37695.fb2
»Das ist mir nicht bekannt.«
Demnach hatte die Dirne es vorgezogen, zu fliehen und sich zu verbergen.
Von nun an würde der Richter beim geringsten falschen Schritt in Gefahr sein. Man ging im Dunkeln gegen ihn vor. Irgend jemand, wahrscheinlich Monthmose, hatte Sababu bezahlt, um ihn zu beschmutzen; falls sie sich der Drohung fügte, würde sie nicht zögern, ihn zu verunglimpfen. Der Richter verdankte sein vorläufiges Heil allein Sethis Betörungskünsten.
Bisweilen, fand Paser, war die Liederlichkeit nicht ganz und gar verdammenswert.
Nach reiflicher Überlegung hatte der Vorsteher der Ordnungskräfte eine folgenschwere Entscheidung getroffen: nämlich den Wesir Bagi um einen Empfang zu bitten. Fahrig hatte er seine Erklärung mehrere Male vor dem Kupferspiegel wiederholt, um den angemessenen Gesichtsausdruck zu finden. Wie jedermann wußte er um die Unerbittlichkeit des Ersten Pharaonischen Rates von Ägypten. Mit Worten geizend, verabscheute es Bagi, seine Zeit zu verlieren. Sein Amt nötigte ihn, jede Klage, woher sie auch kommen mochte, entgegenzunehmen, sofern sie nur begründet war; aufdringliche Störenfriede, Betrüger und Lügner bereuten ihren Schritt bitterlich. Dem Wesir gegenüber zählte jedes Wort, jede Geste. Monthmose begab sich gegen Ende des Morgens zum Palast. Um sieben Uhr hatte Bagi mit dem König eine Unterredung gehabt; dann hatte er seinen wichtigsten Untergebenen Anweisungen erteilt und Einsicht in die aus den Gauen kommenden Berichte genommen. Anschließend hatte er seine tägliche Anhörung eröffnet, in deren Verlauf die mannigfachen Vorgänge verhandelt worden waren, über die die anderen Gerichte nicht hatten entscheiden können. Vor einem schlichten Mittagsmahl bewilligte der Wesir meist einige Einzelunterredungen, soweit ihre Dringlichkeit dies rechtfertigte. Er empfing den Vorsteher der Ordnungskräfte in einem strengen Arbeitsraum, dessen nüchterner Zierat keinerlei Vorstellung von der Größe seines Amtes erweckte: Stuhl mit Rückenlehne, Aufbewahrungstruhen und Papyruskästchen. Man hätte sich einem schlichten Schreiber gegenüber gewähnt, wäre Bagi selbst nicht mit einem langen Gewand aus dickem Gewebe bekleidet gewesen, das allein die Schultern frei ließ. Seinen Hals zierte eine Kette, an der ein riesiges kupfernes Herz hing, das seine unerschöpfliche Fähigkeit beschwor, Klagen und Beschwerden anzunehmen.
Groß, gebeugt, ein längliches Gesicht, das von einer vorspringenden Nase beherrscht wurde, gelocktes Haar, blaue Augen: Wesir Bagi, ein Mann von sechzig Jahren mit steifem Körper, der sich keinerlei Leibesertüchtigung unterzog und dessen Haut die Sonne fürchtete. Seine feinen und vornehmen Hände verfügten über die Gabe des Zeichnens; in seiner Jugend war er Handwerker gewesen, später dann Lehrer im Schreibsaal und schließlich sachverständiger Landvermesser geworden. In dieser Eigenschaft hatte er eine Genauigkeit ohnegleichen an den Tag gelegt und die Aufmerksamkeit des Palastes auf sich gezogen, so daß er nacheinander zum Obersten Richter des Gaues Memphis, Ältesten der Vorhalle und schließlich zum Wesir ernannt worden war. Etliche Höflinge hatten – vergebens – versucht, ihn bei einem Fehler zu ertappen; gefürchtet und geachtet schrieb Bagi sich in die Reihe der großen Wesire ein, die, seit Imhotep, Ägypten auf dem rechten Wege führten. Wenn man ihm bisweilen auch die Strenge seiner Urteile und deren unnachgiebige Anwendung vorhielt, bestritt doch niemand deren Unanfechtbarkeit.
Bisher hatte Monthmose sich damit begnügt, den Befehlen des Wesirs zu gehorchen und ihm nicht zu mißfallen. Diese Begegnung jetzt bereitete ihm Unbehagen.
Der ermüdete Wesir schien zu schlummern. »Ich höre Euch zu, Monthmose. Faßt Euch kurz.«
»Das ist nicht so einfach …«
»Vereinfacht.«
»Mehrere Altgediente sind bei einem Unfall, nämlich durch einen Sturz vom Großen Sphinx, ums Leben gekommen.«
»Und die behördliche Untersuchung?«
»Die hat das Heer durchgeführt.«
»Ungewöhnlichkeiten?«
»Dem scheint nicht so. Ich habe die amtlichen Schriftstücke nicht eingesehen, jedoch …«
»Jedoch haben Eure Beziehungen Euch ermöglicht, deren Inhalt zu erfahren. Das ist nicht sehr rechtmäßig, Monthmose.«
Der Vorsteher der Ordnungskräfte hatte diesen Angriff befürchtet. »Es sind alte Gewohnheiten.«
»Ihr werdet sie ändern müssen. Wenn es keine Ungewöhnlichkeiten gibt, welches ist dann der Grund Eures Besuchs?«
»Richter Paser.«
»Ein unwürdiger Gerichtsbeamter?« Monthmoses Stimme wurde näselnder. »Diese Anschuldigung möchte ich nicht äußern. Es ist vielmehr sein Betragen, das mir Sorgen macht.«
»Achtet er das Gesetz nicht?«
»Er ist davon überzeugt, daß das Verschwinden des Oberaufsehers, eines Altgedienten von ausgezeichnetem Ansehen, sich unter ungewöhnlichen Umständen zugetragen habe.«
»Hat er Beweise?«
»Nicht einen. Ich habe den Eindruck, dieser junge Richter will eine gewisse Unruhe säen, um sich einen Namen zu machen. Ich beklage diese Haltung.«
»Ihr seht mich darüber hocherfreut, Monthmose. Und zum Kern der Angelegenheit, welches ist da Eure Meinung?«
»Sie ist kaum von Wert.«
»Im Gegenteil. Ich brenne darauf, sie zu erfahren.« Die Falle stand weit offen.
Der Vorsteher der Ordnungskräfte verabscheute es, sich in der einen oder anderen Richtung zu verpflichten, fürchtete er doch, eine klare Stellungnahme könnte ihm vorgehalten werden. Der Wesir schlug die Augen auf. Sein blauer und kalter Blick drang bis in die Seele.
»Es ist wahrscheinlich, daß nichts Geheimnisvolles den Tod dieser Unglücklichen umgibt, jedoch kenne ich den Vorgang nicht gut genug, um mich abschließend darüber auszusprechen.«
»Wenn der Vorsteher der Ordnungskräfte selbst einen Zweifel äußert, weshalb sollte dann ein Richter nicht zweifeln? Seine erste Pflicht ist es, von vornherein feststehende Wahrheiten nicht gelten zu lassen.«
»Selbstverständlich«, murmelte Monthmose. »Man beruft keinen Unfähigen nach Memphis; Paser fand gewiß wegen seiner hohen Werte Beachtung.«
»Die Stimmung einer großen Stadt, der Ehrgeiz, die Handhabung übermäßiger Vollmachten … Trägt dieser junge Mann nicht allzu schwere Verantwortungen?«
»Wir werden sehen«, beschied der Wesir. »Ist dies der Fall, werde ich ihn entheben. Einstweilen lassen wir ihn fortfahren. Ich baue auf Euch, ihm tüchtigen Beistand zu leisten.«
Bagi legte den Kopf zurück und schloß die Augen. Monthmose war davon überzeugt, daß er ihn durch die geschlossenen Augen beobachtete; er erhob sich, verneigte sich und ging hinaus, seinen Zorn seinen Dienern vorbehaltend.
Kräftig, ja vierschrötig, mit von der Sonne gebräunter Haut, fand sich Kani kurz nach Sonnenaufgang vor der Amtsstube Richter Pasers ein. Er ließ sich vor der verschlossenen Tür, neben Wind des Nordens, nieder. Einen Esel, den erträumte sich Kani seit langem. Er würde für ihn schwere Lasten tragen und somit seinen vom Gewicht all der Wasserkrüge verbrauchten Rücken schonen, welche er ausgegossen hatte, um den Garten feucht zu halten. Da Wind des Nordens seine Ohren weit aufsperrte, erzählte er ihm von seinen ewig gleichen Tagen, seiner Liebe zur Erde, der Sorgfalt, mit der er die Bewässerungsrinnen aushob, der Freude, die Pflanzen gedeihen zu sehen.
Seine Bekenntnisse wurden von Paser unterbrochen, der mit raschem Schritt nahte. »Kani … wünscht Ihr mich zu sehen?« Der Gärtner nickte. »Tretet ein.«
Kani zögerte. Das Amtszimmer des Richters erschreckte ihn, wie auch die Stadt überhaupt. Wenn er dem Lande fern war, fühlte er sich unbehaglich. Zuviel Lärm, zu viele ekelerregende Gerüche, zuviel versperrter Horizont. Hätte seine Zukunft nicht auf dem Spiel gestanden, er hätte sich niemals in Memphis’ Gäßchen hineingewagt. »Ich habe mich zehnmal verloren«, erklärte er. »Neuerliche Verdrießlichkeiten mit Qadasch?«
»Ja.«
»Wessen beschuldigt er Euch?«
»Ich will gehen, und er verwehrt es mir.«
»Gehen?«
»Dieses Jahr hat mein Garten dreimal soviel Gemüse als die festgesetzte Menge erbracht. Infolgedessen kann ich unabhängiger Arbeiter werden.«
»Das ist rechtmäßig.«
»Qadasch bestreitet das.«
»Beschreibt mir Euer Stück Land.«
Der Oberste Arzt empfing Neferet im schattigen Garten seines prachtvollen Herrenhauses. Unter einer blühenden Akazie sitzend, trank er kühlen und leichten rosenfarbenen Wein. Ein Diener fächelte ihm Luft zu.
»Schöne Neferet, wie glücklich bin ich, Euch zu sehen!«
Die junge Frau war recht schlicht gekleidet und trug eine kurzhaarige Perücke nach alter Sitte. »Ihr kommt heute sehr streng daher; trägt man ein solches Gewand überhaupt noch?«
»Ihr habt mich bei meiner Arbeit in der Forschungsstätte unterbrochen; ich würde gerne den Grund für Eure Einbesteilung erfahren.« Neb-Amun befahl seinem Diener, sich zu entfernen. Sich seiner gewinnenden Art gewiß und davon überzeugt, daß die Schönheit seines Heims Neferet bezaubern würde, hatte er beschlossen, ihr eine letzte Gelegenheit zu ihrem Glück zu bieten. »Ihr mögt mich nicht sonderlich.«