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»Ein Offizier der Streitwagenkämpfer hat mich zu Djui, dem Einbalsamierer des Heeres, geführt. Er hat mir die Mumie des Mannes gezeigt, nach dem ich suche.«
»Die des ehemaligen Oberaufsehers des Sphinx? Dann ist er tot!«
»Zumindest hat man mich das glauben machen wollen.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Da die allerletzten Rituale noch nicht vollzogen waren, habe ich den oberen Teil der Mumie unter der Aufsicht der Heilkundigen Neferet ausgewickelt. Der Körper ist der eines jungen Mannes von ungefähr zwanzig Jahren, der wahrscheinlich von einem Pfeil tödlich verletzt wurde. Ganz offenkundig handelt es sich bei dem Körper nicht um den des Altgedienten.«
Der Vorsteher der Ordnungskräfte wirkte wie vor den Kopf geschlagen.
»Diese Geschichte ist unglaublich!«
»Überdies«, fuhr der Richter unerschütterlich fort, »haben zwei Krieger versucht, mir den Zugang in die Balsamierungswerkstatt zu verwehren. Als ich wieder herauskam, waren sie verschwunden.«
»Und der Name dieses Offiziers der Streitwagentruppe?«
»Ist mir nicht bekannt.«
»Eine erhebliche Wissenslücke.«
»Glaubt Ihr nicht, daß er mich angelogen hätte?« Widerwillig pflichtete Monthmose bei. »Wo ist der Leichnam?«
»Bei Djui und unter seiner Bewachung. Ich habe einen ausführlichen Bericht verfaßt; er beinhaltet die Aussagen der Heilkundigen Neferet, des Balsamierers und meines Ordnungshüters Kem.« Monthmose hob die Augenbrauen. »Seid Ihr mit ihm zufrieden?«
»Er ist vorbildlich.«
»Seine Vergangenheit spricht nicht zu seinen Gunsten.«
»Er steht mir auf wirkungsvolle Weise bei.«
»Hütet Euch vor ihm.«
»Kehren wir, wenn Ihr wollt, zu dieser Mumie zurück.«
Der Vorsteher der Ordnungskräfte verabscheute es, sich in einer Lage zu befinden, die er nicht vollends beherrschte. »Meine Männer werden sie holen gehen, und wir werden sie untersuchen; wir müssen seinen Namen und Stand herausfinden.«
»Desgleichen müssen wir wissen, ob wir einem Todesfall gegenüberstehen, der auf eine Kampfhandlung der Streitkräfte oder ein Verbrechen zurückgeht.«
»Ein Verbrechen! Das denkt Ihr doch nicht im Ernst?«
»Von meiner Seite aus führe ich die Ermittlungen weiter.«
»In welcher Richtung?«
»Ich bin zum Schweigen verpflichtet.«
»Nehmt Ihr Euch etwa vor mir in acht?«
»Eine unangebrachte Frage.«
»Ich bin in diesem Wirrwarr genauso kopflos wie Ihr. Sollten wir nicht in bestem Einvernehmen zusammenarbeiten?«
»Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung erscheint mir vorteilhafter.«
Monthmoses Zorn ließ die Wände des Hauses der Ordnungskräfte erzittern. Noch am selben Tag wurden fünfzig hohe Beamte abgestraft und zahlreicher Vorrechte beraubt. Zum ersten Male seit seiner Eroberung des hierarchischen Gipfels der Ordnungskräfte war er nicht auf einwandfreie Weise unterrichtet worden. Verurteilte ein solches Versagen sein Herrschaftsgefüge nicht zum Untergang? Er würde sich jedoch nicht kampflos stürzen lassen. Leider schien das Heer Anstifter all dieser Ränke zu sein, deren Gründe weiter unverständlich blieben. Sich auf diesem Gebiet vorzuwagen, brachte Gefahren mit sich, die Monthmose nicht eingehen wollte; falls der Heerführer Ascher, den seine kürzlichen Beförderungen unangreifbar machten, der maßgebliche Kopf war, bestand für den Vorsteher der Ordnungskräfte keinerlei Aussicht, ihn zur Strecke zu bringen. Dem kleinen Richter freien Lauf zu lassen, bot etliche Vorteile. Er verstrickte sich nur selbst und ließ im Ungestüm der Jugend kaum Vorsicht walten. Er lief Gefahr, verbotene Türen aufzustoßen und Gesetzmäßigkeiten, von denen er nichts wußte, zu übergehen. Wenn er ihm auf der Spur bliebe, könnte Monthmose die Ergebnisse seiner Ermittlung insgeheim ausnutzen. Deshalb konnte er ihn sich ebensogut zu einem sachlichen und unabhängigen Bundesgenossen machen, bis er ihn nicht mehr benötigen würde.
Eine verwirrende Frage blieb jedoch bestehen: Weshalb war dieser Vertuschungsversuch eingefädelt worden? Der Initiator hatte Paser jedenfalls falsch eingeschätzt in der festen Überzeugung, daß die Fremdheit und erstickende Unheimlichkeit des Ortes, die beklemmende Gegenwart des Todes, den Richter davon abhalten würden, sich genauer mit dieser Mumie zu befassen, und ihn dazu brächte, seine Petschaft anzubringen und flugs zu verschwinden. Das genaue Gegenteil war eingetreten; weit entfernt, die Angelegenheit gleichgültig auf sich beruhen zu lassen, hatte der Amtmann deren Ausmaß sehr wohl erahnt.
Monthmose versuchte sich zu beruhigen: Das Verschwinden eines einfachen Altgedienten und Inhabers eines Ehrenamtes vermochte doch trotz allem das Land nicht zu erschüttern! Zweifellos handelte es sich um ein Verbrechen aus niederen Beweggründen, das irgendein Soldat begangen hatte, und ein Krieger hohen Ranges, Ascher oder einer seiner Gefolgsleute, schützte ihn nun. In dieser Richtung würde man weitersuchen müssen.
Am ersten Tag des Frühlings ehrte Ägypten die Toten und die Ahnen. Zum Ende des gleichwohl milden Winters wurden die Nächte jählings frischer wegen des Wüstenwindes, der in Böen blies. In allen großen Totenstädten verehrten die Familien das Andenken der Entschwundenen, indem sie Blumen in den zur Außenwelt geöffneten Nischen der Gräber niederlegten. Keine undurchlässige Grenze trennte das Leben vom Tod; deshalb speisten und feierten die Lebenden mit den Dahingeschiedenen, deren Seele sich in der Flamme eines Räuchertopfs verkörperte. Die Nacht leuchtete überall auf und lobpries die Begegnung des irdischen Diesseits und des Jenseits. In Abydos[43], der heiligen Stadt des Osiris, in der die Auferstehungsmysterien begangen wurden, stellten die Priester kleine Barken auf die Aufbauten der Gräber, um die Fahrt zu den Gefilden der Seligkeit zu beschwören. Nachdem er Feuer vor den Opferaltären der wichtigsten Tempel von Memphis entfacht hatte, wandte PHARAO sich nach Gizeh. Wie jedes Jahr, am selben Tage, rüstete Ramses der Große sich, allein in die Große Pyramide zu treten und sich vor Cheops’ Sarkophag zu sammeln. Im Herzen des ungeheuren Bauwerks schöpfte der König die nötige Kraft, um die Beiden Länder, Ober- und Unterägypten, zu einen und ihnen Gedeihen und Wohlstand zu bringen. Er würde die Goldene Maske des Erbauers und den Krummstab, der Elle und Anstifter seines Handelns war, schauen. Wenn die Zeit gekommen wäre, würde er das Testament der Götter in die Hand nehmen und es während des Verjüngungsrituals dem Lande vorzeigen.
Der Vollmond beschien die Hochebene, auf der sich die drei Pyramiden erhoben. Ramses trat an die Pforte der Umfriedung der Cheopspyramide, die unter dem Schutz einer Sondertruppe stand. Der König war lediglich mit einem einfachen weißen Schurz und einem breiten, goldenen Pektoral geschmückt. Die Soldaten verneigten sich und zogen die Riegel zurück. Ramses der Große überschritt die granitene Schwelle und begab sich auf den ansteigenden, mit Kalkplatten belegten Aufweg. Bald sollte er vor dem Eingang der Großen Pyramide stehen, dessen geheimes Riegelwerk nur er bedienen konnte und dies seinem Nachfolger weitergeben würde.
Diese Begegnung mit Cheops und dem Gold der Unsterblichkeit durchlebte der König jedes Jahr mit tieferer Eindringlichkeit. Über Ägypten zu herrschen, war eine zwar begeisternde, doch ebenso erdrückende Aufgabe; die Riten spendeten ihm dafür die unerläßliche Lebenskraft.
Ramses klomm langsam die Große Galerie empor und drang in die Sarkophagkammer; noch wußte er nicht, daß der Quell der Kraft des Landes sich in eine entseelte Hölle verwandelt hatte.
Im Hafen herrschte Festtagsstimmung; Blumen schmückten die Schiffe, das Bier floß in Strömen, die Seeleute tanzten mit recht zugänglichen Mädchen, fahrende Musikanten erfreuten die zahlreiche Menge. Nach einem kurzen Gang mit seinem Hund wollte sich Paser aus diesem Treiben entfernen, als eine bekannte Stimme ihn ansprach. »Richter Paser! Ihr geht schon?« Das plumpe und kantige, von einem zarten, weißen Bart gezierte Gesicht von Denes tauchte aus der Masse der Feiernden auf. Der Warenbeförderer stieß seine Nachbarn zur Seite und trat zu dem Gerichtsbeamten.
»Welch schöner Tag! Ein jeder zerstreut sich, die Sorgen sind vergessen.«
»Ich schätze den Lärm nicht.«
»Ihr seid zu ernst für Euer Alter.«
»Es ist schwierig, sein Wesen zu ändern.«
»Das Leben wird dies übernehmen.«
»Ihr wirkt recht fröhlich.«
»Die Geschäfte gehen gut, meine Waren eilen ohne Verspätung durchs Land, meine Bediensteten gehorchen mir auf Wort und Wink; worüber sollte ich mich beklagen?«
»Ihr tragt mir nichts nach, so scheint es.«
»Ihr habt nur Eure Pflicht getan, was sollte ich Euch vorhalten? Und außerdem ist da noch diese gute Neuigkeit.«
»Welche?«
»Aus Anlaß dieses Festes sind mehrere minderschwere Verurteilungen durch den Palast aufgehoben worden. Ein alter mehr oder weniger vergessener Memphiter Brauch. Ich habe das Glück gehabt, mich unter den hocherfreuten Begünstigten zu finden.« Paser erblaßte. Er bezähmte seinen Zorn nur schlecht. »Wie habt Ihr das angestellt?«
»Ich sagte es Euch bereits: das Fest, und nichts anderes als das Fest! In Eurer Anklageschrift habt Ihr versäumt hervorzuheben, daß mein Fall von dieser Gnade ausgeschlossen bleiben sollte. Tragt es mit Fassung: Ihr habt gewonnen, ich habe nicht verloren.« Zungenfertig versuchte Denes, ihn an seiner Heiterkeit teilnehmen zu lassen.
»Ich bin nicht Euer Feind, Richter Paser. Bei den Geschäften nimmt man bisweilen schlechte Gewohnheiten an. Meine Gemahlin und ich sind der Ansicht, daß Ihr recht daran getan habt, uns eine heilsame Lehre zu erteilen; wir werden sie berücksichtigen.«