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Kapitel 12

Es war ein Treffen einander fremd gewordener Menschen, da es Jahre her war, daß die Geschwister sich gesehen oder auch nur miteinander in Verbindung gestanden hatten.

Richter Tyler Stanford kam mit dem Flugzeug nach Boston.

Kendall Stanford Renaud flog von Paris ein, ihr Mann Marc reiste mit dem Zug aus New York an.

Woody und Peggy Stanford kamen mit dem Wagen aus Hobe Sound herübergefahren.

Die Erbengemeinschaft war davon in Kenntnis gesetzt worden, daß die Bestattung in der King's Chapel stattfand. Die Straße vor der Kirche war abgesperrt worden, und Polizei war bereitgestellt, um Neugierige zurückzuhalten, die die Ankunft der berühmten Persönlichkeiten beobachten wollten. Angesagt hatten sich für den Trauergottesdienst der Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Senatoren, Botschafter und Staatsmänner selbst aus so weit entfernten Ländern wie die Türkei und Saudi-Arabien. Harry Stanford hatte in seinem Leben einen großen Schatten geworfen, und die siebenhundert Plätze in der Kapelle würden ausnahmslos besetzt sein.

Tyler sowie Woody und Kendall nebst Ehepartnern trafen sich in der Sakristei, distanziert und verlegen, die nichts verband außer der Tote im Leichenwagen draußen vor der Kirche.

«Darf ich euch meinen Mann Marc vorstellen«, sagte Kendall.

«Meine Frau Peggy. Peggy — meine Schwester Kendall und mein Bruder Tyler.«

Man begrüßte sich höflich, stand beklommen herum, musterte sich gegenseitig, bis ein Ordner sich der Gruppe näherte.

«Verzeihung«, sagte er mit gedämpfter Stimme.»Der Gottesdienst fängt gleich an, würden Sie mir bitte folgen?«

Er führte sie zu der reservierten vordersten Kirchenbank, auf der sie Platz nahmen und warteten. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Tyler fühlte sich ausgesprochen unwohl. Seine positiven Erinnerungen an Boston führten zurück in die Zeit, als seine Mutter und Rosemary noch lebten. Seinen Vater hatte er immer nur als Saturn identifiziert, seit er mit elf Jahren einen Druck des berühmten Gemäldes Saturn frißt seinen Sohn von Goya gesehen hatte.

Und als Tyler nun zu dem Sarg hinschaute, den die Sargträger in die Kirche hereintrugen, kam ihm der Gedanke: Saturn ist tot.

«Ich kenne dein kleines schmutziges Geheimnis.«

Der Geistliche stieg auf die historische Kirchenkanzel, die einem Weinkelch nachgebildet war.

«Und Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er denn stürbe; und wer lebt und an mich glaubt, wird den Tod nicht sehen.«

Woody befand sich in einer euphorischen Stimmung. Er hatte sich vor der Fahrt zur Kirche einen Schuß Heroin verpaßt, und die Wirkung dauerte noch an. Er betrachtete seine Schwester und seinen Bruder. Tyler hat zugenommen und sieht auch wie ein Richter aus. Kendall ist eine Schönheit geworden. Sie scheint aber unter Druck zu stehen, sie leidet. Weil Vater gestorben ist? Das bestimmt nicht. Sie hat ihn nicht weniger gehaßt als ich. Er musterte seine Frau, die neben ihm saß. Schade, daß ich sie ihm nie vorstellen konnte. Er hätte

Der Geistliche las weiter.

«Wie ein Vater Mitleid hat mit seinen Kindern, so hat der Herr Mitleid mit denen, die ihn fürchten. Denn er weiß, woraus wir erschaffen sind; er weiß, daß wir Staub sind.«

Kendall hörte nicht zu. Sie mußte an die Geschichte mit dem roten Kleid denken. Ihr Vater hatte sie eines Nachmittags in New York angerufen.

«Aus dir ist also eine große Modedesignerin geworden, wie? Nun, da wollen wir doch mal sehen, ob du wirklich so gut bist, wie man sagt. Ich gehe Samstag abend mit einer neuen Freundin auf einen Wohltätigkeitsball. Sie hat deine Größe. Ich erteile dir hiermit den Auftrag, für sie ein Kleid zu entwerfen.«

«Bis Samstag? Aber Vater, das ist unmöglich, ich…«

«Du wirst es trotzdem machen.«

Sie hatte das häßlichste Kleid geschneidert, das sie sich vorstellen konnte. Mit einer großen schwarzen Schleife vorn und Metern von Rüschen und Spitzen. Was sie ihrem Vater zugeschickt hatte, war eine Monstrosität. Er hatte sich daraufhin telefonisch gemeldet.

«Ich habe das Kleid erhalten. Ach ja, meine Freundin ist am Samstag verhindert, da wirst du mich zu dem Ball begleiten müssen und kannst das Kleid selber tragen.«

«Nein!«

Und dann der furchtbare Satz: »Du wirst mich doch wohl nicht enttäuschen wollen, oder?«

Und sie war tatsächlich mit ihm auf den Ball gegangen und hatte sich auch nicht getraut, ein anderes Kleid anzuziehen, und sie hatte sich noch nie so erniedrigt und gedemütigt gefühlt.

«Denn mit nichts sind wir in diese Welt gekommen, und es ist gewiß, daß wir sie mit nichts verlassen.

Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt.«

Peggy Stanford fühlte sich unwohl. Sie fand den Pomp der riesigen Kirche und die eleganten Menschen erdrückend. Sie war noch nie in Boston gewesen — Boston, das bedeutete für sie die Welt der Stanfords mit ihrem ganzen Reichtum und ihrer Macht. Die Leute hier waren ihr alle weit überlegen. Sie tastete nach der Hand ihres Mannes.

«Alles Fleisch ist wie Gras, und all die Güte wie die Blumen auf dem Felde… Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; aber das Wort des Herrn bleibet immer und ewiglich.«

Marc konnte den Erpresserbrief nicht vergessen, den seine Frau erhalten hatte. Der Brief war sehr umsichtig formuliert worden, sehr raffiniert, und es wäre völlig unmöglich, herauszufinden, wer dahintersteckte. Marc warf einen verstohlenen Blick auf Kendall, die blaß und angespannt neben ihm saß. Wieviel wird sie wohl noch aushalten können? überlegte er und rückte näher an sie heran.

«… wir empfehlen dich Gottes Gnade und Barmherzigkeit an. Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig. Der Herr… und gebe dir seinen Frieden, jetzt und immerdar. Amen.«

Am Ende des Gottesdienstes gab der Geistliche bekannt:»Die Begräbnisfeier wird im engsten, privaten Kreis stattfinden nur für Familienangehörige.«

Tyler betrachtete den Sarg und dachte an die Leiche darin. Er war am Vorabend vom Bostoner Logan International Airport direkt zum Bestattungsinstitut gefahren, da er dort sein wollte, bevor der Sarg versiegelt wurde.

Er hatte seinen Vater als Toten sehen wollen.

Woody schaute dem Sarg nach, der an den Trauergästen vorbei aus der Kirche hinausgetragen wurde, und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken: Man ließ die Leute hören, was sie hören wollen.

Die Bestattungszeremonie auf dem alten Mount Auburn Cemetery in Cambridge war kurz. Die Familie beobachtete, wie Harry Stanford in seine letzte Ruhestätte hinabgelassen wurde, und nachdem der Geistliche eine Handvoll Erde auf den Sarg geworfen hatte, sagte er zu den Umstehenden:»Sie müssen nicht länger bleiben, wenn Sie es nicht wünschen.«

Woody nickte.»Gut. «Die Wirkung des Heroins begann nachzulassen, und er wurde allmählich nervös und unsicher.»Machen wir, daß wir hier wegkommen.«

«Und wohin sollen wir gehen?«fragte Marc.

Tyler antwortete:»Wir wohnen in Rose Hill, und wir bleiben, bis die Nachlaßfrage geklärt ist.«

Wenig später saßen sie in Limousinen und waren zum Haus unterwegs.

Boston hatte eine streng hierarchisch gegliederte

Gesellschaft: Die Neureichen wohnten an der Commonwealth Avenue, die Aufsteiger an der Newbury Street. Die nicht so wohlhabenden, alten Familien hatten ihr Domizil an der Marlborough Street. Als gute Adresse galt das neue

Wohnviertel von Back Bay, doch war Beacon Hill nach wie vor die Zitadelle der ältesten und reichsten Familien — ein faszinierendes Gemisch von Stadthäusern aus dem neunzehnten Jahrhundert und modernen Sandsteingebäuden, alten Kirchen und schicken Einkaufszentren.

Rose Hill, der Sitz der Stanfords, stand in Beacon Hill — ein herrliches altes Gebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert auf einem drei Morgen großen Grundstück, das bei den Stanford-

Kindern nur unangenehme Erinnerungen weckte, als die Limousinen vor dem Haus hielten und alle ausstiegen. Sie blickten mit sichtlichem Befremden auf den alten Familienbesitz.

«Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß Vater nicht auf uns wartet«, meinte Kendall.

«Er ist vollauf damit beschäftigt, die Dinge in der Hölle auf Trab zu bringen«, erwiderte Woody mit einem hämischen Grinsen.

Tyler holte tief Luft.»Gehen wir hinein.«

Beim Näherkommen öffnete sich die Eingangstür wie von selbst, und vor ihnen stand Clark, der Butler — ein Mann in den Siebzigern, ein würdevoller, tüchtiger Diener, der seit mehr als dreißig Jahren in Rose Hill beschäftigt war und das Großwerden der Kinder und die Familientragödien miterlebt hatte.

Beim Anblick der Gruppe hellte sich Clarks Gesicht auf.»Guten Tag!«

Kendall umarmte ihn herzlich.»Wie schön, Sie wiederzusehen, Clark!«

«Es ist lange her, Miss Kendall.«

«Ich bin jetzt Mrs. Renaud, und das hier ist mein Mann — Marc.«

«Angenehm.«

«Meine Frau hat mir viel von Ihnen erzählt.«

«Hoffentlich nicht allzuviel Schlechtes, Sir.«

«Ganz im Gegenteil, an Sie hat meine Frau nur gute Erinnerungen.«

«Vielen Dank, Sir. «Clark wandte sich Tyler zu.»Guten Tag, Richter Stanford.«

«Hallo, Clark.«

«Es ist eine Freude, Sie wiederzusehen, Sir.«

«Danke fürs Kompliment. Sie sehen gut aus.«

«Sie auch, Sir, und herzliches Beileid.«»Danke. Haben Sie es so einrichten können, daß wir hier alle wohnen?«

«O ja. Ich denke doch, daß wir es allen bequem machen können.«

«Wohne ich wieder in meinem alten Zimmer?«

Clark lächelte.»So ist es. «Er sagte zu Woody:»Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Mr. Woodrow. Ich möchte…«

Woody klammerte sich an Peggys Arm.»Komm schon«, sagte er schroff.»Ich möchte mich frisch machen.«

Die anderen waren überrascht, als Woody mit Peggy an ihnen vorbeieilte und die Treppe hinaufstürmte.

Die anderen begaben sich ins riesige Wohnzimmer, das von zwei massiven Louis-XIV-Schränken dominiert wurde, wenngleich dort auch ein Konsoltischchen aus Edelholz mit eingefaßter Marmorplatte und ein paar exquisite antike Stühle und Sofas im Raum standen, ein Messingkandelaber von der hohen Decke herabhing und an den Wänden mittelalterliche Gobelins prunkten.

«Richter Stanford«, sagte Clark,»ich habe Ihnen eine Nachricht zu bestellen. Mr. Simon Fitzgerald bittet um Ihren Anruf und um Mitteilung, wann eine Zusammenkunft mit den Familienmitgliedern genehm wäre.«

«Wer ist Simon Fitzgerald?«fragte Marc.

«Unser Hausanwalt«, erwiderte Kendall.»Er war schon immer für Vater tätig, aber wir haben ihn nie persönlich kennengelernt.«

«Er wird vermutlich die testamentarischen Verfügungen mit uns besprechen wollen«, klärte Tyler die anderen auf.»Wenn es euch recht ist, schlage ich einen Termin für morgen früh vor.«

«Das wäre ganz in unserem Sinne«, sagte Kendall.

«Der Küchenchef muß das Abendessen vorbereiten«, warf Clark ein.»Ist Ihnen acht Uhr genehm?«»Ja«, antwortete Tyler,»und vielen Dank.«

«Die Zimmer werden Ihnen die beiden Hausmädchen zeigen

— Eva und Millie.«

Tyler sagte zu Kendall und Marc:»Wir treffen uns um acht Uhr im Eßzimmer, einverstanden?«

Als sie in ihrem Zimmer im ersten Stock waren, fragte Peggy besorgt:»Geht's dir nicht gut?«

«Ist schon okay«, knurrte Woody.»Laß mich in Ruhe.«

Er verschwand im Badezimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Sie wartete draußen.

Zehn Minuten später kam ein strahlender Woody heraus.»Hi, Baby.«

«Hi.«

«Nun, wie gefällt dir das alte Haus?«

«Es ist… riesig groß.«

«Gräßlich ist's. «Er kam zum Bett herüber und nahm sie in die Arme.»Dies war mein Zimmer, als Junge. Damals waren die Wände vollgehängt mit Sportposters — von den Bruins, den Celtics, den Red Sox. Ich wollte doch Sportler werden, und ich hatte berechtigte Hoffnungen, große Hoffnungen. Auf dem Internat hab’ ich's im Abschlußjahr zum Kapitän der Footballmannschaft gebracht, und wegen unserer Erfolge haben sich die Footballtrainer Dutzender von Colleges um mich gerissen und mir freie Studienplätze angeboten.«

«Und für welches College hast du dich entschieden?«

Er schüttelte den Kopf.»Für gar keines. Mein Vater war der Auffassung, daß die Colleges nur am Namen Stanford interessiert waren und daß sie nur Geld von ihm wollten. Er hat mich auf eine Ingenieurschule geschickt, wo überhaupt kein Football gespielt wurde. «Woody schwieg. Dann murmelte er leise:»Und dabei hätte ich's bis zum Wettkämpfer bringen können…«

Sie blickte ihn verständnislos an.»Was?«

Er hob den Kopf.»Hast du denn den Film On the Waterfront nicht gesehen?«

«Nein.«

«Der Satz ist ein Zitat aus diesem Film von Marlon Brando. Er bedeutet, daß wir beide um unsere Chance betrogen worden sind.«

«Dein Vater muß sehr streng mit dir gewesen sein.«

Woody stieß ein kurzes, verächtliches Lachen aus.»Das ist das Netteste, was je über ihn gesagt worden ist. Ich kann mich an eine Geschichte aus der Kindheit erinnern: Als kleiner Junge bin ich vom Pferd gefallen, aber ich wollte wieder aufsitzen und weiterreiten, doch mein Vater hat mir's nicht erlaubt. >Du wirst nie richtig reiten lernenc, hat er mir an den Kopf geworfen. >Dafür bist du viel zu ungelenk. <«Woody schaute zu ihr hoch.»Jetzt weißt du auch den Grund, warum ich ein Top-Polospieler geworden bin.«

Sie saßen in drückendem Schweigen bei Tisch, Fremde, die sich nichts zu sagen hatten; das einzige, was sie verband, waren ihre Kindheitstraumata.

Kendall ließ ihren Blick durchs Eßzimmer wandern, schreckliche Erinnerungen mischten sich mit einem Gefühl der Bewunderung für die Schönheit des Raums. Der Eßtisch stammte aus Frankreich, ein frühes Louis-XV-Möbelstück; die Stühle aus Walnußholz stammten aus dem Directoire, und der blau- und cremefarben bemalte Schrank in der Ecke war ein seltenes französisches Stück aus der Provinz. Die Bilder an den Wänden waren Watteaus und Fragonards.

Kendall richtete ihren Blick auf Tyler.»Ich habe in der Zeitung von deinem Urteil im Fall Fiorello gelesen. Das hat ja einigen Staub aufgewirbelt. Ich finde, daß er die Strafe, die du ihm aufgebrummt hast, voll und ganz verdient.«

«Der Richterberuf muß wirklich aufregend sein.«

«Manchmal schon.«»Mit was für Fällen hast du eigentlich zu tun?«erkundigte sich Marc.

«Strafrecht — Vergewaltigungen, Drogen, Mord.«

Kendall wurde plötzlich blaß und wollte etwas sagen, doch Marc nahm ihre Hand und drückte sie fest — zur Warnung.

«Und aus dir ist eine erfolgreiche Modedesignerin geworden«, bemerkte Tyler höflich.

«Ja. «Kendall hatte Mühe zu sprechen.

«Sie ist fantastisch«, lobte Marc.

«Und was machst du, Marc?«

«Ich arbeite in einer Börsenfirma.«

«Aha — du bist einer von den jungen Wallstreet-Millionären.«

«Nicht wirklich. Ich stehe noch ganz am Anfang.«

Tyler warf Marc einen herablassenden Blick zu.»Da kannst du ja von Glück reden, daß du eine so tüchtige Frau hast.«

Kendall errötete und flüsterte Marc ins Ohr:»Hör nicht hin und vergiß nie, daß ich dich liebe.«

Bei Woody begann die Wirkung der Droge spürbar zu werden. Er musterte seine Frau kritisch von Kopf bis Fuß.»Peggy könnte ein paar anständige Sachen gebrauchen«, sagte er.»Dabei ist's ihr selber völlig egal, wie sie aussieht. Hab’ ich recht, mein Engel?«

Peggy errötete und wußte nicht, was sie darauf antworten sollte.

«Vielleicht ein Kellnerinnen-Outfit?«schlug Woody höhnisch vor.

«Entschuldigt mich«, sagte Peggy, stand auf und floh nach oben.

Die Blicke der anderen richteten sich fragend auf Woody.

Er grinste frech.»Was soll's? Sie ist überempfindlich. Na gut, dann werden wir uns also morgen über das Testament unterhalten, wie?«

«So ist es«, entgegnete Tyler.

«Ich geh’ jede Wette mit dir ein, daß der Alte uns nicht mal 'nen Pfennig vermacht hat.«

«Er muß euch doch ein Riesenvermögen hinterlassen haben«, bemerkte Marc befremdet.

Woody schnaubte verächtlich.»Da kennst du unseren Vater aber schlecht. Der hat uns wahrscheinlich nur seine alten Jacketts und eine Kiste Zigarren vererbt, denn bei Lebzeiten hat er das viele Geld hauptsächlich dazu verwendet, uns unter Kontrolle zu halten. Es hieß bei ihm immer: >Du wirst mich doch wohl nicht enttäuschen wollen, oder?<, und dann sind wir jedesmal wieder hübsch brav geworden — weil er, du hast es ja gerade selbst gesagt, das viele Geld hatte. Na ja, ich wette, er hat am Ende einen Weg gefunden, es mitzunehmen.«

«Morgen werden wir es ja wissen, nicht wahr?«sagte Tyler beruhigend.

Als Simon Fitzgerald am nächsten Morgen in Begleitung von Steve Sloane eintraf, führte Clark die beiden Anwälte in die Bibliothek.»Ich werde die Familienangehörigen verständigen, daß Sie da sind«, sagte er und ließ sie allein.

Die Bibliothek, ein großer Raum mit einer dunklen Eichenholztäfelung und hohen Wandregalen voller Bücher mit schönen Lederrücken, wirkte noch größer, da er sich durch zwei breite Fenstertüren zum Garten hin öffnete. Dank der geschickt gruppierten, tiefen Sessel und den italienischen Leselampen strahlte er eine einladende Gemütlichkeit aus. In einer Ecke stand ein Mahagonivitrinenschrank, eine Spezialanfertigung, die Harry Stanfords beneidenswerte Schußwaffensammlung präsentierte, mit Schubladen unter dem Schaukasten, die eigens zur Aufbewahrung der Munition entworfen worden waren.

«Das dürfte ein interessanter Vormittag werden«, meinte Steve Sloane.»Ich bin neugierig, wie sie reagieren werden.«

«Wir werden es bald genug erfahren.«

Kendall und Marc traten als erste ein.

«Guten Morgen«, grüßte Simon Fitzgerald und stellte sich und Steve Sloane vor.

«Ich bin Kendall Renaud — mein Mann, Marc Renaud.«

Die Männer gaben sich die Hand.

Als nächste fanden sich Woody und Peggy ein.

Kendall machte sie mit den Anwälten bekannt.

«Hi«, sagte Woody.»Haben Sie das Geld gleich bar mitgebracht?«

«Also, um ehrlich zu sein…«

«Ich mach doch bloß Spaß«, meinte Woody, bevor er Peggy vorstellte und fortfuhr:»Ich würde natürlich schon gern wissen, ob der alte Herr mir was vermacht hat oder…«

In diesem Moment erschien Tyler.

«Guten Morgen.«

«Richter Stanford?«

«Ja.«

«Ich bin Simon Fitzgerald, neben mir steht mein Partner Steve Sloane. Steve hat die Überführung der Leiche Ihres Vaters aus Korsika in die Wege geleitet.«

Tyler wandte sich Steve zu.»Ich bin Ihnen sehr verbunden. Übrigens — da in den Medien unterschiedliche Versionen über den Hergang herumgeistern, wissen wir nicht so recht, was genau passiert ist. War es ein Verbrechen?«

«Nein. Allem Anschein nach handelte es sich wirklich um einen Unfall im Zusammenhang mit einem furchtbaren Sturm, in den die Jacht Ihres Vaters vor der korsischen Küste geriet. Laut Augenzeugenaussage des Leibwächters Dmitri Kaminski stand Ihr Vater auf dem Deck vor seiner Kabine im Freien, als ihm eine Windböe Unterlagen aus der Hand riß, die er wieder einfangen wollte — und dabei hat er das Gleichgewicht verloren und ist über Bord gefallen. Und als er aus dem Wasser gezogen wurde, kamen alle Wiederbelebungsversuche zu spät.«

Kendall erschauderte.»Welch furchtbare Art zu sterben!«»Haben Sie mit dieser Person… mit Kaminski gesprochen?«wollte Tyler wissen.

«Leider nein. Bei meiner Landung in Korsika hatte er die Insel bereits verlassen.«

«Der Kapitän der Jacht«, erläuterte Simon Fitzgerald,»hatte Ihren Vater vorher inständig gewarnt, bei diesem Sturm auszulaufen. Aus einem uns nicht bekannten Grund hatte Ihr Vater es jedoch sehr eilig, nach Amerika zurückzukehren. Er hatte einen Helikopter gechartert, der ihn von Korsika aus nach Hause bringen sollte. Es gab da wohl irgendein dringendes Problem.«

«Und Sie wissen, was für ein Problem das war?«fragte Tyler.

«Leider nein. Ich befand mich in den Ferien, als er anrief und mir ausrichten ließ, er müsse mich unbedingt sofort in Boston sprechen. Ich weiß also nicht, um was…«

«Das alles ist ja recht interessant«, unterbrach ihn Woody,»aber längst Vergangenheit, oder? Wir müssen über Vaters Testament reden. «Seine Hände zitterten.»Hat er uns nun was vermacht oder nicht?«

«Warum nehmen wir nicht Platz?«schlug Tyler vor.

Sie setzten sich. Simon Fitzgerald nahm ihnen gegenüber hinter dem Schreibtisch Platz, öffnete seine Aktentasche und begann, die Papiere herauszuholen.

Woody wäre vor Ungeduld fast geplatzt.»Also, was ist nun! Um Himmels willen! Ja oder nein?«

«Woody!«sagte Kendall mahnend.»Du…«

Doch ihr Bruder schnitt ihr das Wort ab.»Ich kenne die Antwort schon! Nicht einen verdammten Cent hat er uns hinterlassen!«

Fitzgerald musterte die Gesichter der Sprößlinge von Harry Stanford mit ausdrucksloser Miene.»Ganz im Gegenteil«, erklärte er nüchtern,»die Hinterlassenschaft geht zu gleichen Teilen an Sie alle.«

Steve konnte die Euphorie spüren, die sich plötzlich im Raum ausbreitete.

Woody starrte Fitzgerald mit offenem Mund an. »Was? Ist das Ihr Ernst?«Er sprang auf.»Aber das ist ja fantastisch!«Er drehte sich zu den anderen um.»Habt ihr das gehört? Der alte Mistkerl hat endlich einmal an uns gedacht!«Er richtete den Blick wieder auf Fitzgerald.»Um welche Summe handelt sich's denn?«

«Ich verfüge nicht über eine Kenntnis der genauen Zahlen. Laut der Zeitschrift Forbes — in ihrer jüngsten Nummer beläuft sich der Wert des Konzerns Stanford Enterprises auf sechs Milliarden Dollar, die im wesentlichen in Firmen angelegt sind. Die liquiden Mittel betragen vierhundert Millionen Dollar.«

Die Mitteilung verschlug Kendall fast den Atem.»Aber das würde ja heißen, daß jeder von uns mehr als hundert Millionen Dollar kriegt. Unglaublich!«Und für mich persönlich bedeutet es Freiheit! jubelte sie innerlich. Ich kann mich für immer freikaufen. Sie strahlte und drückte heimlich Marcs Hand.

«Glückwunsch«, sagte Marc, der eine konkrete Vorstellung davon hatte, was eine solche Summe bedeutete.

Simon Fitzgerald hob die Stimme.»Wie Sie wissen, hat Ihr Vater persönlich neunundneunzig Prozent der Aktien an den Stanford Enterprises gehalten — diese Aktien fallen nun zu gleichen Teilen an die Kinder. Im übrigen«, er sah Tyler an,»geht das bisher treuhänderisch verwaltete restliche eine Prozent der Aktien mit dem Tode Ihres Vaters in Ihr persönliches Eigentum über, Richter Stanford. Selbstverständlich sind vorher gewisse Formalitäten zu erledigen. Außerdem muß ich Sie von der Möglichkeit eines weiteren, vierten Erben in Kenntnis setzen.«

«Eines weiteren Erben?«fragte Tyler, als ob er nicht richtig gehört hätte.

«Das Testament Ihres Vaters enthält die ausdrückliche Bestimmung, daß seine Hinterlassenschaft zu gleichen Teilen unter allen Nachkommen aufzuteilen ist.«

Peggy stutzte.»Was… was hat das zu bedeuten — >alle Nachkommen<?«

Tyler klärte sie auf.»Einschließlich außerehelicher und rechtmäßig adoptierter Kinder.«

Fitzgerald nickte.»Ganz recht. Damit werden alle außerhalb der Ehe geborenen Kinder wie die Kinder aus der Ehe von Vater und Mutter behandelt, deren Schutz und Interessen nach Gesetz und Recht gewährleistet sind.«

«Und was heißt das nun konkret?«fragte Woody unwirsch.

«Konkret heißt das: Es könnte auch noch eine andere Person Anspruch auf das Erbe erheben.«

Kendall sah ihm offen in die Augen.»Wer denn?«

Simon Fitzgerald zögerte, mußte sich aber eingestehen, daß Rücksicht und Takt in diesem Moment nicht weiterhelfen würden.»Sie sind sich, wie ich gewiß annehmen darf, der Tatsache bewußt, daß Ihr Vater vor vielen Jahren mit der Gouvernante hier in Rose Hill ein Kind zeugte.«

«Mit Rosemary Nelson«, sagte Tyler.

«Genau. Die Tochter wurde im St.-Josephs-Krankenhaus in Milwaukee geboren und auf den Namen Julia getauft.«

Man hätte die Stille im Raum mit dem Messer schneiden können.

«He!«rief Woody.»Das ist ziemlich genau fünfundzwanzig Jahre her.«

«Sechsundzwanzig, um ganz genau zu sein.«

«Weiß jemand, wo sie lebt?«fragte Kendall.

Simon Fitzgerald klang plötzlich wieder Harry Stanfords Stimme im Ohr. Sie hat mir geschrieben, daß sie ein Mädchen zur Welt gebracht hat. Aber wenn sie meint, daß sie deswegen auch nur einen Cent von mir bekommt, dann soll sie zur Hölle fahren.»Nein«, antwortete Fitzgerald gedehnt,»das weiß niemand.«

«Wozu zerbrechen wir uns dann den Kopf?!«rief Woody laut.

«Ich habe nur sichergehen wollen, daß Sie alle sich darüber im klaren sind — falls diese Tochter auftaucht, hat sie Anrecht auf ein gleich großes Erbteil wie Sie.«

«Damit wird ja wohl kaum zu rechnen sein«, wandte Woody ein.»Sie weiß wahrscheinlich nicht einmal, wer ihr Vater war.«

An diesem Punkt schaltete Tyler sich mit einer Frage an Simon Fitzgerald ein.»Sie haben vorhin gesagt, daß Ihnen der genaue Wert der Hinterlassenschaft unbekannt ist. Darf ich nach dem Grund fragen?«

«Weil unsere Kanzlei Ihren Vater privat vertreten hat, in seinen geschäftlichen Belangen wurde er von zwei anderen Anwaltskanzleien betreut, mit denen ich schon mit der Bitte um baldmögliche Aufklärung über die Finanzlage Verbindung aufgenommen habe.«

«Aber um was für einen zeitlichen Rahmen geht es hier?«erkundigte sich Kendall. »Wir brauchen zur Deckung unserer aufgelaufenen Unkosten unverzüglich hunderttausend Dollar.«

«Zwei bis drei Monate vermutlich.«

«Besteht denn keine Möglichkeit«, erkundigte sich Marc, der die sorgenumwölkte Miene seiner Frau bemerkte,»da ein bißchen Druck auszuüben?«

«Leider nein. «Die Antwort kam von Steve Sloane, der erläuterte:»Das Testament muß nämlich zuerst vom

Nachlaßgericht für unbedenklich befunden werden, und der Terminkalender des Nachlaßgerichts ist gedrängt voll.«

«Was ist denn das schon wieder — ein Nachlaßgericht?«fragte Peggy unsicher.

«Nachlaß«, belehrte sie Tyler,»ist ein anderer Ausdruck für Hinterlassenschaft, und über deren Verwendung verfügt das Testament, weshalb die Frage nach seiner Rechtsgültigkeit…«

«Sie hat dich doch nicht um Nachhilfeunterricht gebeten!«schimpfte Woody.»Warum können wir die Sache nicht einfach so erledigen?«

«So funktioniert die Rechtsordnung nun einmal nicht«, wies Tyler ihn scharf zurecht.»Nach einem Todesfall muß das Testament dem Nachlaßgericht vorgelegt werden. Dann müssen sämtliche Besitztümer des Toten — Immobilien, Aktien, Barmittel, Schmuck — erfaßt, geschätzt und aufgelistet werden, und die Inventarliste muß dann ebenfalls beim Gericht hinterlegt werden. Dann gilt es noch, die Frage der Erbschaftssteuern zu klären und vorrangige Sondervermächtnisse abzuführen. Erst nachdem all das geschehen ist, kann ein Antrag um Erlaubnis zur Aufteilung der restlichen Erbmasse an die Erben eingereicht werden.«

Woody grinste.»Na schön, was macht das schon? Ich habe vierzig Jahre darauf warten müssen, Millionär zu werden, da werde ich mich jetzt noch ein bis zwei Monate länger gedulden können.«

Simon Fitzgerald erhob sich.»Abgesehen von dem Vermächtnis Ihres Vaters an Sie, gibt es ein paar kleinere Schenkungen, welche allerdings die Substanz der Hinterlassenschaft nicht berühren. «Er ließ seinen Blick über die Anwesenden gleiten.»Wenn es sonst nichts gibt, was ich für Sie…«

Tyler stand ebenfalls auf.»Ich denke nicht. Wir sind Ihnen beiden sehr zu Dank verpflichtet — Mr. Fitzgerald, Mr. Sloane. Falls irgendwelche Fragen auftreten sollten, werden wir mit Ihnen Kontakt aufnehmen.«

Fitzgerald verabschiedete sich mit einem höflichen Kopfnicken:»Meine Damen, meine Herren«, sagte er, drehte sich um und ging, gefolgt von Steve Sloane, hinaus.

In der Auffahrt wandte Simon Fitzgerald sich zu Steve um.»So, nun hast du seine Kinder kennengelernt. Was ist dein Eindruck?«

«Das war eher eine Jubelfeier als eine Versammlung von Trauernden. Da gibt es jedoch einen Punkt, den ich wirklich nicht begreife, Simon. Wenn Harry Stanford, und daran besteht ja wohl kein Zweifel, seine Kinder genauso gehaßt hat wie sie ihn — warum hat er ihnen dann alles hinterlassen?«

Simon Fitzgerald zuckte mit den Schultern.»Das werden wir vermutlich nie erfahren. Vielleicht wollte er mich deshalb unbedingt sprechen — weil er sein Testament ändern und sein Vermögen jemand anders vermachen wollte.«

In dieser Nacht fand niemand Schlaf, alle waren mit ihren Gedanken beschäftigt.

Tyler dachte: Es ist eine Tatsache. Es ist Wirklichkeit. Ich kann Lee die Welt zu Füßen legen. Ich kann Lee alles bieten. Alles!

Kendall dachte: Sobald, ich das Geld habe, werde ich einen Weg finden, um sie für immer zufriedenzustellen, ich werde dafür sorgen, daß sie mich nie mehr belästigen.

Woody dachte: Ich werde die besten Polopferde der Welt besitzen und mich nicht mehr mit Leihpferden begnügen müssen. Ich werde ein Spieler der absoluten Spitzenklasse! Er warf einen Blick auf seine Frau, die neben ihm lag und schlief. Als allererstes werde ich mir aber diese dumme Kuh vom Hals schaffen. Er korrigierte sich sofort: Nein, das darf ich nicht tun

Er stieg aus dem Bett, ging ins Bad, und als er wieder herauskam, fühlte er sich bereits wieder gut.

Beim Frühstück herrschte eine geradezu überschwenglich gute Laune.

«Nun erzählt mal!«sagte Woody munter,»ihr habt doch bestimmt Pläne geschmiedet.«

Marc zuckte mit den Schultern.»Wie soll man denn in so einer Situation konkrete Pläne schmieden? Solch große Summen übersteigen einfach jedes Vorstellungsvermögen!«

«Die Erbschaft wird unser aller Leben von Grund auf verändern«, versicherte Tyler.

Woody nickte zustimmend.»Der Mistkerl von einem Vater hätte es uns schenken sollen, als er noch lebte — da hätten wir alle miteinander Freude gehabt. Wenn es nicht unschicklich wäre, Tote zu hassen, dann würde ich euch jetzt was erzählen…«

«Woody!«rief Kendall tadelnd.

«Wir wollen doch keine Heuchler sein. Wir haben ihn alle verachtet, und er hatte es verdient. Erinnert euch doch nur, wie er versucht hat, uns…«

In dem Moment betrat Clark den Raum, blieb an der Tür stehen und sagte:»Entschuldigung, aber draußen wartet eine gewisse Julia Stanford.«