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«Julia Stanford?«
Sie sahen sich bestürzt an, waren wie versteinert.
Woody explodierte.»Wenn das Julia Stanford ist, freß ich 'nen Besen!«
«Ich schlage vor«, warf Tyler ein,»daß wir in die Bibliothek gehen«, um gleich darauf Clark anzuweisen:»Bringen Sie die junge Dame bitte dorthin.«
«Jawohl, Sir.«
In der Tür blieb sie stehen, blickte zu ihnen herüber, und es war nicht zu übersehen, daß ihr die Situation peinlich war.»Ich… ich wäre wohl besser nicht gekommen. «Ihre Stimme zitterte.
«Da haben Sie verdammt recht!«platzte Woody heraus.»Wer sind Sie überhaupt?«
«Ich bin Julia Stanford. «Sie war so nervös, daß sie stotterte.
«Ich will doch nicht wissen, wie Sie sich nennen!«fuhr er sie an.»Ich will wissen, wer Sie sind! Wer Sie wirklich sind, meine ich.«
Sie wollte etwas sagen.»Ich…«
Sie schluckte und schüttelte den Kopf.»Meine Mutter hieß Rosemary Nelson. Harry Stanford war mein Vater.«
Die anderen tauschten fragende Blicke.
«Können Sie das beweisen?«fragte Tyler.
«Ich glaube nicht«, sie räusperte sich,»daß ich dafür einen vorzeigbaren Beweis habe.«
«Natürlich nicht!«donnerte Woody.»Wie können Sie den Nerv haben, uns…«
Kendall unterbrach ihn.»Sie können sich gewiß vorstellen, daß Ihr Erscheinen uns überrascht. Falls Ihre Behauptung wahr ist, dann… wären Sie ja unsere Halbschwester.«
Julia nickte.»Sie sind Kendall. «Sie deutete mit einer
Kopfbewegung zum Richter.»Sie sind Tyler. «Sie sah den jüngeren Bruder an.»Und Sie sind Woodrow, man nennt Sie aber Woody.«
«Was Sie natürlich in jeder beliebigen Illustrierten gelesen haben könnten«, bemerkte Woody mit ätzendem Sarkasmus.
Da schaltete sich Tyler ein.»Sie können sich gewiß in unsere Lage versetzen, Miss… ähm… Ohne einen hieb- und stichfesten Beweis können wir unmöglich akzeptieren, daß…«
«Verstehe. «Sie schaute sich unsicher um.»Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt hergekommen bin.«
«Ach nein, da bin ich aber anderer Ansicht«, höhnte Woody.»Der Grund liegt doch klar auf der Hand — das Geld.«
«Ich bin nicht am Geld interessiert!«widersprach sie in einem Ton der Entrüstung.»In Wahrheit ist es so, daß ich… Ich hatte nur gehofft, endlich meine Angehörigen kennenzulernen… meine Familie.«
Kendall musterte sie prüfend.»Und wo ist Ihre Mutter?«
«Sie ist gestorben. Als ich die Nachricht vom Tod unseres Vaters las… «
«Haben Sie sofort beschlossen, uns aufzusuchen«, brachte Woody ihren Satz zu Ende.
Tyler ignorierte ihn.»Sie behaupten«, wandte er sich an die junge Frau,»daß Sie keinen juristischen Beweis für Ihre Identität besitzen?«
«Einen juristischen…? Nein, ich glaube nicht. Diese Frage ist mir nie in den Sinn gekommen. Aber manche Dinge könnte ich unmöglich wissen, wenn ich sie nicht von meiner Mutter gehört hätte.«
«Was zum Beispiel?«fragte Marc.
Sie dachte kurz nach.»Ich kann mich erinnern, daß meine Mutter ein Gewächshaus hinter dem Hause hier erwähnte. Sie war eine Pflanzen- und Blumennärrin und hat dort oft Stunden zugebracht…«
«Von dem Gewächshaus hat mehr als eine Zeitschrift Fotos gebracht!«
«Was haben Sie sonst noch von Ihrer Mutter gehört?«wollte Tyler wissen.
«Ach, sie hat mir ja so viel erzählt! Von Ihnen allen und von der schönen Zeit, die sie damals mit Ihnen erlebt hat — meine Mutter hat immer wieder gern davon erzählt. «Sie überlegte.»An einem Tag ist meine Mutter beispielsweise mit Ihnen, da müssen Sie aber noch ganz klein gewesen sein, vielleicht können Sie sich deshalb nicht mehr daran erinnern, im Schwanenboot über den Teich gerudert, und dabei ist einer von Ihnen fast ins Wasser gefallen. Ich weiß aber nicht mehr, wer es gewesen ist.«
Woody und Kendall schauten Tyler an.
«Das war ich«, bekannte Tyler.
«An einem anderen Tag hat meine Mutter Sie zum Einkaufen bei Fylene mitgenommen, und ein Kind hat sich im Kaufhaus verlaufen, was große Panik ausgelöst hat.«
«An dem Tag habe ich die anderen verloren«, gestand Kendall.
«Ja? Sonst noch was?«fragte Tyler.
«Einmal hat meine Mutter Sie zum Union Oyster House mitgenommen, da haben Sie zum ersten Mal Austern gegessen, davon ist Ihnen schlecht geworden.«
«Ich kann mich daran erinnern.«
Schweigen. Die drei Geschwister wechselten verlegene Blicke.
Die junge Frau sah Woody offen in die Augen.»Und Sie sind mit meiner Mutter einmal nach Charlestown zur Besichtigung der USS Constitution im Hafen der Kriegsmarine gefahren und wollten dann nicht mehr vom Schiff herunter. Meine Mutter hat Sie förmlich von dort wegschleifen müssen. «Sie richtete den Blick auf Kendall.»Und Sie haben einmal in den öffentlichen Parks Blumen gepflückt und wären deshalb beinah eingesperrt worden.«
Kendall schluckte.»Stimmt.«
Inzwischen hörten alle im Raum gebannt zu.
«An einem anderen Tag hat meine Mutter Sie alle ins Naturgeschichtliche Museum geführt, und vor dem Urelefanten und dem Seeschlangenskelett haben Sie sich schrecklich gefürchtet.«
«In der Nacht hat keiner von uns einschlafen können«, ergänzte Kendall nachdenklich.
Julia sprach Woody an.»Einmal hat meine Mutter Sie zum Schlittschuhlaufen mitgenommen, es war am Weihnachtstag, Sie sind gestürzt, und Sie haben einen Zahn verloren. Und als Sie mit sieben Jahren von einem Baum fielen, hatten Sie Schürfwunden am Bein, die genäht werden mußten, und davon ist eine Narbe zurückgeblieben.«
«Die habe ich immer noch«, räumte Woody widerstrebend ein.
Sie wandte sich an die anderen.»Einer von Ihnen ist von einem Hund gebissen worden, ich habe vergessen, wer, meine Mutter hat ihn jedenfalls zur Unfallstation im Allgemeinen Krankenhaus von Massachussetts gefahren.«
Tyler nickte.»Ich mußte danach gegen Tollwut geimpft werden.«
Jetzt strömten die Worte nur so aus ihr heraus.»Als Achtjähriger sind Sie einmal weggelaufen, Woody, weil Sie nach Hollywood wollten, um Schauspieler zu werden. Ihr Vater war Ihnen furchtbar böse und hat Sie ohne Abendessen aufs Zimmer geschickt, aber Ihre Mutter hat Ihnen heimlich was zu essen gebracht.«
Woody bestätigte dies durch ein stummes Kopfnicken.
«Ich… ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst noch erzählen könnte«, doch fiel ihr gleich darauf plötzlich etwas ein.»Ich habe ein Foto bei mir, in der Handtasche. «Sie holte es heraus und streckte es Kendall hin.
Alle wollten das Foto sehen, das die drei kleinen Stanfords neben einer hübschen jungen Frau im typischen Gouvernantenkleid zeigte.
«Das habe ich von meiner Mutter.«
«Hat sie Ihnen sonst noch etwas hinterlassen?«erkundigte sich Tyler.
«Leider nein. «Sie schüttelte traurig den Kopf.»Sie wollte nichts bei sich haben, was sie an Harry Stanford erinnert hätte.«
«Außer Ihnen natürlich«, bemerkte Woody bissig.
Sie wehrte sich trotzig.»Es ist mir völlig gleichgültig, ob Sie mir glauben oder nicht. Sie wollen mich offenbar nicht verstehen… Ich… ich hatte nur die Hoffnung…«
In der plötzlich eingetretenen Stille ergriff Tyler das Wort.»Wie meine Schwester vorhin schon sagte, hat Ihr Erscheinen uns einen ziemlichen Schock versetzt. Ich meine… da taucht jemand wie aus dem Nichts auf und behauptet, zur Familie zu gehören. Ich denke, wir brauchen jetzt erst einmal ein bißchen Zeit für uns.«
«Das kann ich natürlich verstehen.«
«Wo sind Sie in Boston abgestiegen?«
«Im Hotel Tremont House.«
«Warum kehren Sie jetzt nicht dorthin zurück? Wir lassen Sie hinfahren und werden uns dann wieder mit Ihnen in Verbindung setzen. Es dauert bestimmt nicht lange.«
Sie nickte, fixierte jeden im Raum kurz und erklärte dann mit leiser, aber fester Stimme:»Sie können denken, was Sie wollen, aber ich gehöre zu Ihrer Familie.«
«Ich begleite Sie zur Haustür«, sagte Kendall.
Sie lächelte.»Das ist nicht nötig, ich finde schon hinaus. Mir ist, wie wenn ich jeden Zentimeter dieses Hauses kennen würde.«
Sie schauten ihr nach.
«Also«, meinte Kendall.»Das… Es sieht ja ganz so aus, als ob ihr außer mir noch eine zweite Schwester hättet.«»Davon bin ich keineswegs überzeugt«, widersprach Woody.
«Ich habe den Eindruck…«, sagte Marc, doch gingen seine Worte unter im Durcheinander der Stimmen, da plötzlich alle gleichzeitig sprachen.
Tyler hob die Hand und brachte sie zum Schweigen.»So kommen wir nicht weiter. Betrachten wir das Ganze doch einmal logisch. In einem gewissen Sinn steht diese Person hier als Angeklagte vor Gericht, und wir sind die Geschworenen, das heißt, unsere Aufgabe besteht darin, sie für schuldig oder nicht schuldig zu befinden. Bei einem solchen Prozeß müssen die Geschworenen ein einstimmiges Urteil abgeben. Das heißt, wir müssen uns auf ein und dieselbe Meinung einigen.«
«Okay«, sagte Woody.
«Dann möchte ich als erster mein Votum abgeben«, erklärte Tyler.»Also: Nach meiner Überzeugung ist diese Dame eine Hochstaplerin.«
«Eine Hochstaplerin? Aber wieso?«fiel ihm Kendall ins Wort.»Außer der echten Julia Stanford könnte doch niemand solche Details von uns wissen.«
Tyler blieb unbeeindruckt.»Denk mal nach, Kendall«, sagte er.»Wie viele Bedienstete haben während unserer Kindheit in diesem Hause gearbeitet?«
Kendall betrachtete ihn mißtrauisch.»Warum?«
«Dutzende, stimmt's? Und von denen könnte manch einer das gewußt haben, was die junge Dame uns vorhin erzählt hat. So wie sie ja auch das Foto von einem der Hausmädchen, Chauffeure, Butler oder Köche von damals haben könnte.«
«Du meinst… daß sie mit einem ehemaligen Hausangestellten in Rose Hill unter einer Decke steckt?«
«Vielleicht auch mit mehreren«, erwiderte Tyler.»Vergeßt bitte nicht, daß es hier um Riesensummen geht.«
«Aber sie hat doch gesagt, daß sie gar kein Geld will«, merkte Marc an.
Woody zog die Brauen hoch.»Ja, sagt sie. «Er warf Tyler einen fragenden Blick zu.»Aber wie sollen wir beweisen, daß sie eine Betrügerin ist? Ich sehe keine Möglichkeit…«
«Es gibt eine Möglichkeit«, erwiderte Tyler bedächtig.
Aller Augen richteten sich auf ihn.
«Wie denn?«
«Auf die Frage werde ich euch morgen eine präzise Antwort geben.«
«Wollen Sie mir etwa erzählen, daß nach all den Jahren Julia Stanford aufgetaucht ist?«sagte Simon Fitzgerald langsam.
«Bei uns ist eine Frau erschienen, die behauptet, Julia Stanford zu sein«, korrigierte Tyler ihn kühl.
«Das heißt, Sie glauben ihr nicht?«hakte Steve nach.
«Nein, absolut nicht. Zum einzigen Beweis für ihre Echtheit hat sie ein paar Anekdoten aus unseren Kindertagen geliefert, die mindestens zwei Dutzend ehemaliger Hausangestellter bekannt gewesen sein müssen, sowie ein altes Foto, das gar nichts beweist. Es könnte durchaus sein, daß sie sich mit irgend jemandem abgesprochen hat. Ich bin jedenfalls fest entschlossen, sie als Hochstaplerin zu entlarven.«
Steve wurde ernst.»Und wie gedenken Sie vorzugehen?«
«Ganz einfach. Ich will einen DNS-Test durchführen lassen.«
Steve Sloane gab sich nicht die geringste Mühe, sein Erstaunen zu verbergen.»Das würde jedoch eine Exhumierung der Leiche Ihres Vaters erforderlich machen.«
«Genau. «Tyler richtete seine Aufmerksamkeit auf Simon Fitzgerald.»Wäre das ein Problem?«
«In Anbetracht der vorliegenden Situation würde ich wahrscheinlich eine Erlaubnis zur Exhumierung erreichen können. Ist die Frau ihrerseits mit dem Test einverstanden?«
«Ich habe sie noch nicht gefragt. Sollte sie die Zustimmung verweigern, wäre immerhin bewiesen, daß sie das Ergebnis fürchtet. «Er schwieg einen Moment.»Ich muß gestehen, daß mir das alles unangenehm ist. Andererseits sehe ich keine andere Möglichkeit, die Wahrheit festzustellen.«
Fitzgerald schien zu überlegen.»Also gut. «Er wandte sich an Steve.»Wirst du die Sache in die Hand nehmen?«
«Selbstverständlich. «Er betrachtete Tyler.»Das Prozedere ist Ihnen vermutlich bekannt. Der nächste Anverwandte — in diesem Falle Sie, Ihr Bruder oder Ihre Schwester — muß beim Amt des Leichenbeschauers einen Antrag auf Exhumierung stellen, den Sie natürlich begründen müssen. Wird er akzeptiert, verständigt der Leichenbeschauer das zuständige Bestattungsinstitut, und bei der Exhumierung ist die Anwesenheit eines Vertreters der Polizei erforderlich.«
«Und wieviel Zeit könnte der Vorgang insgesamt beanspruchen?«fragte Tyler.
«Die Genehmigung haben Sie in schätzungsweise drei bis vier Tagen. Heute ist Mittwoch, es müßte also möglich sein, die Exhumierung am kommenden Montag vorzunehmen.«
«Gut. «Tyler überlegte kurz.»Wir werden einen DNS-Fachmann benötigen, jemand, der im Gerichtssaal zu überzeugen versteht — für den Fall, daß wir die Sache vor Gericht bringen müssen. Ich hatte gehofft, daß Sie einen entsprechenden Experten kennen.«
«Ich weiß genau den Richtigen für Sie«, antwortete Steve.»Perry Winger. Er wird in ganz Amerika bei solchen Prozessen als Sachverständiger hinzugezogen. Ich werde ihn informieren.«
«Ich weiß es zu schätzen. Je rascher wir die Sache hinter uns bringen, desto besser für alle Beteiligten.«
Auf Tylers Vorschlag hin hatten sie sich — Woody, Peggy, Kendall und Marc — am nächsten Morgen in der Bibliothek von Rose Hill versammelt und warteten voller Spannung, denn einen Grund für das Treffen hatten sie nicht erfahren, als Tyler Punkt zehn Uhr in Begleitung eines Unbekannten hereinmarschierte.
«Ich möchte euch Perry Winger vorstellen«, sagte Tyler.
«Und wer ist Perry Winger?«wollte Woody wissen.
«Er ist Experte für DNS-Analysen.«
Kendall war sichtlich überrascht.»Und wozu, wenn ich fragen darf, brauchen wir einen solchen Experten?«
«Um zu beweisen«, antwortete Tyler,»daß die Person, die genau im richtigen Moment aus dem Nichts bei uns erschien, eine Hochstaplerin ist. Ich habe nicht die Absicht, ihre Behauptung ungeprüft hinzunehmen.«
«Du willst unseren alten Herrn ausbuddeln lassen?«fragte Woody mit einem Ausdruck ungläubigen Staunens.
«Genau das. Ich habe unsere Anwälte bereits beauftragt, eine Genehmigung zur Exhumierung der Leiche einzuholen. Falls diese Person tatsächlich unsere Halbschwester ist, wird es der DNS-Test beweisen. Andernfalls haben wir den umgekehrten Beweis.«
«Tut mir leid«, meinte Marc,»aber diese Geschichte mit der DNS verstehe ich nicht.«
Perry Winger räusperte sich.»Um es simpel auszudrücken: Desoxyribonukleinsäure — oder DNS — ist das Erbmolekül und enthält den einmaligen genetischen Kode eines Menschen. Es läßt sich aus Blut, Sperma, Speichel, Haarwurzeln und sogar aus Knochen extrahieren. Spuren von DNS bleiben mehr als fünfzig Jahre in einer Leiche erhalten.«
«Verstehe — eine absolut problemlose Sache«, meinte Marc.
Daraufhin setzte Perry Winger allerdings die typische Miene des Experten auf, der sein Fachwissen gegenüber Laien verteidigt.»Ich muß Sie bitten, mir zu glauben, daß die Sache so problemlos keineswegs ist. Es gibt zwei Methoden für DNS-Tests, einmal das sogenannte DCR-Verfahren, bei dem nach drei Tagen die Resultate vorliegen, und dann das erheblich kompliziertere RFLP-Verfahren, das bis zu acht Wochen beansprucht. Für unsere Zwecke wird allerdings das einfache Verfahren ausreichen.«
«Und wie wird dieser Test durchgeführt?«erkundigte sich Kendall.
«In mehreren Phasen. Zunächst einmal wird eine Probe genommen und die DNS in Bruchstücke aufgeschlossen. Die Teilchen werden nach Länge sortiert, indem sie auf ein Bett aus Gel plaziert und unter Strom gesetzt werden. Die DNS, die negativ geladen ist, bewegt sich zur positiven Ladung, und nach einigen Stunden haben sich die Fragmente längenmäßig gruppiert. «Er erwärmte sich sichtlich für sein Thema.»Zum Aufschließen der DNS-B ruchstücke werden alkalische Substanzen benutzt, dann werden die Fragmente auf ein Nylontuch übertragen, das in ein Bad getaucht worden ist, und radioaktive Sondierungen…«
Das Interesse seiner Zuhörer schwand zusehends.
«Wie steht es um die Zuverlässigkeit des Tests?«unterbrach Woody.
«Er ist hundertprozentig zuverlässig, sofern es die Erkenntnis betrifft, daß die fragliche Person nicht der Vater ist. Falls der Test jedoch positiv ausfällt, besteht nur eine neunundneunzigprozentige Sicherheit.«
Woody wandte sich an seinen Bruder.»Tyler, du bist doch Richter. Nehmen wir einmal an, rein hypothetisch, dass die junge Dame tatsächlich Harry Stanfords Kind ist, aber ihre Mutter ja nie mit unserem Vater verheiratet war. Warum sollte sie dann Erbansprüche geltend machen können?«
«Laut Gesetz«, klärte Tyler ihn auf,»wäre sie genauso erbberechtigt wie wir — aber nur, falls die Vaterschaft erwiesen sein sollte.«
«Dann sollten wir jetzt mit diesem verflixten DNS-Test anfangen und sie als Hochstaplerin entlarven!«
Tyler, Woody, Kendall, Marc und Julia saßen an einem Tisch im Restaurant Tremont; Peggy war in Rose Hill geblieben.»All dies Gerede vom Ausbuddeln von einer Leiche — da krieg ich ja 'ne Gänsehaut«, hatte sie erklärt.
Man konfrontierte die junge Frau, die sich als Julia Stanford ausgab, mit der Notwendigkeit des Tests.
«Ich kann wirklich nicht verstehen, warum Sie das von mir verlangen.«
«Das ist doch gar nicht schwer zu verstehen«, erläuterte Tyler.»Schauen Sie: Ein Arzt wird bei Ihnen eine Hautprobe nehmen und Ihre Haut mit der Haut unseres Vaters vergleichen. Wenn die DNS-Moleküle übereinstimmen, so ist das ein positiver Beweis dafür, daß Sie tatsächlich seine Tochter sind. Andererseits, falls Sie nicht einmal bereit sind, sich diesem Test zu unterziehen…«
«Ich… Die Idee gefällt mir überhaupt nicht.«
«Warum eigentlich nicht?«schaltete sich Woody ein.
«Ich weiß nicht. «Sie erschauerte.»Die Vorstellung, daß die Leiche meines Vaters wieder ausgegraben werden soll… nur damit…«
«Damit Ihre Identität unter Beweis gestellt wird.«
Sie blickte sie der Reihe nach an.»Ich hätte mir eigentlich gewünscht, daß Sie alle…«
«Ja?«
«Ich kann Sie wohl nicht überzeugen, daß ich wirklich Julia Stanford bin, nicht wahr?«
«Doch, das können Sie«, entgegnete Tyler,»indem Sie diesem Test zustimmen.«
Schweigen.
«In Ordnung. Ich bin einverstanden.«
Wie Simon Fitzgerald, der diese Aufgabe persönlich übernommen hatte, erkennen mußte, machte der amtliche Leichenbeschauer bei der Freigabe der Leiche zur Exhumierung mehr Schwierigkeiten als erwartet.
«Nein! Verdammt noch mal, Simon! Das kann ich unmöglich gestatten. Sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, was das für einen Rummel auslösen würde? Ich meine, wir haben es schließlich nicht mit Hinz oder Kunz zu tun — es betrifft Harry Stanford! Wenn das je an die Öffentlichkeit kommt, werden die Medien verrückt spielen.«
«Es ist aber sehr wichtig, Marvin, es geht um Milliarden. Hören Sie — Sie müssen alle nötigen Vorkehrungen treffen, daß es nicht an die Öffentlichkeit kommen kann.«
«Gibt es denn gar keine andere Möglichkeit, um…«
«Leider nein. Die junge Dame macht einen sehr überzeugenden Eindruck.«
«Nur die Angehörigen sind nicht überzeugt.«
«Korrekt.«
«Und Sie — halten Sie diese Frau für eine Betrügerin, Simon?«
«Offen gesagt — ich weiß es nicht, aber meine persönliche Meinung spielt keine Rolle. In dieser Sache ist jede subjektive Meinung belanglos. Vor Gericht kommt es nur auf Beweise an, und einen Beweis kann hier nur der DNS-Test bringen.«
Der Direktor des Leichenbeschauamts schüttelte traurig den Kopf.»Ich habe den alten Harry Stanford persönlich gekannt, und das wäre ihm sicher nicht recht gewesen. Ich sollte es nicht…«
«Sie werden aber.«
Der Beamte seufzte gequält.»Ich werde wohl müssen. Würden Sie mir wenigstens einen Gefallen tun?«
«Selbstverständlich.«
«Halten Sie diese Angelegenheit unter der Glocke. Sorgen Sie dafür, daß es nicht in die Medien kommt.«
«Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Absolute Geheimsache. Bei der Exhumierung werden nur die nächsten Familienangehörigen zugegen sein und sonst niemand.«
«Und wann soll die Exhumierung durchgeführt werden?«
«Wir würden es gern am Montag hinter uns bringen.«
Der Beamte seufzte noch einmal.»Also gut. Ich werde das
Bestattungsunternehmen anrufen. Aber damit stehen Sie jetzt in meiner Schuld, Simon.«
«Ich werde es Ihnen nie vergessen.«
Am Montag um neun Uhr früh war auf dem Mount Auburn Cemetery der Friedhofsteil mit Harry Stanfords Grab wegen» Instandsetzungsarbeiten «vorübergehend abgesperrt — Zutritt streng verboten. Am Grabe Harry Stanfords waren Woody, Peggy, Tyler, Kendall, Marc, Julia, Simon Fitzgerald, Steve Sloane sowie Dr. Collins als Vertreter des Leichenbeschauamts und beobachteten, wie vier Friedhofsangestellte den Sarg aus der Erde hoben. Perry Winger stand abseits.
Als der Sarg herausgehoben worden war, fragte der Vorarbeiter die Gruppe der Wartenden:»Und jetzt? Was soll ich tun?«
«Öffnen Sie bitte den Sarg«, wies ihn Fitzgerald an und erkundigte sich dann bei Perry Winger:»Wie lange werden Sie brauchen?«
«Höchstens eine Minute. Ich werde nur rasch eine Hautprobe entnehmen.«
«In Ordnung. «Fitzgerald gab dem Vorarbeiter ein Zeichen.»Fangen Sie an. «Die Friedhofsarbeiter begannen damit, die Sargversiegelung zu öffnen.
«Ich möchte mir das eigentlich nicht ansehen«, sagte Kendall.»Ist es denn wirklich nötig, daß wir…«
«Jawohl!«erklärte Woody.»Es ist wirklich nötig, daß wir es mit unseren eigenen Augen sehen und bezeugen.«
Aller Augen verfolgten gebannt, wie mit äußerster Behutsamkeit der Deckel des Sargs entfernt und zur Seite gelegt wurde, und spähten neugierig ins Sarginnere.
«O mein Gott!«rief Kendall.
Der Sarg war leer.