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Scheschi erkannte sogleich den Zahnheilkundigen Qadasch, bekundete jedoch nicht das leiseste Erstaunen.
»Laßt mich los, Ihr Rohlinge!« verlangte der Heilkundige.
»Ihr seid ein Dieb«, erwiderte der Anführer der Wachen. Welcher Irrsinn war Qadasch durch den Kopf geschossen? Lange Zeit schon träumte er nur noch vom himmlischen Eisen, um daraus seine Behandlungsgerätschaften zu fertigen und durch diese zu einem Zahnheilkundigen ohnegleichen zu werden. Seines eigenen Vorteils wegen hatte er den Kopf verloren und dabei das Vorhaben der Verschwörer ganz vergessen. »Ich schicke einen meiner Männer zum Amtssitz des Ältesten der Vorhalle«, verkündete der Offizier. »Wir benötigen auf der Stelle einen Richter.« Wenn er sich nicht verdächtig machen wollte, konnte Scheschi sich diesem Schritt nicht widersetzen.
Da es mitten in der Nacht war, befand es der Gerichtsschreiber des Ältesten der Vorhalle nicht für nötig, seinen Herrn zu wecken, der äußerst empfindlich auf die Achtung seiner Schlafzeiten bedacht war. Folglich zog er die Aufstellung der Gerichtsbeamten zu Rate und wählte den zuletzt berufenen, einen gewissen Paser. Da er am niedrigsten im Range stand, konnte er getrost noch einiges lernen. Paser schlief nicht. Er träumte von Neferet, stellte sie sich zärtlich und beruhigend neben sich vor. Er hätte mit ihr über seine Untersuchungen gesprochen, sie mit ihm über ihre Kranken. Zu zweit würden sie die Last ihrer jeweiligen Mühsal tragen, würden die Würze eines einfachen, mit jeder Sonne neu erstehenden Glücks genießen.
Wind des Nordens begann zu schreien, Brav bellte los. Der Richter erhob sich, öffnete das Fenster. Ein bewaffneter Wachsoldat zeigte ihm die vom Gerichtsschreiber des Ältesten der Vorhalle ausgestellte Zwangsverpflichtung vor. Mit einem kurzen Überwurf über den Schultern folgte Paser der Wache sogleich bis zur Kaserne.
Vor der ins Untergeschoß führenden Treppe kreuzten zwei Krieger ihre Lanzen. Sie traten zur Seite, um den Richter durchzulassen, den Scheschi auf der Schwelle seiner Forschungsstätte empfing. »Ich erwartete den Ältesten der Vorhalle.«
»Ich bin untröstlich, Euch zu enttäuschen, ich wurde von Amts wegen mit dem Fall betraut. Was ist Euch zugestoßen?«
»Versuchter Diebstahl.«
»Ein Verdächtiger?«
»Der Schuldige wurde festgenommen.«
»Demnach wird es genügen, den Tatbestand aufzunehmen, zur Anklage zu schreiten und ohne Verzug über ihn zu richten.« Scheschi schien etwas betreten. »Ich muß ihn verhören. Wo ist er?«
»Im Gang, zu Eurer Linken.« Auf einem Amboß sitzend und von einem Soldaten bewacht, fuhr der Schuldige hoch, als er Paser erblickte.
»Qadasch! Was macht Ihr hier?«
»Ich schlenderte an dieser Kaserne vorbei und wurde plötzlich angegriffen und mit Gewalt an diesen Ort geschleppt.«
»Falsch«, setzte der Wachsoldat dagegen. »Dieser Mann ist in einen Lagerraum eingedrungen, und wir haben ihn abgefangen.«
»Lüge! Ich werde Anzeige wegen Tätlichkeit erheben.«
»Mehrere Zeugen beschuldigen Euch«, erinnerte Scheschi.
»Was enthält dieses Lager?« fragte Paser. »Metalle, insbesondere Kupfer.« Paser wandte sich an den Zahnheilkundigen. »Sollte es Euch an Rohstoffen für Eure Gerätschaften mangeln?«
»Ich bin Opfer eines Mißverständnisses.« Scheschi näherte sich dem Richter und murmelte ihm etwas ins Ohr. »Wie Ihr wünscht.«
Sie zogen sich in die Wirkstätte zurück. »Die Forschungen, denen ich hier nachgehe, erfordern die allergrößte Verschwiegenheit. Könntet Ihr ein Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit einrichten?«
»Gewiß nicht.«
»In ganz besonderen Fällen …«
»Beharrt nicht weiter.«
»Qadasch ist ein ehrenwerter und reicher Zahnheilkundiger. Ich kann mir seine Absichten nicht erklären.«
»Welcher Art sind Eure Forschungen?«
»Bewaffnung. Begreift Ihr nun?«
»Es gibt kein eigenes Gesetz für Eure Tätigkeit. Wenn Qadasch des Diebstahls angeklagt ist, wird er sich verteidigen, wie er sich darauf versteht, und Ihr werdet erscheinen müssen.«
»Demnach müßte ich auf die Fragen antworten.«
»Selbstverständlich.« Scheschi strich über seinen Schnurrbart. »In dem Fall ziehe ich es vor, keine Klage einzureichen.«
»Das ist Euer Recht.«
»Es ist vor allem zum Wohle Ägyptens. Neugierige Ohren, ob im Gericht oder anderswo, wären ein schreckliches Verhängnis. Ich überlasse Euch Qadasch; von meinem Standpunkt aus hat sich nichts zugetragen. Was Euch betrifft, Richter Paser, vergeßt nicht, daß Ihr zum Stillschweigen verpflichtet seid.« Paser verließ die Kaserne in Gesellschaft des Heilkundigen.
»Gegen Euch liegt nichts mehr vor.«
»Ich, für meinen Teil, werde jedoch Klage einreichen!«
»Abträgliche Zeugenaussagen, ungewöhnliche Anwesenheit an diesem Ort zu ungehöriger Stunde, Verdacht auf Diebstahl … Euer Fall ist fürwahr betrüblich.«
Qadasch hustete, stieß auf und spie aus. »Nun gut, ich verzichte.«
»Ich nicht.«
»Verzeihung?«
»Ich nehme es bereitwillig hin, mitten in der Nacht aufzustehen und unter welchen Bedingungen auch immer zu ermitteln, doch nicht, für einen Trottel gehalten zu werden. Erklärt Euch, oder ich klage Euch wegen Beleidigung eines Amtmannes an.« Des Heilkundigen Rede wurde wirr. »Kupfer von erster Güte und von vollkommener Reinheit! Davon träume ich seit Jahren.«
»Wie habt Ihr vom Vorhandensein dieses Lagers erfahren?«
»Der Offizier, der diese Kaserne überwacht, ist ein … geschwätziger Kunde. Er hat sich gebrüstet, ich habe mein Glück gewagt. Ehedem waren die Kasernen nicht so gut bewacht.«
»So habt Ihr den Entschluß gefaßt, das Kupfer zu stehlen.«
»Nein, ich wollte es bezahlen! Ich hätte das Metall gegen mehrere Mastochsen getauscht. Die Krieger sind ganz versessen darauf. Und meine Bestecke wären besser, leichter, genauer gewesen! Doch dieser kleine Schnurrbärtige ist derart kalt … Unmöglich, einen Handel mit ihm abzuschließen.«
»Nicht ganz Ägypten ist bestechlich.«
»Bestechung? Wo denkt Ihr hin? Wenn zwei Menschen ein Geschäft durchführen, sind sie doch nicht zwangsläufig Gesetzesbrecher. Ihr habt eine recht düstere Meinung von der menschlichen Gattung.« Qadasch entfernte sich murrend. Paser irrte durch die Nacht. Die Erklärungen des Zahnheilkundigen überzeugten ihn nicht. Ein Metallager, in einer Kaserne … wieder einmal die Streitkräfte! Dieser Zwischenfall schien zwar mit dem Verschwinden der Altgedienten nicht in Verbindung zu stehen, doch gewiß mit der Not eines dem Verderben entgegengehenden Zahnheilkundigen, der das Versagen seiner Hand nicht eingestehen wollte.
Der Mond war voll. Der Überlieferung nach bewohnte ihn ein mit einem Messer bewaffneter Hase; als kriegerischer Geist schnitt er immer wieder das Haupt der Finsternis ab. Der Richter hätte ihn liebend gern als Gerichtsboten angeworben. Die Sonne der Nacht nahm zu und nahm ab, füllte sich mit Licht und leerte sich; die Himmelsbarke würde seine Gedanken zu Neferet bringen.
Das Wasser des Nils wurde gerühmt wegen seiner verdauungsfördernden Eigenschaften. Leicht bekömmlich, wie es war, ließ es den Körper die schädlichen Säfte ausscheiden. Manch Heilkundiger vermutete, seine Genesung bringenden Kräfte rührten von den Arzneipflanzen, die an den Böschungen wuchsen und ihre segensreichen Wirkungen den Fluten übertrügen. Wenn die Nilschwelle sich einstellte, befrachtete das Wasser sich mit pflanzlichen Teilchen und mineralischen Salzen. Die Ägypter füllten Tausende von Krügen, in denen sich das kostbare Naß, ohne zu verderben, aufbewahren ließ. Gleichwohl überprüfte Neferet die Vorräte des vergangenen Jahres; wenn sie den Inhalt eines Behälters für trübe befand, warf sie eine Süßmandel hinein. Vierundzwanzig Stunden später war das Wasser wieder klar und köstlich. Manche drei Jahre alten Krüge waren nach wie vor untadelig. Ruhig beobachtete die junge Frau eine Zeitlang das Treiben des Weißwäschers. Im Palast wurde diese Stelle einem Mann von Vertrauen zugeteilt, da die Sauberkeit der Bekleidung als wesentlich erachtet wurde; in jeder Gemeinde, ob klein oder groß, verhielt es sich genauso. Nachdem er die Wäsche gewaschen und ausgewrungen hatte, mußte der Weißwäscher sie mit einem Holzbleuel plätten, sie am ausgestreckten Arm ausschütteln, bevor er sie dann an einer zwischen zwei Pfosten gespannten Leine aufhängte.
»Solltet Ihr erkrankt sein?«
»Weshalb sagt Ihr das?«
»Weil es Euch an Kraft mangelt. Die Wäsche ist seit einigen Tagen grau.«