte nicht zu sagen, woher die Stimme kam, die er zu hören glaubte, aber er handelte. Neben ihm im Sand lag ein Bruchstück seiner Lanze, etwa zwei Ellen lang und noch mit der Spitze versehen. Kurzerhand hob Conn es vom Boden auf und wartete ab, bis Guillaume erneut angriff.

Sein Erzfeind umkreiste ihn auf seinem Ross, lauernd wie ein Aasfresser, um vor allen Zuschauern seine Überlegenheit zu demonstrieren. Je eindeutiger sein Sieg ausfallen würde, desto eindeutiger würde auch der Freispruch sein, den das Gottesgericht fällte. Erst als seine Anhänger, die sich inzwischen in Scharen hinter seinem Zelt drängten, ihn lautstark dazu aufforderten, schickte Guillaume sich an, den Kampf zu beenden.

Auf donnernden Hufen jagte er auf die Mitte der Arena zu, wo Conn stand, den Schild in der einen, das Lanzenbruchstück in der anderen Hand, die Spitze nach unten gesenkt.

Es geschah innerhalb von Augenblicken.

Guillaume fegte heran, und Conn erwartete ihn, das Gewicht deutlich auf das rechte Bein verlagert, so als hätte er allen Ernstes vor, dem Angriff seines Gegners mit einer abgebrochenen Lanzenspitze zu begegnen – ein Ansinnen, das ebenso lächerlich wie verzweifelt wirken musste, Guillaume jedoch dazu verleitete, sein Pferd in diese Richtung zu lenken. Erst im letzten Moment, als sein Gegner schon fast heran war, verlagerte Conn das Gewicht auf das andere Bein, und während er sich nach links zur Seite fallen ließ, rammte er das Bruchstück der Lanze mit aller Kraft in den Boden.

Die Ereignisse überstürzten sich.

Guillaumes Schlachtross, dessen Panzerung zu durchdringen Conn niemals hätte hoffen können, folgte seinem natürlichen Instinkt und scheute vor dem plötzlichen Hindernis. Wiehernd stellte es sich auf die Hinterhand – und Conn, der bereits wieder auf den Beinen war, ging zum Gegenangriff über.

Unter lautem Geschrei, den verbeulten Schild vor sich haltend, sprang er gegen das sich aufbäumende Pferd, das panisch schnaubte und zur Seite tänzelte, während sich sein Reiter im Sattel zu halten versuchte. Indem es jedoch zur Seite auswich, prallte Guillaumes Pferd gegen den Kadaver von Conns Araberhengst und verlor endgültig das Gleichgewicht. Mit den Hufen schlagend ging es nieder, und wie zuvor Conn stürzte nun auch Guillaume de Rein aus dem Sattel.

Er fiel zur linken Seite und stürzte auf den Schildarm. Der Aufprall war so heftig, dass die untere Hälfte des Schildes zu Bruch ging. Das Gurtzeug verhinderte jedoch, dass Guillaume ihn abstreifen konnte, und so schrie er gellend auf, als ihm der Arm beim Sturz unnatürlich verdreht wurde und mit einem berstenden Laut aus dem Schultergelenk brach.

Sein Ross hatte sich herumgewälzt und stand längst wieder auf den Beinen, Guillaume jedoch lag rücklings am Boden. Jammernd wälzte er sich herum und wollte sein Schwert heben, das er noch immer umklammert hielt – doch Conn war bereits über ihm.

Ihre Blicke begegneten sich, und zum allerersten Mal konnte Conn seinem Peiniger tief in die Augen sehen. Er sah die Fassungslosigkeit darin, die unausgesprochene Furcht und den Hass. Und dann, für einen kurzen Moment, Nias zerschundenes Antlitz – und in einem jähen Entschluss stieß er die Klinge senkrecht hinab.

Die Spitze drang zwischen den Metallplatten des Harnischs hindurch. Das Kettengeflecht bot kurzen Widerstand, dann fuhr der Stahl tief in Guillaumes Brust und durchbohrte sein Herz. Ein gellender Laut entfuhr dem Normannen, der von irgendwo aus den Reihen der Zuschauer von einem entsetzten Aufschrei beantwortet wurde.

»Mutter …!« Guillaumes Züge verzerrten sich vor Schmerz und Entsetzen, während er verzweifelt nach Atem rang, den harten Stahl in der Brust. Verzweifelt schaute er sich um, suchte mit fliehenden Blicken die Reihen der Zuschauer ab, während ihm Tränen in die Augen traten und das kalte Feuer darin zu löschen schienen. »Es tut weh«, ächzte er hilflos. »So weh …«

»Das ist für Nia«, flüsterte Conn.

Guillaume keuchte, Blut trat ihm über die Lippen, während seine Anhänger über das Feld eilten, um ihm zu Hilfe zu kommen. Als sie ihn erreichten, war er bereits tot.

Schwer atmend stand Conn über seinem besiegten Feind – und empfand nicht den geringsten Triumph. Die Mundwinkel vor Abscheu herabgezogen, packte er das Schwert und zog es aus de Reins Brust, eine entsetzliche Leere in seinem Inneren.

Suchend schaute er an den Felsen empor, blickte in teils verwunderte, teils entsetzte Gesichter, die verrieten, dass der Kampf anders ausgegangen war, als sie vermutet hatten. Conn atmete erleichtert auf, als er inmitten jener fassungslosen Mienen Chaya entdeckte.

Plötzlich hatte alles wieder einen Sinn.

Guillaume de Rein war tot.

Nias Tod war gerächt.

Und Chaya war frei.

Wankend vor Erschöpfung setzte er sich in Bewegung, auf die Felsenterrasse zu, von der aus die Fürsten und Edlen den Kampf verfolgt hatten. Die ungläubigen Blicke der noch immer schweigenden Menge verfolgten ihn, bis Conn stehen blieb und die noch blutige Klinge demonstrativ in die Höhe reckte.

»Ist der Wahrheit damit Genüge getan?«, rief er so laut, dass es vom schroffen Gestein widerhallte.

Herzog Robert war der Erste, der antwortete. »Ihr habt mit dem Mut eines Adlers und dem Herzen eines Löwen gefochten, Conwulf. Gott war auf Eurer Seite und hat Sein Urteil gefällt – wer möchte jetzt noch anzweifeln, dass Ihr die Wahrheit gesprochen habt?«

Niemand, auch keiner der Edlen widersprach. Jene Ritter, die Guillaumes Gefolge angehörten oder Mitglieder der Bruderschaft waren, hatten noch immer Mühe zu begreifen, was geschehen war. Ungläubig starrten sie auf den blutbesudelten Körper ihres Anführers, der leblos auf dem Kampfplatz lag.

»Ich und jeder, der sich dem Urteil dieses Gottesgerichts unterworfen hat, muss es damit als erwiesen ansehen, dass Guillaume de Rein plante, mich im Auftrag meines Bruders zu ermorden. In Dankbarkeit erkenne ich den treuen Dienst an, den Ihr mir erwiesen habt, indem Ihr den gedungenen Mörder erschlugt. Sein Leichnam soll verbrannt und sein Name aus den Aufzeichnungen gelöscht werden – Ihr aber, der Ihr der Wahrheit zum Sieg verholfen habt, sollt fortan einen festen Platz unter meinen Rittern haben.«

»Aber Sire!«, wandte einer der normannischen Edlen ein. »Bitte bedenkt, dass er ein Angelsachse ist, noch dazu ohne Namen und Besitz!«

»Und? Soll ich ich einen Streiter, der mein Leben gerettet und meine Herrschaft bewahrt hat, nicht belohnen, nur weil Euch seine Herkunft nicht passt, Lanfranc?« Der Herzog schüttelte das Haupt. »Bischof Adhémar mag Euch zum Ritter ernannt haben«, fuhr er dann an Conn gewandt fort. »Jedoch erst heute, auf diesem Feld, seid Ihr dazu geworden, Conwulf von Nakura!«

Das Lager, das man ihm zugewiesen hatte, war weich. Dennoch hatte Conn das Gefühl, dass jeder einzelne Muskel und jeder Knochen in seinem Körper schmerzte.

Der Kampf war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Sein Schildarm und sein Oberkörper waren von Blutergüssen übersät, von den Schnittwunden an Stirn und Schläfen ganz zu schweigen. Und Conn war müde, unendlich müde.

Dennoch wäre er noch am selben Tag zurück nach Acre geritten, um Chaya zurückzubringen und über Baldrics Auslösung zu verhandeln. Doch Herzog Robert hatte darauf bestanden, dass er zumindest eine Nacht blieb und seine Wunden versorgen ließ, und Conn hatte nicht mehr über die Kraft verfügt, ihm zu widersprechen.

Schweigend lag er in seinem Zelt und starrte hinauf zur kreisrunden, spitz geformten Decke. Da jede Bewegung weh tat, versuchte er sich nicht zu rühren und lauschte dem warmen Wind, der von Osten wehte und die Zeltbahnen flattern ließ, durch die das Licht der umliegenden Feuer schimmerte.

Für einen Moment mussten ihm dabei die Augen zugefallen sein, denn als er sie wieder öffnete, war er nicht mehr allein.

Eine schlanke Gestalt, von der er im Zwielicht nur die Silhouette sehen konnte, stand vor ihm. Er erschrak und fuhr in die Höhe, was ihn vor Schmerz beinahe laut aufschreien ließ. Aber dann erkannte er Chaya.

Er hatte sie seit dem Kampf nicht mehr gesehen. Der Herzog und seine Leute hatten ihn in Beschlag genommen und ihn über alles ausgefragt, was er über das Mordkomplott wusste – nun, da die Wahrheit seiner Worte bewiesen war, schenkte man ihm uneingeschränkt Glauben. Chaya jedoch war er nicht mehr begegnet. Er hatte ihr nicht sagen können, wie sehr er bedauerte, was geschehen war, noch was er für sie empfand – bis zu diesem Augenblick.

»Chaya, ich bin froh, dass es dir …«

Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern legte einen Finger vor den Mund und bedeutete ihm zu schweigen. Dann löste sie die Spange, die ihr schwarzes Haar zusammenhielt, und öffnete die Verschnürung ihres baumwollenen Kleides. Conn blieb vor Staunen der Mund offen stehen.

Im Gegenlicht des vielfachen Feuerscheins konnte er sehen, wie ihre schlanken Hände den Saum des Übergewandes rafften und es nach oben zogen, über ihren Kopf. Ihr Haar geriet dadurch in Unordnung, was sie in seinen Augen nur noch schöner aussehen ließ. Ihm wurde klar, weshalb sie gekommen war, aber der Gedanke, in seinem Zustand mit einer Frau zusammen zu sein, erschreckte ihn eher, als dass er ihn erregt hätte.

»Chaya«, begann er erneut, »ich …« – doch sie hatte bereits ihr Untergewand abgelegt. Sie ließ sich zu ihm herab und schlug die Decke beiseite, unter der er ebenso nackt war wie sie, und lächelte, als sie seine Männlichkeit in nicht weniger erschöpftem Zustand vorfand als ihn selbst. Kurzerhand schlüpfte sie zu ihm unter die Decke und schmiegte ihren Körper an den seinen.

Dann kam sie über ihn, sanft wie der warme Wüstenwind.