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»Dann werde ich diesen hohen Mann aufsuchen.«
»Davon rate ich Euch ab; er mag Richter nicht.«
»Ich werde zusehen, mich liebenswert zu zeigen.«
Monthmose, der Vorsteher der Ordnungskräfte, besaß zwei Herrenhäuser: eines in Memphis, wo er die meiste Zeit verbrachte, das andere in Theben. Klein und fett wie er war und mit seinem runden Gesicht flößte er Vertrauen ein; doch die spitze Nase und die näselnde Stimme straften das gutmütige Äußere Lügen. Der Junggeselle Monthmose hatte seit seiner frühesten Jugend einzig und allein seine Laufbahn und Ehren im Blick gehabt; das Glück hatte ihn begünstigt, indem es ihn mit einer Folge gelegener Todesfälle beschenkte. So hatte einst, während er noch mit der Aufsicht der Kanäle betraut gewesen war, sich der Verantwortliche für Ordnung und Sicherheit seines Bezirks bei einem Sturz von der Leiter den Hals gebrochen; ohne besondere Eignung, doch eilfertig bei der Bewerbung, hatte Monthmose die Stelle erhalten. Da er sich bestens darauf verstand, aus der Arbeit seines Vorgängers Nutzen zu ziehen, hatte er sich rasch einen ausgezeichneten Ruf geschaffen. Manch einer hätte sich mit dieser Beförderung zufriedengegeben, doch ihn zerfraß der Ehrgeiz; weshalb nicht nach der Leitung der Ordnungskräfte des Nils trachten? Leider befand sich damals an deren Spitze ein junger und rühriger Mann. Neben ihm hatte Monthmose eine blasse Erscheinung abgegeben. Doch der hinderliche Beamte war schließlich bei einer alltäglichen Maßnahme in den Fluten umgekommen und hatte Monthmose das Feld überlassen, der, von seinen zahlreichen Verbindungen gestützt, also gleich seine Anwartschaft eingereicht hatte. Anstelle von zwar ernsthafteren, doch weniger wendigen Mitbewerbern erwählt, hatte er auch dort seine erfolgreiche Vorgehensweise angewandt: sich die Anstrengungen anderer einzuverleiben und einen persönlichen Vorteil aus diesen zu ziehen. Bereits hochgestellt in der Hierarchie, wäre deren von ihm erträumter Gipfel ihm wahrscheinlich ganz und gar unerreichbar geblieben, da der Vorsteher der Ordnungskräfte, ein Mann im allerbesten Alter von überquellendem Tätigkeitsdrang, nur Erfolge verbucht hatte. Dessen einziges Mißgeschick indes sollte der Unfall eines Streitwagens werden, bei dem er, unter den Rädern zermalmt, zu Tode kam. Monthmose hatte sich sofort trotz allbekannter Widersacher um das Amt bemüht; in besonderem Maße gewandt darin, sich ins rechte Licht zu rücken und seine Dienstjahre geltend zu machen, hatte er endlich den Sieg davongetragen. Jetzt, da er an der Spitze der Pyramide stand, kümmerte sich Monthmose vor allem darum, dort zu verbleiben; deshalb umgab er sich auch mit Mittelmäßigen, die ihn zu verdrängen außerstande waren. Sobald er eine starke Persönlichkeit gewahrte, schob er sie beiseite. Im Dunkeln wirken, die Menschen beeinflussen und lenken, ohne daß sie es merkten, Ränke schmieden, waren seine liebsten Zeitvertreibe. Er prüfte gerade die Ernennungen zu den Ordnungskräften der Wüste, als sein Verwalter ihn vom Besuch des Richters Paser benachrichtigte. Gewöhnlich schickte Monthmose die niederen Gerichtsbeamten zu seinen Untergebenen zurück; dieser jedoch erregte seine Neugierde. Hatte er nicht soeben Denes einen Hieb versetzt, dessen Vermögen ihm doch erlaubte, jeden beliebigen zu bestechen? Der junge Richter würde bald, als Opfer seines Wunschdenkens, zusammenbrechen, doch vielleicht könnte Monthmose sich seine Umtriebe zunutze machen. Daß er die Kühnheit besaß, ihn zu belästigen, bewies hinreichend seine Entschlossenheit. Der Vorsteher der Ordnungskräfte begrüßte Paser in einem Raum seines Herrenhauses, in welchem er seine Ehrenzeichen, Goldpektorale, Halbedelsteine und Würdenstäbe von vergoldetem Holz ausstellte. »Ich danke Euch, mich empfangen zu wollen.«
»Ich bin ein ergebener Gehilfe des Rechts; gefällt es Euch in Memphis?«
»Ich muß mich mit Euch über eine befremdliche Angelegenheit besprechen.« Monthmose ließ Bier von allererster Güte auftragen und befahl seinem Verwalter, ihn nicht mehr zu stören.
»Erklärt Euch.«
»Es ist mir unmöglich, eine Versetzung zu bestätigen, ohne zu wissen, was aus dem Betroffenen geworden ist.«
»Das liegt auf der Hand; um wen handelt es sich?«
»Um den ehemaligen Oberaufseher des Sphinx von Gizeh.«
»Ein Ehrenamt, wenn ich nicht fehlgehe? Man behält es Altgedienten vor.«
»In diesem besonderen Fall ist dieser Altgediente versetzt worden.«
»Hat er sich etwa ein ernstes Vergehen zuschulden kommen lassen?«
»Meine Unterlage läßt dies unerwähnt. Darüber hinaus ist der Mann genötigt worden, seine Dienstunterkunft zu verlassen und im ärmsten Viertel der Stadt Zuflucht zu nehmen.« Monthmose wirkte verdrossen. »Befremdlich, in der Tat.«
»Es gibt Ernsteres noch: Seine Gattin, die ich befragt habe, behauptet, ihr Gemahl sei tot. Doch sie hat den Leichnam nie gesehen und weiß nicht, wo er bestattet ist.«
»Weshalb ist sie von seinem Ableben überzeugt?«
»Krieger haben ihr die traurige Nachricht überbracht; sie haben ihr ebenfalls befohlen zu schweigen, sofern sie Wert darauf lege, einen Ruhesold zu erhalten.«
Der Vorsteher der Ordnungskräfte trank gemächlich einen Kelch Bier; er hatte erwartet, daß der Fall Denes zur Sprache käme, und entdeckte nun ein unerfreuliches Rätsel.
»Glänzende Nachforschungen, Richter Paser; Euer aufkeimender Ruhm besteht zu Recht.«
»Ich habe die Absicht fortzufahren.«
»Auf welche Weise?«
»Wir müssen den Leichnam finden und die Ursachen des Hinscheidens ermitteln.«
»Da habt Ihr nicht unrecht.«
»Eure Hilfe wird mir unerläßlich sein; da Ihr die Ordnungshüter der Städte und Dörfer, die des Flusses und die der Wüste leitet, könntet Ihr mir die Ermittlungen erleichtern.«
»Das ist leider unmöglich.«
»Ihr seht mich überrascht.«
»Eure Hinweise sind zu unbestimmt; außerdem stehen ein Altgedienter und andere Krieger im Mittelpunkt dieser Angelegenheit. Mit anderen Worten: das Heer.«
»Darüber habe ich bereits nachgesonnen; aus diesem Grunde ersuche ich Euch um Euren Beistand. Wenn Ihr es seid, der Erklärungen fordert, wird die Führung des Heeres gezwungen sein zu antworten.«
»Die Lage ist vielschichtiger, als Ihr es Euch vor stellt; das Heer ist auf seine Unabhängigkeit gegenüber den Ordnungskräften bedacht. Es liegt nicht in meiner Gewohnheit, in den Bereich des Heereswesens einzugreifen.«
»Ihr kennt es indes gut.«
»Übertriebenes Gerede. Ich fürchte, Ihr begebt Euch auf einen gefahrvollen Pfad.«
»Es ist mir unmöglich, einen Todesfall ungeklärt zu lassen.«
»Da pflichte ich Euch bei.«
»Was ratet Ihr mir?«
Monthmose dachte lange nach. Dieser junge Gerichtsbeamte wich nicht so leicht zurück; ihn insgeheim zu lenken, wäre zweifelsohne nicht einfach. Andererseits vertiefte Nachforschungen würden es Monthmose erlauben, seine Schwachpunkte herauszufinden und sie geschickt zu nutzen. »Wendet Euch an den Mann, der die Altgedienten in die Ehrenämter berufen hat: den Heerführer Ascher.«
Der Schattenfresser[32] bewegte sich wie eine Katze durch die Nacht. Völlig lautlos allen Hindernissen ausweichend, schlich er sich die Mauern entlang und verschmolz mit der Finsternis. Niemand konnte sich rühmen, ihn bemerkt zu haben. Und wer könnte ihn verdächtigen?
Das ärmste aller Viertel von Memphis war eingeschlummert. Hier fanden sich weder Türhüter noch Wächter wie vor den reichen Herrenhäusern. Der Mann verbarg sein Gesicht hinter einer Schakalmaske aus Holz[33] mit beweglichem Unterkiefer und drang in die Behausung der Gemahlin des Oberaufsehers des Sphinx.
Wenn er einen Befehl erhielt, führte er ihn widerspruchslos aus; zu lange schon war jedes Gefühl aus seinem Herzen verschwunden. Er, der menschliche Falke[34], tauchte aus der Dunkelheit hervor, aus der er seine Kraft schöpfte. Die alte Frau fuhr aus dem Schlaf auf, der Anblick des Grauens nahm ihr den Atem. Sie stieß einen markerschütternden Schrei aus und sank tot zusammen. Der Töter hatte nicht einmal eine Waffe gebrauchen und sein Verbrechen verschleiern müssen. Die Schwatzbase würde nicht mehr reden.
Der Heerführer Ascher hieb dem Anwärter mit der Faust in den Rücken; der Krieger brach im staubigen Hof der Kaserne zusammen. »Weichlinge verdienen kein besseres Geschick.« Ein Bogenschütze trat aus den Reihen. »Er hatte keinen Fehler begangen, Heerführer.«
»Du, du redest zuviel; verlaß augenblicklich die Übung. Fünfzehn Tage verschärfte Haft und ein langer Aufenthalt in der Feste des Südens werden dich Zucht und Gehorsam lehren.« Der Heerführer befahl der Schar einen einstündigen Lauf mit Bogen, Köchern, Schilden und Vorratsbeuteln; falls sie ins Feld zögen, würden ihnen rauhere Bedingungen begegnen. Wenn einer der Krieger erschöpft innehielt, zog er ihn an den Haaren und zwang ihn, sich schnellstens wieder einzugliedern. Die Rückfälligen sollten im Kerker verkümmern. Ascher hatte genügend Erfahrung, um zu wissen, daß allein eine unerbittliche Ausbildung zum Sieg führte; jedes durchgestandene Leiden, jede beherrschte Bewegung verschaffte dem Streiter eine zusätzliche Aussicht zu überleben. Nach einer reichlich erfüllten Laufbahn auf den Schlachtfeldern Asiens war Ascher, ein Held aufsehenerregender Großtaten, zum Verwalter der Pferde, Vorsteher der Jungkrieger und Ausbilder in der Hauptkaserne von Memphis ernannt worden. Mit grimmigem Vergnügen huldigte er diesem Amt ein letztes Mal; seine kürzliche Ernennung, die am Vortag öffentlich bekanntgemacht worden war, würde ihn in Zukunft von dieser Mühsal befreien. In seiner Eigenschaft als PHARAOS Abgesandter für fremde Länder würde er die königlichen Befehle den an den Grenzen aufgestellten Sonderverbänden übermitteln, könnte Seiner Hoheit als Wagenlenker dienen und die Stellung des Bannerträgers zu dessen Rechten einnehmen. Ascher war kleingewachsen und besaß ein unangenehmes Äußeres: kurzgeschorenes Haupthaar, mit schwarzen, starren Haaren bedeckte Schultern, breiter Brustkorb, kurze muskulöse Beine. Eine Narbe lief quer über seine Brust, von der Schulter bis zum Nabel, das Andenken einer Klinge, die ihm fast das Leben verkürzt hätte. Von einem nicht zu erstickenden Gelächter geschüttelt, hatte er seinen damaligen Angreifer mit bloßen Händen erwürgt. Sein von Falten zerfurchtes Gesicht glich dem eines Nagetiers. Nach diesem allerletzten Morgen in seiner bevorzugten Kaserne dachte Ascher bereits an das zu seinen Ehren ausgerichtete Festmahl. Er wandte sich gerade zu den Schwallbadsälen, als ein Verbindungsoffizier ihn mit aller gebührenden Höflichkeit ansprach. »Verzeiht mir, Euch zu belästigen, Heerführer; ein Richter wünscht Euch zu sprechen.«
»Wer ist es?«
»Nie gesehen.«
»Weist ihn höflich ab.«
»Er gibt vor, es sei dringend und ernst.«
»Der Grund?«
»Vertraulich. Betrifft nur Euch.«
»Führt ihn her.«
Paser wurde in die Mitte des Hofes gebracht, wo der Heerführer, die Hände hinterm Rücken verschränkt, breitbeinig seiner harrte. Zu seiner Linken ertüchtigten sich Jungkrieger bei Kräftigungsübungen; zu seiner Rechten wurde Bogenschießen erlernt. »Euer Name?«
»Paser.«