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»Es ist gut, daß Sie so pünktlich sind, Hanum.« John Rolland stand am Tisch der Hotelterrasse. »Setzen Sie sich, Hanum«, er rückte den Stuhl zur Seite und war ungemein höflich und gesprächig. »Sie müssen wissen, Hanum, mit meinem Freunde Sam kann ich nur über die Dinge der äußeren Welt sprechen. Er ist stumm und taub in der Welt der Gefühle. Ich werde Sie sehr liebhaben, Hanum, ich habe einen unverschwendeten Vorrat an Liebe, denn ich glaube, daß ich bis jetzt niemanden geliebt habe.«
Asiadeh schwieg. Seltsam, daß dieser Mann sie Hanum nannte und einen unverbrauchten Vorrat an Liebe hatte.
»Wir müssen bald verreisen«, sprach Rolland, und in seinen trüben Augen zeigte sich so etwas wie Zärtlichkeit. »Ich habe heute eine Nachricht bekommen. Meine Firma bestellt bei mir einen Film ›Herrin der Wüste‹ oder etwas Ähnliches. Sie wünscht, daß ich die nötigen Eindrücke an Ort und Stelle sammle, und schickt mich zu diesem Zwecke nach Gamades in der Libyschen Wüste. Ich würde ungern allein dahinfahren. Fahren Sie mit. Wir werden zwei Monate in den Zelten schlafen, Kamelmilch trinken und das Leben der Nomaden führen. Das wird unsere Hochzeitsreise sein. Dann fahren wir nach New York. Dort bringen Sie den ersten Prinzen zur Welt. Dann übersiedeln wir nach Kalifornien in einen Bungalow. Wissen Sie, als das Reich zerbrach und die Welt ihre Formen verlor, glaubte ich, daß das Leben zu Ende sei. Ich weiß selbst nicht, wie ich nach Amerika kam. Dort hungerte ich. Wissen Sie — hungern ist sehr unangenehm. Aber ich merkte es kaum. Ich dachte, daß für mich gar kein Platz mehr in der Welt sei. Später hat Sam mich aufgelesen. Ich hörte auf zu hungern, aber mein Leben wurde nicht sinnreicher. Jetzt soll es anders werden.«
John sprach, von den eigenen Worten berauscht. Ja, Frauen waren lärmende Spielzeuge, viel wertloser als eine Flasche guten Whiskys. Ein Mann ohne Heimat hatte zu träumen, zu arbeiten, Kopfweh zu haben und an den Tod zu denken. Aber diese da — das war gar keine Frau, das war kein lärmendes Spielzeug — das war ein Geschenk der entschwundenen Heimat an den Prinzen Abdul-Kerim, ein plötzlicher Stützpunkt im Ozean des fremden Lebens. Die ersten Osmanen waren Nomaden, die ganz Asien durchwandert hatten, bevor sie sich entschlossen, seßhaft zu werden. Das war ihr Fehler. Ein Nomade hat keine Heimat. Das Zelt ist die Heimat des Nomaden. Wo er es aufschlägt — dort ist er zu Hause. Asiadeh sollte sein Zelt sein.
»Wir wollen in den nächsten Tagen abreisen, Hanum, geradenwegs nach Libyen.«
Asiadeh blickte weg. Libyen — dachte sie — schwarze Nomadenzelte. Und der erste Prinz soll in New York zur Welt kommen. Ich werde aber keinen Prinzen in New York zur Welt bringen. Sie zwang sich, Rolland ins Gesicht zu sehen. Sein hageres Antlitz erschien ihr wunderbar schön.
»Prinz«, sagte sie, »ich habe Ihnen aus Berlin geschrieben und Ihnen meine demütige Liebe angetragen. Sie haben mir geantwortet und mich für ewige Zeiten freigegeben. Ich habe einen anderen Mann gefunden, der mich braucht. Es ist unfair von Ihnen, fremde Häuser zu zerstören, nachdem Sie auf ein eigenes verzichtet haben. Ich kann Ihnen nicht folgen.«
Sie sprach leise und blickte ihm fest in die Augen. John errötete heftig. Seine Augen weiteten sich und glänzten.
»Ich schrieb Ihnen, aber ich kannte Sie nicht. Es ist nicht unfair, fremde Häuser zu zerstören. Alles Gegenwärtige ist aus den Trümmern des Vergangenen errichtet. Fatih Mohammed zerstörte Byzanz und errichtete Istanbul. Ohne die Trümmer von Byzanz gäbe es kein osmanisches Reich. Wer ist Ihr Mann? Ein Ungläubiger, der seinen Besitz nicht schätzen kann. Bestimmt nicht. Sie werden ihm immer fremd bleiben. Und ich, ich liebe Sie.«
So sprach Rolland und wußte nichts von der Nacht in den Alleen des Wiener Parks und später am Rande des Bettes neben Hassa, der Kognak trank und von Marion sprach.
Asiadeh lächelte schwach. Das Leben war wirklich beinahe zu schwer für eine Frau aus Istanbul.
»Ich bin nicht Ihre Untertanin«, sagte sie hart. »Sie haben mich in aller Form entlassen. Ich bin jetzt eine Österreicherin. Frau eines Österreichers und, so Gott hilft, Mutter von Österreichern. Es ist zu spät, Rolland. Krieger zerstören fremde Häuser, aber sie verlangen nicht die Beihilfe einer Frau. Auch ist mein Mann kein Ungläubiger. Er ist Meister über Leben und Tod und stammt aus einem frommen Geschlecht aus Sarajewo.«
Sie verstummte. Rollands Gesicht wurde plötzlich grau und verfallen. Seine Schläfen bedeckten sich mit Runzeln. Seine Augen wurden trüb, stolz und fremd. Asiadeh blickte ihn an, und das ganze Leben Rollands zog plötzlich an ihren Augen vorüber.
Ein Vertriebener war er, ein Armseliger. Ohne Halt trieb er in der Welt herum. Als Gefangener saß er einst im Palast am Bosporus, ohne Wissen um die Welt, die außerhalb des Palastes begann. Ein Nackter war er in der Fremde, ein Nackter, der vor ihr saß und um Kleidung bat. Die ganze Schwäche des alten Geschlechtes war in ihm. Sie sah ihn an, von plötzlichem Mitleid und Liebe ergriffen. Sie beugte sich vor und ergriff seine Hand:
»Abdul-Kerim, ich kann nicht, ich darf nicht. Begreifst du denn nicht? Vielleicht lieb ich dich, Abdul-Kerim, aber jetzt kann ich nicht.«
Er sah sie fragend und stumm an.
»Warte doch«, sie wußte nicht mehr, was sie sprach. Sie hielt seine Hand fest umklammert und fühlte sich von einer geheimnisvollen fremden Macht getrieben, »warte doch«, und wie von einer plötzlichen Vision gepackt, rief sie verzweifelt und leidenschaftlich: »Vielleicht wirft mich mein Mann hinaus. Dann komme ich zu dir, Abdul-Kerim. Ich kann keine Häuser zerstören.«
Jetzt lachte Rolland. Er zog seine Hand zurück und saß kerzengerade in seinem Sessel.
»Es ist herrlich, Hanum. Das heilige Haus Osman soll warten, bis ein ungläubiger Hund auf den Gedanken kommt, seine Frau hinauszuschmeißen. Sie lieben mich doch, Sie wollen doch zu mir. In Ihren Augen, an Ihren Händen, an Ihren Lippen lese ich die Zeichen der Liebe. Sie liebten mich, als Sie in Ihrem Boot an meinem Haus am Bosporus vorbeifuhren. Sie liebten mich, als Sie mir aus Berlin schrieben, und Sie lieben mich jetzt, während Sie vor mir sitzen. Liebe zu mir ist Ihre Pflicht. Aber Sie sind feige, Hanum, einfach feige, wie es keine Osmanin sein sollte.«
Asiadeh schwieg. Es gehörte viel Mut dazu, jetzt zu schweigen.
John erhob sich. »Ich bin Euer Sklave, Hanum«, sagte er nach dem höflichen Rhythmus der Istanbuler Paläste.
»Gehen Sie mit einem Lächeln, Prinz«, mechanisch formten Asiadehs Lippen den vorgeschriebenen Satz. Sie blieb sitzen, die Schulter hochgezogen, die Augen in die Ferne gerichtet.
Abdul-Kerim ging durch die Halle die Hoteltreppe hinauf. Schon auf der Treppe verwandelte er sich wieder in John Rolland, einen versoffenen Filmautor, der in Libyen Eindrücke für seinen nächsten Film sammeln muß.
Er betrat sein Zimmer. Sam Dooth saß im Sessel, neugierig zu Rolland emporblickend. Auf dem Nachttisch stand eine unberührte Whiskyflasche. John hatte gestern keinen Durst gehabt. Jetzt ging er zum Tisch. Er nahm ein Wasserglas, füllte es mit Whisky und leerte es auf einen Zug.
»Aha«, sagte Sam und wußte Bescheid.
»Ich bin ein Hund.« John füllte das Glas zum zweitenmal. »Meine Ahnen haben zwei Kontinente bezwungen, und ich kann nicht einmal eine Frau bezwingen.«
Er setzte sich auf den Bettrand. Das Glas zitterte in seiner Hand.
»Ich brauche keine Frau«, sagte er plötzlich. »Ich brauche keine Heimat. Ich brauche Whisky.«
Er trank, und Sam sagte wieder »Aha«. Dann trank auch er, in kleinen Schlucken und nicht aus einem Wasserglas. Jetzt mußte John ganz wahnsinnig werden, dachte er.
»Was liegt dir an der Frau«, sagte Sam. »Es gibt so viele. Ich werde dir in Afrika eine Sklavin besorgen. Fahren wir nach Libyen. Europa ist kein gesunder Boden für dich.«
John starrte in das Glas.
»Fahren wir nach Libyen«, sagte er trüb. »Was ein Säufer ist, braucht keine Frau und keine zwei Kontinente und keinen Palast am Bosporus.«
Er begann sich plötzlich auszukleiden.
»Ich gehe schlafen, Sam. Verschwinde! Drahte dem Pascha in Berlin, daß er seine Tochter schlecht erzogen hat.«
Sam erhob sich und schüttelte mißbilligend den Kopf. Es war nicht zu fassen, wie es den Ahnen von John hatte gelingen können, Byzanz zu erobern.
»Geh schlafen«, sagte er, »ich bin zwar für die Angelegenheiten des prinzlichen Harems nicht zuständig, aber ich werde die Sache in die Hand nehmen, denn ich bin ein guter Mensch, und ich verzeihe dir die Zerstörung von Byzanz. Das Ganze ist lächerlich. In drei Tagen bringe ich alles in Ordnung.«
Er ging, und John warf sich aufs Bett.
Sam Dooth verließ das Hotel. Er ging in das Kaffeehaus in der Nähe der Oper. Dort saß er längere Zeit und schlürfte türkischen Kaffee. Niemand, der ihn da ruhig sitzen gesehen hätte, konnte ahnen, daß er eine fieberhafte Tätigkeit entfaltete.
Sam Dooth war ein kluger Mann. Es war sein Ehrgeiz, John zu zeigen, daß sich ein Grieche dort bewährt, wo ein Osmane versagt. Nachlässig hielt er einen Zehnschillingschein in der Hand und blickte gelangweilt zu dem Ober empor, der sich vor ihm verbeugte. Er erfuhr das Alter, die Vergangenheit, die Gewohnheiten und den Freundeskreis Hassas. Daraufhin steckte er die Zehnschillingnote in die Tasche und entließ den Ober mit einem dankbaren Kopfnicken. Dann ging er zu dem Nebentisch, an dem der Chirurg Matthes mit dem Orthopäden Sachs über die Gegensätze zwischen der chirurgischen und orthopädischen Behandlung der Spreizfüße stritt, und stellte sich vor: »Sam Dooth, Filmagent aus New York.«
Die Arzte waren sichtlich geschmeichelt. Sam nahm an dem Tisch Platz. Überlegen lächelnd erzählte er von einer Gesellschaft, die medizinische Filme für Unterrichtszwecke herstellen wolle. »Ich bin nach Wien gekommen, weil wir den wissenschaftlichen Teil der Filme unter Aufsicht von Wiener Ärzten drehen wollen.«
Die Ärzte hörten interessiert zu und fühlten sich vom Wirbel der großen Welt ergriffen. Es war nicht festzustellen, wie das Gespräch von der Wissenschaft zu den Ärzten im allgemeinen überging, von da auf die Laryngologen kam und endlich beim Privatleben des Dr. Hassa endete.
Nach einer Stunde erhob sich Sam Dooth und dankte geflissentlich. »Wir werden uns wegen der Filme noch sprechen«, warf er hin.
Am nächsten Morgen ging er zur Telephonzelle und ließ sich mit Hassas Wohnung verbinden.
»Hier Maharadscha von Travenkor«, keuchte er in den Hörer, »ich habe schreckliches Ohrensausen. Wann kann ich den Doktor sprechen?«
»Der Herr Doktor ist im Spital und kommt erst in drei Stunden.«
Daraufhin hängte Sam den Hörer auf und ging in Hassas Wohnung. Er fand Asiadeh allein, zusammengekauert, in der Ecke des Salons.
Er verbeugte sich. Asiadeh hatte leicht geschwollene Lippen und blasse Wangen.
»Gott schütze dieses Haus«, sagte er zeremoniell.
»Ihr tut aber alles, um es zu zerstören!«
»Ich diene meinem Herrn«, sagte Sam ernst und mit Nachdruck. Seine Augen wurden groß und finster. »Viele Osmanen fanden ihr Ende durch die Hand eines Mörders, aber nur selten war der Mörder eine Frau.«
»Ich bin keine Mörderin«, Asiadeh sprang auf und lief im Zimmer auf und ab. Ihre Lippen zitterten. »Ich habe Sie nicht gerufen! Auch ich tue meine Pflicht. Ich bin die Frau meines Mannes.«
Sam blickte sie ruhig an und erklärte, daß Pflicht aus zwei Komponenten bestehe: Verantwortungsscheu und Phantasielosigkeit. Wenn die Türken treue Söldner der Araber geblieben wären, wie es ihnen ihre Pflicht gebot, hätten sie sich nie einen großen und gefürchteten Namen gemacht.
Asiadeh blieb mit offenem Munde im Zimmer stehen.
»Aber ich will mir gar keinen gefürchteten Namen machen. Lassen Sie mich doch in Ruhe!«
Sam lächelte wehmütig.
»Der Bruder, der Vater und der Großvater Abdul-Kerims endeten unter sehr traurigen Umständen. Er sucht eine Stütze, und Sie stürzen ihn in den Abgrund. Sie sind nicht besser als jene, die seine Ahnen in den Tod trieben.«
Asiadeh kauerte auf den hohen Kissen in der Mitte des Zimmers. Sie weinte lautlos und mit offenem Mund.
»Ich kann nicht«, sagte sie gequält. »Sehen Sie denn nicht, daß ich nicht kann.«
Sie wischte die Tränen ab und sagte mit plötzlicher Härte:
»Effendi, wenn eine Frau, die sich selbst einen Mann gewählt hat und ihm Treue geschworen hat, wenn also diese Frau grundlos ihren Mann verläßt und mit einem reichen Fremden durchgeht — wie nennt man dann diese Frau? Es gibt sehr schlechte Worte zur Bezeichnung solcher Frauen, Effendi. Das Gesetz sagt: im Diesseits sei solche Frau gesteinigt. Im Jenseits dem ewigen Verderben preisgegeben. Ein Mensch aus dem Geschlechte des Kalifen sollte Mitleid mit einer Frau haben und sie nicht ins Verderben stürzen.«
Sam sprang auf. Diese Türkin war verstockt.
»Hanum«, rief er, »Sie sind eine Heilige. Ich verbeuge mich vor Ihrer Gesinnung, und ich achte sie. Kein Wort mehr darüber. Aber auch ich habe eine Pflicht, und ich werde sie tun.«
Er ballte die Fäuste. Sein Gesicht wurde rot.
»Bleiben Sie hier, aber Sie müssen wissen, mit wem. Dr. Alexander Hassa, ein Mann, der sich seiner Ahnen schämt und sie verleugnet. Ein Mann, dessen Wissenschaft damit endet, daß er Sängern Kokain in den Hals gießt. Jeder Arzt in Wien lacht über ihn. Als Student hatte er eine Geliebte. Als sie ein Kind von ihm erwartete, ließ er sie stehen. Seine erste Frau verließ ihn, angewidert durch seine Einfalt und Verstocktheit. Für Jahre mußte er weg aus dieser Stadt, weil die Kinder mit dem Finger auf ihn zeigten. Wissen Sie überhaupt, wer sein Vater war? Ein balkanesischer Schieber, der sich am Blute seiner Brüder bereicherte. Und diesem Mann opfern Sie John Rolland. Wahrlich, Frauen sind keine Menschen. Sie haben nur die äußeren Umrisse eines menschlichen Wesens.«
Die Tränen schwanden aus Asiadehs Augen. Sie stand im Zimmer und lachte. Ihr Körper schüttelte sich und ihre Augen glänzten. Sie beugte den Kopf zur Seite und sagte mit gebrochener Stimme:
»Ja, und außerdem war er wegen Bankeinbruch eingekerkert. Er pflegt gewerbsmäßig Wechsel zu fälschen und wurde nur aus Mangel an Beweisen von einem dringenden Mordverdacht freigesprochen. So ist es, und nun nehmen Sie Ihren Hut und gehen Sie!«
Sie wandte sich um und verließ das Zimmer.
Wutentbrannt wackelte Sam über den Ring. Der Feldzug war noch lange nicht beendet. Er lief zum Telegraphenamt. Mit gerunzelter Stirn schrieb er ein langes Telegramm, in dem Koranzitate und Ermahnungen mit Bitten und Ratschlägen vermengt waren.
Unterdessen ging Asiadeh in die Stadt. Sie ging durch die Straßen, an den Geschäften und Kaffeehäusern vorbei.
Die Männer auf den Kaffeehausterrassen hatten Rollands Augen, und die Modepuppen in den Auslagen der Herrengeschäfte hatten prinzliche Gestalten und osmanische Nasen. Das Ringhotel glich einem bösen, auf der Lauer liegenden Tier, und sie machte einen großen Bogen darum.
Zu Hause wartete das Essen. Hassa löffelte die Suppe und sprach von Backhendeln und von einem Strudel, den nur seine Mutter zu bereiten verstand. Asiadeh hörte andächtig zu und berichtete von Baklava, einer türkischen Honigspeise, die zum Kaffee gereicht wird.
Nachmittags, als Hassa ordinierte, brachte ihr das Mädchen ein Telegramm:
»Über alles unterrichtet. Dienst am Herrscher oberstes Gebot. Achmed-Pascha.«
Asiadeh faltete das Telegramm. Auch das noch! Sie fühlte sich wie eine Festung, die dem Feuer der Schwerartillerie preisgegeben ist.
»Ich gehe spazieren«, sagte sie zu Hassa, und Hassa nickte. »Paß auf«, sie blieb in der Tür stehen, »was würdest du tun, wenn ich nie wieder zurückkäme?«
»Ich würde nie wieder lachen können.« Hassa blickte sie scheu an.
»Aber ich komme ganz sicher zurück. Bei uns in Istanbul mußte immer jemand eine Frau begleiten, damit sie auch richtig zurückkomme. Aber mich braucht man nicht zu bewachen, ich komme auch so zurück.«
Sie ging zum Telegraphenamt und sandte zwei gleichlautende Telegramme, an John Rolland und an Achmed-Pascha Anbari: »Kann nicht, Asiadeh.«
Dann schlenderte sie durch die Stadt. Auf der Terrasse des Kaffeehauses am Stephansplatz erblickte sie Marion. Sie wollte sich abwenden, aber es fiel ihr ein, daß sie selber nur um eine Haarbreite dasselbe getan hätte, weshalb sie Marion verachtete.
Sie hatte plötzlich Mitleid und Mitgefühl mit Marion. Sie nickte ihr lächelnd zu, und Marion erwiderte den Gruß erstaunt und etwas hoheitsvoll.
Sie ging nach Hause. Am Hotel vorbei. Sie blickte auf die graue Fassade. Oben packte Sam die Koffer.
»Wir fahren nach Rom, John. Die Weiber brachten deiner Familie stets nur Unheil. Von Rom fliegen wir hinüber nach Tripolis und dann zur Arbeit nach Gadames. Du mußt einen guten Film schreiben, sonst zahlt man uns kein Honorar.«
John nickte.
»Laß die Schreibmaschine draußen, Sam. Ich werde im Zuge mit der Arbeit beginnen. Was trinkt man in Italien? Ich war noch nie dort.«
Sam schloß die Koffer.
»Italien ist beinahe so schön wie Griechenland«, erklärte er gewichtig. »Man trinkt dort Wein. In Tripolis dagegen gibt es Dattelschnäpse. Sie sind sehr gut. Auf zur Arbeit, John.«
Sie verließen das Hotel.