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»Verlobt?«
»Meines Wissens, nein.«
Paser verbrachte eine schlaflose Nacht. Unaufhörlich dachte er an sie, hörte ihre Stimme, atmete ihren Duft, schmiedete tausend und eine List, um sie wiederzusehen, ohne indes eine befriedigende Lösung zu finden. Und unablässig kehrte dieselbe Furcht wieder: War er ihr gleichgültig? Er hatte bei ihr keinerlei Regung, lediglich zurückhaltende Anteilnahme für seine Stellung wahrgenommen. Selbst die Rechtspflege nahm einen bitteren Beigeschmack an; wie ohne sie weiterleben, wie ihre Abwesenheit hinnehmen? Niemals hätte Paser geglaubt, daß die Liebe ein solcher Strom wäre, der imstande war, alle Dämme einzureißen und das gesamte Sein zu überfluten.
Brav bemerkte die Verstörtheit seines Herrn; sein Blick bekundete ihm eine Zuneigung, die, das spürte das Tier wohl, dennoch nicht genügte. Paser hielt sich selbst vor, seinen Hund unglücklich zu machen; er hätte es vorgezogen, sich mit dieser Freundschaft, die keinerlei Schatten barg, zufriedenzugeben, doch er war außerstande, den Augen Neferets, ihrem lauteren Gesicht, dem Strudel, in welchen sie ihn hineinzog, zu widerstehen.
Was sollte er tun? Schwieg er, verdammte er sich dazu zu leiden; wenn er ihr seine Leidenschaft offenbarte, drohten ihm Ablehnung und Verzweiflung. Er mußte sie überzeugen, sie betören, doch über welche Waffen verfügte er – er, ein kleiner Vorstadtrichter ohne Vermögen?
Der Sonnenaufgang linderte seine Qualen nicht, veranlaßte ihn jedoch, sich zur Zerstreuung in seine Aufgaben als Gerichtsbeamter zu stürzen. Er fütterte Brav und Wind des Nordens und vertraute ihnen die Amtsstube in der Überzeugung an, daß der Gerichtsschreiber sich verspäten würde. Mit einem Papyruskorb versehen, der Täfelchen, Pinselfutteral und vorbereitete Tinte enthielt, schlug er die Richtung zu den Hafenanlagen ein.
Mehrere Schiffe lagen an der Landungsstelle, welche die Seeleute unter der Leitung eines Schauermanns selbst löschten. Nachdem sie ein Brett am Bug festgekeilt hatten, legten sie sich Stangen auf die Schultern, an die sie mittels Stricken Säcke, Körbe und Ballen hängten, um dann den schiefen Steg hinabzusteigen. Die Kräftigsten unter ihnen trugen schwere Bündel auf ihren Rücken. Paser wandte sich an den Bootsmann. »Wo kann ich Denes finden?«
»Den Herrn? Der ist überall!«
»Sollten die Hafenanlagen ihm etwa gehören?«
»Die nicht, aber etliche Schiffe! Denes ist der bedeutendste Warenbeförderer von Memphis und einer der reichsten Männer der Stadt.«
»Werde ich das Glück haben, ihm zu begegnen?«
»Er bemüht sich nur bei der Ankunft eines großen Lastschiffs … Geht zum Hauptbecken. Eines seiner Schiffe hat soeben angelegt.« Mit seiner Länge von ungefähr hundert Ellen konnte das gewaltige Hochseeschiff mehr als sechshundertfünfzig Tonnen Fracht befördern. Der flache Rumpf bestand aus unzähligen in Vollendung gesägten und ziegelartig zusammengefügten Planken; die Bretter der Einfassung der Außenkante waren sehr dick und mit Lederriemen verbunden. Ein beachtliches Segel war an einem dreifüßigen, umlegbaren und fest verspannten Mast gehißt worden. Der Schiffsführer ließ gerade die am Bug vertäute Schilfreuse abnehmen und den runden Anker werfen. Als Paser an Bord gehen wollte, versperrte ein Seemann ihm den Weg. »Ihr gehört nicht zur Mannschaft.«
»Richter Paser.«
Der Seemann wich zur Seite; der Richter betrat den Laufsteg und kletterte bis zur Hütte des Schiffsführers, eines fünfzigjährigen Griesgrams. »Ich würde gerne Denes sehen.«
»Den Herrn, zu dieser Stunde? Das ist doch nicht Euer Ernst!«
»Ich verfüge über eine Klage in gehöriger Form.«
»In welchem Zusammenhang?«
»Denes nimmt eine Gebühr für die Löschung von Schiffen ein, die ihm nicht gehören, was unrechtmäßig und unbillig ist.«
»Ach, diese alte Geschichte! Das ist ein von der Obrigkeit eingeräumtes Vorrecht des Herrn; jedes Jahr wird aus Gewohnheit eine Anzeige eingereicht. Das ist ohne Belang; Ihr könnt sie in den Fluß werfen.«
»Wo wohnt er?«
»Im größten Herrenhaus hinter den Hafenbecken, am Eingang zum Palastviertel.«
Ohne seinen Esel verspürte Paser eine gewisse Mühe, sich zurechtzufinden; und ohne den Pavian des Ordnungshüters mußte er Aufläufen von Klatschbasen trotzen, die um die fliegenden Händler in hitzigem Wortgefecht zusammenstanden. Das ungeheure Herrenhaus von Denes war mit hohen Mauern umgeben und der beeindruckende Eingang von einem mit einem Stock bewaffneten Türhüter bewacht. Paser stellte sich vor und verlangte, vorgelassen zu werden. Der Türhüter rief nach einem Verwalter, der das Ersuchen vortrug und den Richter nach ungefähr zehn Minuten abholte. Er hatte kaum Muße, die Schönheit des Gartens, den Reiz des Lustteichs und die Pracht der Blumenbeete zu genießen, denn er wurde unmittelbar zu Denes geleitet, der sein Morgenmahl in einem weiträumigen Saal mit vier Säulen und mit von Jagddarstellungen ausgeschmückten Wänden einnahm. Der Warenbeförderer war ein stämmiger Mann um die Fünfzig von schwerem Körperbau, dessen kantiges, eher plumpes Gesicht ein feiner, weißer Bartkranz zierte. In einem tiefen Prunkstuhl mit Löwenklauen sitzend, ließ er sich von einem eilfertigen Diener mit kostbarem Öl salben, während ein zweiter ihm die Hände und Nägel pflegte. Ein dritter machte sein Haar zurecht, während ein vierter ihm die Füße mit Duftsalbe einrieb und ein fünfter ihm die Speisenfolge verkündete.
»Richter Paser! Welch glücklicher Zufall führt Euch hierher?«
»Ein Klage.«
»Habt Ihr bereits gespeist? Ich noch nicht.« Denes schickte die Leibdiener fort; sogleich traten zwei Köche herein, die Brot, Bier, eine gebratene Ente und Honigkuchen auftrugen. »Bedient Euch.«
»Ich danke Euch.«
»Ein Mann, der sich am Morgen nicht gut nährt, kann kein gutes Tagewerk vollbringen.«
»Gegen Euch ist eine ernste Beschuldigung erhoben worden.«
»Das würde mich wundern!« Denes’ Stimme mangelte es an Würde; sie schwang sich bisweilen in spitze Tonlagen hinauf und verriet eine Zerfahrenheit, die zu dem erhabenen Selbstgefühl der Person in deutlichem Gegensatz stand. »Ihr nehmt eine unbillige Abgabe auf die Löschungen ein, und Ihr werdet verdächtigt, eine unrechtmäßige Steuer bei den Anwohnern der beiden dem Reich gehörenden Anlegestellen zu erheben, die Ihr häufig benutzt.«
»Alte Gewohnheiten! Bekümmert Euch nicht darum. Euer Vorgänger maß dem Ganzen nicht mehr Bedeutung bei als der Oberste Richter des Gaus. Vergeßt es, und nehmt Euch eine Entenbrust.«
»Ich fürchte, das ist unmöglich.« Denes hörte auf zu kauen.
»Ich habe keine Zeit, mich damit zu befassen. Sucht meine Gemahlin auf; sie wird Euch beweisen, daß Ihr Euch um nichts und wieder nichts abmüht.« Der Warenbeförderer klatschte in die Hände; ein Verwalter erschien.
»Führt den Richter zum Arbeitszimmer der Dame Nenophar.«
Und Denes wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Morgenmahl zu.
Dame Nenophar war eine berühmte Geschäftsfrau. Von skulpturaler Erscheinung, wohlbeleibt, überschäumend, nach dem neuesten Geschmack gekleidet und mit einer ebenso schweren wie beeindruckenden Zopfperücke auf dem Haupt, trug sie ein Türkispektoral, eine Amethysthalskette, überaus kostspielige Silberarmbänder und ein Netz grüner Perlen auf ihrem langen Gewand. Als Eigentümerin weiter und ertragreicher Ländereien, mehrerer Häuser und von bald zwanzig Höfen leitete sie einen Stab von Handelsvertretern, die etliche Erzeugnisse in Ägypten und Syrien verkauften. Sie, die Aufseherin der Königlichen Speicherhäuser, die Prüferin des Schatzhauses und für die Stoffe im Palast zuständige Kammerfrau, war einst der Betörungskunst des weit weniger vermögenden Denes erlegen. Da er in ihren Augen ein erbärmlicher Verwalter war, hatte sie ihn an die Spitze der Warenbeförderung berufen, so daß ihr Gemahl viel reisen, ein umfangreiches Geflecht von Beziehungen unterhalten und sich oftmals seinem liebsten Vergnügen, dem endlosen Gespräch bei einem guten Wein, hingeben konnte. Verächtlich musterte sie den jungen Richter, der sich in ihr Reich vorwagte. Sie hatte munkeln hören, daß dieser Bauer den Richterstuhl jenes jüngst verstorbenen Amtmannes innehatte, mit welchem sie ehedem auf bestem Fuße stand. Zweifelsohne wollte er ihr einen Höflichkeitsbesuch abstatten: eine gute Gelegenheit, ihn unter die Fuchtel zu nehmen. Ohne schön zu sein, war er recht stattlich: das Gesicht fein geschnitten und ernst, der Blick tief. Sie bemerkte verdrossen, daß er sich nicht wie ein Niederer vor einem Großen verbeugte. »Seid Ihr gerade erst nach Memphis berufen worden?«
»Das trifft zu.«
»Meine Glückwünsche; dieses Amt verheißt eine glänzende Laufbahn. Weshalb wünscht Ihr mich zu sprechen?«
»Es handelt sich um eine unrechtmäßigerweise eingenommene Gebühr, die …«
»Ich weiß Bescheid und das Schatzhaus ebenfalls.«
»Ihr anerkennt demnach die Stichhaltigkeit der Klage?«
»Sie wird jedes Jahr erhoben und sogleich verworfen; ich besitze ein anerkanntes Recht.«
»Es steht mit dem Gesetz nicht in Einklang und weniger noch mit der Gerechtigkeit.«
»Ihr müßtet besser über den Umfang meiner Ämter unterrichtet sein; in meiner Eigenschaft als Prüferin des Schatzhauses verwerfe ich selbst diese Art von Klagen. Die geschäftlichen Belange des Landes dürfen nicht unter einer veralteten Vorschrift leiden.«
»Ihr überschreitet Eure Befugnisse.«
»Große Worte ohne allen Sinn! Ihr kennt das Leben nicht, junger Mann.«
»Wollt Ihr Euch gefälligst jeglicher Vertraulichkeiten enthalten; muß ich Euch daran erinnern, daß ich Euch von Amts wegen befrage?«
Nenophar nahm die Ermahnung nicht auf die leichte Schulter. Einem Richter, so bescheiden er auch sein mochte, mangelte es nicht an Macht.
»Seid Ihr in Memphis gut untergebracht?« Paser antwortete nicht.
»Eure Behausung ist nicht sonderlich behaglich, hat man mir gesagt; da Ihr und ich, unter dem Zwang der Verhältnisse, Freunde werden, könnte ich Euch, für einen geringfügigen Preis, ein behagliches Herrenhaus verpachten.«