37695.fb2 Das Testament der G?tter - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

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Die größte Anstrengung vermochte sie nicht abzuschrecken; doch sie hätte niemals erwartet, die Verantwortung für ein Siechenhaus der Streitkräfte zu übernehmen, in dem die krank oder versehrt aus Asien heimkehrenden Krieger untergebracht waren. An die dreißig Männer waren auf Matten gebettet; die einen röchelten, andere waren dem Wahnsinn verfallen, wieder andere entleerten sich aller Säfte. Der für die Gesundheitsfürsorge der Kaserne Zuständige hatte der jungen Frau nicht die geringste Verhaltensmaßregel an die Hand gegeben und sich damit begnügt, sie einfach stehenzulassen. Er gehorchte nur den Befehlen.

Neferet faßte sich wieder. Was auch immer der Grund für diese böswillige Quälerei war, sie mußte doch ihre Pflicht tun und diese Unglücklichen pflegen. Nachdem sie die Arzneimittelkammer der Kaserne geprüft hatte, gewann sie wieder Vertrauen. Die dringendste Aufgabe bestand erst einmal darin, die heftigen Schmerzen zu lindern; daher zermahlte sie fleischige Mandragorawurzeln – eine Pflanze mit langen Blättern, grünlichen Blüten und gelbroten Früchten –, um aus ihnen einen sehr wirksamen Stoff zu gewinnen, der als Schmerz- und Betäubungsmittel zugleich diente. Dann vermischte sie Dillfenchel, Dattel- und Traubensaft und ließ alles in Wein verköcheln; während vier aufeinanderfolgenden Tagen würde sie diesen Heiltrunk den Kranken verabreichen.

Darauf rief sie einen jungen Krieger herbei, der gerade den Kasernenhof fegte. »Du wirst mir helfen.«

»Ich? Aber ich …«

»Du bist zum Krankenpfleger ernannt.«

»Der Befehlshaber …«

»Suche ihn auf der Stelle auf, und sage ihm, daß dreißig Männer sterben werden, falls er mir deinen Beistand verweigert.«

Der Soldat fügte sich widerwillig; das grausame Spiel, dem beizuwohnen er genötigt sein würde, gefiel ihm nicht.

Als er das Krankenzimmer betrat, hätte der Offiziersanwärter beinahe die Besinnung verloren; Neferet sprach ihm Mut zu.

»Du wirst ihre Köpfe behutsam anheben, damit ich ihnen das Heilmittel einflößen kann; anschließend werden wir sie waschen und den Raum reinigen.« Zu Anfang schloß er die Augen und hielt den Atem an; durch Neferets Ruhe gestärkt, vergaß der ungeübte Krankenpfleger jedoch allmählich seinen Ekel und konnte beglückt mit ansehen, daß der Trunk rasch wirkte. Röcheln und Schreie klangen ab; mehrere Krieger schliefen sogar ein. Einer von ihnen klammerte sich an das rechte Bein der jungen Frau. »Laßt mich los.«

»Sicher nicht, meine Schöne, eine solche Beute gibt man nicht preis. Ich werde dir Lust schenken.« Der Krankenpfleger ließ den Kopf des Kranken los, der schwer auf den Boden fiel, und schlug ihn mit einem Fausthieb ohnmächtig; die Finger erschlafften, Neferet befreite sich. »Danke.«

»Ihr … Ihr habt keine Angst bekommen?«

»Doch, natürlich.«

»Wenn Ihr wollt, werde ich sie alle auf dieselbe Art betäuben!«

»Nur, wenn es nötig ist.«

»Woran leiden diese hier?«

»Ruhr.«

»Ist das ernst?«

»Ein Leiden, das ich kenne und das ich heilen kann.«

»In Asien trinken sie fauliges Wasser; ich, für meinen Teil, ziehe es vor, die Kaserne zu fegen.« Sobald für peinliche Reinlichkeit gesorgt war, verordnete Neferet ihren Kranken Tränke auf der Grundlage von Koriander[39], um die Krämpfe zu besänftigen und die Gedärme zu läutern. Dann zerrieb sie Granatwurzeln mit Bierhefe, seihte das Gemisch durch ein Leintuch, um es eine Nacht ruhen zu lassen. Auch die gelbe, mit Kernen von glänzendem Rot gefüllte Frucht spendete ein wirkungsvolles Heilmittel gegen Durchfall und Ruhr.

Neferet behandelte die akutesten Fälle mit einem aus Honig, vergorenen Schleimstoffen[40], Süßbier und Salz zusammengesetzten Einlauf, den sie mit einem kupfernen Horn, dessen feines Ende die Form eines Schnabels hatte, in den After verabreichte. Fünf Tage nachhaltiger Pflege erbrachten ausgezeichnete Ergebnisse. Kuhmilch und Honig, die einzigen zulässigen Nahrungsmittel, brachten die Kranken schließlich wieder auf die Beine.

Sechs Tage, nachdem Neferet ihr Amt angetreten hatte, besuchte der Oberste Arzt Neb-Amun in bester Laune die Gesundheitseinrichtungen der Kaserne. Er zeigte sich befriedigt und beendete seine Besichtigung mit dem Krankensaal, wo die während des letzten Asienfeldzugs von Ruhr heimgesuchten Krieger abgesondert worden waren. Am Ende ihrer Widerstandskraft und völlig erschöpft, würde die junge Frau ihn anflehen, ihr eine andere Stellung zu geben, und einwilligen, in seinem Stab zu arbeiten. Ein Jungkrieger fegte die Schwelle des Siechensaals, dessen Tür weit offenstand; Durchzug läuterte den leeren und mit Kalk ausgestäubten Raum.

»Ich muß mich verlaufen haben«, sagte Neb-Amun zu dem Soldaten, »wißt Ihr, wo die Heilkundige Neferet arbeitet?«

»Im ersten Schreibzimmer zu Eurer Linken.« Die junge Frau war gerade dabei, Namen auf einen Papyrus zu schreiben. »Neferet! Wo befinden sich die Kranken?«

»Auf dem Weg der Genesung.«

»Unmöglich.«

»Hier ist die Aufstellung der Siechen mit der jeweiligen Behandlungsart und dem Zeitpunkt ihrer Entlassung aus dem Krankensaal.«

»Aber wie …«

»Ich danke Euch, mir diese Aufgabe anvertraut zu haben, die mir erlaubt hat, die Gültigkeit unserer Heilverfahren und Verabreichungen nachzuprüfen.« Sie äußerte sich ohne Feindseligkeit, mit einem sanften Leuchten im Blick. »Ich glaube, daß ich mich getäuscht habe.«

»Wovon sprecht Ihr?«

»Ich habe mich wie ein Dummkopf betragen.«

»Ihr steht gleichwohl nicht in diesem Ruf, Neb-Amun.«

»Hört mich an, Neferet …«

»Ihr werdet schon morgen einen vollständigen Bericht erhalten; wolltet Ihr so freundlich sein, mir so rasch als möglich meine nächste Bestallung anzugeben?«

Monthmose barst vor Zorn. Im großen Herrenhaus würde nicht ein Diener sich zu rühren wagen, solange die kalte Wut des Vorstehers der Ordnungskräfte sich nicht besänftigt hätte. Während solcher Zeiten äußerster Anspannung juckte ihm der Kopf, und er kratzte sich bis aufs Blut.

Zu seinen Füßen lagen Papyrusfetzen, die armseligen Überbleibsel der zerrissenen Berichte seiner Untergebenen. Nichts.

Kein greifbarer Hinweis, kein offenkundiges Amtsvergehen, nicht die leiseste Unterschlagung: Paser verhielt sich wie ein rechtschaffener, also gefährlicher Richter. Es war nicht Monthmoses Gewohnheit, seine Gegner zu unterschätzen; dieser hier gehörte zu denen, die man fürchten mußte, und würde nicht leicht zu bekämpfen sein. Er würde nichts Entscheidendes in die Wege leiten, bevor nicht eine Frage beantwortet wäre: Wer bediente sich Pasers im geheimen?

14. Kapitel

Der Wind blähte das breite Segel des einmastigen Schiffes, das auf den weiten Wasserflächen des Deltas dahinsegelte. Der Steuermann handhabte das Ruder mit Geschick und nutzte die Strömung aus, während seine Fahrgäste, der Richter Paser, Kem und sein Pavian, sich in der mitten auf dem Gefährt aufgebauten Hütte ausruhten; auf deren Dach lag ihr Gepäck. Am Bug lotete der Schiffsführer die Tiefe mittels einer Stange aus und erteilte der Mannschaft die notwendigen Befehle. Das an Bug und Heck aufgemalte Udjatauge beschützte die Fahrt. Paser trat aus der Hütte und lehnte sich an die Umrandung, um die ihm bisher unbekannte Landschaft zu bewundern. Wie weit war doch das Tal mit seinen zwischen zwei Wüsten eingezwängten Ackerflächen! Hier teilte sich der Fluß in Arme und Kanäle, die Städte, Dörfer, Palmenhaine, Felder und Weingärten bewässerten; Hunderte von Vögeln, Schwalben, Haubentaucher, Seidenreiher, Raben, Lerchen, Sperlinge, Kormorane, Pelikane, Wildgänse, Enten, Kraniche, Störche, zogen durch einen zartblauen, bisweilen leicht bewölkten Himmel. Der Richter hatte den Eindruck, ein von Schilf und Papyrus bestandenes Meer zu schauen; auf den herausragenden Erdhügeln schützten Weiden- und Akazienbaumgruppen eingeschossige Häuschen. Handelte es sich nicht um den Ursumpf, von dem die alten Verfasser sprechen, um die irdische Verkörperung des Meeres, das die Welt umspülte und aus dem, an jedem Morgen, die neue Sonne auftauchte? Nilpferdjäger, die einem Bullen nachstellten, machten dem Schiffer Zeichen, die Fahrtrichtung zu ändern; das verletzte Tier, das soeben wieder untergetaucht war, konnte unversehens an die Oberfläche kommen und ein Wasserfahrzeug, selbst von leidlicher Größe, zum Kentern bringen. Das Ungetüm würde sich grimmig wehren. Der Schiffsführer nahm sich die Warnung zu Herzen; er fuhr auf das »Wasser des Re« [41], das den östlichsten Arm des Nils, nach Nordosten hin, bildete. Nahe Bubastis, der Stadt der durch eine Katze verkörperten Göttin Bastet, bog er in den »Kanal des süßen Wassers«, der durch das Wadi Tumilat zu den Bitterseen führte. Es wehte ein starker Wind; zur Rechten, jenseits eines kleinen Sees, in dem Büffel badeten, tauchte ein Weiler im Schutze von Tamarisken auf. Das Boot legte an; ein Laufsteg wurde ausgeworfen.

Paser, der nicht seefest war, überwand ihn schwankend. Beim Anblick des Pavians entfloh eine Schar Kinder. Ihre Schreie schreckten die Bauern auf, die den Neuankömmlingen mit drohend erhobenen Feldgabeln entgegeneilten.

»Ihr habt nichts zu befürchten; ich bin der Richter Paser, begleitet von Ordnungshütern.« Die Gabeln sanken nieder, und man führte den Amtmann zum Ortsvorsteher, einem mürrischen Greis. »Ich möchte mich gerne mit einem Altgedienten unterhalten, der vor nunmehr einigen Wochen in sein Dorf heimgekehrt ist.«

»In dieser Welt ist Euch das unmöglich.«

»Verstorben?«

»Krieger haben seinen Leichnam hergeschafft. Wir haben ihn auf unserem Friedhof bestattet.«

»Todesursache?«

»Das Alter.«

»Habt Ihr die Leiche untersucht?«

»Sie war einbalsamiert.«

»Was haben Euch diese Krieger gesagt?«

»Sie waren nicht gesprächig.« Eine Mumie auszubetten, wäre ein Frevel gewesen. Paser und seine Gefährten stiegen wieder in das Boot und fuhren zu der Ortschaft, in dem der zweite Altgediente wohnte. »Ihr werdet durch den Sumpf gehen müssen«, erklärte der Schiffsführer. »In diesem Winkel gibt es gefährliche Inselchen. Ich muß dem Ufer fernbleiben.« Der Pavian mochte kein Wasser; Kem sprach lange auf ihn ein und überredete ihn, sich auf einen Weg zu wagen, der sich im Schilf auftat. Unablässig drehte der Affe sich mißtrauisch um und blickte nach rechts und nach links. Den beiden voran schritt der Richter ungeduldig den auf der Kuppe einer Anhöhe zusammengescharten Häuschen entgegen. Kem belauerte die Regungen des Tieres; da es sich seiner Stärke stets sicher war, verhielt es sich für gewöhnlich nicht so. Plötzlich ließ der Pavian einen schrillen Schrei vernehmen, stieß den Richter zur Seite und packte den Schwanz eines kleinen Krokodils, das sich durch das schlammige Wasser schlängelte. In dem Augenblick, da die Echse das Maul aufriß, zog er sie zurück. »Der große Fisch«, wie ihn die Flußanrainer nannten, vermochte durch Überrumpelung an den Pfuhlen trinkende Schafe oder Ziegen zu töten. Das Krokodil wehrte sich heftig; doch es war noch zu jung und nicht groß und kräftig genug, um dem grimmigen Zorn des hundsköpfigen Affen Widerstand zu leisten, der es aus dem Morast riß und mehrere Meter weit fortschleuderte. »Ihr werdet ihm danken«, sagte Paser zu dem Nubier. »Ich will eine Beförderung erwägen.« Der Ortsvorsteher saß auf einem niedrigen Hocker, der aus einer schrägen Sitzfläche und einer rundlichen Rückenlehne bestand; behaglich im Schatten einer Sykomore niedergelassen, genoß er ein reichhaltiges Mahl, bestehend aus Geflügel, Zwiebeln und einem Krug Bier; das alles befand sich in einem Korb mit flachem Boden.

Er lud seine Besucher ein, die Speisen mit ihm zu teilen; der Pavian, dessen Großtat bereits von Mund zu Mund durch die Sümpfe eilte, biß sogleich beherzt in einen Hühnchenschenkel. »Wir suchen einen Altgedienten, der unlängst herzog, um seinen Ruhestand hier zu verbringen.«