37691.fb2 Das Schiff der Hoffnung - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

Das Schiff der Hoffnung - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

Kapitel 5

»Die Situation hat sich geändert«, sagte der Leiter der Mordkommission von Bari, als Erika und Karl ihm in dem engen, muffigen Büro gegenübersaßen und bestätigt hatten, daß die Bilder in den Pässen wirklich stimmten und Hellberg, Marion und Claudia vorausgefahren waren, um Schiffskarten zu besorgen. »Vor einer Stunde ist ein neuer Mord verübt worden. Wieder an einem Mann, der 20 Kapseln HTS aus Sarajewo mitgebracht hatte. Die gleiche Tötungsart. Mit einem scharfen, großen Messer die Kehle durchschnitten. In einer Pension in der Nähe der Molo S. Nicola. Wir haben auch eine Spur. Ein Mann mit einem struppigen Bart, der natürlich falsch ist. Aber es steht nun fest, daß Signore Hellberg und die beiden Signorinas nicht als Täter in Betracht kommen.«

»Welches Glück, daß der Mörder wieder mordete.« Haußmann sah den Capitano wütend an. »Man hätte sonst unseren Freunden wirklich den Prozeß gemacht.«

»Wem kann man noch trauen, Signore?« Der Capitano erhob sich, küßte Erika vollendet die Hand und klopfte Karl freundschaftlich die Schulter. »Vor sich selbst hat man ja bald Angst. Gute Fahrt nach Dubrovnik und viel Glück in Sarajewo.« Und als Erika schon vorausgegangen war, hielt er Karl noch einmal zurück. »Glauben Sie an diese Pillen, Signore?«

»Nein. Aber man soll einem Kranken nie die letzte Hoffnung nehmen. Die Hoffnung ist das letzte menschliche Gefühl, das stirbt.«

»Viel Glück!« Noch einmal gab der Capitano Haußmann die Hand. In seiner Stimme lag ehrliche Teilnahme.

Im Hof warteten schon Hellberg, Claudia und Marion. Man hatte sie aus dem Untersuchungsgefängnis gebracht. In zwei dunklen Zellen der Carabinieri-Kommando-Zentrale in der Lungomare Na-zario Sauro hatten sie nun 96 Stunden wartend verbracht, waren vorzüglich verpflegt worden, aber niemand hatte ihnen gesagt, was nun geschehen würde. Plötzlich hatte man sie abgeholt, und nun standen sie im Hof der Kriminalpolizei auf dem Corso Italia.

Das Wiedersehen war herzlich. Man umarmte sich; sogar Erika gab Marion die Hand und sagte: »Mein Mann hat mir alles erzählt. Ich muß Ihnen wohl danken.«

Alles erzählt? Marion warf einen Seitenblick auf Karl, der mit Hellberg eine laute Debatte über die italienische Polizei führte und vorschlug, eine dicke Beschwerde beim Konsulat, ja bei der Botschaft in Rom loszulassen. Alles! Was hatte er erzählt?

Dann standen sie alle auf der Straße, dem breiten Corso Italia, gingen hinunter zur Piazza Roma und zum Hauptbahnhof und setzten sich auf die Terrasse eines der vielen Cafes.

»Nun fangen die Probleme erst an«, sagte Frank Hellberg, als sich Karl und Erika durch einen Fruchtsaft und Cassata-Eis von der Fahrt mit Falcioni gestärkt hatten. »Wir haben keine Wohnung mehr, keine Schiffskarten und einen Paß zu wenig. Claudias Tasche, die der Mörder aus unserem Zimmer gestohlen hat, um den Verdacht auf uns zu lenken, ist zwar da, aber ohne Inhalt. Der Paß fehlt mit allen anderen Sachen. Wer weiß, wo der Kerl alles hingeschüttet hat. Verdammt, ich werde das Gefühl nicht los, daß der Hausdiener auch der Mörder ist!«

»Um Gottes willen, bloß kein Sherlock-Holmes-Spiel!« Haußmann hob abwehrend beide Hände. »Wir haben schon genug Ärger. Wir wollen froh sein, daß wir hier gemütlich sitzen können. Und was die Zimmer betrifft - das macht Karl Haußmann schon!«

Er breitete einen Stadtplan von Bari aus, den er in einem Kiosk am Bahnhof gekauft hatte. Fein aufgereiht stand da eine lange Liste von Hotels und Pensionen.

Hotel Nazioni. Portente. Palace. Europa. Miramare. Moderno. Corona. Continental. Excelsior. Adria.

»Irgendwo bekommen wir Betten!« sagte Haußmann siegessicher. »Es ist nur eine Frage des Geldes.«

Um ein Uhr nachts standen sie wieder auf der Piazza Garibaldi vor ihrem nun entplombten Wagen. Haußmanns hatten ein winziges Zimmer am Fischmarkt, an der Molo S. Nicola, bekommen. Claudia und Marion wohnten in einem Zimmer hinter dem Bahnhof, in der Via Re David. Für Frank Hellberg hatte sich kein Bett auftreiben lassen.

Nach der Abfahrt des Fährschiffes waren die Straßensperren gelockert worden, ein Strom neuer Wagen hatte sich nach Bari ergossen. Ein erschütterndes Bild bot sich auf der Piazza Christ. Colombo. Dort parkte ein Kombiwagen aus Padua. In ihm lag auf einer Bahre eine ausgezehrte, gerippeähnliche Frau mit schlohweißen Haaren. Der Tod war schon in ihren großen, fiebrigen Augen. Die ganze Familie saß um den Wagen herum, ein Wall von Leibern, der die Sterbende schützte. Als die Polizei kam, war sie machtlos.

Der Chef der Familie trat einfach vor und sagte so laut, daß es alle hörten: »Wir haben unter dem Auto zwei Ladungen Sprengstoff. Wenn ihr uns wegjagt, sprengen wir uns alle in die Luft. Wir müssen nach Sarajewo! Seht ihr denn nicht, daß Mama stirbt, wenn sie nicht die Wunderpille bekommt?«

Und die Polizei zog ab.

Vor so viel Elend und Glauben versagt selbst das Gesetz.

»Ich schlafe im Wagen«, sagte Hellberg, als alle Hoffnung auf ein Bett für ihn sinnlos wurde. »Ich werde dort herrlich schlafen wie im Palace-Hotel nach den Nächten in der Zelle.«

Am nächsten Morgen trafen sie sich alle wieder auf der Piazza Garibaldi. Hellberg hatte sich in einem nahen Cafe gewaschen und rasiert. Er hatte eine stürmische Nacht hinter sich, denn alle zwei Stunden wurde er von der Polizeistreife geweckt, die ihm sagte, daß er auf der Straße nicht übernachten dürfe. Und jedesmal sagte Hellberg seinen gleichen Spruch: »Es ist nicht meine Schuld, sondern die des Capitanos. Er hat mich als Mörder verhaftet, und dadurch habe ich mein Zimmer verloren. Geht und fragt ihn!«

Gegen Morgen konnte er endlich schlafen. Es hatte sich auf den Revieren herumgesprochen, welch ein seltener Vogel in einem deutschen Wagen im Garibaldi-Park lag. Man ließ Hellberg in Ruhe.

»Also los!« sagte Haußmann tatenfreudig. »Wir haben gut ge-frühstückt, die Sonne scheint ... stürmen wir die Fahrkartenausgabe!«

Es klang gewollt lustig, aber hinter dem saloppen Klang schwang die Tragik. In der vergangenen Nacht hatten sich Karl und Erika ausgesprochen. Es war wie eine Erlösung gewesen, ja, fast wie eine neue Ehe, und es gab Erika neuen Mut und eine ungeahnte Kraft.

»Jetzt will ich selbst nach Sarajewo«, sagte sie in dieser Nacht. »Ehrlich, Karli - ich habe nie an diese Pillen geglaubt. Aber nun setze ich alle Hoffnung darauf. Es geht ja nicht nur um mich, sondern auch um dich. Um unser gemeinsames Glück. Es soll alles wieder so werden wie früher.«

»Es ist schon so, Rika«, sagte Karl und kam sich ganz klein und schäbig vor. »Man kann sich doch mal verirren ... das ist doch menschlich.«

Frank Hellberg sah die breite Straße des heiligen Franz v. Assisi hinunter, die zu dem alten Castello Svevo, dem wehrhaften Mittelpunkt des alten Bari, führte. Dahinter, vom Corso Trieste an, begann, der Weg der Leiden. Hier hatte die Polizei hohe Eisengitter errichtet und eine Wachbaracke aufgeschlagen. Nur wer einen gültigen Paß hatte, genügend Geld und eine Fahrkarte nach Dubrovnik oder Bar in Jugoslawien, wurde in den inneren Hafenbereich hineingelassen. Erschütternde Szenen hatten sich schon an diesem Gitter abgespielt. Ende November, als die ersten Nachrichten von der Wunderdroge HTS um die Welt flogen, erschoß sich ein Mann an diesem Gitter, weil ihn die Polizisten nicht durchließen zum Fährschiff nach Bar. Er hatte vergessen, seinen Paß zu verlängern. Er war zehn Tage vorher abgelaufen.

»Was machen wir mit Claudia?« fragte Hellberg stockend.

»Sie fährt natürlich mit uns«, rief Karl.

»Ohne Paß kommt sie nicht zum Schiff.Und um einen neuen Paß zu bekommen, muß sie erst nach Hause. Nur die Heimatbehörde stellt ihn aus. Sie kann ihn auch hier beantragen, aber bei dem italienischen Tempo dauert das mindestens 6-8 Wochen, wenn nicht noch länger. So lange dauert's ja schon in Deutschland. Beamte scheinen in jedem Land durch zuviel Arbeit gelähmt zu sein. Das geht also nicht. Wir müssen für Claudia einen anderen Weg finden.«

»Keine wilden Abenteuer, Frank!« Haußmann hob warnend die Hand. »Wir wollen nicht James Bond spielen. Wir müssen in aller Ruhe die Möglichkeiten überdenken.«

»Es gibt nur eine Möglichkeit und die ist: Schwarzfahrt!« sagte Hellberg entschlossen.

»Und das kann ins Auge gehen!«

»Wissen Sie etwas anderes, Besseres?«

»50.000 Lire in die hohle Hand eines Carabinieris.«

»Und drüben in Dubrovnik?«

»25.000 Dinare in die gleiche hohle Hand.«

»Und auf der Rückfahrt das gleiche? Das ist doch Irrsinn!«

»Ich gebe ein Vermögen her, um an das HTS zu kommen!« sagte Haußmann laut.

»Ich schlage einen anderen Weg vor.« Hellberg sah dabei Marion an, die unbeteiligt in der Gegend umherblickte, aber genau zuhörte. »Wir trennen uns.« Marions Kopf flog herum.

»Trennen? Wieso?«

»Du, Frau und Herr Haußmann bilden die eine Gruppe. Sie haben die gültigen Pässe, sie haben das nötige Geld, bei ihnen wird alles glattgehen. Nach der nötigen Wartezeit sind sie auf dem Schiff. In Dubrovnik besteigen sie wieder den Wagen und fahren nach Sarajewo. Dort treffen wir uns.«

»Die zweite Gruppe, gebildet aus Frank Hellberg und Claudia Tor-giano«, sagte Marion mit einem giftigen Unterton. »Prinz Frank, der edle Ritter! Willst du ein Schiff entern? Oder versuchst du, auf einer Luftmatratze die Adria zu überqueren? Oder bist du ein verkappter Froschmann, der nachts an auslaufende Schiffe heranschwimmt und sich an die Bordwände klebt?«

»Ich werde versuchen, Claudia auf einem anderen Wege nach Jugoslawien zu bringen, das stimmt«, antwortete Hellberg ganz ruhig. Auf den Ton Marions ging er nicht ein. Er wunderte sich selbst, wie sehr er sich innerlich schon von ihr gelöst hatte. Sein ganzes Denken galt nur noch Claudia, dem Mädchen aus durchsichtigem Porzellan. »Ich werde einen weniger abenteuerlichen Weg finden, als Marion denkt. Aber wir werden uns in Sarajewo sehen, das verspreche ich!«

»Das klingt filmreif.« Marion lachte gequält. »Du solltest Drehbücher schreiben, Frank!«

»Einverstanden. So schwer es mir fällt.« Karl Haußmann sah kurz zu seiner Frau. Marion Gronau blieb also bei ihnen. Diese bittere Last war der Preis für Sarajewo. Und Erika nickte kaum merklich.

Keine Sorge, Karli. Ich weiß ja, wie du denkst.

»Sie brauchen sicherlich Geld, Frank?« fragte Karl.

»Ja. Aber ich zahle es Ihnen zurück, wenn wir wieder in Deutschland.«

»Wollen Sie mich beleidigen?« Haußmann griff in die Tasche, holte aus einem Kuvert ein Bündel Scheine und gab sie Hellberg, ohne sie zu zählen. »Wir sitzen jetzt alle in einem Boot, und wenn wir uns nicht gegenseitig helfen, gehen wir kläglich unter.« Er blickte auf Claudia, die sich an den Wagen lehnte und bisher noch kein Wort gesagt hatte. »Wissen möchte ich doch, was Sie vorhaben, Frank.«

»Ich habe mich mit einem der Polizisten, die mich in der Nacht alle zwei Stunden weckten, lange unterhalten. Ein Kollege von der >Gazetta Bari< hat den Weg Bari - Dubrovnik oder Bar schon mehrmals gemacht, ohne das Fährschiff. Wie, das wußte der Polizist auch nicht. Der italienische Journalist hat keine Mittelsmänner verraten. Aber ich habe die Hoffnung, daß man so von Kollege zu Kollege etwas machen kann.« »Also doch ein kleiner James Bond«, warf Marion ein.

»Machen Sie nichts Unüberlegtes, Frank!« warnte auch Haußmann.

»Ich glaube, es ist besser, ich fahre zurück, nach Hause!« Es war der erste Satz, den Claudia an diesem Morgen sprach. »Ich sehe, ich bin eine große Last. Das wollte ich doch gar nicht. Ich wollte nur nach Bari. Aber nun ist der Paß gestohlen ... ich fahre zurück.« Sie lächelte Hellberg mit einem traurigen, unendlich süßen Lächeln an. »Ich danke dir, Frank, für alles. Vergiß dieses Mädchen Claudia . es hat es nie gegeben . und wird es in spätestens einem Jahr auch nicht mehr geben.« Sie sah Erika und Karl und auch Marion aus ihren großen, dunklen Augen an und nickte ihnen zu. »Ich wünsche Ihnen viel Glück und vor allem die Heilung ... die herrliche Gesundheit.«

Mit einem Ruck wandte sie sich um und rannte davon, die Via Piccinni hinunter.

»Claudia!« schrie Hellberg. »Claudia! Warte!«

Aber sie blieb nicht stehen, sondern rannte weiter. Ihr Haar wehte wie eine zerzauste Fahne.

»Lauf!« sagte Marion leise. »Lauf schon, Frank! Ich weiß ja, wie es um dich steht!«

Und Frank Hellberg lief hinterher, holte Claudia an der Ecke der Via de Rossi ein, faßte sie unter, küßte sie vor allen Leuten auf den Mund und sagte:

»So etwas Dummes, mein Mädchen! Als ob ich dich von jetzt ab jemals allein ließe!«

Karl Haußmann und die anderen sahen den beiden nach, wie sie in der Menge der Spaziergänger verschwanden. Marion war etwas blaß geworden, aber sie trug den Schlag mit Fassung.

»Nun haben sich die Gruppen gebildet!« sagte Karl und schloß seinen Wagen ab. »Frank und Claudia sehen wir erst in Sarajewo wieder.«

»Hoffentlich.« Erika sah immer noch die Straße hinunter, die die beiden entlanggerannt waren. »Ich habe Angst um sie. Ich habe so ein merkwürdiges Gefühl.«

»Ich habe volles Vertrauen zu Frank.« Haußmann faßte seine Frau unter. »Und jetzt wollen wir unsere Fahrkarten holen, auch wenn sie erst in 3 Wochen gültig sind. Ich glaube nicht daran ... wenn alle nach Sarajewo fahren, wäre die Stadt jetzt schon so groß wie Dortmund. Du sollst sehen, es geht schneller als befürchtet. Also los denn!«

Erika blieb stehen, noch immer die Via Piccinni hinunterblickend. »Wir sollten sie zurückholen«, sagte sie leise. »Mein Gefühl. Ich habe Angst um sie.«

»Frank ist in Judo ausgebildet«, sagte Marion.

»Judo!« Erika strich sich nervös über ihr kastanienbraunes Haar. »Was nutzt das, wenn man ein Messer in den Rücken bekommt?«

Der Reporter der >Gazetta Bari<, Enrico Sampieri, empfing seinen deutschen Kollegen mit südländischem Temperament.

»O Kollege!« rief er. »Sie haben sich einen Engel geholt!« Er küßte Claudia die Hände und schüttelte Hellberg an den Schultern. »Eine Tragik ist das; unsere schönsten Mädchen holen die Fremden weg. Ein Glück nur, daß so viele blonde Signorinas im Sommer nach Italia kommen, um dolce amore bei uns zu genießen.«

So ging es über zehn Minuten, bis Frank auf das eigentliche Thema kam. Enrico Sampieri wurde nachdenklich.

»Das ist ein heißes Eisen, Kollege! Ich spreche nicht gern darüber. Nicht einmal geschrieben habe ich darüber. Sie wissen, was das für einen Journalisten heißt! Da liegt Gold im Dreck, und man darf es nicht aufheben, weil einem das schöne Leben zu lieb ist! Es lebt sich nicht gut mit Blei im Körper.«

»So heiß?« fragte Hellberg zweifelnd.

»Heißer als die Hölle, mein Freund.« Sampieri winkte ab. »Laß das Mädchen warten auf den neuen Paß, das ist sicherer.«

»Es kann Wochen dauern!«

»Und es kann Sekunden dauern und Sie sind ein Reporter der >Himmlischen Tageszeitung<.«

»Trotzdem!« Frank Hellberg sah seinen italienischen Kollegen bittend an. »Sie brauchen als Informant gar nicht aufzutreten. Ich will das Ding allein machen.«

»Das klappt überhaupt nicht!« Enrico Sampieri trat ans Fenster. Er wohnte in einem alten Fischerhaus am Ende der Piazza Mercantile, das man renoviert und rosa angestrichen hatte. Vom Fenster aus konnte er über den Fischerhafen blicken, über die Molo S. Antonio, den Porto Vecchio und die Molo S. Nicola. Unzählige kleine Boote lagen hier an den Quais und schaukelten im seichten Wasser. Aber auch weiße, luxuriöse Jachten glänzten in der Sonne. Visitenkarten des Reichtums.

»Wenn, dann muß ich mit«, sagte Sampieri. »Und ich muß Ihren Eid haben, daß Sie in Deutschland nie darüber schreiben werden. Tun Sie es doch, werden Sie damit zu meinem Mörder . denn das kostet mich das Leben!«

»Ich schwöre es Ihnen, Enrico.« Hellberg streckte seine Hand aus. »Ich will keinen Sensationsknüller daraus machen. Ich will nur, daß Claudia gesund wird.«

»In Ordnung.« Sampieri sah auf seine goldene Armbanduhr. »Wir müssen noch zwei Stunden warten. Dann mache ich Sie mit Umberto Saluzzo bekannt.«

»Saluzzo? Wer ist das?«

»Der einzige, der Ihnen wirklich helfen kann, wenn er will.« Enrico Sampieri zündete sich eine Zigarette an. Er war sichtlich nervös. »Ein vollendeter Gentleman - und ein ebenso vollendeter Teufel.«

»Sie machen mich wirklich neugierig auf diesen Umberto Saluzzo«, sagte Frank Hellberg und blickte hinaus auf das Gewimmel im Hafen. Fischerboote fuhren zum Fischmarkt, die Netze vom Nachtfang wurden zum Trocknen an langen Stangen aufgehängt. Auf dem Betonboden einer Bootanlegestelle schlug ein junger Fischer einen Tintenfisch weich. Die Fangarme sausten durch die Luft und klatschten dann auf den Boden, als knallten zehn Peitschen auf einmal.

»Neugier ist das letzte, was Sie haben sollten!« sagte Sampieri. »Es ist am besten, Sie fragen so wenig wie möglich. Er liebt es, selber zu reden, und erwartet, daß die anderen zuhören. Außerdem ist es fraglich, ob er Sie mitnimmt.«

»Wir wollen das Beste hoffen.«

Die zwei Stunden Wartezeit verbrachten sie dann im Restaurant >Adriatica< auf dem Ende der Molo S. Nicola. Sie saßen an sauberen, gelb gedeckten Tischen hinter einer riesigen gläsernen Wand und sahen hinaus aufs Meer, auf den Porto Vecchio, auf die Molo S. Antonio mit dem kleinen Leuchtturm und hinüber zur Altstadt mit der Kathedrale und dem wehrhaften Castello. Kellner mit Servierwagen voll Früchten, Eierspeisen, gefüllten Tomaten, Reisallerlei, Tintenfischen, Muscheln und kleinen, in Öl gebackenen Fischen umringten sie. Aber sie hatten kaum Appetit, aßen nur ein paar Kleinigkeiten und tranken einen leichten Rosewein.

In den Hafen fuhr nach über einer Stunde, von Süden kommend, eine herrliche, weiße Motorjacht ein. Majestätisch glitt sie zwischen den kleinen und schmutzigen Fischerbooten in den Porto Vecchio, und die Ruderkähne, die in ihrem Kurs lagen, machten schnelle Bewegungen, um das Wasser für das weiße Schiff freizumachen. Die Sonne spiegelte sich in den blanken Fenstern der Deckaufbauten.

»Da kommt Saluzzo«, sagte Sampieri und nahm einen tiefen Schluck Wein.

»Geld hat er.« Hellberg und Claudia sahen zu dem herrlichen Schiff. Ein Mann in weißem Anzug stand neben der Brücke, auf dem Kopf eine goldbestickte Kapitänsmütze. »Ist er das?«

»Nein. Das ist Luigi Foramente, im wahrsten Sinne des Wortes die rechte Hand Saluzzos, denn er allein hat das Seepatent und kann einen solchen Kahn fahren. Ein Gauner, wie er in Romanen steht, aber ein kleiner, schmieriger Gauner, der vom Abglanz des großen Saluzzo lebt. Es ist schon eine herrliche Besatzung!«

»Wovon lebt Saluzzo eigentlich?«

»Von allem. Er bezahlt die höchsten Steuern in der ganzen Provinz, freiwillig, und deshalb fragt ihn auch keiner, woher das Geld kommt. Solange es fließt und fließt und die Kassen füllt, ist Saluzzo ein geachteter Mann. Außerdem hat man Angst, daß er ein Mafioso ist.«

»Auch das noch!« Es war Claudia, die es sagte. Für sie als Italienerin war die Mafia ein fester Begriff. Sie schauderte und starrte auf die weiße Jacht, die lautlos in den alten Hafen glitt.

»Saluzzo handelt offiziell mit Teppichen«, sagte Sampieri und strich sich nervös über die schwarzgelockten Haare. »Aber niemand kann sich erinnern, Saluzzo jemals mit einem Teppich gesehen zu haben.« Sampieri erhob sich, winkte dem Oberkellner und ließ Hellberg für sie alle zahlen. »Gehen wir, Freunde.« Und draußen, auf der Molo S. Nicola, blieb er noch einmal stehen und sah Hellberg fest in die Augen. »Was ich tue, mein Lieber, ist gegen meine Überzeugung, das muß ich noch einmal betonen. Ich mache Sie mit Saluzzo bekannt, alles andere ist Ihre Sache! Machen Sie mich später nicht für Dinge verantwortlich, die Ihnen an die Leber gehen können. Ich weiß von nichts, und ich habe Sie auch nie mit Saluzzo zusammengebracht.«

»Ich verstehe.« Hellberg sah, wie die weiße Jacht anlegte und die Leinen an Land geworfen wurden. Ein Fallreep mit blitzendem, verchromtem Geländer wurde über Bord geschoben.

»Wenn wir von Sarajewo zurückkommen, werde ich Ihnen alles erzählen, was uns Saluzzo, Ihr Gentleman-Teufel geboten hat.«

»Falls Sie zurückkommen! Oder überhaupt erst hinkommen. Das normale Fährschiff braucht bis Dubrovnik 9 Stunden, mit der Jacht werden es gut 14-16 Stunden sein. Sechzehn Stunden mit Saluzzo allein auf hoher See - das ist ein Buch voller Erlebnisse.«

»Das ich nie schreiben darf.«

»Ich habe Ihr Ehrenwort.«

»Und ich halte es.« Hellberg legte den Arm um Claudias schmale Schulter. »Es geht ja um Claudias Gesundheit, um nichts anderes.«

Im Gewimmel des Fischmarktes warteten sie dann noch etwa zwanzig Minuten, kauften sich Eis und sahen den lautstarken Verhandlungen um die Fischpreise zu. Enrico Sampieri war allein zu der weißen Jacht gegangen, um mit Saluzzo zu sprechen und zu erkunden, ob es überhaupt einen Sinn hatte, Hellberg und Claudia Torgiano vorzustellen.

Als Sampieri zurückkam und sich durch die Fischkäufer schob, hatte sein Gesicht einen fröhlicheren Ausdruck als bei seinem Weggang.

»Kommt mit!« sagte er und schien wie von einer großen, inneren Last befreit zu sein. »Umberto ist in selten guter Laune. Ihr sollt zu ihm kommen.«

Wenig später standen Hellberg und Claudia dem großen, reichen Saluzzo in dessen Salon auf der Jacht gegenüber. Ein großer, mit Mahagoni getäfelter Raum, in dem eine weiße Couchgarnitur auf einem roten Teppich die Blicke an sich zog. Vergoldete Schiffslampen hingen an den Wänden. Die Holzdecke hatte die Form eines riesigen Steuerrades.

Wer Umberto Saluzzo zum erstenmal sah, wäre an ihm vorbeigegangen wie an allen anderen fremden Menschen. Nichts Ungewöhnliches war an ihm. Er war mittelgroß, hatte einen kleinen Bauchansatz, gewelltes, schwarzes Haar mit einigen grauen Strähnen darin und trug einen der typischen, wundervoll sitzenden italienischen Maßanzüge, in denen jeder Mann wie ein junger Gott aussieht. Das Gesicht war rund mit einer starken fleischigen Nase, während der Mund wie lippenlos schien, ein Schlitz im gebräunten Gesicht, weiter nichts. Nur etwas fiel an Saluzzo auf, etwas völlig Unitalienisches: Er trug im linken Auge ein Monokel. Ein Monokel aus braungetöntem Glas, wie bei einer starken Sonnenbrille. Und der Blick des Auges hinter diesem Glas war starr, leblos.

Ein künstliches Auge.

»Enrico hat mir ein trauriges Lied gesungen, Signorina«, sagte Sa-luzzo mit einer kleinen Verbeugung zu Claudia. Er musterte dabei schnell Frank Hellberg, den jungen blonden Mann mit dem offenen Gesicht. Ein großer, nordischer Junge, dachte Saluzzo.

»Ich habe Krebs.« Claudia sagte es ohne Zögern und ohne zu stok-ken. »Und ich hoffe, daß das neue Mittel, das man in Sarajewo entdeckt hat, auch mir helfen wird.«

»Das HTS?« fragte Saluzzo und verzog etwas sein Gesicht. »Wer sagt übrigens, daß Sie Krebs haben, Signorina?«

»Die Ärzte, die mich bisher untersuchten.«

»Was halten Sie davon, Signor Hellberg?« Saluzzo hatte sich in einem harten Deutsch an Frank gewandt. Der zuckte zusammen, als er so unvermittelt angesprochen wurde.

»Ich habe kein Röntgenbild gesehen, aber warum sollte ich an Claudias Wahrheit zweifeln? Ich habe sie vor einem Scharlatan gerettet.«

»Enrico erzählte es mir. Und Sie halten das HTS nicht für eine neue Scharlatanerie?«

»Ich weiß nur, daß es die letzte Hoffnung ist. So etwas sollte man nicht mit einer Kritik aus Unwissenheit zerstören.«

Umberto Saluzzo lächelte kaum merklich. Der deutsche Idealist. Der romantische Träumer. Es war nötig, die harte Realität dagegenzusetzen.

»Wieviel können Sie zahlen?« fragte Saluzzo.

Hellberg hob die Schultern.

»Was verlangen Sie?«

»Das Mädchen fährt umsonst mit.« Saluzzo musterte Claudia mit dem klebrigen Blick eines von Frauenschönheit stets angeregten Mannes. »Bezahlen müssen Sie! Oder haben Sie auch Krebs?«

»O nein, ich bin kerngesund!«

Das war eine leise Warnung und Mahnung. Saluzzo verstand sie und lächelte stärker, jetzt sah man, daß er auch Lippen hatte. Er zog sie nur ein, wenn er nicht sprach.

»Kerngesund kostet das Doppelte.« Saluzzo setzte sich in die weiße Couch und winkte zu den Sesseln. »Nehmen Sie Platz. Ich bin Geschäftsmann. Ich verkaufe Teppiche, aber ich handele auch mit dem Elend, wenn es einträglich ist. Seit drei Wochen nehme ich Kranke an Bord und schmuggele sie nach Jugoslawien, wenn sie bereit sind, den nötigen Preis dafür zu bezahlen. Schließlich laufe ich Gefahr, daß man mir mein schönes Schiff beschlagnahmt. Sie sehen, ich bin ganz ehrlich. Ich könnte auch einen umgekehrten Weg ge-hen und durch Aufkäufer in Sarajewo dieses HTS aufkaufen lassen, um die Pillen dann hier zwanzigstückweise zu verkaufen. Aber ich habe mir ausgerechnet, daß meine >Privatfähre< mehr bringt! Die Angst um das Leben macht den Geldbeutel weit offen.«

»Nennen Sie einen Preis. Kann ich ihn bezahlen, handele ich nicht mit Ihnen.«

»Es wäre auch zwecklos.« Saluzzo unterbrach sich. Ein Steward brachte auf einem Tablett eine Karaffe mit Orangensaft und drei mit gehacktem Eis halb gefüllte, hohe Gläser. Saluzzo füllte selbst das Glas Claudias und reichte es ihr hin. »Sie sind ein schönes Mädchen...«, sagte er dabei.

Claudia nickte und zog die Hand mit dem Glas schnell zurück. »Man sagt es.«

»Ich hatte eine Tochter, die Ihnen glich.« Saluzzo rührte klappernd in seinem eisgefüllten, von der Kälte beschlagenem Glas. »Sie ertrank bei Capri. Eines der Boote, die zur Blauen Grotte fahren, stieß sie am Kopf an, und sie versank, ehe man sie an Bord ziehen konnte.«

»Wie schrecklich«, sage Claudia leise und rückte schutzsuchend näher zu Frank Hellberg.

»Dann hatte ich zwei Freundinnen, die meiner Tochter glichen. Die eine starb durch einen Stich in den Rücken, die andere vergiftete sich mit Gas.« Saluzzo hob beide Hände und sah Claudia aus seinem gesunden, lebenden Auge starr an. »Ich bin ein Mann von fünfzig Jahren. Als Julia, meine Tochter, ertrank, war ich zweiundvierzig. Acht Jahre lang habe ich nach Mädchen gesucht, die meiner Tochter glichen, und alle wurden meine Geliebten, denn wie meine Tochter konnte ich sie nicht lieben. Bis vor drei Wochen waren es genau sieben Mädchen, die Julia ähnlich sahen; fünf von ihnen leben nicht mehr.« Saluzzo beugte sich vor und sah Claudia in die großen, flimmernden Augen. »Nun sind Sie hier an Bord, Signorina, und Sie gleichen meiner armen Julia wie eine Zwillingsschwester. Sie sind ihr am ähnlichsten von allen Mädchen ... und Sie haben Krebs.« Saluzzo ließ sich zurückfallen an die Couchlehne. »Ist das nicht eine bittere Ironie des Schicksals?«

Ein Verrückter. Das war der erste Gedanke, der durch Frank Hellberg fuhr. Ein Psychopath mit dem tödlichen Tochterkomplex. Aber dann erkannte er, wie gefährlich dieser Saluzzo war und wie recht Enrico Sampieri hatte, als er sagte, daß man sich über nichts, was in Saluzzos Nähe geschah, wundern sollte.

Hellberg stellte sein Glas mit einem lauten Ruck auf den Tisch. Der Blick Saluzzos flog aus dem Augenwinkel zu ihm.

»Der Orangensaft war vorzüglich, Signore Saluzzo«, sagte er. »Erfrischt gehen wir von Bord.« Hellberg stand auf und zog Claudia an der Hand mit sich empor. »Doch ich glaube, daß ich Ihre finanziellen Vorstellungen nicht erfüllen kann. Ich bin ein kleiner Schreiberling, und die Gehälter der deutschen Verleger sind nicht gerade die besten. Entschuldigen Sie, daß wir Sie so lange aufgehalten haben.«

Umberto Saluzzo war sitzengeblieben. Jetzt rührte er wieder in seinem Glas, nahm einen vorsichtigen Schluck der eiskalten Limonade und kniff die Augenhöhle, in der sein Monokel festgeklemmt war, etwas zusammen.

»Was haben Sie vor, Signore Hellberg?«

»Wir werden wohl doch auf Claudias neuen Paß warten müssen.«

»Ich werde zurück nach Livorno fahren«, sagte Claudia. »Vielleicht arbeiten die Behörden schneller, wenn sie sehen, wie es um mich steht.«

»Ich glaube, Sie haben eine völlig falsche Auffassung von den Dingen«, erklärte Saluzzo. »Sie fahren ja umsonst, Signorina.«

»Ich fahre nicht ohne Frank.«

»So ist es.« Hellberg zog Claudia eng an sich. »Ich lasse Claudia nicht allein.«

»Ein edler Mensch!« Saluzzo sah auf seine goldene, mit Brillanten verzierte Armbanduhr. »In einer halben Stunde essen wir. Ich hoffe, daß Ihnen mein Koch gefällt. Ich will, daß sich meine Gäste an Bord wohl fühlen wie im besten Grandhotel.«

»Gehen wir!« sagte Hellberg und zog Claudia mit zur Tür des Salons. Verrückte muß man durch Taten überzeugen, dachte er. Sie müssen die Stärke des anderen anerkennen. Darin sind sie wie Raubtiere, die ihren Herrn sehen müssen.

»Um Ihr Gepäck brauchen Sie sich nicht zu kümmern«, sagte Sa-luzzo gemütlich und lächelte wieder. »Es ist bereits an Bord.«

»Wer hat Ihnen.«, rief Hellberg laut, aber Saluzzo ließ ihn nicht aussprechen. Er winkte lässig ab. »Sampieri ist ein guter Informant. Während wir miteinander plauderten, haben zwei meiner Matrosen Ihr Gepäck abgeholt. Kabine 4 und 6 ist reserviert. Aus Gründen der Moral sind es zwei Einzelkabinen, die sich gegenüberliegen.« Saluzzos Lächeln war plötzlich schleimig. »Mir liegt die Gesundheit von Signorina Claudia sehr am Herzen.«

Hellberg atmete tief auf. Ruhe, sprach er sich zu. Nur Ruhe. Denk an Sampieri! Auch sein Leben hängt von deinen Reaktionen ab. Dieser Saluzzo ist gar kein Verrückter; er ist der eiskälteste Verbrecher, den man sich vorstellen kann. Ein vollendeter Teufel. Sampieri hatte recht.

»Ich verlange, daß unser Gepäck zurück an Land gebracht wird«, sagte Hellberg scharf.

»Umberto Saluzzo hat noch nie in seinem Leben eine Handlung rückgängig gemacht.«

»Dann fangen Sie heute damit an.«

»Warum? Gefällt es Ihnen nicht an Bord? Ich sehe in Ihnen reizende Gäste.« Und wieder der Blick zu Claudia. Dieser deutliche, abtastende Blick, unter dem das Kleid Claudias wegschmolz, als habe man es versengt.

»Ich zahle Ihnen keine Lire.«

»Einverstanden. Ich lade Sie ein zu einer Fahrt nach Dubrovnik.«

»Ich habe meinen Plan geändert. Wir fahren nach Deutschland.«

»Zu spät, Signore Hellberg.« Ein leises Zittern lief durch das herrliche, weiße Schiff. Irgendwo brummte es leise. Wasser schlug gegen die Wände. »Wir fahren bereits.« Saluzzo erhob sich und trat an eines der großen Fenster. »Mir wird durch den Gestank auf dem Fischmarkt übel. Deshalb habe ich die Angewohnheit, außerhalb des Hafens, auf freier See, zu essen. Für die Signorina gibt es das zarteste Hühnchen, das je einen Backofen verlassen hat.«

Hellberg war mit zwei großen Schritten ebenfalls an einem der Fenster. Die Jacht schob sich wirklich langsam wieder aus dem Hafen hinaus, die Fischerboote und Kähne wichen erschrocken aus, ein Polizeiboot fuhr vorbei und grüßte mit dreimaligem Sirenengeheul. Resignierend wandte sich Hellberg ab.

»Dann bitte ich, daß Sie uns nach dem Essen wieder an Land bringen«, sagte er energisch.

Saluzzo hob die Schultern. »Wer weiß, was nach dem Essen ist«, antwortete er. »Dann haben wir uns schon aneinander gewöhnt.«

Glück muß der Mensch haben, heißt eine billige Weisheit. Ohne Glück kann man sogar beim Zähneputzen ertrinken. Man mag das, was Karl und Erika Haußmann an diesem Tag in Bari erlebten, ein ganz, ganz großes Glück nennen - und doch war es ein salziges Glück, über das man sich nicht laut freuen konnte.

Es begann damit, daß Erika, Marion und Karl nach der Verabschiedung von Hellberg und Claudia hinunter zum Hafen gingen in der Absicht, sich um die Schiffskarten zu kümmern. Als sie die lange Menschenschlange an den Schaltern sahen und von einem Polizisten hörten, daß Personenkarten noch zu haben, die Wagenplätze auf dem Autodeck jedoch für drei Wochen durch Vorbestellungen ausgebucht seien, stellte sich Karl Haußmann erst gar nicht bei der Schlange an.

»Schlange gestanden habe ich 1946 für 150 Gramm Brot genug«, sagte er und setzte sich auf eine Bank. »Wir sollten uns überlegen, ob wir den Wagen nicht hier lassen und drüben in Jugoslawien mit Bus oder Eisenbahn nach Sarajewo fahren. So schlimm kann das nicht sein. Schließlich ist es ja ein kultiviertes Land.«

»Ich überlasse es dir, Karl.« Erika Haußmann blickte hinüber zu einem Wohnwagen, der abseits zwischen zwei Güterschuppen parkte. Die Vorhänge vor den beiden Fenstern waren dicht zugezogen.

Neben der geschlossenen Eingangstür saßen zwei Frauen auf zusammenklappbaren Schemeln und beteten.

»Kannst du die Strapazen durchhalten?« fragte Karl.

»Ich weiß es nicht. Im Augenblick fühle mich mich ganz wohl.«

»Ich finde den Vorschlag nicht gut«, meinte Marion Gronau. »Wir müssen mit dem Wagen rüber. Wissen wir, was wir in Sarajewo antreffen? Solange wir den Wagen bei uns haben, sind wir unabhängig und beweglich. Und das kann uns unter Umständen viel nutzen.«

Haußmann wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Also gut, stellen wir uns an. In drei Wochen! Verdammt noch mal... was sollen Hellberg und Claudia in dieser Zeit machen? Wenn man wüßte, wo sie jetzt sind.«

»Ich setze voraus, daß wir uns um Frank keine Sorgen zu machen brauchen.« Marions Stimme schwankte etwas, und plötzlich tat sie Erika leid. Dieses Mädchen mochte ein kleines Aas sein, doch hatte sie auf dieser Reise an jedem Tag einen Schlag einstecken müssen - vom mißglückten Rimini bis zur Einsicht, daß zwei Männer, die in ihrem Leben eine Rolle spielen sollten, eigene Wege gingen und sich immer mehr von ihr entfernten. »Frank wird völlig selbständig handeln.«

»Wenn er klug ist.« Haußmann erhob sich ächzend. »Also ran an die Schlange! Kinder, holt mir wenigstens jede halbe Stunde ein Eis und macht mich frisch.«

Das klang alles sehr fröhlich, aber jeder von ihnen wußte, wie bitter die Tage sein würden, die man wartend in Bari verbringen mußte. Würde Erika neue Schmerzen haben? Erlitt sie einen neuen Anfall? Waren die drei oder gar vier Wochen Wartezeit vielleicht ein Todesurteil für Erika? Wußte man, wie schnell die tückische Krankheit im Körper wuchs und wann sie das Leben bedrohte? War es nicht besser, nach Deutschland zurückzukehren und die Krankheit in einer großen Klinik von Fachärzten behandeln zu lassen? Sollte man auf dieses >Schiff der Hoffiiung< nicht ganz verzichten? Auch auf das geheimnisumwitterte HTS des jugoslawischen Arztes Dr.

Zeijnilagic. Wer war dieser Mann überhaupt?

Aber dann dachte Karl Haußmann an das, was er bereits über dieses neue >Wundermittel< wußte. Die Heilung von nachweisbaren Krebskranken, bei einer Ärztin sogar, die Brustkrebs hatte und aufgegeben worden war von allen Kollegen, und die jetzt, nach der Behandlung mit HTS, wieder Dienst im Krankenhaus tat, gesund wie nie zuvor.

Märchen? Propaganda? Wirkliche Wunder? Die so seltenen Spontanheilungen, die jeder Mediziner kennt und nicht zu erklären weiß? Wo war hier Wahrheit, wo Sensationsmache? Gab es für Erika eine Rettung?

Wir haben die Hoffnung, dachte Haußmann. Wir wollen alles tun, was auf Erden möglich ist. Nie soll der Vorwurf laut werden: Du hast eine Möglichkeit ausgelassen! Du bist an einem Wunder vorbeigegangen.

»Gehen wir!« sagte er mit fester Stimme. »Wir sind ja nicht allein. Die anderen warten genauso wie wir.«

Auf dem Weg zur Kartenverkaufsstelle kamen sie auch an dem abseits stehenden Wohnwagen mit den zwei betenden Frauen vorbei. Das Auto hatte eine griechische Nummer, und die Frauen, die im Gebet versunken auf ihren Schemeln hockten, trugen die klagende, schwarze Tracht griechischer Bäuerinnen.

Gerade, als Karl Haußmann an dem Wohnwagen vorbeiging, öffnete sich die Tür, und ein Mann trat auf die Straße. Für einen Sekundenbruchteil sah man im Innern des Wagens eine lang ausgestreckte weibliche Gestalt mit schwarzen Haaren, die bis auf den Boden hingen, und einem spitzen, weißen, wie aus Marmor gehauenen Gesicht. Der Mann zog die Tür schnell wieder hinter sich zu, rückte an seinem schwarzen Schlips und sagte etwas zu den schwarzgekleideten Frauen. Diese senkten den Kopf noch tiefer, und ihr Betgemurmel schwoll an zu einem gleichförmigen Klagegesang.

Karl Haußmann blieb stehen. Es war ihm, als hielte ihn eine unsichtbare Hand fest.

Auch Erika und Marion verhielten den Schritt und starrten auf die leise singenden Frauen in ihren eng anliegenden, schwarzen Kopftüchern.

»Kann ich Ihnen helfen?« fragte Karl Haußmann. Nachdem er es gesagt hatte, kam er sich dumm vor, denn wie sollte ein Grieche deutsch verstehen?

Der Mann schüttelte den Kopf. »Grazie.« Er blieb an der Tür stehen und sah in den blauen, sonnenflimmernden Himmel. »Es ist vorbei.«

»Sie können deutsch?« fragte Haußmann verblüfft.

»Wennig. War Ingenieur bei deutsches Firma in Ludwigshafen. Ein Jahrr. Dann krank Maria. Sehrr krank. Maria meine Frau. Mama von drei Kinderr.« Der Mann wischte sich über die Augen, seine Lippen zitterten. »Nun vorbei. Eben. Zu spät für Sarajewo.«

Haußmann sah auf die zugezogenen Fenster des Wohnwagens. Die Frau mit den langen schwarzen Haaren, die er eine Sekunde lang gesehen hatte .er senkte den Kopf und reichte dem Mann die Hand.

»Es muß furchtbar sein«, sagte er leise.

»Wir haben es erwartet. Sarajewo war letzte Rettung. Morgen geht Schiff nach Dubrovnik . zu spät.« Der Grieche trat ein paar Schritte von seinem Wohnwagen weg zum Schuppen und suchte in seinen Taschen nach einer Zigarette. Haußmann holte schnell seine Packung heraus und hielt sie ihm hin. »Deutsche Zigaretten.« Der Mann lächelte schwach. »Seit einem Jahr mal wiederr. Grazie.« Er nahm eine Zigarette heraus, steckte sie mit bebenden Fingern an und tat ein paar tiefe Züge. Dann blickte er zu Erika und Marion, die abseits standen und stumm auf die betenden und singenden schwarzen Frauen sahen. »Ihre Frau?«

»Ja. Die braune, ältere.«

»Anderes Ihre Tochter?«

»Nein.«, sagte Haußmann gedehnt.

»Auch nach Sarajewo?«

»Ja.«

»Frau?«

»Ja.« »Noch nix zu spät wie bei Maria?«

»Wer weiß das?«

»Wann fahren?«

»Ich weiß es auch noch nicht. Ich habe noch keine Karten für den Wagen.«

»Nehmen Sie meine Karten.«

»Wie bitte?« Haußmann war es, als durchfahre ihn ein glühender Strahl. »Sie haben die Karten schon?«

»Für morgen. Habbe drei Wochen gewartet. Nun zu spät. Maria tot. Wollen Sie Karten?«

»Für ... für drei Personen.«

»Habbe Karten für sechs Personen und zwei Autos. Morgen nacht nach Dubrovnik.« Der Grieche faßte in die Brusttasche seines zerknitterten Anzugs. Zwei Nächte hatte er neben seiner Frau gelegen und aufihren Tod gewartet, hatte sie gestützt, ihr zu trinken gegeben, hatte sie gewaschen und zu ihren Füßen gebetet. Nun brannten seine Augen und waren rot umrändert.

»Wollen Sie?«

»Das ist das erste Wunder«, stammelte Karl Haußmann. »Wir haben Karten.«

»Vielleicht kann helfen Marias Todd Ihres Frau.« Der Grieche reichte Haußmann seine Hand voll Billetts hin. »Nehmen Sie.«

»Wieviel bekommen Sie dafür?« Haußmann griff mit zitternder Hand zur Brieftasche. Der Grieche winkte ab.

»Nix! Nix! Nehmen Sie so!«

»Das kann ich nicht. Sie haben.«

»Maria will es so.« Der Grieche wandte sich ab und wollte zurück zum Wohnwagen gehen. Haußmann hielt ihn am Ärmel zurück. Er hatte ein Bündel Geldscheine in der Hand, es mochten über fünfhundert Mark sein.

»Nehmen Sie das Geld für einen Zuschuß zu einem besonders schönen Grabstein für Maria«, sagte Haußmann mit belegter Stimme. »Wie kann ich Ihnen sonst danken. Vielleicht ist es wirklich die Rettung Erikas.«

Der Grieche nahm das Geld und stopfte es in seine Anzugtasche.

»Wenn Sie nach Euböa kommen . nach Heraneklion . dort wohnen ich. Miltiades Euponopolos. Fraggen Sie. Man kennt überall Miltiades. Habbe Fabrik dort.« Er sah Haußmann groß aus seinen rotumränderten, übernächtigten Augen an und nickte ihm zu. »Viell Glück in Sarajewo. Von Geld werde ich Maria zwei Zypressen an Grab pflanzen. Wie heißen?«

»Haußmann. Karl Haußmann«, stotterte Karl.

Miltiades Euponopolos nickte noch einmal, ging dann zu seinem Wohnwagen zurück, öffnete die Tür und setzte sich neben seine tote Frau. Wieder sah Haußmann für eine Sekunde das schöne, schmale, bleiche Gesicht mit den langen, bis auf den Boden reichenden Haaren. Dann fiel die Tür zu.

»Wir haben die Karten«, sagte Haußmann, als er wieder bei Erika und Marion war, und hielt die Billetts hoch. Seine Stimme war tonlos vor Erschütterung. »Wir haben die Karten . schon morgen nacht. O Gott, soll das der Anfang eines Wunders sein?«

Marion Gronau schwieg. Sie hatte auch das bleiche Gesicht Maria Euponopolos' gesehen, und der Anblick des Todes hatte sie maßlos erschreckt und ergriffen. Erika legte den Kopf gegen Karls Brust und weinte plötzlich. Dann küßte sie ihn, und er mußte sie stützen, weil er merkte, wie schlaff ihr Körper wurde.

»Morgen nacht schon«, stammelte sie. »Karl, glaubst du . glaubst du . daß es wirklich einen Sinn hat?«

»Jetzt mehr als zuvor!« Haußmann umfaßte sie mit beiden Armen. »Wenn das kein Wink des Schicksals ist!«

Später standen sie an der hohen Eisengitterwand, die den Zugang zum Zollhafen abriegelte, und blickten hinüber zu den weißen Schiffen, dem flachdachigen Zollhaus gleich hinter dem breiten Einfahrtstor, auf die herumstehenden Matrosen und Carabinieri, die Zöllner und die Wasserpolizei; blickten hinüber zu den Hinweisschildern und den weißen Pfeilen, die zu den einzelnen Molen und Anlegepiers wiesen:

Brindisi,

Foggia,

Patrai,

Dubrovnik.

An der Molo Foraneo ein gedrungenes, weißes Schiff. Der Bug zum Pier hin offen wie ein riesiges Maul, vom Land zum Schiff eine eisenbeschlagene Brücke, über die jetzt mit Elektrokarren Kisten und Kartons ins Innere des Schiffes rollten. Der Radarschirm auf dem niedrigen, breiten Kamin stand still. Zwei Matrosen kletterten an den Rettungsbooten herum und kontrollierten die Davits, Taljen und Taljenläufer, an denen die Rettungsboote hingen. Die italienische und die jugoslawische Flagge wehten von den beiden Stahlmasten.

Am Kiel glänzte in der Sonne der Name des Schiffes.

Sveti Stefan.

»Unser Schiff der Hoffnung«, sagte Karl Haußmann leise und drückte Erika an sich.

»Ich glaube jetzt auch daran.« Erika Haußmann atmete tief auf. »Ich fühle mich so stark wie nie zuvor.« Sie lächelte ihren Mann an. »Du sollst sehen, es wird alles wieder gut.«

»Das soll es auch, Rika.«

Marion Gronau stand abseits, in der Nähe des Tores, und flirtete mit einem der Carabinieri. Sie hatte erkannt, daß sie nur noch Statist sein konnte in diesem Schauspiel ehelicher Zusammengehörigkeit. Sie war da, aber sie fühlte sich überflüssig.

Wer wußte, daß es anders kommen würde.

Die weiße, schnelle Jacht Umberto Saluzzos warf die Anker außerhalb des Hafens im noch seichten Wasser der Küste. In der Offiziersmesse, wie das Speisezimmer an Bord genannt wurde, war der Tisch gedeckt. Ein herrliches Arrangement von Blumen und frischen Früchten stand mitten zwischen den Tellern aus bestem Porzellan und den geschliffenen, kristallenen Baccaratgläsern, in die jetzt ein weißuniformierter Steward einen goldenen, nach Kräutern duftenden Wein goß. Einen griechischen Traminer, wie Saluzzo erklärte, als er sein

Glas nahm und Claudia zuprostete.

Frank Hellberg hatte sich auf dem Schiff umgesehen, so gut er es konnte. Seine Kabine lag außen, aber die beiden dickverglasten Bullaugen waren zu eng, um sich hindurchzuzwängen. Außerdem waren sie fest verschraubt. Frischluft blies eine an der Decke angebrachte Klimaanlage in die Kabine.

Ein luxuriöses Gefängnis, dachte Frank Hellberg. Ledersessel, ein modernes, flaches Bett, eine eingebaute Bar mit allen erdenklichen Alkoholika und Mineralwasser, ein Berberteppich auf dem blanken Parkettboden, ein Radioapparat und ein Fernsehgerät. Die Welt war zu Gast bei den Gefangenen Umberto Saluzzos.

Bis jetzt konnte sich Hellberg noch kein Bild machen, warum das alles geschah. Wenn es Saluzzo um Claudia ging, wäre es einfacher gewesen, Hellberg irgendwie vom Schiff bringen zu lassen und allein mit dem Mädchen wegzufahren. Skandal? Saluzzo hatte keinen zu fürchten. Jeder Polizist in Bari hätte Hellberg bei einer Anzeige gegen Saluzzo ausgelacht. »Kann man einem Mann ein Abenteuer mit einer Signorina übelnehmen?« hätte man gesagt. »Entführung? Ich bitte Sie, Signore! Die Mädchen an Bord Saluzzos lassen sich gern entführen. Wir kennen das. Addio!«

Warum also nahm Saluzzo ihn mit?

Hellberg zog sich vor dem Essen um, trank aus der Bar ein Glas Zitronenwasser und schlief, während er sich den Schlips umband, im Sitzen vor dem Spiegel ein. Es mußte ein ganz kurzer, aber tiefer Schlaf gewesen sein, denn als er wieder auf wachte, waren nur zwanzig Minuten vergangen, er fühlte sich gar nicht mehr müde, keine Schwere war in seinem Kopf, nur der Abdruck der Glasplattenkante an seiner Wange bewies, daß er fest geschlafen und den Kopf auf den Frisiertisch gelegt hatte.

Dafür war sein Paß nicht mehr in der Jackett-Tasche, als er die Jacke anzog und gewohnheitsmäßig Brieftasche und alle nötigen Papiere kontrollierte. Er machte das immer, seitdem er einmal seinen Führerschein in einem anderen Jackett gelassen hatte und von einer Autobahnstreife angehalten worden war.

Frank Hellberg wußte nun, daß der schnelle Schlafmit dem Zitronenwasser zusammenhing. Mißtrauisch musterte er die anderen Flaschen in der Bar. Bargen sie neue Überraschungen? Was hatte man mit ihm vor? Warum nahm man ihm den Paß ab? Damit er nicht flüchten konnte? Er lächelte etwas bedrückt. Wie kann man von einem Schiff flüchten? Umberto Saluzzo überschätzte ihn.

»Sammeln Sie Pässe, Signore?« fragte Hellberg, als man den ersten Schluck Wein getrunken hatte und der Steward die Horsd'uv-re servierte. Einen Eiersalat mit winzigen, gesalzenen Krabben und Ananasstückchen. Dazu Toast und frische Landbutter.

Umberto Saluzzo lachte gemütlich. Sein getöntes Monokel blitzte im Licht des vielflammigen Kronleuchters.

»Im Paß steht Wahrheit«, sagte er. »Wenigstens in den ehrlichen Pässen normaler Menschen. Sie sind also Journalist. Das wußte ich nicht. Sampieri sagte, Sie seien Fotograf.«

»Ein Irrtum von ihm. Natürlich fotografiere ich auch als Journalist.«

»So kann man mit Worten jonglieren, natürlich. Ich werde Sampieri dafür einen Denkzettel geben. Mit Saluzzo jongliert man nicht. Aber das nebenbei. Guten Appetit.«

Hellberg sah zu Claudia, die ihm schräg gegenübersaß, näher an Saluzzo als an ihm. Sie war bleich, und ihre porzellanene Durchsichtigkeit schien noch zugenommen zu haben. Sie hatte Angst, schreckliche, stumme Angst; ihre großen, dunklen, klagenden Augen schrien sie hinaus.

Hellberg nickte ihr ermutigend zu. Sie nickte kaum merkbar zurück, aber ihr Besteck klirrte gegen den Tellerrand. Saluzzo trank wieder den duftenden, goldenen Wein und schnalzte mit der Zunge.

»Haben Sie schon einmal solchen Wein getrunken, Signore Hellberg?«

»Nein. Ich habe auch vieles noch nicht gesehen, was ich jetzt sehe.«

»Sie sind noch jung. Laut Paß ganze 26 Jahre. In diesem Alter begann ich gerade, mein stilles, unsichtbares Imperium aufzubauen. Ich kaufte mir einen Motorkahn in Sciacca und schmuggelte nach

Tunis goldene Uhren. Und Medikamente. Damals war gerade in Nordafrika die Ruhr ausgebrochen! Das war ein großes Geschäft. Pak-kungen mit jeweils sieben Röllchen einfacher Kalktabletten. Ich habe in vier Monaten über eine Million verdient.« Saluzzo lachte wie über einen guten Witz. »Merkwürdigerweise meldeten die Zeitungen, daß man nach einem Großeinsatz von Ärzten die Ruhr unter Kontrolle habe. Mit Kalktabletten. Damals sagte ich mir, daß auf der ganzen Welt die Menschen belogen und betrogen werden, denn ohne Lüge gibt es auf unserer Welt anscheinend keine Ordnung mehr. Mit dieser Erkenntnis ist es unangenehm, als einzelner ehrlich zu sein. Also wurde ich das, was ich jetzt bin.«

»Und was sind Sie?« fragte Hellberg.

»Ihr Gastgeber.« Saluzzo verneigte sich leicht im Sitzen. »Kann der zweite Gang kommen? Ein seltener Fisch, meine Lieben. Sein Fleisch ist so weiß wie zartes Huhn und schmeckt nach Kalb.«

»Wenn ich erst meinen Paß wiederhaben könnte«, sagte Hellberg unbeirrt von der bedrückenden Liebenswürdigkeit Saluzzos.

»In Dubrovnik.«

»Wenn wir es erreichen.«

»Zweifeln Sie daran?« Saluzzo lehnte sich zurück und winkte dem Steward. Das Essen ging weiter. »Signorina Claudia will die Wunderpillen haben, sie wird sie bekommen. Das heißt, wenn sie nötig sind.«

»Wie wollen Sie das beurteilen?«

»Wir werden heute nacht in Brindisi einen bekannten Arzt an Bord nehmen, mit einer zusammenlegbaren Röntgeneinrichtung und einem transportablen Labor. Es ist telegrafisch schon alles bestellt. Die schöne Signorina wird gründlich und von einem Fachmann untersucht. Bewahrheitet sich die Diagnose der ersten Ärzte, so werde ich mich persönlich um die Wunderdroge HTS kümmern.« Saluzzo sah die bleiche Claudia mit seinem strahlenden, gesunden Auge an. »Sie sind wirklich das erste Mädchen, das meiner Tochter völlig ähnlich sieht. Daß es so etwas gibt.«

»Und welche Rolle spiele ich in Ihrem Stück?« fragte Hellberg gereizt.

»Eine Heldenrolle!« Saluzzo lehnte sich wieder zurück. Der weißfleischige, nach Thymian duftende Fisch wurde aufgelegt. »Warten Sie ab, mein Bester. Daß ihr Journalisten immer so neugierig und ungeduldig seid. Sehen Sie sich diesen Fisch an. Er ist zwei Meter lang. Ihn mit der Angel zu fangen und aus dem Meer zu holen, ist eine Knochenarbeit. Ein Zweikampf wie unter gleichwertigen Gladiatoren. Ich habe den Kampf bisher immer gewonnen.«

Das klang stolz und warnend.

Nach einer Stunde beendeten sie das Essen, Saluzzo entschuldigte sich, ging in die Funkkabine und streifte die Kopfhörer über. Von irgendwoher mußten wichtige Nachrichten kommen. Man sah, wie er sie mitschrieb.

»Ich habe Angst«, sagte Claudia kläglich, als sie mit Frank allein an Deck war und an der Reling stand. Fern von ihnen, in einem Streifen blausilbernen Dunstes, sah man die Küste Italiens. Um das Schiff kreisten Möwen. Tümmler sprangen aus dem Wasser und schnappten nach Küchenabfällen, die aus dem Kombüsenfenster geworfen wurden. »Weißt du, was er vorhat?«

»Ich ahne es.« Hellberg ergriff beide Hände Claudias. Er spürte, wie sie zitterte und wie sie glücklich war, daß er ihr beistehen konnte. »Wie sieht deine Kabine aus?«

»Wie das Zimmer auf einem Märchenschloß. Aber es hat keine Fenster. Es ist eine Innenkabine. Wenn man hier schreit, hört es niemand.«

Hellberg nagte an der Unterlippe. »Wir müssen heute noch von Bord. Auf jeden Fall diese Nacht.«

»Aber wie, Frank?«

»Ich weiß es noch nicht.« Hellberg blickte hinüber zu dem kaum sichtbaren Streifen der Küste. »Würdest du unter Umständen allein an Bord bleiben, vielleicht einen oder zwei Tage?«

»Ich habe schreckliche Angst, Frank«, sagte Claudia leise. »Wenn du bei mir bist, ist es nicht so schlimm.«

»Ich könnte dir mehr helfen, wenn ich an Land käme.«

»Heute nacht sollen wir nach Brindisi kommen, sagte Saluzzo. Glaubst du, daß es dort eine Möglichkeit gibt?«

»Ich werde einfach über Bord springen. Und in Brindisi werde ich einen Alarm schlagen, den die taubsten Ohren hören, auch wenn das Geld Saluzzos sie verklebt hat!« Hellberg ballte die Fäuste. »O Gott, hätte ich doch mehr auf die Warnungen Sampieris gehört!«

Er umfaßte Claudia, und sie gingen zum Bug, wo unter einem Sonnensegel Liegestühle standen und eine fahrbare Bar mit Erfrischungen.

Umberto Saluzzo kehrte von der Funkkabine in sein Büro zurück und schaltete dort das Tonband ab, das bis jetzt gelaufen war. Alles, was Claudia und Frank an der Reling gesprochen hatten, war über versteckte Mikrophone aufgenommen worden. Nun hörte Sa-luzzo das Gespräch ab, und ein böses Lächeln glitt über seinen dünn-lippigen Mund.

Saluzzo ging zum Bordtelefon und drückte auf einen Knopf. »Lui-gi«, sagte er, »wir ändern die Abmachung mit Professor Caroni. Telegrafiere ihm, daß wir ihn nicht in Brindisi an Bord nehmen, sondern daß ihn eine Barkasse vom Hafen abholt. Wir bleiben auf See und ankern am Riff.«

»Das ist schlecht«, antwortete die Stimme Luigi Foramentes.

»Warum?«

»Dann kann keiner schwimmen, Umberto. Am Riff gibt es Haie.«

»Ich weiß, Luigi.« Saluzzo rückte an seinem dunkelgetönten Monokel. »Gerade deswegen wollen wir in der Nacht dort ankern.«