37680.fb2 Das geschenkte Gesicht - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

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Kapitel 3

Im gleichen Augenblick hatte die kleine Schwester Dora Graff das Ufer erreicht. Sie weinte laut, während sie Erich Schwabe nachgelaufen war, und sie versuchte noch, mit beiden Händen zuzugreifen, um ihn zurückzureißen. Es war zu spät. Sie faßte ins Leere und sah vor sich den Verzweifelten ins Wasser stürzen, sah einen flatternden, alten Uniformmantel, der sich über der Oberfläche blähte.

Stimmen hinter ihr riefen:»Zurückholen! Packen Sie ihn doch! Schnell!«

Mit einem Ruck riß Schwester Dora ihren Mantel herunter und sprang Erich Schwabe nach. Als das eiskalte Wasser über ihr zusammenschlug, war es ihr, als erstarrte ihr Körper. Dann tauchte sie auf, sah am Ufer zwei Sanitäter mit langen Bohnenstangen und von

Block B her Professor Rusch und Dr. Lisa Mainetti herbeieilen. Der aufgeblähte Mantel Schwabes war neben ihr, sie griff mit beiden Händen zu, riß und zerrte an ihm, spürte einen Arm, umklammerte ihn. Zwei Männer waren plötzlich an ihrer Seite und halfen ihr, Schwabe ans Ufer zu ziehen. Ein Sanitäter wickelte Dora Graff in eine Wolldecke und trug sie im Laufschritt in den Block B. Dort wartete die Oberschwester auf sie und zog ihr die nassen, eisigen Kleider aus.

«Lebt… lebt er noch?«fragte Dora Graff, als sie im warmen Bett lag. Sie war noch völlig erstarrt. Die Antwort der Oberschwester hörte sie schon nicht mehr. Sie schlief ein, erschöpft und von einer Injektion aus der Wirklichkeit weggenommen. Jetzt sterbe ich, war ihr letzter Gedanke. Jetzt bin ich erfroren.

Am Teich lag Erich Schwabe auf zwei dicken Wolldecken. Ein Assistenzarzt kniete neben ihm und pumpte das Wasser aus Lunge und Magen. Aus der Höhle, die einmal ein Mund gewesen war, floß es, zusammen mit Blut, wie ein kleiner Bach und befleckte die Decken.

«So ein dummer Junge«, sagte Lisa Mainetti.»Als ob das eine Lösung aller Probleme wäre.«

«Das wird ihn teuer zu stehen kommen!«Eine kalte Stimme ließ Lisa herumfahren. Oberarzt Dr. Urban stand hinter Professor Rusch, die Hände in den Taschen seiner Offiziersuniform, eine Zigarette im Mundwinkel. Er sah auf den ohnmächtigen Schwabe herab, als betrachte er angewidert einen Abfallhaufen.

«Sie sollten helfen und nicht quatschen!«sagte Lisa Mainetti. Den warnenden Blick des Chefarztes beachtete sie nicht.

«Er gehört zu Ihrer Station, Frau Kollegin!«Dr. Urban warf die Zigarette weg. Sie fiel neben den Kopf Schwabes. Als er mit der Stiefelspitze die Glut austrat, spritzten ein paar Funken auf den frisch eingenähten Rollappen.

Lisa wickelte die nassen Decken um Schwabe und winkte zwei Sanitätern, ihn ins Haus zu tragen. Die Wiederbelebungsversuche waren erfolgreich. Schwabe atmete wieder, röchelnd, pfeifend, und mit seinem Atem verstärkte sich auch die Blutung aus der Mundhöhle.

Dr. Mainetti drängte Dr. Urban ein paar Schritte zur Seite.

Dr. Urban sah zu, wie die beiden Sanis den schlaffen Körper in den Decken zum Block B trugen. Der Assistenzarzt und Professor Rusch folgten. Urban hörte noch, wie der Chefarzt rief.»Gleich in den OP.«, dann wandte er sich an Dr. Mainetti, die am Ufer des Teiches stehengeblieben war. Sie waren allein. Die anderen Verwundeten waren der kleinen Gruppe zum Block B nachgezogen.

Dr. Urban zündete sich eine neue Zigarette an. Er zögerte einen Augenblick, dann kam er zwei Schritte auf Lisa zu und hielt ihr sein Etui hin.

«Als ob ich von Ihnen eine Zigarette nähme«, sagte sie kalt.»Eher rauche ich Heu!«

«Sie kommen sich wohl äußerst stark vor, was?«Dr. Urban klappte das Etui zu.

«Ich fühle mich immer stark.«

«Aber jetzt besonders. Für Sie ist der Krieg bereits verloren, nicht wahr? Der Russe im Anmarsch auf Pommern, der Amerikaner in den Vogesen und vor Aachen. Eine Zange, in der wir zerquetscht werden sollen. Deutschland ist verloren, so glauben Sie, und nun kann man eine große Fresse riskieren.«

Dr. Urban rauchte in hastigen, kleinen Zügen seine Zigarette. Er stand neben Dr. Mainetti, und sie sah, wie seine Finger zitterten, als vibrierten alle Nerven seines Körpers.

«Sie. Sie haben das Morphium weggeschlossen.«, sagte er stockend.

«Haben Sie's gesucht? Ich habe es mit in mein Zimmer genommen! Ich nehme an, daß Sie einen Nachschlüssel zum M-Schrank hatten. Es wurde weniger, obwohl ich ein neues Schloß anbringen ließ.«

«Frau Kollegin. «Dr. Urban warf die Zigarette ins Wasser. Mit zitternden Händen fuhr er sich über das schmale Gesicht mit den kalten, glänzenden Augen.»Ich habe nur noch für einen Tag. ich. verstehen Sie mich. ich. «Er schluckte und wurde kläglich wie ein hungernder Bettler.»Es gibt eine Katastrophe, wenn Sie das Morphium weiter so unter Verschluß halten. Ich habe es einmal erlebt. damals, in der Universitätsklinik. Ich hätte die Oberschwester erwürgen können, die den Schlüssel zum M-Schrank bei sich hatte. Damals ist es noch einmal gut gegangen, ein Kollege half mir. Aber hier. «Dr. Urban trat nahe an Lisa heran. Sie spürte eine heiße Angst in sich aufsteigen, aber sie rührte sich nicht. Anscheinend ruhig und furchtlos sah sie ihm in die flatternden Augen.»Geben Sie mir etwas. Zwingen Sie mich nicht, etwas Schreckliches zu tun. Sie kennen mich noch nicht, Kollegin.«

«Das, was ich bereits von Ihnen kenne, reicht mir vollauf..«

Sie bemühte sich, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Dr. Urban hatte die Hände gefaltet; er preßte die Finger so hart aneinander, daß die Knöchel weiß wurden.

«Sie mögen recht haben, Kollega, wenn Sie mich verachten«, sagte er leise.»Ich bin sogar bereit, diese Verachtung von Ihnen unter uns zu schlucken. es hört uns niemand, und wer uns beobachtet, glaubt, daß wir uns über medizinische Themen unterhalten. Aber — «

Seine Stimme dehnte sich, und sein Kopf neigte sich vor. Er war jetzt ganz nahe vor ihr, und während er sprach, roch sie in seinem Atem einen leichten Alkoholdunst. Wenn er kein M hat, säuft er, dachte sie, und Ekel kam in ihr hoch. Und dann lutscht er Pfefferminztabletten, damit man es nicht riecht.

«Was aber?«fragte sie und nahm ihren Kopf etwas zurück.

«Sie glauben, mich in der Hand zu haben, Lisa. Es ist mir jetzt auch erklärlich, warum Sie sich so gegen mich benehmen. Aber Sie täuschen sich. Ich habe helle Augen. auch ohne Morphium. Ich sehe, was auf den Stationen vorgeht, wie dort ein defätistischer Geist geduldet, ja geradezu kultiviert wird. Ich weiß, daß Sie und Professor Rusch bei Inspektionen einige Fälle in den Luftschutzbunker stecken, damit sie nicht gesehen werden und länger im Lazarett bleiben. Vor allem aber kenne ich Ihre und des Chefs Einstellung zu all den brennenden Problemen unseres Reichs und.«

«Welch ein Schwein sind Sie doch!«sagte Lisa laut. Es war ihr, als falle alle Angst von ihr ab, als könne sie plötzlich freier atmen und sich ungezwungener bewegen. Ihre Stimme hob sich, und es war ihr gar nicht bewußt, daß sie auf einmal schrie, frei von allen Hemmungen.

«Haben Sie nicht genug Leid gesehen, Sie Durchhalte-Idiot?! Genügt es Ihnen nicht, daß auf allen Seiten Millionen gefallen, daß unsere Städte nur noch rauchende Trümmerhaufen sind, daß in Ostdeutschland der Russe und in Westdeutschland der Amerikaner steht? Ist es nicht genug, daß Millionen Krüppel herumlaufen als Erbe dieses politischen Wahnsinns? Wie können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, hier von Defätismus zu sprechen? Wollen Sie nicht erkennen, wohin wir steuern?«

«Warten Sie die Wunderwaffen ab.«, sagte Urban kalt.

«Die Wunderwaffen der Nazis waren die großen Schnauzen! Und selbst die sind jetzt sprachlos. mit einigen Ausnahmen, zu denen Sie gehören.«

Dr. Urban steckte die Hände in die Hosentaschen. Er sah selbstzufrieden, ja fast satt aus.

«Das genügt, Kollega.«

Lisa Mainetti warf den Kopf hoch. Nach dem Ausbruch kam die Ernüchterung. Mein Gott, dachte sie, was habe ich alles gesagt!

«Was heißt das?«fragte sie rauh.

«Ärzte sollten auch gute Rechner sein«, sagte Dr. Urban sarkastisch.»Zählen wir also zusammen: Der Selbstmordversuch dieses Schwabe — dafür sind Sie verantwortlich. Er gehört zu Ihrer Station.«

«Machen Sie sich nicht lächerlich!«Lisa winkte ab.

Urbans Stimme blieb sicher und forsch.»Zählen wir weiter: Also — erstens Schwabe. Zweitens Ihre wehrkraftzersetzenden Äußerungen. Drittens das Verstecken bestimmter Verletzter vor Kommissionen. Viertens Ihre und des Chefs provokatorische Art, grundsätzlich nur mit >Guten Morgen!< zu grüßen statt mit dem Deutschen Gruß. Und ferner ist mir eine Äußerung Professor Ruschs bekannt, die etwa so lautet: >Wer in meinem Lazarett kv. wird, bestimme ich! Die Jungs haben genug durchgemacht und sollen die paar Monate bis zum Zusammenbruch hier bleiben.!< Merken Sie wohl: >Zusammenbruch<, sagte er! Was, glauben Sie, passiert, wenn ich diesen einzigen Ausdruck der Gestapo melde.«

Lisa senkte den Kopf. Plötzlich legte sich wieder die kalte Angst über ihr Herz. Aber es war nicht die Angst um ihr eigenes Schicksal, sondern die schmerzhafte Furcht, Walter Rusch einem gnadenlosen politischen Irrsinn ausgeliefert zu sehen.

«Und was, glauben Sie, passiert, wenn ich Sie wegen Morphiumdiebstahls anzeige?«sagte Lisa kalt.

Auf Dr. Urbans Stirn erschienen kleine Schweißperlen. Die Auseinandersetzung war zu groß für ihn. Sein Körper schrie nach dem stimulierenden Gift.

«Es ist ein Kreis ohne Ausweg, Kollega. Sie haben mich in der Hand… ich habe Sie und Rusch in der Hand. Wir sind verkettet ineinander… und das Zerreißen dieser Kette trifft jeden von uns. Ich könnte Sie bei der Gestapo anzeigen, und keiner gäbe mehr einen Pfennig für Ihren Kopf. Das wissen Sie genauso wie ich. Und sie können mich in die Pfanne hauen. ich würde an die Front kommen und sicherlich fallen. «Er wischte mit zitternden Händen den über seine Augen rinnenden Schweiß weg.»Was hätten wir davon.?«

«Auf was wollen Sie hinaus?«

«Ich. ich. «Er würgte an den Worten, als ringe er mit dem letzten Rest einer inneren Anständigkeit.»Ich möchte Ihnen einen Tausch vorschlagen: Mein Schweigen gegen Morphium.«

«Sie sind ein Sauhund, Urban.«

«Die Sicherheit Ruschs muß Ihnen doch einige Ampullen wert sein. «Urbans Stimme wurde leise, fast kläglich.»Ich. ich lasse hier alles hochgehen, wenn ich kein Morphium bekomme! Und wenn Sie mich noch so sehr verachten. ich kann nichts dafür.«

Lisa Mainetti wandte sich brüsk ab. Es sah aus, als wolle sie ohne ein weiteres Wort gehen. In Wahrheit wog sie die Chancen ab. Sie kannte Dr. Urban gut genug, um zu wissen, daß er Professor Rusch und sie anzeigen würde. Keiner hätte eine Möglichkeit, ihn daran zu hindern. Es würde eine Kette von Untersuchungen, Verhaftungen, Klagen und Verhören geben, und sie wußte fast mit Sicherheit, daß Walter Rusch in dieser Maschinerie zermalmt werden würde. Dr. Mai-netti sah Dr. Urban an.»Wieviel Ampullen wollen Sie?«

«Für einen Monat.«»Unmöglich. Sollen wir die Verwundeten schreien lassen, nur damit Sie im siebten Himmel schweben? Ich gebe Ihnen zehn Ampullen!«

«Ist Ihnen Professor Rusch nicht mehr wert, Kollegin?«

«Nennen Sie mich nicht immer Kollegin!«schrie Lisa wütend.»Zehn Ampullen — und keine einzige mehr!«

«Und was dann?«Dr. Urban wischte sich den Schweiß vom Gesicht.

«Wir haben 176 Gesichtsverletzte im Block… beobachten Sie sie fleißig, ob einer von ihnen etwas ausfrißt. Sie werden schon etwas finden, um mich zu erpressen.«

Dr. Urban senkte den Kopf.»Wann… wann darf ich kommen? Kol. «Er verschluckte den letzten Rest des Wortes.

«Von mir aus gleich. Nicht am Abend. Ich möchte wenigstens das Ende des Tages ohne Ihren Anblick genießen.«

«Gut. In zehn Minuten?«

«Von mir aus.«

«Vielleicht könnten Sie 15 Ampullen.«

«Zehn!«sagte Lisa Mainetti.»Und spritzen Sie sie sich auf einmal. Sie tun damit ein gutes Werk an uns allen.«

Ohne Antwort, mit schnellen Schritten, als flüchte er vor seiner Niederlage, rannte Dr. Urban dem Schloß zu.

Lisa Mainetti saß neben ihm, als Erich Schwabe aus seiner Besinnungslosigkeit erwachte. Sie waren allein im Zimmer. Die Stube B/14 hatte geschlossen Ausgang bekommen. Unter Führung eines Sanitätsfeldwebels waren sie ins Kino geführt worden, wo sie sich einen lustigen Film mit Marika Rökk ansahen. Lisa hatte es trotz vieler Bedenken mit großer Überredungskunst bei Professor Rusch durchgesetzt.

«Schwabe muß allein sein, wenn er aufwacht, und die anderen Jungs freuen sich wie die Kinder über den Kinobesuch. Es ist alles bestens organisiert: Ein Sanka bringt sie hin, und sie kommen ins Kino, auf die hintere Reihe, wenn der Saal schon dunkel ist. Am Schluß wird das Licht nicht eher angemacht, bis sie wieder draußen im Sanka sind. Es wird sie also niemand im Hellen sehen.«

«Auf deine Verantwortung. «Professor Rusch seufzte und lächelte dann.»Was könnte man dir abschlagen, Lisa? Aber eines ist klar: Offiziell weiß ich von nichts.«

Und so fuhr einer der Sanitätskraftwagen mit fünf leukoplastbepflasterten fröhlichen Soldaten in die nahe Stadt zum Kino. Dr. Lisa Mainetti aber setzte sich neben das Bett Schwabes, trug ihr Tagesjournal nach, schrieb einige OP-Berichte und wartete auf die kritische Sekunde, in der Schwabe die Augen aufschlug und merkte, daß er noch lebte.

«Warum habt ihr mich nicht sterben lassen.«, lallte Schwabe. Er lag mit gefalteten Händen und starrte in das schmale, braune Gesicht Lisas.»Es wäre doch alles so einfach gewesen.«

«Man stiehlt sich nicht weg aus dem Leben, mein Freund. «Dr. Mai-netti träufelte Schwabe etwas Obstsaft in die Öffnung zwischen den breiten Leukoplaststreifen, die sein Gesicht nach der neuen Wundversorgung wieder bedeckten.

«Wenn ich gefallen wäre.«

«Sie sind aber nicht gefallen! Und hier ist nicht Rußland, sondern tiefstes deutsches Vaterland.«

«Daß gerade Sie das sagen, Frau Doktor.«

«Ich liebe mein Vaterland. Und Sie sollten zuerst Ihr Leben lieben und glücklich sein, die Vögel vor dem Fenster zu hören und das Knak-ken der Äste und das Pfeifen des Windes.«

«Ein Leben ohne Gesicht.«

«Aber ein Leben! Wenn Sie damals bei Suwalki.«

«Es wäre besser gewesen, Frau Doktor. Besser für uns alle. «Schwabe wurde unruhig. Seine Hände fuhren über die Bettdecke, in seine Augen trat der Ausdruck neuen Entsetzens.

Meine Mutter wird kommen, dachte er. Mein Gott, sie wird mich nicht erkennen. Und meine Frau.

«Frau Doktor, sie darf mich nie wiedersehen, hören Sie, nie wieder! Und auch meine Mutter will ich nicht mehr sehen. schreiben

Sie ihr, telegrafieren Sie… sie soll zu Hause bleiben. Niemand will ich sehen, keinen. Und schreiben Sie meiner Frau, sie soll sich scheiden lassen. Sie. sie kann doch nicht. mit einem Mann. ohne Gesicht… mit.«

Er weinte haltlos, drehte den Kopf zur Seite und krallte die Finger in die Bettdecke.

Lisa Mainetti wußte nur zu genau, was in ihm vorging. Sie schwieg und ließ ihn sich ausweinen. Sie tupfte die Tränen von seinem ver-pflasterten Gesicht und von den Narben und angewachsenen Hautlappen, die eine neue Wange geben sollten.

«Keinen, keinen will ich sehen!«gurgelte Schwabe mit äußerster Anstrengung.»Ich sehe ja nicht mehr wie ein Mensch aus.«

«Noch nicht. «Lisa faßte vorsichtig mit beiden Händen den zitternden Kopf und drehte ihn zu sich herum.»Aber in einigen Monaten wird alles anders sein. Und in zwei oder drei Jahren sind Sie zwar noch keine Schönheit, aber keiner wird sich mehr abwenden.«

«Das sagen Sie nur, um mich zu trösten. «Die Augen Schwabes bettelten.»Belügen Sie mich nicht, Frau Doktor. Sagen Sie nur: Es wird nie wieder ein Gesicht. Sagen Sie mir alles. Einmal klappt es doch! Es gibt viele Möglichkeiten, sich umzubringen.«

«Dann werden wir Sie ab heute ans Bett fesseln, Schwabe! Seien Sie doch kein Schlappschwanz!«Der Militärton, den sich Lisa seit zwei Jahren angewöhnt hatte und der ihr den Ruf einer >männlichen Venus< eingebracht hatte, sprach Schwabe eher an als die tastende, milde weibliche Art. Sie sah es an seinen Augen.»Warum sollte ich Sie belügen? Natürlich wird es lang dauern! Und ein bißchen anders werden Sie immer aussehen als vorher. Es ist einfacher, einen Arm oder ein Bein zu amputieren und dann eine Prothese anzupassen, als eine Nase neu zu formen oder weggerissene Wangen zu ersetzen. Und wenn Sie wüßten, welche Arbeit es ist, Lippenrot neu zu erzeugen, würden Sie weniger dämlich daherreden. Aber das alles werden wir mit Ihnen machen, Professor Rusch und ich.«

Erich Schwabe starrte an die Decke des Zimmers.»Ursula wird sich nie damit abfinden«, sagte er kaum hörbar.

«Sie wird!«

«Ich könnte keinen Menschen lieben, der. der. so aussieht wie ich… wie ein Ungeheuer… wie ein… ein.«

«Sie sind keine Frau, Schwabe. Wie können Sie empfinden, was in einer Frau vorgeht?«

«Ursula liebt so sehr alles Schöne. und nun komme ich und.«

«Sie sind doch der geblieben, der Sie waren.«

«Nein!«schrie Schwabe.»Nein! Ich habe mich doch selbst gesehen. Ich habe mich doch vor mir selbst geekelt! Ich bin vor mir erschrocken! Vor Angst und Grauen vor meiner entsetzlichen Fratze habe ich geschrien.«

«Und in einem Jahr werden Sie vor einem großen Spiegel stehen, sich ansehen und sich selbst ohrfeigen können, wenn Sie an das denken, was Sie jetzt getan und gesagt haben.«

«Das sind alles nur Worte, Frau Doktor!«Schwabe wandte seinen Kopf ab.»Ich werde Mutter sagen, daß ich nie wieder zurückkomme nach Köln. Ich bin doch gar nicht mehr der Erich Schwabe.«

«Auch darüber werden wir uns noch unterhalten. «Lisa Mainetti zog eine 2-ccm-Spritze auf. Es war eine wasserhelle Flüssigkeit, die sie in den Glaskolben saugte. Scopolamin hydrochloric.»Wir werden jetzt erst einmal ganz ruhig sein und warten, bis die Sonne wieder scheint. Auch daran sollten Sie einmal denken, Schwabe: Es scheint immer wieder die Sonne. So, und jetzt zeigen Sie mir mal Ihre linke Hinterbacke.«

Später schlief Erich Schwabe wieder, mit gefalteten Händen, als läge er aufgebahrt. Er hörte nicht die Rückkehr seiner Stubenkameraden und die Kommentare zum Kinoausflug.

«Det war'n Ding«, sagte der Berliner und setzte sich auf sein Bett.»Habt ihr die Kleene jesehn, auf der Hauptstraße? 'ne Wolke, wat?«

«Elemisch könnt' ma werdn!«schnaufte Wastl Feininger.

«Es heißt elegisch«, verbesserte der Stubenälteste Adam.

«Scheiß drauf!«schrie Feininger und zog seine Hose aus.»Jetzt allein ins Bett. is a Straf aus 'm Fegefeuer.«

«Halt 's Maul! Der Erich.«

Wie auf ein Kommando sahen sie zur Ecke zum Bett Schwabes. Dort rührte sich nichts. Adam ging zu ihm hin und zog die etwas verrutschte Decke hinauf bis zum Kinn.

«Einer von uns muß abwechselnd Wache halten«, sagte er, als die anderen in den Betten lagen und Feininger dumpf brummte:»Ich verlang' morgen mehr Soda ins Fressen. «Fritz Adam winkte energisch ab.»Der springt uns aus dem Fenster, wenn er wach wird.«

Sie waren gerade dabei, die Wachen auszulosen, als Schwester Dora Graff ins Zimmer kam. Sie hatte vier Stunden geschlafen und von dem dicken Verwaltungs-Oberstabsarzt eine Sonderzuteilung erhalten: Ein viertel Pfund Gehacktes, zwei Bouillonwürfel für eine Suppe und ein Klümpchen Butter. Das wichtigste aber waren Kaffeebohnen. Eine kleine Tasse voll. Sie rochen schon etwas muffig, aber sie gaben noch eine Kanne guten Kaffee ab, deren Duft sogar die Ordensschwestern anlockte.

«Ins Bett, marsch!«sagte Dora Graff und zog sich einen Stuhl neben das Bett Schwabes.»Und das Licht aus!«

«Jawoll, Püppchen!«sagte Feininger und schnaufte wieder.»Wenn i heut nacht seufz', denk' i an di.«

Der Berliner knipste das Licht aus. Auf nackten Sohlen tappte er zurück zu seinem Bett.

«Wenn Se schlafen wollen, Schwester, ick hab' noch Platz im Bett.«

Dora Graff lächelte vor sich hin. Sie legte eine Taschenlampe auf den Nachttisch und stellte den Strahl so, daß er von der Wand reflektiert wurde. In diesem schwachen Licht las sie einen Roman und warf ab und zu einen Blick auf Schwabe.

In der anderen Ecke begann Feininger laut zu schnarchen. Auch die ruhigen Atemzüge der anderen verrieten, daß sie schliefen. Nur Adam lag noch wach und sah aus seiner schützenden Dunkelheit hinüber zu Dora Graff. Ihr blondes Haar, das unter der kleinen, weißen Schwesternhaube hervorsah, leuchtete wie ein Goldreif im schwachen Schein der Taschenlampe. Das schöne, runde Gesicht hatte die junge Schwester im Widerschein der Lampe tief über die Buchseiten geneigt, um in der kargen Beleuchtung lesen zu können.

Wie das Gemälde eines alten Meisters, sinnierte Adam. Er nagte an der Unterlippe und dachte an eine Wohnung in Braunschweig. Ein großes Haus in einem Park. Ein schlankes, weißblondes Mädchen mit großen Augen und einem verführerischen Mund. Tochter des Fabrikanten Wollenz, dreiundzwanzig Jahre alt und verheiratet mit dem Medizinstudenten Fritz Adam aus Heidelberg. Vor einem Jahr war es gewesen. Ganz plötzlich, in einem Urlaub bei seinem Onkel. Eine Kriegstrauung, ein paar verliebte Nächte, ein seliger Traum vom Glück, und schon der Abschied. Und dann hinter Minsk eine Granate mitten in den Hauptverbandsplatz. Neununddreißig Tote und siebenundzwanzig Verletzte, darunter der Medizinstudent Fritz Adam, dem ein glühender Granatsplitter das Ohr, die Wange und die Nase wegrasiert hatte.

Seitdem hatte er Irene Adam, geborene Wollenz, nicht wiedergesehen. Sie wußte gar nicht, daß er auf Schloß Bernegg lag. Er hatte nicht mehr geschrieben. Ihre Briefe, die man ihm von der alten Feldpostnummerstelle nachschickte, zerriß er ungelesen und warf sie in das Klo. Er wollte nichts mehr wissen von dem Glück außerhalb der hohen Mauern Berneggs. Erst wollte er sein Gesicht wiederhaben. Welch ein Sinn lag darin, Irene nach Bernegg kommen zu lassen und ihr die Fratze des Krieges im zerstörten Gesicht ihres Mannes zu zeigen? Sie lebte in der elterlichen Villa und mußte glauben, er sei vermißt.

Fritz Adam sah hinüber auf den gesenkten Kopf Dora Graffs und die goldblonden Haare unter der weißen Haube. Wie nötig haben wir eine Frau, dachte er. Wie könnte sie uns hinweghelfen über die nach Antwort flehenden Fragen, über die seelischen Aufschreie, die uns innerlich zerreißen, über das Grauen der Unabwendbarkeit, in das man uns gestoßen hat. Wie herrlich wäre eine Frau.

Aber wir haben Angst.

Angst vor ihrem entsetzten Blick.

Angst vor ihrem Mitleid.

Angst vor ihrem versteckten Ekel.

Angst vor einer geheuchelten Liebe.

Fritz Adam drehte den Kopf zur Seite in das Kissen und schloß die Augen. Er wollte seine Schwäche nicht sichtbar werden lassen.

Er biß sich in die geballten Fäuste, und so schlief auch er endlich ein.

Das Telefon schrillte.

Lisa Mainetti schreckte hoch. Sie hatte sich nach einer anstrengenden Operation gerade hingelegt und schwebte in einem Zwischenstadium von Wachen und Träumen. Vier Stunden hatte sie neben Professor Rusch und Dr. Urban am >Schrägen< unter der heißen OP-Lampe gestanden. Professor Rusch hatte einen neuen Unterkiefer gebildet, und solange er operierte, kannte Lisa keine Müdigkeit, sondern nur die Faszination, die sie ergriff, wenn sie Ruschs Hände arbeiten und ein neues Gesicht formen sah. Erst nachher war es, als habe sie einen Keulenschlag gegen die Stirn erhalten. Sie war hinausgeschwankt, auf ihr Zimmer gegangen und hatte sich auf ihr Bett fallen lassen. Das Telefon schrillte wieder.

Sie hob den Hörer ab und meldete sich. Der Wachhabende an dem Hauptportal meldete sich. Es war ein Unteroffizier von der Ersatzkompanie.

«Hier sind zwei Frauen, die wollen ins Lazarett«, sagte er.»Sie sagen, sie seien hier angemeldet, und Sie wüßten Bescheid, Frau Doktor.«

«Ich habe keine zwei Frauen bestellt. «Lisa Mainetti setzte sich ärgerlich auf und knöpfte den Büstenhalter zu, den sie beim Hinlegen geöffnet hatte. Dabei klemmte sie den Telefonhörer zwischen Kinn und Halsbeuge.»Zu wem wollen die denn?«

Sie hörte den Wachunteroffizier mit jemandem sprechen, dann sagte er laut:

«Sie sagen, sie heißen Schwabe. Ein Erich Schwabe liege bei Ihnen.«

«Ich komme gleich. «Lisa sprang auf. Plötzlich war sie hellwach. Die bleierne Abgespanntheit wich von ihr.»Halten Sie die beiden Frauen auf der Wache fest, hören Sie, Unteroffizier? Lassen Sie sie nicht ins Lazarett! Und vor allem dürfen sie keinen Blick aus dem Fenster in den Garten werfen. Ich mache Ihnen die Hölle heiß, wenn irgend etwas falsch läuft!«

«Verstanden, jawoll!«rief der Unteroffizier zackig. Es war seit zwei Jahren bekannt, daß der beste Kommandoton im Lazarett von Dr. Lisa Mainetti stammte. Der Chefarzt konnte brüllen — das kannte man vom Kasernenhof und schluckte es wie lauwarme Suppe. Aber wenn die Frau Doktor brüllte, wurden die Knie weich. Man schämte sich, von einer Frau >zur Sau gemacht< zu werden.

Schnell zog sich Lisa an, ordnete ihre langen, schwarzen Haare und legte sogar einen Schimmer Lippenrot auf. Wieso zwei Frauen? dachte sie. Ist die kleine Frau Ursula doch mitgekommen? Noch bevor Lisa sie gesehen hatte, empfand sie großes Mitleid mit ihr. Sie durfte ihren Mann nicht sehen.»Ich renne mit dem Kopf gegen die Wand, wenn Sie zulassen, daß meine Frau mich sieht!«hatte Schwabe noch gestern gesagt.»So schnell, wie ich an der Wand bin, können Sie gar nicht zufassen!«

Und Lisa Mainetti hatte ihm in die Hand versprochen, nur die Mutter zu ihm zu lassen, und auch erst, nachdem sie ihr alles erklärt hatte.

In der Hauptwache saßen Frau Hedwig Schwabe und ihre Schwiegertochter in einer Ecke, die von der fensterlosen Wand und zwei Spinden gebildet wurde. Davor stand, als bewachte er sie, der Unteroffizier und knallte die Hacken zusammen, als Dr. Mainetti in das Wachzimmer trat. Er hatte auf alle Fragen, die die beiden Frauen ihm gestellt hatten, keine Antwort gegeben, bis Frau Hedwig Schwabe sich resignierend hinsetzte und die Hand ihrer Schwiegertochter nahm.

«Nur ruhig, Ursel«, sagte sie, aber so laut, daß es alle in der Wachstube hörten.»Die Ärzte werden höflicher sein als dieser grobe Bursche.«

Nun war der Arzt da, sogar eine Ärztin, und Frau Schwabe sprang auf und rannte Lisa entgegen.

«Kann ich meinen Sohn sehen?«rief sie.»Erwartet er mich? Ich habe seine Frau doch mitgebracht, auch wenn er schrieb. Ist ja Dummheit, so etwas zu schreiben, nicht wahr, Frau Doktor? Ich bin seine Mutter, und was ich sehen darf, kann auch seine Frau sehen. Ursula ist ein tapferes Frauchen, dreimal hat sie sich aus dem verschütteten Keller herausgewühlt wie ein Maulwurf.«

Hier nützt kein Maulwurf etwas, dachte Lisa und sah hinüber zu Ursula Schwabe. Sie stand neben dem Spind, mit großen, fragenden, blauen Augen, in denen schon jetzt Angst und Entsetzen standen. Ihr voller Mund zuckte, und die blonden Haare waren zerwühlt, weil sie mit den Fingern nervös immer wieder durch die Strähnen fuhr.

«Wir haben ihm einen Kuchen mitgebracht. Aus der ganzen Nachbarschaft haben wir uns Brotmarken gebettelt und Mehl gekauft. Sogar Rosinen… die aß Erich so gerne. Und eine Wurst haben wir auch mitgebracht, eine Schmierwurst, die braucht er nicht zu kauen, wenn ihm das Kauen noch weh tut und… und.«

Der Redefluß Hedwig Schwabes versiegte. Fragend sah sie Lisa Mai-netti an, deren Stummheit ihr plötzlich nicht geheuer vorkam.

«Ihr Sohn erwartet Sie, Frau Schwabe«, sagte Lisa.»Aber nur Sie.«

Sie bemerkte, wie sich Ursulas Gesicht veränderte. Es wurde bleich, schmal und zuckte von der Stirn bis zum Kinn.»Nicht, daß er es nicht will, Frau Schwabe. Sie sind doch Frau Ursula Schwabe, nicht wahr.«

«Ja.«, hauchte Ursula. Und dann weinte sie und schlug die Hände vor das Gesicht.

«Wir wollen ganz ehrlich sein«, begann Lisa behutsam.»Ihr Mann schämt sich.«

«Schämt sich… vor mir?«Ursula senkte den Kopf.»Hat er denn kein Vertrauen mehr.«

Lisa sah auf die Uhr an der Längswand der Wachstube. Die Verwundeten hatten jetzt Stubendienst, weltanschaulich-politische Schulung durch einen NSFO oder Gymnastik. Es würde kein Gesichtsverletzter außerhalb des Hauses sein, mit Ausnahme der Gymna-stikgruppe, die weit hinten im Park, hinter dem Block C, auf einem Fußballplatz Freiübungen machte.

«Sie bleiben länger hier?«fragte sie.

«Wir wollten morgen wieder fahren. «Frau Hedwig Schwabe umklammerte ihre Einkaufstasche, in der der Rosinenkuchen und die Schmierwurst lagen. Und ein Paar selbstgestrickte Handschuhe, weil es doch jetzt so kalt wurde.»In Köln ist fast jede Nacht Fliegeralarm. Und wir wollen unsere Keller nicht so ohne Aufsicht lassen, wissen Sie, Frau Doktor. Wir haben ja nicht mehr viel gerettet, aber das Wenige soll uns jetzt nicht auch noch gestohlen werden. Auch wenn's auf Plünderung die Todesstrafe gibt… es kommt doch immer wieder vor, und die wenigsten erwischen sie dann.«

«Ich würde Ihnen empfehlen, trotzdem noch einen Tag länger zu bleiben. «Lisa Mainetti nahm die schlaffen Hände Ursulas. Sie waren kalt wie Totenfinger.»Ich glaube zu wissen, daß Sie ihn auch sehen können, wenn er erst einmal mit seiner Mutter gesprochen hat. Er hat eben Angst, Frau Schwabe. Sein Gesicht ist nicht mehr so wie früher.«

«Ich werde ihm den Kopf zurechtsetzen! Wegen so ein paar Narben!«

Frau Hedwig Schwabe nickte ihrer Schwiegertochter ermunternd und beruhigend zu.»Natürlich bleiben wir noch einen Tag. Morgen wirst du mit Erich sprechen! Laß mich das nur machen. Ich habe ihm immer alles sagen können, mehr als sein Vater. «Sie wandte sich wieder an Lisa Mainetti, ganz Mutter und sich dessen bewußt, daß nur sie imstande war, ihren Sohn ins Leben zurückzuführen.»Er wird doch Weihnachten nach Hause kommen können, nicht wahr, Frau Doktor? Er braucht doch nicht mehr im Bett zu liegen.«

«Nein. im Bett zu liegen braucht er nicht mehr.«

«Siehst du, Ursel. Weihnachten ist er bei uns. Mein Gott, dann müssen wir ja sehen, wo wir das Mehl und die Zutaten für einen Stollen herkriegen. «Frau Schwabe hob den Zeigefinger wie auf dem Katheder der Lehrer.»Mein Stollen ist berühmt. Ein altes Dresdener Rezept.«

«Gehen wir?«Lisa Mainetti drückte Ursula die Hände.»Nicht den Kopf hängen lassen, kleine Frau. Morgen ist alles anders. Haben Sie so lange gewartet, wird's auch noch einen Tag länger gehen. Ich verspreche Ihnen, daß alles gut wird. Glauben Sie mir.«

Ursula sah zu Lisa auf. Ihr Gesicht war naß von Tränen.

«Ich glaube Ihnen, Frau Doktor«, sagte sie kläglich.»Ich habe Vertrauen zu Ihnen. bestimmt. Und. und. grüßen Sie Erich von mir.«

Sie warf sich herum, drückte das Gesicht gegen die Wand und weinte laut in die vor den Mund gepreßten Hände.

Wie vorausgesehen, war niemand von den Gesichtsverletzten vor dem Block B. Ohne Schwierigkeiten erreichten sie das Gebäude, kamen in das Zimmer Lisas, und Frau Schwabe stellte ihre Tasche mit dem Rosinenkuchen und der Schmierwurst auf das Bett. Lisa rief ihre Station an und ließ sich Schwester Dora Graff geben.

«Bitte, bringen Sie Erich Schwabe in mein Zimmer. Ja, seine Mutter ist da. Sagen wir… in zehn Minuten.«

«So lange noch?«sagte Frau Schwabe.

«Ich muß Ihnen erst etwas sagen, bevor Sie Ihren Sohn sehen.«

Lisa setzte sich der alten Frau gegenüber auf einen der harten Stühle und atmete ein paarmal tief, ehe sie weitersprach.»Sie haben sich sicherlich Gedanken gemacht, warum Ihr Sohn nur Sie und nicht seine Frau sehen will. Das ist keine Laune oder Dummheit oder falsche Scham — ich sagte es vorhin nur, um die kleine Frau zu beruhigen —, sondern es ist verzweifelter Selbstschutz vor der Erkenntnis: Du bist kein Mensch mehr.«

«Er.er ist kein… Mensch mehr.?«Frau Schwabe faltete die Hände in ihrem Schoß. Ihr gütiges Gesicht wurde fahl, der sonst so redefreudige Mund klappte zu.

«Sie werden in wenigen Minuten Ihren Sohn Erich sehen. Bitte, glauben Sie mir. «Lisa schluckte krampfhaft, ehe sie weitersprach,». es ist wirklich Ihr Sohn. auch wenn Sie ihn nicht erkennen sollten. Vielleicht an den Augen, an den Händen, am Gang. eine Mutter erkennt an winzigen Kleinigkeiten ihren Sohn. Bitte, seien Sie so tapfer wie nie in Ihrem ganzen Leben… erkennen Sie ihn ohne Zögern, gehen Sie auf ihn zu, umarmen Sie ihn, küssen Sie ihn… drük-ken Sie ihn an sich und sagen Sie ihm die größte Lüge Ihres Lebens: Du hast dich kaum verändert, mein Junge. Wenn Sie das können, Frau Schwabe, hilft es mehr als zwanzig Operationen.«

«Ist. ist es denn so schlimm. Frau Doktor.«, stammelte Frau Schwabe.»Er schrieb doch, nur ein paar Narben.«

«Um Sie zu beruhigen, schrieb er das. Es sind nicht nur ein paar Narben.«

«Hat. hat er keine Nase mehr.«

«Nein.«

«Und. und die Ohren.«

«Ein Ohr fehlt. Das linke.«

«Und. was sonst. «Frau Schwabes Augen flimmerten. Lautlos rannen aus ihnen dicke Tränen und rollten über das bleiche, runzelige Gesicht.»Die Augen hat er noch. nicht wahr.«

«Ja. «Lisa Mainetti sah auf ihre Hände. Es mußte gesagt werden, es gab keine andere Wahl.»Sie sind das, was ihm geblieben ist. Alles andere ist. anders. wird neu. ist im neuen Werden. eine Wiedergeburt des Gesichts.«

«Er. er hat überhaupt kein Gesicht mehr.«, stammelte Frau Schwabe.

Sie sprach aus, was sich Lisa scheute zu sagen. Stumm nickte sie und vermied es, die Mutter anzusehen. Hochaufgerichtet saß Frau Schwabe auf dem Bett. Sie hob den Arm und wischte sich mit dem Ärmel ihres Mantels über das Gesicht und die Augen. Nun, da sie wußte, was aus Erich geworden war, wurde sie merkwürdig ruhig und gefaßt.

«Ich möchte ihn sehen, so, wie er ist, Frau Doktor«, sagte sie.»Und Sie brauchen mir nicht zu sagen, daß ich ihn in den Arm nehmen soll. Er ist doch immer noch mein Sohn, mein kleiner Erich.«

Es klopfte an der Tür. Lisa fuhr auf, Frau Schwabe erhob sich langsam.

«Keine Angst«, sagte sie, als sie sah, wie Lisa zögerte,»Herein!«zu rufen.»Ich bin stark genug. Ich habe schon verkohlte Leichen aus den Trümmern gezogen.«

Lisa Mainetti ging an die Tür und öffnete sie einen Spalt. Draußen auf dem Gang standen Schwester Dora Graff und Erich Schwabe. Man hatte sein Gesicht, so gut es ging, >hergerichtet<. Mullpacken und Leukoplast bedeckten die Gesichtsteile, die noch erneuert werden mußten, der nachgewachsene Rollappen zog sich wie eine fleischige Gurke am linken Wangenteil entlang. Die Nase war abgedeckt. Nur die schreckliche Mundhöhle mußte frei bleiben, dieses Loch ohne Lippen und Form, in der wie eine rote Schlange sich die Zunge bewegte. Die Augen Schwabes sahen Lisa Mainetti starr an. Panische Angst schrie aus ihnen. Sie nickte ihm aufmunternd zu und öffnete die Tür ganz. Hinter ihr stand hochaufgerichtet Frau Schwabe, mit vorgestreckten Händen, bereit, den Sohn zu umarmen.

«Kommen Sie«, sagte Lisa mit bewußt harter Stimme.

Sie trat zur Seite, ließ Erich Schwabe in das Zimmer und schloß schnell hinter ihm die Tür.

«Bleiben Sie immer in der Nähe«, wies sie draußen Dora Graff an.»Und wenn Frau Schwabe gehen will, rufen Sie mich. Ich bin beim Chef.«

Sie lauschte zur Tür hin, aber im Zimmer war alles still, als sei niemand im Raum.

Erich Schwabe stand an der Tür und drückte die Handflächen hinter sich an das lackierte Holz.

Frau Schwabe starrte ihren Sohn an, und sie dachte an die Worte Lisa Mainettis: Nur an den Augen werden Sie ihn erkennen… aber bitte, bitte zeigen Sie es ihm nicht.

Als ihr Sohn hereingekommen war, hatte sein Anblick ihr Herz wie mit einem glühenden Messer durchschnitten. Es war ihr, als müsse sie umfallen und sterben vor Entsetzen. Wie ein rasender Film jagten die vergangenen Jahre an ihr vorbei. die Geburt, das kleine, schreiende Bündel im Körbchen, der tapsige, weißblonde Zwerg, der die ersten Schritte versucht, der goldgelockte, fröhliche Junge, der am Aachener Weiher im Sandkasten spielte, der Schulanfänger mit der großen Schultüte im Arm, der Kommunikant im blauen Anzug, der lustige Lehrling in der Glaserei, der verliebte, plötzlich in Geheimnissen lebende Jüngling, der glückliche, strahlende Bräutigam, der siebenmal verwundete Soldat… und immer war ein Lachen in seinem Gesicht, war Lebensfreude in seinen Augen gewesen, war er wie ein Spiegel der Jugend, bei dessen Anblick man selbst fröhlich sein mußte.

«Mein Junge.«, sagte Frau Schwabe. Ihre Stimme war ein wenig zittrig, aber voll mütterlicher Wärme und tiefsten Glücks.»Mein lieber. lieber Junge.«

Sie breitete die Arme aus und rannte auf ihn zu. Auch Erich Schwabe warf die Arme nach vorn und stürzte auf sie zu.

«Mutter!«schrie er auf.»Mutter. o Mutter.«

Sie umklammerten sich, als wollten sie gemeinsam ertrinken, sie sahen sich an, und die gräßlichen Verstümmelungen schmolzen in den Augen der Mutter, und sie sah ihn so, wie er immer gewesen war. ein großer, fröhlicher Junge.

Mit beiden Händen umfaßte sie seinen Kopf und küßte ihn auf die schreckliche Mundhöhle, sie streichelte über die Mullplacken und Leukoplaststreifen, über den Rollappen und die abgerissene Nase, und sie küßte ihn wieder und immer wieder und herzte ihn wie damals, als er noch ein Kind war.

«Wie gut du aussiehst.«, sagte sie weinend vor Glück. Es war keine barmherzige Lüge, es war ihr die vollste Wahrheit. Er lebte. er hatte seine Augen noch und seine Stimme, seine Arme und Beine. Mein Gott, ich danke dir, dachte sie ergriffen. Ihn wird der Krieg nicht mehr holen, nun bleibt er für immer bei mir. Wofür ich sechs Jahre lang täglich gebetet habe, nun ist es mir erfüllt worden. Ich habe ihn endlich wieder. für immer. für immer.

«Du. du erkennst mich noch, Mutter.«, stammelte Erich Schwabe. Er hatte die Hände seiner Mutter erfaßt und saß nun mit ihr auf dem Bett Lisas. Frau Schwabe bemühte sich, ihn zu verstehen.

Seine Worte kamen zischend, lallend und krächzend aus der Mundhöhle.

«Du bist ein dummer Junge! Bist es immer gewesen. Man sollte dich jetzt noch übers Knie legen. Warum sollte ich dich nicht erkennen?«

«Mein Gesicht, Mutter.«

«Na und? Es bleibt doch nicht so! Ich habe ausführlich mit der Frau Doktor gesprochen. Es wird alles wieder in schönste Ordnung kommen.«

Erich Schwabe legte den Kopf an die Schulter seiner Mutter. Schluchzen schüttelte seinen Körper. Sie legte den Arm um ihn und drückte ihn an sich, wie sie ihn hundertmal getröstet hatte, wenn er als Kind ein für ihn unüberwindbares Leid nach Hause gebracht hatte.

«Sag es mir ehrlich, Mutter, ganz ehrlich, bitte, bitte… glaubst auch du, daß alles wieder gut wird? Kann man ein solches Gesicht wieder herstellen? Gibt es wirklich einen Funken Hoffnung für mich.«

«Wenn du nicht so groß wärst, bekämst du jetzt eine Ohrfeige!«

Frau Schwabe starrte gegen die Wand vor sich.

«Und. und was wird Ursula sagen.«

«Sie läßt dich grüßen.«

Schwabe zuckte hoch.»Sie weiß, daß du bei mir bist?«

«Glaubst du, ich belüge deine Frau? Natürlich habe ich es ihr gesagt.«

«Und. wie hat sie es aufgenommen? Ich meine. hat sie nicht.«

«Sie hat geweint. Natürlich! Nicht, daß du verwundet bist, daran haben wir uns schon bei deinen sieben anderen Verwundungen gewöhnt. Aber daß du geschrieben hast, sie solle nicht mitkommen. das war nicht schön von dir, Erich.«

«Ich dachte, Mutter… mein Gesicht… wenn sie es sieht… ich habe solche Angst, daß sie. «Er senkte den Kopf und krampfte die Finger ineinander.»Warum hast du ihr den Brief gezeigt, Mutter?«

«Weil es sich so gehört, mein Junge. «Frau Schwabe schob mit den Füßen die Tasche unter das Bett, ohne daß Erich es merkte. Ein Rosinenkuchen und eine Schmierwurst… wie sinnlos waren sie jetzt.

«Man kann nicht einfach alles aufstecken, nur weil man ein paar Narben im Gesicht hat.«

«Ein paar Narben.«, sagte Schwabe bitter.»Ich weiß jetzt, wie ich aussehe. Ich habe mich vorige Woche im Wasser gespiegelt. Ihr braucht mir nichts zu erzählen.«

«Welch ein dummer Junge!«Frau Schwabe schlug die Hände zusammen, wie sie es immer tat, wenn sie eine Situation zu klären begann.»Ein Haus kann noch so schön gebaut sein. es sieht erst nach etwas aus, wenn die Fassade verputzt ist. Das müßtest du als Glaser eigentlich wissen, Erich!«Sie nahm alle Kraft zusammen, hob den Kopf ihres Sohnes hoch und sah ihm in das weggerissene Gesicht.»Wenn du's so besser verstehst, du eitler Fratz: Die Frau Doktor ist dabei, dir eine neue Fassade zu geben! Verstanden?«

Erich Schwabe lächelte mühsam. Frau Schwabe erkannte es nur daran, daß sich die Seiten der Mundhöhle wie gequält etwas verzerrten.

«Ja, Mutter. - Ich bin so froh, daß du gekommen bist. Aber Ursula wird doch verstehen, daß ich sie noch nicht sehen will? Bitte, mach es ihr klar. nur ein paar Wochen noch.«

Frau Schwabe nickte. Die Stimme versagte ihr plötzlich. Es war das erste, was sie dachte, als sie Erich in der Tür stehen sah: Mein Gott, so darf ihn Ursel nie sehen! Nie! Sie kann ihn noch so sehr lieben. diesen Anblick wird sie nie vergessen. Er brennt sich in das Herz ein für immer.

«Ich werde es ihr klarmachen, mein Junge. auch wenn es nicht richtig ist«, fügte sie schnell hinzu, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, er sähe wirklich grauenhaft aus.»Vielleicht kannst du Weihnachten sogar nach Hause.«

Sie sagte es, obgleich sie sah, daß es unmöglich war. An seinem Blick erkannte sie, daß er es auch nicht glaubte, aber sich bemühte, sie in diesem Glauben zu lassen.

«Erzähl von zu Hause«, sagte er und faßte wieder die Hände der Mutter.»Erzähl mir von Köln. wie ihr lebt. erzähl mir von Ursel.«

Sie nickte. Er hat neuen Lebensmut, dachte sie glücklich. Ich habe ihn ihm gebracht. Und eigentlich ist alles so, wie es früher war in all den Jahren: Ein kleiner Junge liegt krank im Bett, und die Mutter hält seine Hände und erzählt ihm ein Märchen, bis er glücklich einschläft.

«Es geht uns eigentlich gut«, sagte Frau Schwabe und streichelte Erichs Hände.»Seitdem das Haus zerbombt ist und wir im Keller leben, fühlen wir uns sicher.«

Und sie erzählte und erzählte und sah an den Augen ihres Sohnes, wie tief sein Glück war und wie stark das neue Leben in ihm emporwuchs.

Ursula Schwabe saß noch immer in der Wachstube. Ab und zu blickte sie auf die Uhr an der Wand und preßte die feuchten Hände zusammen. Der Unteroffizier bedauerte sie im stillen und musterte verstohlen ihre Beine in den hellen Seidenstrümpfen. Ein gutgewachsenes Püppchen, dachte er. Alles dran, wovon der Landser träumen kann. Aber nur träumen… verdammt noch mal. Da sitzt sie nun, das Zuckerpersönchen, und weiß nicht, daß ihr Mann wie ein Wesen vom anderen Stern aussieht, 's schade um das Mädchen… und dabei ist's genau die Kragenweite, die man immerfort trösten könnte.

Nach einer Stunde stand Ursula Schwabe auf.»Muß ich hier immer sitzen bleiben?«fragte sie.

«Natürlich nicht!«Der Unteroffizier rückte seinen Uniformrock gerade.»Sie können es sich auch auf meinem Bett bequem machen.«

«Was Besseres fällt Ihnen nicht ein?«

«Das schon. Aber dazu kennen wir uns zu kurz. «Der Unteroffizier grinste breit. Ursula schob die Unterlippe vor und zuckte mit den Schultern.

«Dumm reden könnt ihr alle! Darf ich Spazierengehen?«

«Außerhalb des Lazarettes, natürlich! Aber warum wollen Sie denn gehen? Ich habe mich so an Ihren Anblick gewöhnt, daß ich sogar heute nacht davon träumen werde.«

«Eben darum. «Ursula Schwabe knöpfte ihren Mantel zu und band ein Kopftuch um die langen, blonden Haare.»Wenn meine Schwiegermutter zurückkommt, ich bin gleich wieder da. Ich gehe nur etwas an die frische Luft.«

Der Wachunteroffizier sah ihr durch das Fenster nach, wie sie schlank und hochbeinig durch das große Tor hinüber zu dem Wäldchen trippelte.

«Jetzt dienstfrei haben«, sagte er und leckte sich über die Lippen.»Kreuzdonnerwetter — das wär' 'ne Nahkampfspange wert.«

Ursula folgte dem Pfad entlang der großen Mauer, die Schloß und Park umgab und an die das Wäldchen grenzte. Es war ein schmaler Weg, der durch einen lichten Wald führte, durch verfilztes Unterholz und mit Farnen bestandene Schneisen. Alles sah verlassen und wie vergessen aus, so, als sei Ursula Schwabe seit langem wieder der erste Mensch, der über diesen schmalen Pfad an der Schloßmauer entlang ging.

Der Pfad führte bergan zu einem Hügel hinauf, von dem aus man einen schönen Blick über das Städtchen und auf einige ferne Weinhänge hatte, auf einen schmalen Fluß, der sich durch die Niederungen und um die Fachwerkhäuser schlängelte, und auf einen hohen Schornstein, der wie ein großer, roter Pfahl in den Himmel stach.

Ursula blieb stehen und schaute über das Land. Sie kam sich einsam wie nie vor, ausgestoßen und vergessen, in eine Welt hineingesetzt, in der sie umherirren würde, weggerissen von aller Liebe und aller Hoffnung, für die sie bisher gelebt hatte. Jetzt sprach Erich schon über eine Stunde mit seiner Mutter, und sie saß draußen wie ein abgestellter Schirm, so, als gehöre sie nicht mehr zu ihm. Es war ein Gefühl, das ihr Herz wie in einer Presse zusammendrückte. Vielleicht will er mich doch noch sehen, sagte sie sich in solchem Augenblick der inneren Qual und bereute, daß sie fortgegangen war. Mutter hat ja gesagt, daß sie ihn dazu bringen will, mich zu rufen.

Hinter sich hörte sie plötzlich Marschschritte und ein paar Kommandos.»Links — rechts, links — rechts. Himmel noch mal, habt ihr denn alles verlernt? Ihr wackelt daher wie eierlegende Enten! Auf

Vordermann achten.«

Sie drehte sich um. Von dem Hügel herunter konnte sie über die Schloßmauer in den Park sehen. Eine Gruppe Verwundeter kehrte vom Sportplatz zurück. Es war der Schlafsaal 1 von Block B, der zum Kaffeetrinken einrückte. Ein junger Leutnant marschierte vorweg. Es waren Gesichtsverletzte, die zehn und mehr Operationen hinter sich hatten und mit überpflanzten Hautlappen und Rundstiellappen aussahen wie eine buntgeflickte Schürze.

Ursula Schwabe kletterte vorsichtig den kleinen Hang hinab zur Mauer, bis sie hinter einem Busch stand, der sie vor den Blicken der Marschierenden verbarg. An einen dünnen Baumstamm geklammert, konnte sie eben noch über die Mauer schauen und den Weg sehen, über den die Kolonne der Gesichtsverletzten im Gleichschritt heranzog.

Der Marschtritt kam näher, sie hörte Lachen und merkwürdige, kehlige Laute.

Und dann sah Ursula sie… vierundzwanzig Gesichtsverletzte… ganz deutlich sah sie sie… auf sie zumarschieren, sie… eine geballte Masse gesichtsloser Wesen.

Ursula Schwabe riß den Mund auf und krallte die Nägel in den Stamm des Baumes. Mit beiden Armen umschlang sie ihn, und sie merkte nicht, wie die Haut über ihrer Stirn aufplatzte und das Blut über ihr Gesicht lief, als sie mit dem Kopf gegen die rauhe Rinde schlug.