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Obwohl Peggy Malkovitch schon seit zwei Jahren mit» Woody «Stanford verheiratet war, nannten die Einwohner von Hobe Sound sie noch immer:»diese Kellnerin«.
Peggy hatte im Restaurant Rain Forest Grill bedient, als ihr Woody zum ersten Mal begegnet war — Woody Stanford, der» goldene Junge von Hobe Sound«, Resident einer Familienvilla, ein Mann von klassisch schöner Erscheinung, charmant, gesellig, das Idol aller Mädchen der feinen Gesellschaft von Hobe Sound, Philadelphia und Long Island. Und so war es ein furchtbarer Schock, daß er urplötzlich eine nicht mal hübsche, fünfundzwanzigjährige Kellnerin ohne Schulabschluß ehelichte — die Tochter eines Tagelöhners.
Der Schock war um so größer, weil alle erwartet hatten, daß Woody die schöne, intelligente Mimi Carson heiraten würde, Alleinerbin eines großen Vermögens, die ihn abgöttisch liebte.
Im allgemeinen war es so, daß die feinen Leute von Hobe Sound sich lieber über Skandale ihrer Dienerschaft als über ihresgleichen aufregten; Woodys Fall aber fiel so aus dem Rahmen, und seine Heirat war etwas dermaßen Unerhörtes, daß sie eine Ausnahme machten, und bald machte ein Gerücht die Runde: daß er Peggy geschwängert und deswegen geheiratet hätte.
«Um Himmels willen, ich kann ja verstehen, daß der Junge was mit ihr hatte — aber eine Kellnerin heiratet man doch nicht!«
Die ganze Geschichte war ein klassischer Fall von deja vu. Es war etwa zwanzig Jahre her, daß die Stanfords in Hobe Sound einen ähnlichen Skandal verursacht hatten, als Harry Stanford die Gouvernante seiner Kinder schwängerte und seine Frau,
Emily Temple, Tochter einer amerikanischen Gründerfamilie, sich daraufhin das Leben nahm.
Woody Stanford machte kein Geheimnis aus der Tatsache, daß er seinen Vater von ganzem Herzen haßte — was zu der Vermutung Anlaß gab, daß er die Kellnerin nur aus Trotz heiratete; um zu beweisen, daß er anders und ehrenhafter war als sein Vater.
An der Hochzeit nahm nur ein einziger Gast teil, und der kam aus New York, nämlich Peggys zwei Jahre älterer Bruder Hoop, der in einer Bäckerei in der Bronx arbeitete — ein hochgeschossener, ausgemergelter Kerl mit pockennarbigem Gesicht und starkem Brooklyn-Akzent.
«Da kriegst du aber 'n tolles Mädchen von Frau«, erklärte er Woody nach der Feier.
«Ich weiß«, erwiderte Woody tonlos.
«Du wirst doch gut für sie sorgen, ja?«
«Ich werd mein Bestes tun.«
«Yeah. Okay.«
Ein wenig erinnerungswürdiges Gespräch zwischen einem Bäcker und dem Sohn eines der reichsten Männer der Welt.
Vier Wochen nach der Hochzeit verlor Peggy das Baby.
Hobe Sound war die exklusivste Wohngegend und Jupiter Island wiederum das exklusivste Wohnviertel von Hobe Sound. Die Insel wird im Westen vom Intracoastal Waterway und im Osten vom Atlantik begrenzt. Sie ist das Paradies für ein geschütztes Privatleben der Reichen; im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es nirgends auf der ganzen Welt so viele Polizisten wie hier. Im übrigen hält man im superreichen Hobe Sound viel von Understatement — man fährt ein Auto der Mittelklasse und besitzt nur ein kleines Segelschiff, etwa eine sechs Meter lange Lightning oder eine acht Meter lange Quickstep.
Wer dieser Gesellschaft nicht durch Geburt angehört, muß sich den Anspruch auf Akzeptanz und Mitgliedschaft verdienen. Nach der Heirat Woodrow Stanfords mit» dieser Kellnerin «hieß die Preisfrage: Wie werden sich die Leute von Hobe Sound gegenüber der Braut verhalten?
Für solch strittige Fragen in Hobe Sound war Mrs. Anthony Pelletier zuständig, die es als ihre vornehmliche Lebensaufgabe betrachtete, die Gemeinschaft gegen Parvenüs und Neureiche abzuschotten. Frisch Zugereiste, die das Pech hatten, Mrs. Pelletier zu mißfallen, erhielten von ihr — durch ihren Chauffeur überbracht — einen Reisekoffer aus echtem Leder; das Signal, daß sie in der hiesigen Gesellschaft unwillkommen waren.
Mrs. Pelletiers Freundinnen erzählten gern die Geschichte von dem Kfz-Mechaniker und seiner Frau, die ein Haus in Hobe Sound erworben hatten. Als Mrs. Pelletier dem Ehepaar nach dem Einzug wie üblich einen Reisekoffer zustellte und die Frau erfuhr, was es mit dem Geschenk auf sich hatte, soll sie nur laut gelacht haben:»Wenn die alte Hexe meint, mich so einfach vertreiben zu können, hat sie nicht alle Tassen im Schrank!«
Dann mußte sie jedoch die seltsame Erfahrung machen, daß plötzlich die Handwerker keine Zeit mehr für sie hatten, daß das Lebensmittelgeschäft nie das auf Lager hatte, was sie gerade kaufen wollte; und es erwies sich als völlig unmöglich, beim Jupiter Island Club als Mitglied aufgenommen zu werden oder bei den besseren Restaurants am Ort eine Tischreservierung zu bekommen; außerdem sprach niemand mit den beiden. Und so verkauften der Kfz-Mechaniker und seine Frau ihr Haus drei Monate nach Erhalt des ledernen Reisekoffers wieder und zogen fort.
Aus ebendiesem Grund hielt die feine Gesellschaft sozusagen kollektiv den Atem an, als die Nachricht von Woodys Heirat bekannt wurde. Ein Verstoß von Peggy Malkovitch hätte ja auch den gesellschaftlichen Ausschluß ihres allseits beliebten
Ehemannes bedeutet, und so wurden klammheimlich etliche Wetten abgeschlossen.
In den ersten Wochen wurden Woody und Peggy nicht zu den Abendgesellschaften und anderen obligaten Veranstaltungen eingeladen. Da man Woody aber gern hatte und seine Großmutter mütterlicherseits immerhin zu den Gründungsmitgliedern von Hobe Sound zählte, siegte schließlich die Neugier, und einer nach dem anderen lud ihn und seine Frau privat ein: Man wollte die Braut kennenlernen.
«Das alte Mädchen muß ja was Besonderes haben, sonst hätte Woody sie doch nicht geheiratet.«
Da stand den Herrschaften von Hobe Sound nun allerdings eine herbe Enttäuschung bevor, denn Peggy war langweilig und ohne Anmut, eine Person ohne Ausstrahlung und ohne Schick.»Schäbig«- das war der Ausdruck, der ihnen in den Sinn kam.
Woodys alte Freunde waren ratlos.»Was findet er bloß an ihr? Und dabei hätte er jede haben können, die er wollte!«
Eine der ersten Einladungen kam von Mimi Carson. Die Nachricht von Woodys Heirat hatte sie tief getroffen, allerdings war sie viel zu stolz, um es sich anmerken zu lassen.
Als ihre engste Freundin sie trösten wollte und sagte:»Schlag ihn dir aus dem Sinn, Mimi, du wirst schon darüber hinwegkommen«, hatte Mimi traurig erwidert:»Ich werde damit leben müssen, aber ihn vergessen — das schaff ich nie.«
Woody tat, was er konnte, damit es eine glückliche Ehe wurde. Er war sich sehr wohl darüber im klaren, daß er einen Fehler begangen hatte — nur wollte er auf jeden Fall verhindern, daß Peggy dafür büßten mußte, und er gab sich verzweifelt Mühe, ein guter Ehemann zu sein. Aber das war nicht das Problem; das Problem lag ganz woanders — daß es zwischen Peggy und ihm und auch seinen Freunden nichts Gemeinsames gab.
Es gab überhaupt nur einen Menschen, in dessen Gesellschaft sich Peggy wohl fühlte — bei ihrem Bruder, mit dem sie tagtäglich telefonierte.
«Er fehlt mir«, beklagte sie sich bei Woody.
«Möchtest du ihn einladen, damit er für ein paar Tage zu uns kommt?«fragte Woody.
Sie blickte ihren Mann fassungslos an.»Das könnte er doch gar nicht«, sagte sie und fügte dann in einem gehässigen Ton hinzu:»Weil er nämlich 'nen Job hat und arbeiten muß.«
Auf Partys versuchte Woody immer wieder, Peggy in die Gespräche einzubeziehen, doch stellte sich nur allzubald heraus, daß sie nichts zur Unterhaltung beitragen konnte. Sie verzog sich still in eine Ecke, leckte sich nervös die Lippen und fühlte sich sichtlich unwohl.
Wenngleich Woody in der Stanford-Villa wohnte, war seinen Freunden durchaus bekannt, daß er ein distanziertes Verhältnis zu seinem Vater hatte und von den geringen Jahresrenditen aus dem Erbe der Mutter lebte. Seiner Leidenschaft, dem Polospiel, konnte er nur frönen, indem er auf Pferden von Freunden ritt. In der Welt des Polospiels wird der Rang der Spieler nach der Anzahl der Tore bewertet; die höchste Punktzahl ist zehn; Woody lag mit neun Toren an zweiter Stelle; er war mit Mariano Aguerre aus Buenos Aires, Wicky el Effendi aus Texas, Andres Diniz aus Brasilien und Dutzenden weiterer Spitzenspieler geritten. Es gab nur zwölf Zehntorespieler, und Woodys ganzer Ehrgeiz zielte dahin, in diese absolute Elitegruppe aufzurücken.
«Du kennst ja den Grund, warum er sich das in den Kopf gesetzt hat«, sagte einer seiner Freunde.»Weil sein Vater zur Zehnerelite gehörte.«
Da Mimi Carson genau wußte, daß Woody das Geld zum Erwerb eigener Polopferde fehlte, kaufte sie eine Koppel, die sie ihm zum Reiten überließ. Auf die Frage, warum sie so etwas täte, erwiderte sie:»Ich möchte ihn gern glücklich machen, soweit das in meiner Macht steht.«
Wenn Neuankömmlinge sich erkundigten, womit Woody seinen Lebensunterhalt verdiene, zuckte man mit den Schultern. Die Wahrheit war, daß er ein Leben aus zweiter Hand führte — er kam zu Geld, indem er bei Golfspielen als Partner einsprang und bei Poloturnieren Wetten abschloß; er lieh sich die Pferde anderer Leute zum Polospielen; die Jachten anderer Leute zum Segeln — und bei Gelegenheit auch die Ehefrauen anderer Männer.
Woody wollte es nicht wahrhaben, daß seine eigene Ehe zerbrach.
«Peggy«, sagte er flehend,»nun versuch doch wenigstens, dich an der Unterhaltung zu beteiligen, wenn wir auf einer Party sind.«
«Warum sollte ich? Deine Freunde halten sich doch sowieso für bessere Menschen.«
«Sind sie aber nicht«, versicherte ihr Woody.
Die literarische Gesellschaft von Hobe Sound versammelte sich einmal wöchentlich im Country Club zum Gespräch über die neuesten Bücher und zum gemeinsamen Mittagessen.
Man saß bereits bei Tisch, als der Ober sich Mrs. Pelletier näherte.»Mrs. Woodrow Stanford ist draußen. Sie möchte sich gern Ihrer Gesellschaft anschließen.«
Am Tisch wurde es auf einmal totenstill.
«Führen Sie sie herein«, sagte Mrs. Pelletier.
Gleich darauf betrat Peggy den Speisesaal — mit frisch gewaschenen Haaren, in ihrem besten Kleid —, blieb am Eingang stehen und schaute nervös herüber.
Mrs. Pelletier nickte ihr zu und sagte höflich:»Mrs. Stanford.«
«Ja, Ma'am«, antwortete Peggy mit einem beflissenen Lächeln.
«Wir werden Ihre Dienste nicht benötigen. Wir haben bereits eine Kellnerin. «Und damit wandte sich Mrs. Pelletier wieder den Speisen zu.
Als Woody von dem Vorfall erfuhr, wurde er sehr zornig.»Wie kann sie es wagen, dich so zu behandeln!«fluchte er und nahm Peggy in die Arme.»Aber das nächste Mal frag mich bitte vorher, Peggy. An einem solchen Essen im Club kann man nur auf Einladung teilnehmen.«
«Das hab ich doch nicht gewußt«, sagte Peggy mürrisch.
«Ist ja gut. Heute abend sind wir bei den Blakes eingeladen, da möchte ich…«
«Ich komm nicht mit!«
«Aber wir haben die Einladung angenommen.«
«Dann geh du allein hin.«
«Ich möchte aber nicht ohne…«
«Ich geh da nicht hin.«
Woody ging allein — und von dem Tag an besuchte er alle Partys ohne Peggy.
Er kam spät heim, manchmal erst lange nach Mitternacht, so daß Peggy fest überzeugt war, daß er bei anderen Frauen gewesen war.
Der Unfall änderte alles.
Es passierte während eines Polospiels. Woody spielte auf der Position Nummer drei, als aus nächster Nähe ein Spieler der gegnerischen Mannschaft den Ball zu schlagen versuchte und zufällig die Beine von Woodys Pferd traf. Das Pferd stürzte, wälzte sich auf ihn, und im folgenden Aufprall weiterer Reiter wurde Woody von einem anderen Pferd getreten. In der Notfallstation des Krankenhauses diagnostizierten die Ärzte ein gebrochenes Bein, drei Rippenbrüche und eine perforierte Lunge.
In den folgenden zwei Wochen wurde Woody dreimal operiert, und er litt entsetzliche Schmerzen, zu deren Linderung die Ärzte ihm Morphium verabreichten. Peggy besuchte ihn jeden Tag, und Hoop flog von New York her, um seine Schwester zu trösten.
Die physischen Schmerzen waren unerträglich, und Linderung verschafften ihm einzig die Mittel, die ihm die Ärzte verschrieben. Die Veränderungen in Woodys Verhalten begannen sich kurz nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zu zeigen. Man bemerkte — bei ihm etwas völlig Neues — heftige Stimmungswechsel; im einen Augenblick war er ganz der überschwengliche alte Woody, um gleich darauf einen Tobsuchtsanfall zu bekommen oder in eine Depression zu sinken. Während der Mahlzeit wirkte er fröhlich und witzig, und unvermittelt wurde er bösartig, griff Peggy an und stürzte aus dem Zimmer. Es kam vor, daß er mitten im Satz in tiefes Grübeln und Träumen versank. Er wurde nachlässig, vergaß Verabredungen, lud Leute zu sich nach Hause ein und war dann nicht da. Allmählich machten sich alle Sorgen um ihn.
Es dauerte nicht lange, und er behandelte Peggy auch in Gesellschaft schlecht. Als sie eines Morgens einem Freund eine Tasse Kaffee brachte und verschüttete, spottete er höhnisch:»Kellnerin bleibt Kellnerin.«
Man beobachtete an Peggy auch Spuren physischer Mißhandlung, aber wenn sie nach der Ursache gefragt wurde, gab sie ausweichende Antworten.
«Ich bin gegen eine Tür gerannt«, sagte sie dann, oder:»Ich bin hingefallen«, und sie versuchte jedesmal den Eindruck zu erwecken, als ob es nichts zu bedeuten hätte. Die Leute in Hobe Sound waren empört und begannen Peggy zu bemitleiden. Wenn aber jemand Woodys unberechenbares Verhalten kritisierte, nahm Peggy Woody in Schutz.
«Woody steht unter starkem Druck«, sagte sie.»Er ist momentan nicht er selbst. «Sie duldete es nicht, daß schlecht von ihm gesprochen wurde.
Dr. Tichner sprach es endlich offen aus, als er Peggy zu einer Unterredung in seine Praxis bat.
Sie war sichtlich nervös.»Stimmt etwas nicht, Doktor?«
Er musterte sie kurz und bemerkte die Prellung auf der Wange und das geschwollene Auge.
«Sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, Peggy, daß Woody Drogen nimmt?«
Sie sah ihn entrüstet an.»Nein! Das glaub ich Ihnen nicht!«Sie erhob sich.»So was muß ich mir nicht anhören!«
«Setzen Sie sich, Peggy. Es wird Zeit, daß Sie der Wahrheit ins Gesicht blicken. Sie haben die Veränderung in seinem Verhalten gewiß bemerkt: In einem Moment ist er der glücklichste Mensch auf Erden, der nur von der Schönheit des Lebens schwärmt, im nächsten Moment ist er suizidgefährdet.«
Peggy starrte ihn wortlos an.
«Er ist rauschgiftsüchtig.«
Sie preßte die Lippen zusammen.»Nein!«widersprach sie stur.»Das ist nicht wahr.«
«Doch, er ist drogenabhängig. Sie müssen realistisch sein. Wollen Sie ihm denn nicht helfen?«
«Natürlich will ich ihm helfen!«Sie rang die Hände.»Ich würde alles tun, um ihm zu helfen. Alles!«
«Gut, dann wollen wir mal anfangen. Ich brauche nämlich Ihre Hilfe, damit Woody seiner Einlieferung in eine Klinik für den Entzug zustimmt. Ich habe ihn deswegen zu einem Gespräch in die Praxis gebeten.«
Peggy musterte ihn lange, bis sie mit dem Kopf nickte.»Ich werde mit ihm reden«, versprach sie.
Als Woody noch am gleichen Nachmittag Dr. Tichners Sprechzimmer betrat, befand er sich in Hochstimmung.»Sie möchten mich sprechen, Doktor? Es geht um Peggy, nicht wahr?«
«Nein, es betrifft Sie selber, Woody.«
Woody warf ihm einen erstaunten Blick zu.»Mich? Habe ich etwa ein Problem?«
«Sie wissen genau, was Ihr Problem ist.«
«Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen.«
«Wenn Sie so weitermachen, ruinieren Sie nicht nur Ihr eigenes Leben, sondern auch Peggys. Was nehmen Sie?«
«Nehmen?«
«Sie haben mich schon verstanden.«
Schweigen.
«Ich möchte Ihnen doch nur helfen.«
Woody saß regungslos und mit gesenktem Blick auf seinem Stuhl. Als er endlich sprach, klang seine Stimme heiser.»Sie haben völlig recht. Ich… ich habe versucht, mir etwas vorzumachen, aber ich halte es nicht mehr aus.«
«Wovon sind Sie abhängig?«
«Heroin.«
«O mein Gott!«
«Ich habe ja versucht, damit aufzuhören, glauben Sie mir, aber… ich schaffe es nicht.«
«Sie brauchen Hilfe. Es gibt Kliniken, wo man Ihnen helfen kann.«
«Ich kann nur hoffen, daß Sie recht haben«, sagte Woody müde.
«Ich bitte Sie, sich der Harbour Group Clinic in Jupiter anzuvertrauen. Werden Sie es dort probieren?«
Kurzes Zögern, dann:»Ja.«
«Wer versorgt Sie mit Heroin?«wollte Dr. Tichner wissen.
Woody schüttelte den Kopf.»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
«Na schön. Ich werde Sie in der Klinik anmelden.«
Am Morgen darauf sprach Dr. Tichner beim
Polizeipräsidenten vor.
«Irgend jemand versorgt ihn mit Heroin«, erklärte der Arzt,»er will mir aber nicht verraten, wer.«
Polizeipräsident Murphy sah Dr. Tichner in die Augen und nickte mit dem Kopf.»Ich glaube, ich weiß, wer's ist.«
Es gab mehrere Verdächtige. Hobe Sound war eine kleine Gemeinde, so daß jeder wußte, was der andere so trieb.
An der Bridge Road hatte kürzlich ein Spirituosengeschäft eröffnet, das die Kunden in Hobe Sound tagtäglich rund um die Uhr belieferte.
Ein Arzt aus dem Krankenhaus war angezeigt und bestraft worden, weil er unverhältnismäßig hohe Dosierungen von Arzneimitteln verschrieben hatte.
Auf der anderen Seite des Kanals war vor einem Jahr eine Turnhalle in Betrieb genommen worden, und es ging das Gerücht, daß der Trainer selbst Steroide einnahm und für gute Kunden auch noch andere Drogen bereithielt.
Der Polizeichef Murphy dachte allerdings an jemand anders.
Tony Benedotti betreute bei vielen Familien in Hobe Sound schon seit langer Zeit die Gärten. Er hatte Gartenbau studiert; er liebte nichts mehr, als seine Zeit mit dem Anlegen von Gärten zu verbringen, und die von ihm gestalteten Gärten und Rasenflächen waren die schönsten weit und breit. Er war ein stiller Mensch, der zurückgezogen lebte, und die Leute, für die er arbeitete, wußten kaum etwas über ihn; für einen Gärtner jedoch wirkte er viel zu kultiviert, so daß man über seine Vergangenheit rätselte.
Murphy bestellte ihn zu sich ins Präsidium.
«Falls es um meinen Führerschein geht, so kann ich Ihnen gleich sagen, daß ich ihn erneuert habe«, erklärte Benedotti.
«Setzen Sie sich«, wies Murphy ihn an.
«Gibt es ein Problem?«wollte Benedotti wissen.
«In der Tat. Sie sind doch ein gebildeter Mensch, nicht wahr?«
«Ja.«
Der Polizeichef lehnte sich in seinem Stuhl zurück.»Und wieso arbeiten Sie dann als Gärtner?«
«Ich liebe nun mal die Natur.«
«Und was lieben Sie sonst noch?«
«Ich verstehe nicht.«
«Wie lang sind Sie schon Gärtner?«
Benedotti schaute Murphy fragend an.»Sollten sich etwa Kunden von mir bei Ihnen beschwert haben?«
«Bitte antworten Sie auf meine Frage.«
«Etwa fünfzehn Jahre.«
«Und Sie besitzen ein hübsches Haus und ein Schiff?«
«Ja.«
«Kann man sich denn bei den Einkünften eines Gärtners so etwas leisten?«
«So groß ist mein Haus nun auch wieder nicht«, wandte Benedotti ein.»Mein Schiff übrigens auch nicht.«
«Vielleicht verdienen Sie ja ein bißchen nebenbei.«
«Was wollen Sie damit…«
«Sie arbeiten doch für ein paar Leute in Miami, habe ich recht?«
«Ja.«
«Dort wohnen eine Menge Italiener. Leisten Sie denen gelegentlich ein paar Gefälligkeiten?«
«Was für Gefälligkeiten?«
«Indem Sie Drogen verkaufen, zum Beispiel.«
«Du großer Gott!«Benedotti betrachtete ihn mit einem Ausdruck blanken Entsetzens.»Aber nein, natürlich nicht!«
Murphy beugte sich vor.»Ich will Ihnen mal was sagen, Benedotti. Ich beobachte Sie nun schon ein Weilchen, und ich habe mich mit etlichen Leuten unterhalten, für die Sie hier arbeiten, und die wollen mit Ihnen und Ihren Mafiafreunden nicht das geringste zu tun haben. Ist das klar?«
Benedotti kniff für eine Sekunde die Augen zusammen und öffnete sie wieder.»Absolut klar«, sagte er.
«Gut. Ich erwarte, daß Sie bis morgen verschwunden sind.
Ich möchte Sie hier in Hobe Sound nie mehr sehen.«
Woody Stanford blieb drei Wochen lang in der Harbour Group Clinic und war nach seiner Entlassung wieder ganz der gute alte liebenswürdige, elegante Woody, in dessen Gesellschaft sich jeder wohl fühlte. Er nahm auch das Polospiel wieder auf und ritt Mimi Carsons Pferde.
Am Sonntag, als der achtzigste Jahrestag der Gründung des Palm Beach Polo & Country Clubs gefeiert wurde und dreitausend Fans anreisten, herrschte auf dem South Shore Boulevard dichter Verkehr. Alles drängte zum Poloplatz, um sich einen Sitzplatz auf der westlichen Seite und auf der überdachten Zuschauertribüne gegenüber zu sichern, da an diesem Tag einige der weltbesten Polospieler mitwirken würden.
Peggy saß neben Mimi Carson, die sie eingeladen hatte, in einer Loge.
«Woody hat mir erzählt, daß Sie heute zum ersten Mal einem Polospiel zuschauen. Warum sind Sie eigentlich bisher noch nie hiergewesen?«
Peggy leckte sich verlegen die Lippen.»Ich… es war so, daß ich immer ganz nervös war, wenn Woody spielte. Polo ist doch ein gefährlicher Sport, oder nicht?«
«Bei acht Spielern mit einem Gewicht von je rund hundertsechzig Pfund auf achthundert Pfund schweren Pferden, die mit einer Geschwindigkeit von fast sechzig Stundenkilometern über dreihundert Meter aufeinander losrasen — da kann es schon zu Unfällen kommen.«
Peggy schüttelte sich.»Ich könnt's nicht ertragen, wenn Woody noch mal was zustoßen würde. Ich würd's einfach nicht aushalten. Ich mach’ mir schrecklich Sorgen um ihn.«
«Sie brauchen sich aber keine Sorgen zu machen«, sagte Mimi Carson leise.»Er gehört nämlich zu den sichersten und besten Spielern. Er hat bei Hector Barrantas gelernt, wissen Sie.«
«Bei wem?«Peggy schaute sie fragend an.
«Hector Barrantas. Er ist absolute Spitze, eine Legende in der Welt des Polospiels.«
«Ach so.«
In der Zuschauermenge entstand ein Raunen — die Spieler ritten aufs Spielfeld.
«Und was passiert jetzt?«fragte Peggy.
«Sie haben ihre Runde zum Aufwärmen absolviert. Gleich geht das Spiel los.«
Die beiden Mannschaften formierten sich unter der heißen Floridasonne und warteten auf den Balleinwurf des Schiedsrichters.
Woody sah fantastisch aus: sonnengebräunt, körperlich fit und agil, kampfbereit. Peggy winkte und warf ihm eine Kußhand zu.
Die Mannschaften standen sich in Reih und Glied gegenüber, und die Spieler hielten ihre anderthalb Meter langen Schläger nach unten.
«Ein Spiel hat gewöhnlich sechs Runden«, erläuterte Mimi Carson,»eine Spielrunde dauert immer sieben Minuten, dann wird eine Glocke geläutet, und es folgt eine kurze Ruhepause. Für jede neue Runde wird das Pferd gewechselt. Sieger ist die Mannschaft, die die meisten Tore erzielt.«
«Aha.«
Die Augen der Spieler auf dem Feld waren auf den Schiedsrichter konzentriert, der seinen Blick über die Zuschauer wandern ließ und den weißen Plastikball plötzlich in einem hohen Bogen zwischen die beiden gegnerischen Reihen warf! Das Match hatte begonnen.
Es war ein rasant schnelles Spiel. Woody brachte sich als erster in Ballbesitz, landete eine gekonnte Vorderhand, und der
Ball sauste in Richtung eines gegnerischen Spielers, der ihm übers Feld nachgaloppierte, doch dann blockte ihm Woody, der auf ihn zugeritten war, den Schläger ab, um den Schuß zu vereiteln.
«Warum hat Woody das gemacht?«wollte Peggy wissen.
«Wenn der Gegner sich den Ball holt«, erläuterte Mimi Carson,»dann darf man ihm den Schläger abblocken, um ihn am Torschießen oder Weitergeben zu hindern. Als nächstes wird Woody einen Abseitsschlag versuchen, um im Besitz des Balls zubleiben.«
Auf dem Spielfeld verlief alles so schnell, daß man kaum zu folgen vermochte.
Zurufe waren zu hören.
«Mitte…«
«Ungültig… «
«Laß ihn…«
Die Spieler galoppierten mit Höchstgeschwindigkeit über den Rasen. Der Erfolg eines Reiters hing größtenteils davon ab, wie gut seine Pferde waren — meist reinrassige oder Dreiviertelvollblüter, die schnell sein und» Polo-Instinkt «haben mußten, nämlich die Fähigkeit, jede Bewegung ihres Reiters vorauszuahnen.
In den ersten drei Spielphasen spielte Woody brillant, erzielte jeweils zwei Tore und wurde von der jubelnden Menge nach jedem Treffer noch mehr angefeuert. Sein Poloschläger tauchte immer und überall auf — das war ganz der alte, schnelle, furchtlose Woody Stanford. Nach der fünften Spielzeit lag Woodys Mannschaft mit einem sicheren Vorsprung vorn.
Als die Spieler zur Pause das Feld verließen, schenkte Woody beiden, Peggy und Mimi — sie saßen in der ersten Zuschauerreihe — beim Vorbeireiten ein strahlendes Lächeln.
Peggy war plötzlich ganz aufgeregt und wandte sich zu Mimi.»Ist er nicht wundervoll?!«
Mimi hielt ihrem Blick stand.»Ja. In jeder Hinsicht.«
Woody wurde von seinen Mitspielern beglückwünscht.
«Absolut Spitze, alter Junge! Du warst einfach fantastisch!«
«Großartige Leistung!«
«Danke.«
«Gleich werden wir denen noch mal zeigen, was Sache ist. Die sind völlig chancenlos.«
Woody grinste.»Kein Problem.«
Als er seine Mannschaftskameraden beim Verlassen des Feldes beobachtete, fühlte er sich auf einmal erschöpft. Ich habe mir zuviel abverlangt, dachte er. Es war zu früh, ich hätte vielleicht doch nicht spielen sollen, ich war noch nicht wieder soweit. Ich werde nicht durchhalten können. Beim nächsten Einsatz werd ich mich blamieren. Und plötzlich packte ihn eine panische Angst, und sein Herz schlug wie wild. Jetzt brauchte ich einen kleinen Impuls. Nein! Das werde ich nicht tun! Darf ich nicht, ich habe es fest versprochen. Aber mein Team braucht mich. Nur dieses eine Mal noch, und dann nie wieder. Ich schwöre es, bei Gott, es wird das allerletzte Mal sein. Er lief zu seinem Auto und griff ins Handschuhfach.
Mit unnatürlich glänzenden Augen kehrte er, fröhlich vor sich hin summend, aufs Feld zurück, winkte der Menge zu und begab sich wieder zu seiner Mannschaft. Ich brauchte nicht mal ein Team, dachte er. Ich könnte die Schufte ganz allein besiegen. Verdammt, er begann zu kichern, ich bin der beste Spieler der Welt.
Der Unfall ereignete sich in der sechsten Spielphase. Es gab da allerdings auch ein paar Zuschauer, die später laut und deutlich erklärten, es sei kein Unfall gewesen.
Die Pferde rasten dicht gedrängt dem Tor entgegen. Woody, der gerade im Ballbesitz war, nahm aus den Augenwinkeln den
Gegenspieler wahr, der auf ihn zukam, und schickte den kleinen Holzball mit einer Rückhand nach hinten. Rick Hamilton, der beste Spieler der Gegenseite, fing den Ball ab und galoppierte aufs Tor zu. Woody setzte ihm nach und versuchte Hamiltons Schläger abzublocken — vergebens. Die Pferde näherten sich dem Tor, und Woody mühte sich verzweifelt ab, an den Ball zu kommen — umsonst.
Als Hamilton dem Tor bereits gefährlich nahe war, lenkte Woody sein Pferd mit Absicht zur Seite, um Hamilton zu rammen und vom Ball wegzudrängen. Hamilton samt Pferd ging zu Boden, die Zuschauer sprangen schreiend von den Sitzen auf. Die Pfeife des Schiedsrichters schrillte, und er hob die Hand.
Bei Polo gilt eine Grundregel: Es ist strikt verboten, einem aufs Tor zujagenden Spieler im Ballbesitz den Weg abzuschneiden, weil ein solches Foul eine höchst gefährliche Situation heraufbeschwört.
Das Spiel wurde abgebrochen.
Der Schiedsrichter lief auf Woody zu.»Mr. Stanford«, rief er mit zornerfüllter Stimme,»das war ein absichtliches Foul.«
Woody grinste unverschämt.»Es war nicht mein Fehler, daß sein verdammtes Pferd… «
«Als Strafe wird der Gegenmannschaft ein Tor angerechnet!«
Die siebte Runde wurde zum Desaster. In den nächsten drei Spielminuten beging Woody zwei weitere eklatante Regelverstöße, die Freistöße zur Folge hatten, die beide Male erfolgreich waren. Und in den letzten dreißig Sekunden erzielte die Gegenseite das entscheidende Tor zum Sieg. Aus einem anfangs sicher erscheinenden Sieg wurde eine böse Niederlage.
Mimi Carson war von den Ereignissen wie betäubt.
«Das ist nicht gut gelaufen, wie?«fragte Peggy ängstlich.
«Nein, Peggy«, erwiderte Mimi bedrückt,»leider nicht.«
Ein Ordner näherte sich ihrer Loge.»Miss Carson, könnte ich
Sie einmal kurz sprechen?«
«Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick«, sagte Mimi Carson.
Peggy blieb hilflos allein zurück.
Die Mannschaft wirkte merkwürdig still, als Mimi Carson auf Woody zueilte, der offenbar Schuldgefühle hatte und sich schämte, seinen Kameraden in die Augen zu sehen.
«Es tut mir leid, Woody. Aber ich muß dir eine schreckliche Nachricht mitteilen. «Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter.»Dein Vater ist gestorben.«
Woody starrte sie an, schüttelte den Kopf und begann hemmungslos zu schluchzen.»Ich… dafür bin nur ich verantwortlich. Es ist meine Schuld.«
«Nein, du mußt dir keinerlei Vorwürfe machen. Es ist ganz bestimmt nicht deine Schuld.«
«Es ist doch meine Schuld!«schrie Woody.»Begreifst du denn nicht? Wenn ich nicht die Strafstöße verursacht hätte, wären wir Sieger geworden!«