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»Ihr habt den Sachverhalt anerkannt.«
»Aber Ihr werdet doch Eurer Obrigkeit nicht widersprechen!«
»Wenn sie sich irrt, werde ich keinen Augenblick zögern.«
»Nehmt Euch in acht, Richter Paser; Ihr seid nicht allmächtig.«
»Dessen bin ich mir bewußt.«
»Seid Ihr fest entschlossen, diese Klage zu prüfen?«
»Ich werde Euch in meine Amtsstube einbestellen.«
»Zieht Euch zurück!« Paser gehorchte.
Wutentbrannt drang Nenophar umgehend in die Gemächer ihres Gemahls ein. Denes probierte gerade einen neuen Schurz mit breiten Schößen an. »Ist der kleine Richter gezähmt?«
»Im Gegenteil, Dummkopf! Er ist ein wahrhaftiges Raubtier.«
»Du siehst recht schwarz; bieten wir ihm ein paar Geschenke an.«
»Sinnlos. Kümmere dich um ihn, statt dich aufzuplustern. Wir müssen ihn schnellstens an die Kette legen.«
»Hier ist es«, verkündete Kem. »Seid Ihr sicher?« fragte Paser verdutzt. »Ganz ohne Zweifel; dieses Haus ist tatsächlich das des Oberaufsehers des Sphinx.«
»Woher habt Ihr diese Gewißheit?« Der Nubier zeigte ein grimmiges Lächeln. »Dank meines Pavians haben sich die Zungen gelöst. Wenn er die Reißzähne zeigt, reden selbst die Stummen.«
»Derartige Vorgehens weisen …«
»Sie sind wirkungsvoll. Ihr wolltet ein Ergebnis, nun habt Ihr es.«
Die beiden Männer sahen sich den armseligsten Vorort der großen Stadt genauer an. Man aß sich hier zwar satt, wie in ganz Ägypten, doch etliche der alten Gemäuer waren verkommen, und die Reinlichkeit ließ zu wünschen übrig. Hier wohnten Syrer in der Hoffnung auf eine Arbeit, Bauern, die, um ihr Glück zu machen, in die Stadt gekommen und rasch ernüchtert worden waren, Witwen ohne großes Auskommen. Das Viertel war für einen Oberaufseher des berühmten Sphinx von Ägypten gewiß nicht angemessen. »Ich werde ihn befragen gehen.«
»Der Ort ist nicht sicher; Ihr solltet Euch nicht alleine hineinwagen.«
»Wie Ihr wollt.«
Verwundert stellte Paser fest, daß Türen und Fenster sich nach ihrem Durchkommen schlossen. Die dem Herzen der Ägypter so teure Gastlichkeit schien in diesem abgeschotteten Winkel nicht am Platze. Aufgeregt lief der Pavian mit unsicheren Schritten voran. Der Nubier erkundete unaufhörlich die Dächer. »Was fürchtet Ihr?«
»Einen Bogenschützen.«
»Weshalb sollte man uns nach dem Leben trachten?«
»Ihr seid es, der Nachforschungen betreibt; wenn sie hier münden, muß die Sache faul sein. An Eurer Stelle würde ich davon ablassen.« Die Tür aus Palmholz wirkte massiv; Paser klopfte. Im Innern regte sich jemand, antwortete aber nicht. »Öffnet, ich bin Richter Paser.« Stille trat ein. Ohne Erlaubnis den Zugang zu einer Wohnstatt zu erzwingen, war ein Vergehen, der Richter rang mit seinem Gewissen. »Glaubt Ihr, Euer Pavian …«
»Töter ist vereidigt; seine Nahrung wird von der Obrigkeit gestellt, und wir müssen über sein Einschreiten Rechenschaft ablegen.«
»Die Wirklichkeit entspricht den Vorstellungen selten.«
»Zum Glück«, meinte der Nubier. Die Tür widerstand dem großen Affen nicht lange, seine Kraft verblüffte Paser; es war gut, daß Töter auf der Seite des Gesetzes stand. Die beiden kleinen Kammern waren durch die Matten, die die Fenster verhängten, in Dunkelheit getaucht. Gestampfter Lehmboden, eine Wäschetruhe, eine andere für Geschirr, eine Matte zum Sitzen, Gerätschaften zur Körperpflege: ein bescheidenes, doch sauberes Heim.
In einem Winkel des zweiten Raumes kauerte eine kleine, weißhaarige, mit einem langen Obergewand bekleidete Frau am Boden.
»Schlagt mich nicht«, flehte sie, »ich habe nichts gesagt, ich schwöre es Euch.«
»Seid unbesorgt; ich möchte Euch helfen.« Sie ergriff die dargebotene Hand des Richters und erhob sich; plötzlich erfüllte Grauen ihre Augen. »Der Affe! Er wird mich zerfleischen!«
»Nein«, beruhigte sie Paser, »er gehört zu den Ordnungskräften. Seid Ihr die Gattin des Oberaufsehers des Sphinx?«
»Ja …«
Die dünne Stimme war kaum hörbar. Paser bat die Frau, sich auf die Matte niederzusetzen, und nahm ihr gegenüber Platz. »Wo ist Euer Gatte?«
»Er … er ist auf Reisen.«
»Weshalb habt Ihr Eure Dienstunterkunft verlassen?«
»Weil er von seinem Amt zurückgetreten ist.«
»Ich befasse mich mit der Bestätigung der Versetzung«, erklärte Paser. »Die amtlichen Schriftstücke erwähnen seinen Rücktritt nicht.«
»Ich kann mich vielleicht irren …«
»Was ist geschehen?« fragte der Richter behutsam.
»Wißt, daß ich nicht Euer Feind bin; wenn ich Euch nützlich sein kann, werde ich handeln.«
»Wer schickt Euch?«
»Niemand. Ich ermittle aus eigenem Antrieb, um eine Entscheidung billigen zu können, die ich noch nicht verstehe.«
Die Augen der alten Frau wurden naß von Tränen.
»Seid Ihr … aufrichtig?«
»Bei PHARAOS Leben.«
»Mein Mann ist verstorben.«
»Seid Ihr Euch dessen gewiß?«
»Soldaten haben mir versichert, er wäre den Riten gemäß bestattet worden. Sie haben mir befohlen, umzuziehen und mich hier einzurichten. Ich würde ein kleines Ruhegehalt bis zum Ende meiner Tage beziehen, sofern ich schwiege.«
»Was hat man Euch über die Umstände seines Hinscheidens enthüllt?«
»Ein Unfall, so sagten sie.«