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Julia Stanford war überglücklich, die Wohnung mit Sally zu teilen. Sally war immer gut gelaunt und unternehmungslustig. Sie hatte eine schlechte Ehe hinter sich und erklärte, sich nie wieder mit einem Mann einlassen zu wollen — ein» nie wieder«, dessen Bedeutung Julia insofern schleierhaft war, als Sally anscheinend jede Woche mit einem anderen Mann ausging.
«Ich kann verheiratete Männer nur empfehlen!«argumentierte Sally.»Weil sie Schuldgefühle haben, machen sie einem dauernd Geschenke. Und bei einem alleinstehenden Mann muß man sich leider fragen: Warum ist der eigentlich noch immer allein?«
«Du gehst wohl mit niemand fest aus, oder?«erkundigte sich Sally.
«Nein. «Julia ließ die Männer vor ihrem geistigen Auge Revue passieren, die sich um sie bemüht hatten.»Ich habe keine Lust, nur um des Ausgehens willen auszugehen, Sally. Da müßte schon ein Mann kommen, der mir etwas bedeutet.«
«Also, ich weiß einen für dich!«rief Sally.»Der wird dir gefallen! Er heißt Tony Vinetti. Ich hab ihm von dir erzählt, und er will dich unbedingt kennenlernen.«
«Ich glaube wirklich nicht…«
«Er wird dich morgen abend Punkt acht Uhr abholen.«
Tony Vinetti war groß, sehr groß, und auf eine linkische Art durchaus anziehend, hatte dichtes schwarzes Haar und zeigte ein strahlendes, entwaffnendes Lächeln, als er sich Julia zuwandte.
«Sally hat wirklich nicht übertrieben. Sie sind umwerfend!«
«Danke für das Kompliment«, erwiderte Julia lächelnd.
«Sind Sie schon einmal im Restaurant Houston gewesen?«
Houston's war eines der vornehmsten Lokale von Kansas City.
«Nein. «Sie hätte es sich nie leisten können, dort zu essen — nicht einmal nach der Gehaltserhöhung.
«Um so besser — ich habe dort einen Tisch für uns reserviert.«
Während des Essens redete Tony fast die ganze Zeit von sich selbst, aber das störte Julia kaum, weil Tony recht unterhaltsam und charmant war. »Er ist absolut hinreißend«, hatte Sally behauptet, und damit hatte sie durchaus recht.
Das Essen war köstlich, und zum Nachtisch bestellten Julia ein Schokoladensouffle und Tony Eiscreme, und beim anschließenden Kaffee fragte sich Julia: Ob er mich wohl einlädt, in seine Wohnung mitzukommen? Und falls ja — soll ich mitgehen? Nein, das darf ich nicht. Doch nicht gleich beim ersten Rendezvous. Da würde er mich billig finden. Das nächste Mal…
Der Ober kam mit der Rechnung, die Tony rasch überflog.»Scheint okay zu sein«, meinte er, nachdem er die einzelnen Posten mit dem Bleistift abgehakt hatte.»Sie hatten Pastete und Hummer… «
«Ja.«
«Außerdem Pommes frites und den Salat und das Souffle, stimmt's?«
Sie musterte ihn leicht verwirrt.»Ja…«
«In Ordnung. «Er addierte.»Ihr Anteil der Rechnung beläuft sich auf fünfzig Dollar und vierzig Cents.«
Julia war wie vom Blitz getroffen.»Wie bitte?«
Tony schenkte ihr ein warmes Lächeln.»Ich weiß doch, wie selbständig und unabhängig ihr Frauen von heute seid. Ihr laßt ja nicht zu, daß die Jungs was für euch tun, oder? Na also«, meinte er generös,»aber Ihren Part fürs Trinkgeld übernehme ich trotzdem.«»Tut mir leid, daß es nicht geklappt hat«, entschuldigte sich Sally.»Der hat sich ja echt als Schätzchen entpuppt. Wirst du dich wieder mit ihm treffen?«
«Ich könnte ihn mir doch gar nicht leisten«, erwiderte Julia bitter.
«Also, dann hab’ ich jemand anders für dich, den wirst du vergöttern… «
«Nein. Sally, ich möchte nicht, ehrlich…«
Ted Riddle, der auf die Vierzig zuging, war — Julia mußte es zugeben — ziemlich attraktiv. Er führte sie in Jennie's Restaurant am Historic Strawberry Hill aus, das für seine original kroatische Küche bekannt war.
«Sally hat mir wirklich einen Gefallen getan«, erklärte Riddle.»Sie sind äußerst schön.«
«Danke für das Kompliment.«
«Hat Ihnen Sally eigentlich erzählt, daß ich Eigentümer einer Werbeagentur bin?«
«Nein, das hat sie mir nicht erzählt.«
«So ist es aber: Eine der größten Agenturen in Kansas City gehört mir. Mich kennt jeder.«
«Wie schön. Ich…«
«Einige unserer Klienten zählen zu den wichtigsten Unternehmen des Landes.«
«Tatsächlich? Ich bin nicht…«
«O ja. Wir betreuen Stars, Banken, Großindustrie, Einzelhandelsketten… «
«Nun ja, ich…«
«… und Supermärkte. Es gibt keine Branche, für die wir nicht tätig wären.«
«Das ist…«
«Ich muß Ihnen erzählen, wie das alles angefangen hat…«
Er redete während des ganzen Essens, ununterbrochen und
«Wahrscheinlich war er einfach nur nervös«, meinte Sally mit einem Ausdruck des Bedauerns.
«Zumindest hat er mich nervös gemacht, das kann ich dir sagen«, konterte Julia.»Falls du irgend etwas über Ted Riddle wissen möchtest, angefangen bei seiner Geburt, brauchst du künftig nur mich zu fragen.«
«Jerry McKinley.«
«Wie bitte?«
«Jerry McKinley, er ist mir wieder eingefallen. Er ging mit einer Freundin von mir, und sie war ganz verrückt nach ihm.«
«Nett von dir, Sally. Aber nein, danke.«
«Ich werde ihn anrufen.«
Und am nächsten Abend kam Jerry McKinley vorbei. Er machte einen angenehmen, freundlichen Eindruck und erklärte gleich beim Eintreten mit einem offenen, ehrlichen Blick:»Ich weiß, daß blind dates mühsam sind. Ich bin ziemlich schüchtern und kann daher verstehen, wie Ihnen zumute sein muß, Julia.«
Er gefiel ihr vom ersten Augenblick an. Sie gingen ins chinesische Restaurant Evergreen an der State Avenue zum Essen.
«Sie arbeiten für ein Architekturbüro, das muß aufregend sein. Ich glaube, die meisten Leute wissen die Bedeutung von Architekten für unsere Gesellschaft überhaupt nicht richtig zu schätzen.«
Er hat Feingefühl, dachte Julia glücklich und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.»Da muß ich Ihnen recht geben. «Es war ein wundervoller Abend, und Jerry gefiel Julia zunehmend besser.
«Möchten Sie zum Abschluß noch auf ein Gläschen zu mir in die Wohnung mitkommen?«fragte sie.
«Nein. Gehen wir doch zu mir.«
«Zu Ihnen?«
Er beugte sich vor und drückte ihre Hand.»Dort, wo ich die Peitschen und Ketten aufbewahre.«
Henry Wessen war Chef einer Steuerkanzlei mit Büros im gleichen Gebäude wie Peters, Eastman & Tolkin. Julia begegnete ihm zwei- oder dreimal wöchentlich morgens im Aufzug. Er wirkte recht zivilisiert — ein Mann Mitte Dreißig, mit hellblondem Haar und einer Brille mit dunklem Gestell, der in seiner Bescheidenheit einen intelligenten Eindruck machte.
Anfangs grüßten sie sich mit höflichem Kopfnicken, später mit einem» Guten Morgen«, und dann sagte er:»Heute sehen Sie aber besonders hübsch aus«, und nach einigen Monaten kam die Frage:»Ich frage mich, ob Sie nicht vielleicht mit mir ausgehen würden?«Er musterte sie gespannt und wartete auf eine Antwort.
Julia lächelte.»Warum nicht.«
Was Henry betraf, so war es Liebe auf den ersten Blick. Beim ersten Rendezvous führte er Julia ins EBT, eines der besten Restaurants von Kansas City. Ein klares Zeichen, daß ihm die Verabredung viel bedeutete.
Er erzählte ihr ein wenig von sich.»Ich bin hier im guten alten Kansas City zur Welt gekommen, wie schon mein Vater. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Julia verstand ihn nur zu gut.
«Ich habe schon immer Steuerberater werden wollen, und gelernt habe ich gleich nach dem Schulabschluß bei der Bigelow & Benson Financial Corporation. Heute habe ich meine eigene Firma.«
«Wie schön für Sie«, sagte Julia.
«Mehr gibt es über mich eigentlich nicht zu erzählen.
Erzählen Sie doch etwas von sich.«
Julia dachte kurz nach. Ich bin die uneheliche Tochter von einem der reichsten Männer der Welt. Sie haben bestimmt schon von ihm gekört. Er ist kürzlich im Mittelmeer ertrunken. Ich bin eine vermögende Erbin. Ihr Blick glitt durch den eleganten Raum. Ich könnte dieses Restaurant kaufen, wenn ich wollte. Wenn ich wollte, könnte ich wahrscheinlich die ganze Stadt kaufen.
Henry musterte sie besorgt.»Julia?«
«Oh!.. Verzeihung. Ich wurde in Milwaukee geboren. Mein… Vater ist früh gestorben, ich war noch ein Kind. Ich bin dann mit meiner Mutter viel im Lande herumgezogen. Nach ihrem Tod habe ich mich entschlossen, hierzubleiben und eine Stellung zu suchen.«Hoffentlich kriege ich jetzt vom Lügen keine dicke Nase, die mich verrät.
Henry Wesson berührte ihre Hand.»Da hat es also in Ihrem Leben nie einen Mann gegeben, der Sie umsorgte. «Er beugte sich vor und sagte mit ernster Stimme:»Ich würde gern immer für Sie sorgen.«
Julia musterte ihn erstaunt:»Ich möchte ja nicht klingen wie Doris Day — aber wir kennen uns doch kaum.«
«Dabei darf es nicht bleiben.«
Zu Hause wurde Julia sofort von der wartenden Sally in Empfang genommen.»Nun?«fragte sie.»Wie ist es gelaufen?«
«Er ist sehr lieb«, sagte Julia gedehnt, nachdenklich,»und…«
«Er hat sich gleich in dich verliebt!«
Julia lächelte.»Ich glaube, er hat mir einen Heiratsantrag gemacht.«
Sally sah sie mit großen Augen an.»Du glaubst, daß er dir einen Heiratsantrag gemacht hat? Mein Gott — hat er dir nun einen Heiratsantrag gemacht oder nicht? So was weiß man doch!«»Na ja, er hat gesagt, daß er immer für mich sorgen möchte.«
«Das ist ein Heiratsantrag!«rief Sally.»Und ob das ein Heiratsantrag ist! Heirate ihn! Schnell! Bevor er sich's anders überlegt.«
Da mußte Julia lachen.»Aber warum solche Eile?«
«Hör auf mich. Lade ihn hier in der Wohnung zum Abendessen ein, das Kochen übernehm’ ich — aber du kannst ihm ruhig sagen, daß es dein Werk ist.«
Julia prustete los.»Ich danke dir. Trotzdem: Nein. Wenn ich den Mann gefunden habe, den ich heiraten möchte, wird's zu Abend vielleicht eine chinesische Fertigmahlzeit aus Pappkartons geben, aber der Tisch, das darfst du mir glauben, der wird mit Blumen und Kerzen geschmückt sein.«
«Wissen Sie«, meinte Henry bei der nächsten Verabredung,»Kansas City ist eine absolute ideale Stadt, um Kinder großzuziehen.«
«Ja, das stimmt. «Das Problem bestand nur darin, daß Julia nicht überzeugt war, Kinder von ihm haben und großziehen zu wollen. Er war ein zuverlässiger Mensch, ein nüchterner, anständiger Kerl, aber…
Sie sprach darüber mit Sally.
«Er bittet mich immer wieder, seine Frau zu werden!«
«Und wie findest du ihn?«
Julia dachte kurz nach, sie suchte nach den liebevollsten und gefühlvollsten Attributen, die ihr zu Henry einfielen.»Er ist zuverlässig, realistisch, anständig… «
Sally sah ihr fest in die Augen.»Mit anderen Worten — er ist langweilig.«
«Nicht gerade langweilig…«, widersprach Julia abwägend.
Sally nickte.»Er ist langweilig. Heirate ihn.«
«Wie bitte?!«
«Heirate ihn. Anständige gute Ehemänner sind nämlich gar nicht leicht zu finden.«
Von einer Gehaltsauszahlung zur nächsten war es jedesmal ein schrecklicher Hürdenlauf. Wenn, nach den obligaten Abzügen, Miete, Autokosten, Lebensunterhalt und Kleiderkäufe bezahlt waren, blieb kaum mehr etwas übrig. Julia besaß einen Toyota Tercel, der mehr Kosten verursachte als sie selbst. Sie mußte immer wieder Sally anpumpen.
Als Julia sich eines Abends fürs Ausgehen zurechtmachte, fragte Sally:»Ein weiteres großes Rendezvous mit Henry, wie? Wohin nimmt er dich heute abend mit?«
«Wir gehen in die Symphony Hall, zu einem Konzert von Cleo Laine.«
«Hat der gute alte Henry dir wieder einen Heiratsantrag gemacht?«
Julia zögerte, denn es war so, daß Henry ihr bei jedem Zusammensein von neuem einen Heiratsantrag machte. Sie fühlte sich von ihm bedrängt, konnte sich aber nicht dazu bringen, ja zu sagen.
Vermutlich hat Sally recht, überlegte Julia. Henry Wessen würde einen guten Ehemann abgeben. Er ist… Sie hielt inne. Er ist realistisch, verläßlich, anständig… Aber reicht das?
Julia war schon an der Tür, als ihr Sally nachrief:»Darf ich mir für heute abend deine schwarzen Schuhe ausborgen?«
«Natürlich. «Und damit war Julia verschwunden.
Sally ging in Julias Schlafzimmer und öffnete die Schranktür. Das gewünschte Paar Schuhe stand auf dem obersten Regal. Als sie danach griff, fiel ein Karton herunter, der ziemlich weit vorne auf dem Regal gestanden hatte, und der Inhalt verstreute sich über den ganzen Fußboden.
«Verdammt!«Sally bückte sich, um die Papiere aufzusammeln: Zeitungsausschnitte, Fotos und Artikel, die allesamt mit der Familie Harry Stanfords zu tun hatten.
Da stürzte plötzlich Julia ins Zimmer und rief:»Ich habe ganz vergessen, meine…«Beim Anblick der Papiere auf dem Boden brach sie ab.»Was machst du da?«
«Tut mir leid«, entschuldigte sich Sally.»Der Karton ist vom Regal gefallen.«
Julia errötete verlegen und begann hastig die Papiere wieder in den Karton zurückzulegen.
«Ich habe gar nicht gewußt, daß du dich für die Reichen und Berühmten dieser Welt interessierst«, meinte Sally.
Schweigend legte Julia die Papiere und Fotos in den Karton. Als sie einen Stapel Fotos hochhob, stieß sie auf ein kleines, herzförmiges Medaillon, das ihr die Mutter auf dem Totenbett übergeben hatte, und legte es zur Seite.
Sally musterte sie ratlos.»Julia?«
«Ja?«
«Was interessiert dich eigentlich so an Harry Stanford?«
«Mich? Gar nichts. Diese Sachen haben meiner Mutter gehört.«
Sally zuckte mit den Schultern.»Na schön. «Sie griff nach einem Stück Papier, das aus einer Zeitschrift herausgerissen worden war. Die Schlagzeile war ihr aufgefallen:
WIRTSCHAFTSKAPITÄN SCHWÄNGERT GOUVERNANTE SEINER KINDER — AUSSEREHELICHES BABY GEBOREN — MUTTER UND KIND SPURLOS VERSCHWUNDEN!
Sally blieb der Mund offenstehen. Sie starrte Julia an:»O mein Gott! Du bist die Tochter von Harry Stanford!«
Julia preßte die Lippen zusammen, schüttelte den Kopf und sammelte den Rest der Papiere ein.
«Bist du es etwa nicht?«
Julia reagierte verschlossen und abweisend.»Bitte, darüber möchte ich lieber nicht sprechen, wenn du erlaubst.«
Sally sprang auf. »Darüber möchtest du lieber nicht sprechen? Dein Vater ist einer der reichsten Männer der Welt, aber darüber möchtest du lieber nicht sprechen. Bist du verrückt geworden?«»Sally…«
«Weißt du eigentlich, wie reich er ist? Milliarden!«
«Das hat nichts mit mir zu tun.«
«Wenn du seine Tochter bist, geht es dich sehr wohl etwas an
— dann erbst du nämlich. Du brauchst seine Angehörigen nur zu informieren, wer du bist, und…«
«Nein.«
«Nein… Was soll das heißen?«
«Das verstehst du nicht. «Julia stand auf, setzte sich dann aber aufs Bett.»Harry Stanford war ein fürchterlicher Mensch. Er hat meine Mutter sitzenlassen. Sie hat ihn gehaßt, und ich hasse ihn auch.«
«So reiche Männer haßt man nicht. Man versteht sie nur nicht.«
Julia schüttelte den Kopf.»Ich will nichts mit ihnen zu tun haben.«
«Julia — eine reiche Erbin haust nicht in einer miesen Wohnung und kauft ihre Kleider nicht auf dem Flohmarkt und borgt sich kein Geld, um die Miete bezahlen zu können. Deine Verwandten würden unglücklich sein, wenn sie wüßten, wie du lebst. Sie würden sich gedemütigt fühlen.«
«Sie wissen ja gar nicht, daß es mich überhaupt gibt.«
«Dann mußt du es ihnen sagen.«
«Sally…«
«Ja?«
«Laß uns das Thema wechseln.«
Sally betrachtete Julia schweigend.»Okay. Übrigens — könntest du mir bis zum nächsten Zahltag ein oder zwei Millionen borgen, ja?«