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In den Nachmittagsstunden pflegte Frau Dr. Asiadeh Hassa das Kaffeehaus am Stephansplatz aufzusuchen. Dort traf sie Marion. Sie saß neben ihr mit kindlich gefalteten Händen und erzählte von ihrer glücklichen Ehe, von Hassas Praxis und von der Wohnung am Ring.
»Wissen Sie«, sagte sie, »ich könnte mir das Leben ohne Hassa gar nicht mehr vorstellen. Er ist ein so guter Mann.«
Ihre kindlichen Augen leuchteten von naivem Stolz. »Es ist seltsam«, sprach sie weiter, »dadurch, daß Sie auch mit Hassa verheiratet waren und das schöne Leben kennen, das ich jetzt führe, sind Sie mir näher als alle anderen Menschen in Wien.«
Marion hörte ihr geduldig zu. Asiadeh war ein kindliches Gemüt, das das Bedürfnis hatte, über sein Glück zu plappern und unerklärlicherweise zu ihr Vertrauen gefaßt hatte. Bis in den späten Nachmittag schwatzte Asiadeh über ihre Ehe. Dann ging sie, und Marion rauchte ihre Zigarette zu Ende und zahlte. Dann ging auch sie über den verschneiten Stephansplatz. Sie sah sich die Auslagen der Geschäfte am Graben an. Ihre stolzen Augen streiften gelangweilt und gleichgültig die Pestsäule, und sie bog in den Kohlmarkt ein.
Die Straße war von häßlichem Schmutz bedeckt. Hupende Autos glichen dressierten Elefanten mit emporgehobenen Rüsseln, und die halbkreisförmige Fassade der Hofburg starrte Marion mit abgeklärter Weisheit an. Einst fuhren durch die mächtigen Torbogen der Burg Kaiser und Könige ein. Durch die Fenster der Burg blickten auf den runden Platz Franz Joseph und Napoleon. In den großen Fensterscheiben spiegelten sich die goldbestickten Uniformen. Die Burgfassade hatte so viel gesehen, so viel miterlebt. Marions Schicksal schien ihr gleichgültig zu sein. Ablehnend und stolz starrte die Burg auf die Frau…
Marion ging durch die Herrengasse. Die Gasse glich einem langen gekrümmten Wurm. Links erhoben sich Regierungsgebäude und Museen, aber Marion wußte weder, wie sie hießen noch, was sie beherbergten. Rechts strahlten in abendlicher Beleuchtung die unendlichen Spiegelscheiben der Geschäfte. Der kalte Beton des Hochhauses hing über der Herrengasse wie über einem steilen Abgrund. Marion durchschritt die Marmorhalle des Hauses. Der Portier begrüßte sie mit vertraulicher Höflichkeit. Weich und lautlos bewegte sich der Fahrstuhl. Marion betrat ihre Wohnung. Sie sah die kühle Sachlichkeit des modernen Raumes. Das Zimmer mit dem Blick auf den betonierten Hof ließ an luxuriöse Zellen eines Gefängnisses für Millionäre denken.
Marions Gesicht war gar nicht mehr hochmütig. Mit böser hastiger Bewegung schob sie den Fenstervorhang zu. Der graue Gefängnishof verschwand. Sie machte das Licht an und starrte in den Spiegel. Sie war immer noch sehr schön mit ihrem schmalen länglichen Gesicht, ihren braunen Augen und der hohen glatten Stirn. Diesem Gesicht sah man weder die Scheidung von Hassa an, noch die Sache mit Fritz, noch alles andere, was nachher kam und woran sie lieber nicht dachte.
Marion ließ sich auf das Sofa nieder. Ihre kleinen weißen Zähne bohrten sich in die Unterlippe. Das Gesicht bekam einen leidenden Ausdruck. Das Zimmer mit den trostlos kühlen Möbeln glich einer Gruft. Marion wußte kaum noch, wie sie es bezogen und eingerichtet hatte. Ja, es war an einem jener Tage gewesen, an die sie lieber nicht dachte und an die sie immer wieder denken mußte…
Sie schüttelte den Kopf. Nein, ihr Leben war in Unordnung geraten, und es war offensichtlich nicht ihre Schuld. Hassa war ein anständiger und öder Mann mit kindlichem Charakter und primitiven Einfällen. Er liebte seine Frau, seine Wohnung und seine Kranken. Es war nicht auszuhalten…
Marion erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Plötzlich legte sie sich auf die Couch und starrte auf die heruntergelassenen Fensterläden. Sie liebte Fritz so, daß sie manchmal der jähe Wunsch ansprang, ihn zu erschießen. Alles an Fritz war bunt und lockend, voll rätselhafter Geheimnisse und Versprechen. Er hatte mehr Frauen als Hassa Patienten, und wenn er sprach, saß Marion mit geschlossenen Augen da, hörte nur den Tonfall, und Hassa verschwand für immer im Abgrund des Vergessens.
Marion zündete sich eine Zigarette an. Der englische Tabak schmeckte fad und süßlich.
Ja, und dann stellte sich heraus, daß Fritz in der Provinz eine Frau hatte, mit der er regelrecht verheiratet war und vor der er sich fürchtete. Es war ein herrlicher Sommer im Salzkammergut gewesen. In diesem einen Sommer gab ihr Fritz mehr als Hassa in den drei Ehejahren. Und dann… ja, dann kam ein kräftiges Weib mit krächzender Stimme und böser Papageiennase. Fritz duckte sich plötzlich. Alles Lockende und Rätselhafte war von ihm wie abgestreift. Ein dummer furchtsamer Ehebrecher stand vor Marion und hatte verlogene und verschämte Augen.
Marion sprang auf und warf die Zigarette weg. Wieder ging sie im Zimmer auf und ab und wußte nicht, daß auch Hassa einst in Berlin ebenso durch sein Zimmer gegangen war, bevor er ihre Photos in den Schreibtisch steckte. Vor dem Spiegel blieb Marion stehen. Sie war ganz allein, und es hatte keinen Sinn, stolz und überheblich zu sein.
Ihr Gesicht mißfiel ihr plötzlich. Eine Weile betrachtete sie es ganz genau. Dann führte sie ihren Zeigefinger an die Nasenspitze und stülpte die Nase in die Höhe. Das Gesicht bekam einen stolzen und gleichzeitig außerordentlich blöden Ausdruck. »Das hast du nun davon«, sagte Marion und freute sich, daß sie keine Stupsnase hatte. Es war eine bescheidene und ganz harmlose Freude. Dann ging sie wieder zum Sofa und setzte sich hin. Es war gut, daß sie ganz allein in der Wohnung saß und niemand sehen konnte, daß sie nur ein erschrockenes Mädchen war, das vom Leben beleidigt wurde.
Wieder fiel ihr Vergangenes ein: Fritz verschwand samt der Frau mit der bösen Papageiennase. Er hinterließ ein Paar Socken und die Erinnerung an einen schönen Sommer. »Ich werde dich nie vergessen«, sagte er zum Abschied, und Marion stand am Fenster mit kühlem und stolzem Gesicht und bedauerte, daß sie keine Wilde war und Fritz nicht erwürgen konnte.
So ging Fritz, aber der Sommer war noch nicht zu Ende. Heiter verregnet lag zu Füßen der Festung die Stadt Salzburg. Marion saß im Café Basar mit stolzem erstarrtem Gesicht und dachte an die Brücke, von der sie sich nie trauen würde, herunterzuspringen, obwohl sie es so gern getan hätte. Engländer in Kniehosen, erstaunlich gekleidete Amerikaner gingen vorbei. Der Ober des Kaffeehauses hatte die verhängten Augen eines Weisen, der alle Geheimnisse des Lebens meistern kann, und Marion dachte, daß es jetzt schön wäre, wenigstens Kokain zu schnupfen, um vergessen zu können. Aber Kokain verursacht Schnupfen, die Nase schwillt an und wird häßlich. Marion war nicht umsonst die Frau eines Laryngologen gewesen. Sie ließ die Finger vom Kokain.
Sie wußte kaum noch, wie die Männer hießen, die sie zum Mirabell-Garten begleiteten und später in Wien besuchten. Es war auch ganz gleichgültig. Die Männer hinterließen widerwärtige Erinnerungen, die vergessen werden mußten.
Marion zündete sich eine neue Zigarette an und warf sie sofort weg. Sie ging in die Küche und bereitete Kaffee. Sie trank ihn mit kleinen Schlucken in der Küche am Herd, stehend und mit einem sehr erschrockenen Gesicht. Sie fürchtete sich vor den Männern, die noch kommen könnten und widerwärtige Erinnerungen hinterlassen würden.
Draußen auf dem Korridor läutete das Telephon. Marion ging hinaus und hob den Hörer. »Hallo!?«
»Hallo, Marion, hier Asiadeh. Wir wollen mit Hassa Sonntag zum Tulbinger Kogel fahren. Dr. Sachs fährt mit. Es ist noch ein Platz im Wagen frei. Ich dachte, wenn Sie zufällig nichts Besseres vorhaben…«
Marion lächelte sehr überlegen. »Vielen Dank. Ich habe allerdings eine halbe Verabredung, aber ich werde sie vielleicht verschieben können. Ja, sehr gut. Am Sonntag um acht Uhr. Ihr holt mich ab.« Sie hängte den Hörer auf, ging zurück in die Küche, goß den Rest des Kaffees in eine kleine Mokkatasse und trug sie in das Wohnzimmer. Die kleine Türkin war ein ganz dummer Fratz. Es war gar nicht angenehm, immer wieder an die Jahre erinnert zu werden, die sie mit Alex verbracht hatte und die eigentlich ganz nette, wenn auch etwas langweilige Jahre waren. Dieses strahlende türkische Glück wäre beinahe eine Herausforderung, eine Verhöhnung, wenn das dumme Kind keine so harmlosen, traumverlorenen Augen hätte. Marion zuckte die Achseln. Hassa ging sie nichts an. Er stammte aus der Zeit, bevor ihre Seele auf dem Scheiterhaufen, der Fritz hieß, verbrannt war.
Auch Hassa wollte von Marion nichts hören. Unzufrieden stand er im Salon und brummte:
»Ich verstehe dich nicht, Asiadeh. Diese Freundschaft mit Marion! Marion interessiert mich nicht. Diese hochmütige Gans mit ihrem verpfuschten Leben. Es schickt sich nicht, daß ich mit meiner geschiedenen Frau zum Tulbinger Kogel fahre.«
»Aber ich werde doch dabei sein. Und Dr. Sachs auch.« Asiadehs Stimme klang aufrichtig verwundert. Sie rieb ihr Gesicht an Hassas Kragen, und ihre Augen blickten mit kindlicher Hingabe zu ihrem Mann empor. Sie hatte nicht umsonst besten Istanbuler Schliff. Jahrhundertealte Haremserfahrungen sprachen aus ihren Worten.
»Schau, Hassa. Marion ist so nett zu mir. Sie freut sich aufrichtig, daß wir so glücklich sind. Und dann, weißt du, ich habe ein so schlechtes Gewissen Marion gegenüber. Ich habe sie damals auf dem Semmering so schlecht behandelt. Und außerdem: ich habe dich, und sie hat gar nichts. Ich will ein bißchen nett zu ihr sein. Ich denke, vielleicht heiratet sie Dr. Sachs. Du weißt doch, wir Frauen sind geborene Kupplerinnen. Ich will Marion verheiraten. Dann sind wir sie ganz los.«
»Kein vernünftiger Mensch wird Marion heiraten«, sagte Hassa finster. Dann sah er Asiadehs große lächelnde Augen, spürte den leisen Duft ihrer blonden Haare, und sein Zorn legte sich. Es war eigentlich ganz gleichgültig, wer sich im vierten Sitz neben Dr. Sachs befinden würde. Es könnte auch Marion sein. Neben ihm würde auf alle Fälle Asiadeh sitzen.
»Gut«, sagte er gnädig, »meinetwegen soll Marion mitfahren. Verkupple sie mit Sachs, aber ich glaube nicht, daß es dir gelingen wird. Sachs ist doch kein Narr.«
Asiadeh schwieg. Es war ganz unwichtig, was Hassa dachte und wer ein Narr war. Einer Prinzessin aus Istanbul mußte alles gelingen, sogar ein Haus für einen verkommenen Prinzen zu errichten, der sich im Staube vor Allah wälzte und Rolland hieß.
Am Sonntag um acht Uhr stand Hassas Wagen vor Marions Tür. Marion erschien mit einiger Verspätung. Sie lächelte hochmütig, schloß den Kragen fest um ihren Hals und nahm neben Dr. Sachs Platz.
Am Tage darauf saß Dr. Sachs im Kaffeehaus am Ring. Die Stammtischrunde war vollzählig vertreten. Schimärenhaft wogten die Köpfe der Ärzte. Der Kaffee wurde kalt. Das Wasser wurde warm. Der Ober stand an eine Säule gelehnt und hörte zu. Dr. Sachs erstattete den Bericht:
»Es war zum Totlachen«, sagte er, »Hassa mit seinen beiden Frauen. Wir fuhren zum Tulbinger Kogel. Die kleine Türkin plapperte ununterbrochen. Es entspricht wohl der Tradition des Harems, daß ein Mann gleich mit mehreren Frauen ausfährt. Hassa war wahnsinnig verlegen und traute sich gar nicht, Marion anzuschauen. Ist ja verständlich nach all dem, was zwischen den beiden seinerzeit geschah. Wir speisten im Hotel, und Asiadeh blickte ihren Hassa mit verliebten Katzenaugen an. Einmal fragte sie Marion sogar, ob Hassa zu ihr auch so nett gewesen sei. Der armen Marion blieb das Essen in der Kehle stecken. Sagt, was ihr wollt, aber Marion ist eine Dame. Sie benahm sich herrlich unnahbar und dennoch zuvorkommend. Es wird ihr nicht leichtgefallen sein.«
Dr. Kurz leerte genießerisch seine Kaffeetasse.
»Diese Türkin ist natürlich eine Wilde«, sagte er, »den Asiaten erscheint es ja selbstverständlich, daß ein Mann mehrere Frauen hat. Asiadeh wird in ihrer asiatischen Denkart in Marion eine Art Berufskollegin erblicken, die mit ihr die Last des Mannes zu tragen hat. Ich halte Asiadeh für ziemlich kalt. Das ist alles.« Er lächelte weise.
»Unsinn«, lachte Halm, »die kleine Türkin ist einfach in ihren Hassa über beide Ohren verliebt und muß ihr Glück spazierenfahren. Am liebsten vor Marion. Damit die vor Neid vergeht! Eine etwas primitive Rache und Protzsucht. Sie weiß nicht, daß sie mit dem Feuer spielt. Marion ist hübsch, und eine Dummheit im Leben dürfte ihr genügt haben. Hassa hat sie ja sehr geliebt. Ich vermute sogar, daß er Asiadeh geheiratet hat, um unter anderem Marion zu zeigen, daß er auch ohne sie auskommen kann. Eine Art Kompensation des Inferioritätskomplexes.«
Die wiegenden Ärzteköpfe kamen einander ganz nahe. Das Gespräch bekam eine wissenschaftliche Note. Die Bezeichnungen der verschiedensten Komplexe schwirrten durch die Luft. Asiadeh, Hassa, Marion — drei nackte Seelen lagen zwischen den Kaffeetassen wie auf einem Seziertisch. Die Gesichter der Ärzte röteten sich. Es stand einwandfrei fest, daß Asiadeh an verspäteten Pubertätserscheinungen litt, während Hassa zum Mutterkomplex neigte.
Endlich hob der Chirurg Matthes den Finger und sagte mit der geradlinigen Primitivität seines Standes:
»Es ist einfach die Erbmasse! Hassa stammt doch von bosniakischen Mohammedanern ab. Das darf man nie vergessen.
Asiadeh weckt in ihm die verdrängten asiatischen Instinkte. Es wird mit einem Dreieck enden. Hassa wird sich wohl fühlen wie ein Pascha in seinem Harem. Asiadeh wird den asiatischen und Marion den europäischen Sektor seiner Denkart ausfüllen.«
»Unmöglich«, sagte Kurz, »Hassa hat gar keinen asiatischen Seelensektor. Ebenso wie Asiadeh keinen europäischen hat. Es wird so enden, daß diese Türkin Hassa aus dem Medikamentenkasten irgendeine ätzende Säure stehlen wird und sie Marion ins Gesicht schüttet. Man müßte Marion warnen.«
Kurz glaubte, Asiadeh sehr gut zu kennen.
Die Ärzte verstummten. Die Tür des Kaffeehauses öffnete sich, und Hassa trat ein. Müde nahm er am Tisch Platz.
»Was hast du, Hassa?«
Kurz’ Stimme war von aufrichtiger Teilnahme erfüllt.
»Ich habe nur zwei Hände«, stöhnte Hassa, »ich kann nicht gleichzeitig das Skalpell, den Spiegel und die Sonde halten.«
Die Kollegen sahen ihn erstaunt an. Hassa leerte seine Tasse und sagte verzweifelt:
»Die Friedl hat mich verlassen.«
»Wer?«
Abgrundtiefe Lasterhaftigkeit erstand vor den Augen der Kollegen.
»Die Friedl«, wiederholte Hassa düster, »kennt ihr die Friedl nicht? Meine Ordinationsschwester?«
»Aha«, sagten die Ärzte, innerlich ziemlich befriedigt. Kurz klopfte auf Hassas Knie:
»War Asiadeh eifersüchtig? So was kommt vor.«
»Unsinn, die Friedl ist lahm und über vierzig. Aber tüchtig. Ein Wink, und sie reicht mir das richtige Instrument. Ja, sogar ohne Wink. Sie weiß immer im voraus, was ich brauche. Eine Perle!«
Die Ärzte lachten.
»Warum hast du sie denn hinausgeekelt?«
»Ich habe sie gar nicht hinausgeekelt. Sie hat in Graz ein Haus geerbt, und jetzt ist sie weg. Asiadeh hat ihr kindlicherweise selbst gesagt, daß sie doch jetzt nicht mehr zu arbeiten brauche. Von selbst wäre sie gar nicht auf den Gedanken gekommen, zu privatisieren. Und ich bin wirklich wie ohne Hände. Ich bin ja schließlich kein Nervenarzt. Ich brauche eine Schwester, die auf mich eingestellt ist.«
Der Gynäkologe Halm nickte verständnisvoll.
»Eine gute Ordinationsschwester ist unersetzlich. Besonders bei leichten Rauschnarkosen. Eine neue Schwester ist wie eine neue Ehefrau. Die muß man sich genau anschauen.«
»Ich werde keine neue finden«, sagte Hassa trüb, »ich kenne mich. Ich bin ein Gewohnheitstier. Eine Schwester muß man sich erziehen, und dann geht sie einem durch wie Marion, oder erbt ein Haus wie Friedl.«
Er verstummte, traurig vor sich hin brütend.
»Am besten, man heiratet gleich die Schwester oder man macht seine Frau zur Schwester«, lachte Kurz, »dann ist man sicher.«
Hassa sah ihn böse an:
»Nervenärzte brauchen keine Schwester, sondern höchstens ein paar Zwangsjacken. Bei unsereinem ist das anders. Heute war mir Asiadeh behilflich, aber auf die Dauer geht es ja nicht.«
»Warum nicht?«
Die Ärzte hielten den Atem an.
»Aber ich bitte!« Hassas Stimme war ganz verärgert: »Wie stellt ihr euch das vor? Asiadeh ist doch eine zarte Frau. Sie kann doch keine Nebenhöhle aufmeißeln. Sie hat sich heute redlich bemüht, aber ich habe alle Operationen verschoben. Stellt euch vor, wenn die Schwester mitten in der Operation ohnmächtig wird. Sie hat sich ganz gut gehalten. Aber gegen Ende der Ordination kam ein Greis mit einer Rhinophyma. Ich gebe zu, daß das keine appetitliche Krankheit ist. Der armen Asiadeh wurde aber ganz übel, regelrecht übel.«
Er verstummte. Asiadeh tat ihm aufrichtig leid.
Um die gleiche Stunde stürzte Asiadeh ins Kaffeehaus am Stephansplatz.
»Marion«, sagte sie, und tiefer Ekel spiegelte sich in ihren grauen Augen, »gehört auch das zu den Pflichten einer Ehefrau?«
Marion blickte erstaunt auf. Asiadeh saß neben ihr und hatte ein ganz verzweifeltes Gesicht.
»Schon den Geruch halte ich nicht aus«, sagte sie, »und dann diese Kranken. Ich wurde fast ohnmächtig. Und morgen muß Hassa eine Rachenwucherung operieren. Was mach ich bloß, Marion? Es gibt doch genug Schwestern in Wien?«
Hastig sprudelte sie die Worte hervor. Sie erzählte von Friedl, die in Graz ein Haus geerbt hatte und ohne die Hassa nicht auskommen konnte. Sie erzählte von dem Greis mit der widerlichen Rhinophyma, und wie ihr übel wurde und wie Hassa sie verständnislos anstarrte.
»Und morgen will er operieren, Marion. Das ist zuviel für mich.«
Sie saß gebrochen im Stuhl und fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen. Marion lachte:
»Sie sind ein Luxusweibchen, Asiadeh. Eine Haremsblüte. Als ich heiratete, habe ich einen Kurs mitgemacht und wurde Hassas Ordinationsschwester. Ich glaube, ich war als Schwester besser denn als Frau. Nach der Scheidung hat Hassa geklagt, daß er keine Schwester finden wird. Tja… das mit der Rachenwucherung ist ganz einfach. Man muß nach jedem Strich dem Kranken den Kopf nach vorne beugen. Vorher müssen Sie den Beckmannischen Ringmesser mit dem Gottsteinischen Knick bereitstellen. Nachher reichen Sie Hassa den Politzer zum Ausblasen. Es ist ganz einfach. Verstehen Sie?«
»Nein«, sagte Asiadeh, »ich verstehe nichts.« Sie saß da, unbeholfen und verstimmt. »Ich bewundere Sie, Marion, was Sie alles können. Ich würde es mir nie merken können. Ich bin in der Tat ein Luxusweibchen.«
Marion sah sie etwas überlegen an und lächelte.
Asiadeh ging heim. Hassa saß im Wartezimmer und blätterte in alten Zeitschriften.
»Hassa, mach dir für morgen keine Sorgen«, Asiadeh sprach kleinlaut, »ich habe mich genau unterrichtet. Zuerst reiche ich dir einen Politzer und nachher einen Gottsteinischen Messer mit einem Beckmannischen Knick.«
»Ganz und gar falsch«, lachte Hassa, »genau umgekehrt. Aber ich habe bereits Vorsorge getroffen. Kurz schickt mir eine erfahrene Schwester. Er ist wirklich ein treuer Freund. Gehen wir abends ins Kino, Asiadeh? Du kannst ja nichts dafür, daß dir diese Arbeit nicht bekommt. Obwohl du dich damals, bei dem Derwisch, ganz gut gehalten hast.«
Hassa sprach verschämt und blickte zur Seite. Es tat ihm schrecklich leid, daß Asiadeh keine Rhinophyma sehen konnte und die Instrumente verwechselte.
»Ja, der Derwisch.« Einen Augenblick lang blitzten Asiadehs Augen auf. Hassa war wieder ein großer Zauberer, Herr über Leben und Tod, der den heiligen Mann gerettet hatte.
»Ja, der Derwisch«, wiederholte sie, und ihre Stimme wurde kalt, »bei dem Derwisch war es etwas anderes, Hassa. Der Derwisch war ein heiliger Mann, dem ich helfen mußte. Und hier sind es Greise mit ekelerregenden Geschwüren. Ich muß mich jetzt umziehen, Hassa.«
Hassa nickte traurig. Asiadeh ging ins Ankleidezimmer. Sie setzte sich auf einen niedrigen Hocker, und ihr Gesicht wurde starr. Müde fuhr sie mit der Hand über die Stirn. Es war schwer, ein Luxusweibchen zu sein, das unfähig ist, ihrem Manne zu helfen. Es war sehr schwer, Übelkeit aufsteigen zu lassen, anstatt dem Mann die richtigen Instrumente zu reichen und das Lächeln in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Sie seufzte. Marion mußte sie für eine Wahnsinnige halten. Aber es war gleichgültig. Das Ziel war vorgeschrieben.
Asiadeh warf den Kopf zurück und lächelte. Nein, Hassa durfte ihretwegen nicht traurig sein. Sie würde für alles sorgen.
Sie schloß die Augen und faltete die Hände. Ihre Lippen bewegten sich. Wenn Hassa jetzt ins Zimmer gekommen wäre, hätte er gesehen, daß sie betete.
Der nächste Tag kam. Traumverloren ging Asiadeh durch die Wohnung. Um halb zehn Uhr erschien die neue Schwester. Eine dicke Frau in weißer Haube. Hassa führte sie in das Ordinationsraum. Asiadeh schlich hinterher und hörte gespannt zu.
»Es ist eine Kleinigkeit«, sagte Hassa, »eine adenoide Vegetation bei einer jungen Dame. Ganz einfache Rauschnarkose. Später eine leichte Septumresektion, linksseitig, bei einer Schauspielerin. Mit Injektion. Sie kennen sich doch aus, Schwester?«
»Natürlich kenne ich mich aus, Herr Doktor«, sagte die Schwester mit tiefer Stimme.
Es wurde zehn Uhr. Die Patientin kam. Asiadeh blickte verstohlen ins Wartezimmer. Es war eine schlanke Blondine. Eine ältere Frau, wahrscheinlich ihre Mutter, begleitete sie.
»Es wird gar nicht weh tun«, hörte Asiadeh Hassas Stimme, »Sie werden schlafen.«
Die Kranke antwortete etwas. Ihre Stimme klang leise.
Asiadeh schlich sich in den Salon. Sie hörte Schritte im Ordinationsraum.
»Setzen Sie sich… so… Die Maske, Schwester! Zählen Sie: eins… zwei… drei… vier…«
Hassas Stimme wurde ganz leise. Jetzt klapperten die Instrumente. »Sie schläft«, sagte die Schwester. Asiadeh horchte. Sekunden verstrichen. Plötzlich ertönte ein würgender Schrei. Dann lautes Schluchzen.
Asiadeh zuckte zusammen. Hassa rückte den Stuhl weg. Das Schluchzen hörte nicht auf. Plötzlich kam Hassa in den Salon. Seine Augen waren ganz schräg.
»Schicke nach etwas Eis, Asiadeh. Die Kleine soll Eis schlukken. Sie wachte zu früh auf. Die Schwester gab zu wenig Narkose. Es ist ja kein Unglück, aber es gehört sich nicht.«
Asiadeh nickte. Sie lief selbst nach Eis und tröstete die schluchzende Kranke. Das Mädchen schluckte Eis. Sie war höchstens achtzehn Jahre alt und auf Schmerz nicht vorbereitet. Erschrocken blickte sie auf Asiadeh und ahnte nichts von dem traumhaften Reigen des Schicksals, mit dem auch sie geheimnisvoll verkettet war.
Die robuste Schwester brachte das Zimmer in Ordnung. In der Metallwanne kochten die Instrumente.
»Sie verstehen, Schwester, eine Septumresektion. Linksseitig. Sie müssen hämmern. Sie kennen sich doch aus?«
»Natürlich kenne ich mich aus, Herr Doktor.«
Es läutete. Asiadeh öffnete selbst. Die Schauspielerin war dunkelhaarig und trug einen Nerzmantel. Asiadeh führte sie ins Wartezimmer. Aus dem Ordinationsraum erklang unterdrücktes Flüstern. Offensichtlich war noch nicht alles bereitgestellt.
»Sie sind Frau Dr. Hassa?« hauchte die Schauspielerin. Ihre Hände zerfetzten eine alte Zeitschrift auf dem Tisch. »Ihr Mann soll mich in der Nase operieren. Nein, leider keine Polypen. Das wäre ja eine Kleinigkeit. Einer Freundin von mir hat Ihr Mann Polypen entfernt. Sie war sehr zufrieden. Sie hat nichts gespürt. Bei mir ist etwas mit dem Knochen nicht in Ordnung. Es stört beim Sprechen.«
Sie verstummte. Es war ein Viertel eins. Im Ordinationszimmer klang noch immer unterdrücktes Flüstern.
»Ich bin überzeugt, daß mein Mann es sehr gut machen wird«, sagte Asiadeh. Die Schauspielerin tat ihr leid.
»Hoffentlich«, sie blickte ängstlich vor sich hin, »warum dauert es so lange? Ihr Mann sagte Punkt zwölf. Ich habe gar keine Begleitperson mitgebracht. Ihr Mann sagte, es sei nicht nötig. Ich kann gleich nach Hause gehen.«
»Ja, natürlich«, nickte Asiadeh.
Die Tür ins Ordinationszimmer öffnete sich. Hassa erschien. Hinter ihm die Schwester. Asiadeh verspürte plötzlich heftige Gewissensbisse, als wenn sie für das Schicksal der Schauspielerin verantwortlich wäre. Sie zupfte leise an Hassas Arm.
»Hassa«, sagte sie, »die Schwester scheint nicht viel zu taugen. Darf ich dabei sein, Hassa? Vielleicht kann ich helfen. Ich werde bestimmt nicht ohnmächtig.«
Hassa nickte. Asiadeh streifte den weißen Kittel über. Die Schauspielerin saß im Operationssessel, den Kopf leicht nach hinten gebeugt. Ihre schmalen Nasenflügel zitterten. Hassa saß vor ihr. Das Licht des Reflektors fiel auf ihr Gesicht.
»Es wird doch nicht schlimm sein?« fragte sie.
»Nein, gar nicht«, sagte Hassa.
Er legte seine Hand auf ihre Stirn. Mit dem Daumen hob er ihre Nasenspitze in die Höhe. Die Schauspielerin hatte ein erschrockenes Gesicht. Asiadeh stand daneben. Sie sah, wie die Schwester die Injektionsnadel reichte und dachte an den Derwisch, der einst ebenso vor ihr saß und von Hassa gerettet wurde.
Hassa arbeitete schweigsam und still. Die Schauspielerin saß regungslos, mit bebenden Lippen.
»So«, sagte Hassa, »den Meißel, bitte.«
Die Schwester reichte den Meißel. Asiadehs Mund stand offen. In der Hand der Schwester blitzte ein kleiner Hammer auf.
»Jetzt«, sagte Hassa. Die Schwester schlug mit dem Hammer auf den Meißel.
»Au!« sagte die Kranke und rückte den Kopf zur Seite. In ihren Augen zeigte sich Schmerz.
Hassa hob den Kopf. Sein Gesicht wurde rot vor Ärger.
»Aber Schwester, was tun Sie denn, Sie haben gar nicht getroffen!«
Der Hammer schlug von neuem an.
»Au-au! Au!« Der Kopf der Schauspielerin war ganz nach hinten gerückt. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie ergriff Hassas Hand.
»Genug, Doktor«, flüsterte sie, »ich kann nicht mehr.«
Hassa biß die Zähne zusammen. Schweiß rann von seiner Stirn. »Schwester, Sie haben immer noch nicht getroffen.«
Er zischte. Asiadeh ergriff den Kopf der Kranken. Sie beugte sich zu ihr nieder.
»Es ist gleich vorbei«, flüsterte sie, »haben Sie nur etwas Geduld. Sitzen Sie ruhig.« Sie küßte rasch die Stirn der Frau. Dann stand sie hinter dem Stuhl. Ihre Hände umklammerten den fremden Kopf.
Endlich — beim drittenmal — fiel der Hammer auf den Meißel. Tränen flossen über das Gesicht der Kranken.
»Fertig, Gaze, Schwester.«
Hassa stand auf. Sein Gesicht war ganz rot. »Wie bei einem Dorfarzt«, dachte er verbittert. Die Schauspielerin weinte. Asiadeh saß neben ihr und trocknete die Tränen.
»Sie müssen eine Weile hierbleiben und sich erholen. Vielleicht im Salon.« Seine Stimme klang verlegen. Er reichte der Frau eine Pille. Asiadeh führte sie zum Diwan.
»Es war schauderhaft, Doktor«, flüsterte die Frau, »ist es wenigstens in Ordnung?«
»Ganz in Ordnung«, sagte Hassa und war erbost, daß jemand denken könnte, es wäre nicht in Ordnung.
Dann ging er in das Ordinationszimmer.
»Sie sollten Schwester bei einem Roßarzt werden«, sagte er, »aber dann würde der Tierschutzverein protestieren.«
Die dicke Frau packte beleidigt ihre Sachen.
»Sie haben zu vornehme Kundschaft, Herr Doktor. Das bißchen Schmerz wird man noch ertragen können.«
Sie ging, stolzerhobenen Hauptes.
Draußen im Salon schlief die Schauspielerin. Ihre geschlossenen Augen waren geschwollen.
Asiadeh schleppte Hassa ins Schlafzimmer.
»Herr und Gebieter«, sagte sie, »so geht es nicht weiter.« Ihr Gesicht war feierlich und sehr ernst. »Du wirst alle Kranken verlieren, wenn du keine ordentliche Schwester findest.«
»Ich werde schon eine finden«, brummte Hassa, »Wien ist groß. Es ist nur eine Frage der Zeit. Die guten Gehilfinnen sind alle beschäftigt. Ich werde vorläufig immer in der Klinik operieren.«
»Hassa«, sagte Asiadeh, und ihr Gesicht bekam einen ekstatischen Ausdruck, »du darfst nicht warten, und ich will nicht für die Leiden der Kranken verantwortlich sein. Nein, Hassa. Ich liebe dich zu sehr, und ich bringe dir jedes Opfer. Du mußt an die Kranken denken, die von dir Hilfe erwarten. Unsere persönlichen Gefühle dürfen dabei keine Rolle spielen.«
Sie stand vor ihm mit hochgehobenem Kopf und leidenschaftlichem Gesicht.
»Was meinst du denn, Kind?« Hassa sah sie verständnislos an.
»Hassa«, sagte Asiadeh, »ich rufe gleich Marion an. Du bist an die Arbeit mit ihr gewöhnt. Die arme Marion wird sich freuen, uns zu helfen. Es ist meine Pflicht, es zu tun. Unsere Ehe steht auf so festem Boden, daß wir uns vor Marion nicht zu fürchten brauchen.«
Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern lief zum Telephon, hob den Hörer und wählte Marions Nummer. Minuten später kam sie zurück. Ihr Gesicht war gerötet. Es war ihr etwas schwindelig.
»Sie kommt um vier Uhr, zur Nachmittagsordination. Sie sagt, daß sie gern wieder einen Teil ihrer ehemaligen Pflichten übernimmt.«
Sie verstummte, den Kopf leicht zur Seite geneigt und blickte demütig zu Hassa empor. Uraltes Asien sprach aus ihren Augen.
Hassa merkte es nicht. Er schritt zu ihr hin. Seine Hände umklammerten ihren Kopf. Er blickte in ihr zurückgeworfenes, gerötetes Gesicht und sagte fassungslos:
»Asiadeh, du bist beinahe eine Heilige.«
Asiadeh schwieg. Sie schämte sich sehr.
Marion kam um vier. Sie streifte den weißen Kittel über. Ihr schönes Gesicht war verwirrt.
»Alex«, sagte sie, »ich freue mich, dir behilflich zu sein. Für kurze Zeit natürlich. Bis du die Richtige gefunden hast. Du wirst sehen, ich habe noch nichts vergessen.« Sie ging durch die Wohnung und blieb in der Tür des Ordinationszimmers stehen, sie wunderte sich sehr, daß sie Herzklopfen hatte.
Es dämmerte, als Asiadeh tänzelnden Schrittes und ganz allein im Kaffeehaus erschien. Ihre Lippen war gespitzt, und sie surrte ein türkisches Lied. Dr. Kurz kam ihr entgegen.
»Ich hoffe, daß Ihr Mann mit meiner Empfehlung zufrieden war.«
»Er hat die Person bereits hinausgeschmissen. Ich habe für ihn etwas Besseres gefunden.« Sie schwieg eine Weile und blickte Kurz mit spöttischem Lächeln an: »Marion hilft ihm aus, bis er das Richtige gefunden hat.«
Lächelnd ging sie weiter und nahm allein an einem Fenstersitz Platz. Kurz kehrte zum Ärztetisch zurück. Sie sah, wie die Köpfe der Ärzte, gleich wogenden Ähren, sich zueinanderbeugten. Sie erriet erstauntes Geflüster. Die Köpfe wackelten wie bei chinesischen Götzen. Der Chirurg Matthes erhob sich vom Tisch. Er kam zu Asiadehs Fenstersitz und verbeugte sich. Er hatte graue Haare und ein feingeschnittenes Gesicht. Er setzte sich und blickte Asiadeh aufmerksam an.
»Verzeihen Sie«, sagte er, »es ist ja nicht meine Sache. Aber ich muß Sie warnen. Sie spielen mit dem Feuer, Asiadeh. Sie sind mir ein Rätsel. Man soll den Menschen die Sünde nicht allzu leicht machen, und hier wäre sie überhaupt zu vermeiden. Sie haben zuviel Vertrauen zu Marion oder zuviel Zuversicht. Man darf nicht derart mit eigenem Glück spielen. Sie nähren eine Schlange an Ihrer Brust.«
Asiadeh lehnte sich an die Wand, hob ihren Kopf empor und schloß ihre Augen halb. Ihr Gesicht war weich und entspannt. Sie lachte kaum hörbar. Nur ihre Kehle zitterte.
»Sie sind ein guter Mensch, Dr. Matthes. Das kommt daher, daß Sie chinesische Bücher sammeln und als Li Tai-pe zum Gschnas gehen. Ich danke Ihnen sehr. Marion ist eine arme Frau, der ich helfen will. Sie ist meine Freundin. Freundschaft ist doch etwas Heiliges, nicht wahr, Dr. Matthes? Nein, mein Mann wird mich nicht betrügen. Mich nicht. Ich bin sehr ruhig, Dr. Matthes.«
Sie verstummte. Ihr Gesicht wurde plötzlich ernst. Sie blickte in die Spiegelscheibe des Kaffeehauses. Weiße Schneeflocken fielen vom Himmel. Die Baumäste grüßten die Fenster, unter der Last des Schnees gebückt. Sie rieb mit dem Handschuh das Glas. Die weiße Straße wurde immer breiter. Unmerklich ging der Schnee in Sand über. Grau und eintönig lag die Wüste vor ihren Augen. Brandgeruch stieg von der Erde auf, und Kamele kamen aus der Ferne und hatten wiegende Köpfe, wie Ähren im Wind.
Sie blickte auf die Uhr. Hassas Ordination dauerte diesmal sehr lange.