37695.fb2 Das Testament der G?tter - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

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»Die Erscheinung ist unbedeutend, aber vernachlässige sie nicht; wisse, das Ruder zu führen, damit der Fluß der Tage dich nicht vom Recht entferne, denn das Gleichgewicht eines Landes hängt von dessen Anwendung ab. Sei deiner selbst würdig, mein Sohn.«

3. Kapitel

Paser folgte Branir, der ihn in das Viertel des Ptah im Süden der alten Feste mit weißen Mauern geleitete. Über das Schicksal des Esels und des Hundes machte er sich keine Sorgen; um sein eigenes war dem jungen Mann schon eher bange. Unweit des Palastes waren mehrere Verwaltungsgebäude errichtet worden, deren Zugänge von Soldaten bewacht wurden. Der ehrwürdige Arzt wandte sich an einen Ranghöheren; nachdem dieser sein Ersuchen angehört hatte, entfernte er sich für einige Augenblicke und kam im Beisein eines hohen Gerichtsbeamten, eines Beauftragten des Wesirs, zurück. »Hocherfreut, Euch wiederzusehen, Branir; dies also ist Euer Schützling.«

»Paser ist sehr bewegt.«

»Eine keineswegs tadelnswerte Regung in Anbetracht seines Alters. Ist er gleichwohl bereit, seine neuen Ämter auszufüllen?«

Durch den leisen Spott der hohen Persönlichkeit verletzt, wandte Paser forsch ein: »Solltet Ihr daran zweifeln?«

Der Beauftragte runzelte die Augenbrauen. »Ich entführe ihn Euch, Branir; wir müssen zur Einsetzung schreiten.«

Der warmherzige Blick des alten Arztes flößte seinem Schüler den Mut ein, der ihm noch fehlte; welche auch immer die Schwierigkeiten sein mochten, er wollte Branir Ehre machen. Paser wurde in einen kleinen, rechteckigen Raum mit weißen, nackten Wänden geführt; der Bevollmächtigte forderte ihn auf, sich im Schneidersitz auf einer Matte dem Ehrengericht gegenüber niederzulassen, das sich aus ihm selbst, dem Gaufürsten von Memphis, dem Vertreter des Hauses der Arbeit und einem der Gottesdiener des Ptah zusammensetzte, welcher einen hohen Rang in der geistlichen Obrigkeit einnahm. Alle vier hatten schwere Perücken auf den Häuptern und waren mit weiten Schurzen gewandet. Die Gesichter drückten keinerlei Regung aus.

»Ihr befindet Euch am Ort der ›Ermittlung des Unterschiedes‹[14]«, verkündete der Beauftragte des Wesirs und Vorsteher der Gerichtsverwaltung. »Hier werdet Ihr zu einem sich von anderen unterscheidenden Manne werden, der gehalten sein wird, über seinesgleichen zu richten. Wie Eure Amtsgenossen im Gau Gizeh werdet Ihr Ermittlungen führen, den unter Eurer Amtsgewalt stehenden örtlichen Gerichten Vorsitzen und Euch Euren Vorgesetzten anheimstellen, wenn die Angelegenheiten Eure Befugnisse übersteigen. Verpflichtet Ihr Euch dazu?«

»Ich verpflichte mich dazu.«

»Seid Ihr Euch bewußt, daß dieses Ehrenwort nicht zurückgenommen werden kann?«

»Dessen bin ich mir bewußt.«

»So möge dieses Gericht nun gemäß den Geboten der Maat verfahren und über den zukünftigen Richter richten.«

Der Gaufürst hob mit dunkler und gemessener Stimme an: »Welche Art von Geschworenen werdet Ihr einberufen, um Euer Gericht zusammenzustellen?«

»Schreiber, Handwerker, Ordnungshüter, Männer von Erfahrung, ehrwürdige Frauen, Witwen.«

»In welcher Weise werdet Ihr in deren Beratungen eingreifen?«

»In keiner Weise. Ein jeder wird sich unbeeinflußt aussprechen können, und ich werde jede Ansicht achten, um mein Urteil zu bilden.«

»Unter allen Umständen?«

»Mit Ausnahme eines einzigen: wenn einer der Geschworenen bestochen worden wäre. Dann würde ich die laufende Verhandlung unterbrechen, um ihn unverzüglich unter Anklage zu stellen.«

»Wie müßt Ihr im Falle eines Verbrechens vorgehen?« fragte der Vertreter des Hauses der Arbeit. »Eine Voruntersuchung führen, einen Vorgang anlegen und diesen an das Amt des Wesirs weiterleiten.« Der Gottesdiener des Ptah legte seine rechte Hand quer über seine Brust, die geschlossene Faust gegen die Schulter gepreßt.

»Keine Handlung wird beim Gericht des Jenseits vergessen werden; dein Herz wird auf eine der Waagschalen gelegt und gegen die Maat gewogen werden. Wie wurde das Gesetz weitergegeben, dem du Achtung verschaffen mußt?«

»Es gibt zweiundvierzig Gaue und zweiundvierzig Gesetzesschriftrollen; sein Geist jedoch wurde nicht aufgeschrieben und darf auch nicht aufgeschrieben werden. Die Wahrheit kann nur auf mündlichem Wege, aus dem Mund des Meisters zum Ohr des Lernenden, weitergegeben werden.« Der Diener des Ptah lächelte; doch der Bevollmächtigte des Wesirs war noch nicht zufrieden. »Wie legt Ihr die Maat aus?«

»Sie ist Brot und Bier.«

»Was bedeutet diese Antwort?«

»Gerechtigkeit für alle, für Hohe und Niedere.«

»Weshalb wird die Maat durch eine Straußenfeder versinnbildlicht?«

»Weil Maat Fährmann zwischen unserer Welt und der der Götter ist; die Feder ist das Steuer, das Ruder des Vogels wie das des Wesens. Die Maat, der Hauch des Lebens, muß in der Nase des Menschen verbleiben und das Übel der Herzen und der Körper vertreiben[15]. Falls die Gerechtigkeit verschwände, würde das Korn nicht mehr gedeihen, die Aufständischen würden die Macht übernehmen, und die Gottesfeste würden nicht mehr begangen werden.« Der Gaufürst erhob sich und legte vor Paser einen Kalkquader nieder.

»Legt Eure Hand auf diesen weißen Stein.« Der junge Mann gehorchte. Er war vollkommen ruhig.

»Möge er Zeuge Eures Eides sein; er wird sich auf ewig der Worte entsinnen, die Ihr ausgesprochen habt, und wird Euer Ankläger sein, falls Ihr Verrat an der Maat begeht.«

Der Gaufürst und der Vertreter des Hauses der Arbeit stellten sich zu beiden Seiten des Richters auf.

»Erhebt Euch«, forderte der Bevollmächtigte des Wesirs.

»Hier, Euren Siegelring«, sagte er, indem er ihm eine kleine, rechteckige Platte mit einem daran verlöteten Reif überreichte, den Paser über seinen rechten Mittelfinger streifte. Auf der glatten Fläche der goldenen Platte war »Richter Paser« eingeschnitten. »Die Schriftstücke, denen Ihr Euer Petschaft aufdrückt, werden amtliche Geltung haben und Eure Verantwortlichkeit berühren; bedient Euch dieses Rings nicht leichtfertig.«

Der Amtssitz des Richters befand sich in der südlichen Vorstadt von Memphis, in halber Entfernung zwischen dem Nil und dem westlichen Kanal und südlich vom Tempel der Hathor. Der junge Mann vom Lande, der eine beeindruckende Wohnstatt erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht. Die Verwaltung hatte ihm lediglich ein niedriges Haus mit zwei Geschossen zugestanden.

Auf der Schwelle saß ein schlummernder Wächter. Paser klopfte ihm auf die Schulter; der Mann fuhr hoch.

»Ich würde gerne eintreten.«

»Die Amtsstube ist geschlossen.«

»Ich bin der Richter.«

»Das würde mich wundern … Der ist tot.«

»Ich bin Paser, sein Nachfolger.«

»Aha, Ihr seid das … der Gerichtsschreiber Iarrot hat mir diesen Namen genannt, das ist wahr. Habt Ihr einen Beweis für Eure Behauptung?« Paser zeigte ihm den Petschaftsring.

»Ich hatte den Auftrag, diese Stätte bis zu Eurem Eintreffen zu bewachen; mein Auftrag ist also beendet.«

»Wann werde ich meinen Gerichtsschreiber sehen?«

»Das weiß ich nicht. Er muß eine heikle Angelegenheit lösen.«

»Welche?«

»Das Feuerholz. Im Winter wird es hier recht kalt; letztes Jahr hat das Schatzhaus es abgelehnt, Holz in diese Amtsstube zu liefern, weil das Gesuch nicht in dreifacher Ausführung eingereicht worden war. Iarrot hat sich zum Amt der Schriftenverwahrung begeben, um die Lage ins reine zu bringen. Ich wünsche Euch gutes Gelingen, Richter Paser; Ihr werdet nicht Gefahr laufen, Euch hier in Memphis zu langweilen.« Der Wachmann schnürte sein Bündel und ging davon.

Paser stieß die Tür seines neuen Reichs auf. Das Amtszimmer war ein recht großer Raum, mit Schränken und Truhen vollgestellt, in denen gebündelte oder gesiegelte Papyrusrollen verwahrt waren. Auf dem Boden lag eine nicht ganz geheure Schicht Staub. Angesichts dieser unerwarteten Not zögerte Paser keinen Augenblick. Der Würde seines Amtes zum Trotz ergriff er einen Besen, der aus langen, steifen, zopfartig gedrehten Faserbüscheln bestand, welche zwei Sechsfachverschnürungen zusammenhielten; der starre Stiel ermöglichte eine geschmeidige und gleichmäßige Handhabung.

Als die Säuberung beendet war, nahm er den Bestand der Schriftenkammer in Augenschein: Unterlagen des Amts für Liegenschaften und des Schatzhauses, verschiedene Berichte, Klagen, Buchhaltungsaufzeichnungen und Belege über Lohnzahlungen in Getreide, Körben oder Stoffen, Aufstellungen von Bediensteten … Seine Befugnisse reichten in die unterschiedlichsten Gebiete.

Im größten der Schränke fand sich die unerläßliche Ausrüstung des Schreibers: Paletten mit Aushöhlungen auf der Oberseite, um die rote und die schwarze Tinte darin aufzunehmen; feste Tuschesteine, Becher, Beutel mit zermahlenen Pigmenten, Beutel mit Pinseln, Schabmessern, Gummi; steinerne Mörser, Leinenschnürchen; ein Schildkrötenpanzer, um Mischungen vorzunehmen; eine irdene Pavianfigur, die Thot, den Herrn der Hieroglyphen, beschwor; Kalksteinstücke, die für Entwürfe benutzt wurden; Tafeln aus Ton, Kalk und Holz. Alles war von besonderer Güte.

In einem Kästchen aus Akazienholz ruhte einer der kostbarsten Gegenstände: eine Wasseruhr. Das kleine, kegelstumpfförmige Gefäß war im Innern nach zwei unterschiedlichen Maßeinheiten durch zwölf Kerben eingeteilt; das Wasser lief durch ein Loch im Boden der Uhr aus und maß auf diese Weise die Stunden. Ohne Zweifel mußte der Gerichtsschreiber es wohl als notwendig erachten, über die bei seiner Arbeit verbrachte Zeit genauestens zu wachen. Eine Pflicht drängte sich vor allen anderen auf. Paser nahm einen feinst zugeschnittenen Binsenpinsel, tauchte die Spitze in einen mit Wasser gefüllten Becher und ließ einen Tropfen auf die Palette fallen, derer er sich bedienen wollte. Er murmelte das Gebet, das jeder Schreiber vor seinem Werk aufsagte: »Wasser des Tintensteins für deinen Ka[16] Imhotep«; auf die Art wurde der Schöpfer der ersten Pyramide verehrt, der Baumeister, Heilkundige, Sterndeuter und Vorbild all jener, welche mit Hieroglyphen umgingen.

Hierauf stieg der Richter ins Obergeschoß. Die Dienstwohnung war seit langem nicht mehr benutzt worden; Pasers Vorgänger, der es vorgezogen hatte, ein kleines Haus am Rande der Stadt zu bewohnen, hatte versäumt, die drei Räume zu unterhalten, die nun Wanzen, Fliegen, Mäuse und Spinnen beherbergten.

Der junge Mann ließ sich nicht entmutigen; er fühlte sich Manns genug, den Kampf aufzunehmen. Auf dem Lande mußten die Behausungen häufig entseucht und von solch unerwünschten Gästen befreit werden.