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29.

Acre

12. Juli 1099

Die Stadt, in die Conn und Baldric zurückkehrten, war nicht mehr die, die sie vor sechs Wochen verlassen hatten.

Jenes Acre war eine wehrhafte Siedlung gewesen, auf deren Türmen und Mauern die Soldaten der örtlichen Garnison Vorbereitungen zur Verteidigung getroffen hatten. Doch zum Kampf um die Stadt war es nicht gekommen. Um der Konfrontation zu entgehen, hatte der Statthalter des Kalifen es vorgezogen, den Kreuzfahrern die Tore zu öffnen und sie mit allem Nötigen zu versorgen – und so machte die Stadt auch noch nach Wochen den Eindruck eines Ackers, über den ein Schwarm Heuschrecken hergefallen war.

Viele Läden und Tavernen waren geschlossen, auf den Märkten gab es kaum Lebensmittel zu kaufen. Die Lagerhäuser und Kornspeicher der Stadt waren leer, eine Folge des Tributs, den man an die Kreuzfahrer entrichtet hatte, und überall in den dunklen Eingängen der Häuser und unter den Schatten spendenden Baldachinen sah man dürre Gestalten mit hungrigen Augen sitzen, die mit einer Mischung aus Neugier und Feindseligkeit auf die beiden Besucher starrten. Denn obschon Conn und Baldric Turbane um die Köpfe gewickelt hatten und das weite Gewand der Orientalen über Kettenhemd und Waffengurt trugen, waren sie natürlich als franca zu erkennen.

Conn fühlte Bedrückung. Einmal mehr musste er an die Versammlung des Fürstenrats denken und an die Stimmen, die er dort gehört hatte; Stimmen, die nach Ruhm und Geltung, vor allem aber nach Besitz und Beute schrien – davon, vor Gott Vergebung zu erlangen, war keine Rede mehr, obschon es vielleicht nötiger wäre als je zuvor.

Vermutlich war dies auch der Grund, dass Baldric ihn begleitete. Als er seinem Adoptivvater von seinen Plänen erzählte, war Conn sich keineswegs sicher gewesen, dass Baldric ihn verstehen, geschweige denn ihm helfen würde. Denn was Conn im Sinn hatte, war nicht nur kühn, sondern verstieß auch gegen seine Pflichten und den Eid, den er als Kreuzfahrer geleistet hatte. Doch um Gottes Gerechtigkeit zu dienen, so war er überzeugt, gab es keine andere Möglichkeit – und zu seiner Erleichterung teilte Baldric diese Ansicht.

Sie suchten das Haus des Tuchhändlers auf und ließen nach Chaya fragen. Ein Diener führte sie in eine Kammer, die zugleich als Küche und Wohnraum diente. Zwei Männer saßen an einem Tisch, in denen Conn Caleb und – zu seiner Überraschung – Bahram erkannte, der seine orangefarbene Robe gegen ein schlichtes braunes Gewand getauscht hatte und nicht länger ein Offizier der Garnison zu sein schien. An der Feuerstelle jedoch stand Chaya, das dunkle Haar hochgesteckt und Rußflecke im Gesicht – und doch noch ungleich schöner, als er sie in Erinnerung hatte.

»Conwulf!«

Er trat auf sie zu, und sie umarmten einander. Fest presste Conn sie an sich, als könnte er so verhindern, dass sie ihm jemals wieder genommen würde.

»Was tut ihr hier?«, fragte Chaya. Ihr Blick glitt verwundert zwischen Conn und Baldric hin und her.

»Ja«, rief Caleb vom Tisch herüber, »was tut ihr hier? Solltest du dich nicht glücklich schätzen, noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein?«

Conn antwortete nicht. Das kleine Bettchen, das jenseits des Herdes in einer Nische stand, hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Behutsam trat er darauf zu und schaute hinein.

Der Knabe war merklich kräftiger geworden, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sein Haar, das allmählich zu sprießen begann, war dunkel, seine Augen hingegen, die Conn mit unschuldiger Offenheit anstrahlten, leuchteten blau.

Was er beim Anblick des Kindes empfand, wusste Conn selbst nicht recht zu deuten. Liebe, Scham, Fürsorge, Traurigkeit – von allem war etwas dabei. Chaya war zu ihm getreten, und er nahm ihre Hand und drückte sie, eine Geste der Hilflosigkeit, von der er hoffte, dass sie sie recht verstand.

»Bist du deshalb gekommen?«, stichelte Caleb weiter, der offenkundig zu viel Wein getrunken hatte. »Wolltest du einen Blick auf das werfen, was du angerichtet hast? Oder wolltest du deinen Vaterpflichten nachkommen?«

»Sei still, Caleb«, wies Chaya ihn zurecht. »Conn ist dir keine Rechenschaft schuldig.«

»Nein«, gab ihr Cousin zu und stand auf, »aber dir ist er Rechenschaft schuldig, Chaya, denn er ist der Vater des Kindes! Was denn? Bist du überrascht, dass ich die Dinge so offen beim Namen nenne? Nachdem ich alles darangesetzt habe, dem Knaben ein guter Vater zu sein? Dich mag er nicht erkennen, wenn du dich über seine Schlafstatt beugst, Christ – in mir jedoch erkennt er jemanden, der ihn aufrichtig liebt und der es gut mit ihm meint.«

»Daran zweifle ich nicht, Caleb, und ich bin dir von Herzen dankbar für alles, was du für den Jungen tust.«

»Warum bist du dann gekommen? Warum kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen?«

»Weil ich das hier bei mir trage«, erwiderte Conn – und zog die Pergamentrolle mit dem Buch von Ascalon unter seinem Gewand hervor.

Chaya holte tief Luft, der Blick von Bahram verriet Befremden. Caleb reagierte mit blankem Zorn. »Du hattest es doch?«, rief er mit bleierner Zunge und sprang auf. »Hast du uns damals also nur etwas vorgelogen?«

»Ich habe das Buch gefunden«, verteidigte sich Conn. »Berengar hatte es an einem geheimen Ort versteckt.«

»Dieser verdammte Mönch«, fluchte Caleb. »Sollte er jemals wieder meinen Weg kreuzen, werde ich ihn …«

»Er ist tot«, fiel Conn ihm ins Wort. »Als er erkannte, was er getan hatte, hat er sich selbst vergiftet – und seinen letzten Atem dazu benutzt, Vergebung zu finden.«

»Und? Hast du ihm Vergebung gewährt?«

»Auch du solltest ihm vergeben, Caleb, denn bevor er starb, hat Berengar dafür gesorgt, dass das Buch wieder in unseren Besitz gelangt.«

»Na und? Es ist zu spät! Wie es heißt, steht Jerusalem kurz vor dem Fall.«

»Noch ist es nicht gefallen«, wandte Baldric ein.

»Was also wollt ihr tun?«, fragte Caleb.

»Was ich schon einmal tun wollte«, erwiderte Conn entschlossen. »Nach der Lade suchen und sie finden.«

Caleb lachte bitter auf. »Um was zu tun, Christ? Ihre Macht zu entfesseln, um das Reich Israel neu zu erichten? Dem Haus Jakob zu neuer Stärke zu verhelfen?«

»Nein. Aber ich möchte die Lade auch nicht für mich gewinnen oder für die Christenheit.«

»Was dann?«

»Ich will sie aus der Stadt bringen und an einem unbekannten Ort verbergen, wo sie vor Entdeckung sicher ist. Denn wenn die Ereignisse der Vergangenheit eines gezeigt haben, dann dass die Lade in diesen dunklen Zeiten nur dazu missbraucht würde, um Kriege zu führen und weltliche Throne zu errichten, und dafür wurde sie nicht geschaffen.«

»Was fällt dir ein?«, fuhr Caleb ihn an. »Was weißt du von der Lade oder darüber, wofür sie geschaffen wurde? Uns, dem Volk Israel, wurde sie vom Herrn anvertraut, als Symbol seiner Nähe und seiner Stärke – und du wagst es, mir ins Gesicht zu sagen, dass wir sie nicht haben dürfen? Deinesgleichen mag den Schrein dazu benutzen, um Krieg zu führen und zu vernichten. Mein Volk jedoch will nur zurück, was ihm genommen wurde, und aufbauen, was einst zerstört wurde.«

»Und dann?«, fragte Chaya, die sichtlich betroffen zugehört hatte. »Was, glaubst du, werden die Söhne Mohammeds tun, wenn der Große Rat von neuem tagt und danach trachtet, den Tempel Salomons neu zu errichten? Der Tempelberg gilt ihnen als ebenso heilig wie uns, und sie werden ihn sich nicht einfach nehmen lassen! Krieg wird die Folge sein, Caleb, ein blutiges Morden, und wir werden keinen Deut besser sein als jene Kreuzfahrer, die du so sehr hasst.«

»Wie kannst du so etwas sagen?« Caleb starrte sie an, wütend und fassungslos. »Ausgerechnet du, die Tochter eines Trägers!«

»Eines Trägers Tochter bin ich, doch den Eid habe ich nie geleistet, denn er wird nur männlichen Erben abverlangt. Folglich bin ich ungebunden und kann mit dem Herzen entscheiden – und mein Herz sagt mir, dass Conn recht hat, Caleb.«

»Wie überraschend.« Ihr Cousin schnaubte.

»Sprich nicht so abfällig, das habe ich nicht verdient. Ich habe Opfer gebracht, um das Buch zu euch zu bringen. Ich habe meine Heimat verlassen und meinen Vater verloren, habe große Strapazen auf mich genommen – aber ich bin nicht die Sklavin seiner Worte.«

»Aber Gott erwartet …«

»Die Menschen erwarten, dass wir es benutzen«, verbesserte Chaya energisch. »Gott kann nicht wollen, dass Hass und Krieg unser Leben bestimmen und wir uns gegenseitig töten, bis keiner mehr von uns übrig ist. Ist dieses Kind dort nicht ein Beweis dafür, dass zwischen unseren Völkern auch Zuneigung entstehen kann? Dass wir in Frieden miteinander leben können? Und zeigt Conn nicht durch seine Anwesenheit hier, dass er uns in Freundschaft verbunden ist?«

»Nein. Er will uns nehmen, was uns gehört. Darin kann ich keine Freundschaft erkennen.«

»Hätte ich euch bestehlen wollen, hätte ich nicht nach Acre zurückzukehren brauchen«, gab Conn zu bedenken.

»Nun«, zischte Caleb und griff nach dem Dolch an seinem Gürtel, »womöglich war das ja ein Fehler. Denn was sollte mich davon abhalten, dich hinterrücks zu erstechen und dir die Schriftrolle abzunehmen?«

»Baldric vermutlich«, entgegnete Conn mit Blick auf seinen Adoptivvater, der die Hand bereits am Schwertgriff hatte. »Aber du hast recht, Caleb. Wir sind nur zu zweit, ihr aber seid viele. Wenn du es darauf anlegst, so sollte es für dich keine Schwierigkeit darstellen, in den Besitz des Buches zu gelangen.«

»Warum, bei allen zwölf Stämmen Israels, bist du dann gekommen?«, fragte Caleb, unschlüssig und zornig zugleich.

»Weil ich nicht allein tun kann, was ich tun will, und dabei eure Hilfe brauche, denn weder spreche ich die Sprache der Einheimischen noch bin ich je in Jerusalem gewesen. Und ich bin auch nicht in der Lage, die Zeichen der Schriftrolle zu entziffern.«

»Ich könnte sie für euch übersetzen«, erwiderte Chaya, »ich habe es schon einmal getan. Aber jene Stellen des Buches, die den Aufenthalt der Lade verraten, sind verschlüsselt. Nur die Räte kennen das Geheimnis, wie …«

»Nicht mehr. Berengar hat die Rätsel gelöst«, sagte Conn.

»Dann sollten wir keine Zeit verlieren.«

»Chaya!«, entrüstete sich Caleb. »Du willst tatsächlich gemeinsame Sache mit ihm machen? Mit einem Christen, der das Eigentum unseres Volkes stehlen will?«

»Wir sind nicht die Einzigen, die auf der Suche nach der Lade sind, Caleb«, gab Conn zu bedenken. »Guillaume de Rein ist tot, aber seine Bruderschaft existiert weiter. Wäre es dir lieber, wenn sie in den Besitz der Lade gelangte?«

Calebs Wangenknochen mahlten, in hilfloser Wut starrte er zu Boden. »Es ist Verrat, Chaya!«

»Es ist richtig«, entgegnete sie unbeirrt.

»Ich euch begleite«, erklärte Bahram, der am Tisch sitzen geblieben war und bislang kein Wort gesagt hatte, in zwar akzentschwerem und brüchigem, jedoch verständlichem Französisch.

»Ihr sprecht unsere Sprache?«, fragte Conn verblüfft.

»Nur ein wenig«, schränkte Chaya ein. »Er wollte, dass wir es ihm beibringen.«

Conn hob die Brauen. »Warum?«

Da es seine noch bescheidenen Sprachkenntnisse überstieg, antwortete der Armenier einmal mehr auf Aramäisch, und

Caleb übersetzte: »Vor Jahren sah ich ein Zeichen am Himmel. Es war ein fallender Stern, und ein Weiser sagte mir, dass dies den Untergang eines Reiches bedeute. Heute weiß ich, dass das Morgenland damit gemeint war, denn die Söhne des Propheten sind untereinander uneins. Jeder Statthalter sucht nur seinen Vorteil, deshalb werden die Franken den Sieg davontragen, und es ist gut, die Sprache der Sieger zu sprechen.«

»Eine kluge Überlegung.« Conn nickte. »Aber es ist ein Irrtum anzunehmen, dass die Christen untereinander immer einig wären. Oft genug herrschen auch unter ihnen Zwietracht und Streit.«

»Darüber dürfte sich Bahram im Klaren sein«, erwiderte Caleb säuerlich, anstatt zu übersetzen, »denn genau wie du hat auch er die Taufe empfangen.«

»Er – Ihr seid ein Christ?«

Bahram nickte.

»Und dennoch kämpft Ihr für die Muselmanen?«

Der Armenier schüttelte den Kopf. »Für meine Welt«, verbesserte er, worauf sich Conn sehr einfältig vorkam.

Hatte er tatsächlich geglaubt, einen Christen an seinem Aussehen zu erkennen, an der Farbe seiner Haut? Wenn auch Christen in den Armeen des Kalifen und des Sultans kämpften, wie viele von ihnen, so fragte er sich unwillkürlich, hatten unter den Klingen der Kreuzfahrer wohl den Tod gefunden? War dies der Kampf, den sie fechten sollten, um ewiges Heil zu erlangen?

Bahram fügte noch einige weitere Worte in seiner eigenen Sprache hinzu. »Was sagt er?«, wollte Conn wissen.

»Dass er schon früher in Jerusalem gewesen ist, als sein damaliger Herr Tutush die Stadt besuchte. Er kennt den Weg zum Tempelberg und kann euch führen. Und er glaubt, dass er euch an den Wachen vorbei in die Stadt bringen kann.«

Conn nickte – dies war genau die Art von Hilfe, die für sein Vorhaben vonnöten war. Dennoch wollte er seinen neuen Verbündeten nicht mit falschen Erwartungen täuschen. »Wir suchen die Lade nicht, um das Morgenland zu retten.«

»Bahram weiß«, entgegnete der Armenier.

»Warum wollt Ihr uns dann begleiten?«

»Nachdem Antiochia gefallen«, versuchte Bahram in seinem brüchigen Französisch zu erklären, »nach Süden geflüchtet, erschöpft und ohne Heimat. Dabei Vision – hiervon.«

Er erhob sich von seinem Platz am Tisch und trat auf Conn zu. Dabei griff er unter sein Gewand und holte etwas hervor, das er Conn zeigte. Es war ein Brocken Sandstein, wie man ihn überall in der Wüste finden konnte. Darauf war etwas eingeritzt, das Conn erst bei näherem Hinsehen erkannte: ein Kreis aus vier Labyrinthen, die in der Mitte ein Kreuz formten. Daraufhin zog Conn den Anhänger heraus, den Bischof Adhémar ihm gegeben hatte – die Übereinstimmung war so verblüffend, dass Baldric sich bekreuzigte.

»Deshalb«, sagte Bahram leise, »ich dir folge.«

»Dann geht doch«, begehrte Caleb auf. »Geht nach Jerusalem und brecht die Gesetze! Ich werde euch nicht helfen. Ich kann es nicht!«

»Das verstehe ich«, versicherte Chaya und trat auf ihn zu. »Aber ich bitte dich von Herzen, dich während meiner Abwesenheit um mein Kind zu kümmern. Wirst du das für mich tun?«

Caleb schwieg, womöglich weil er unschlüssig darüber war, was er antworten sollte.

»Chaya hat recht«, pflichtete Conn ihr bei. »Du selbst hast gesagt, dass du dem Jungen ein guter Vater warst und dass du ihn aufrichtig liebst – ich könnte mir niemanden denken, in dessen Obhut er besser aufgehoben wäre als in deiner.«

»Und das sagst ausgerechnet du?«, antwortete Caleb nun doch.

»Ausgerechnet ich.« Conn nickte.

Caleb schaute zuerst ihn, dann Chaya und schließlich den Knaben an. Und obwohl sich alles in ihm dagegen zu sträuben schien, nickte er schließlich.

»Danke«, flüsterte Chaya, trat auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Danke, Freund«, sagte auch Conn, und zumindest dieses eine Mal widersprach Caleb nicht.