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»Wasser allein genügt nicht. Verwendet dieses Läutermittel und diesen Duftstoff.« Mürrisch nahm der Weißwäscher die beiden Gefäße an, die ihm die junge Ärztin hinhielt. Ihr Lächeln hatte ihn entwaffnet.
Um den Angriffen von Ungeziefer zu begegnen, ließ Neferet Holzasche, ein wirksames und wohlfeiles Entseuchungsmittel, in die Kornhäuser schütten. Einige Wochen vor der Nilschwelle dort ausgeschüttet, würde diese das Getreide schützen. Während sie gerade den letzten Kornkasten begutachtete, erhielt sie eine neue Lieferung von Kani: Petersilie, Rosmarin, Salbei, Kümmel und Minze. Getrocknet und zu Pulver zerstoßen, dienten diese Heilpflanzen als Grundstoffe für die Arzneien, die Neferet verordnete. So hatten die Heiltränke etwa die Schmerzen des Greises gelindert, der dermaßen glücklich war, nahe den Seinen bleiben zu können, daß sich sein Gesundheitszustand stetig verbesserte.
Trotz aller Umsicht der Ärztin blieben ihre Erfolge nicht unbemerkt; von Mund zu Mund machte ihr Ruf schnell die Runde, und zahlreiche Bauern des Westufers suchten sie auf. Die junge Frau schickte niemanden fort und nahm sich für jeden die nötige Zeit; nach erschöpfenden Tagen verbrachte sie einen Teil der Nacht mit der Zubereitung von Kügelchen, Salben und Pflastern, wobei ihr zwei Witwen, die wegen ihrer Gewissenhaftigkeit auserwählt worden waren, zur Hand gingen. Einige Stunden Schlaf, und schon im Morgengrauen bildete sich erneut der Zug der Leidenden.
Ihre Laufbahn hatte sie sich zwar nicht in dieser Weise vorgestellt, doch zu heilen liebte sie über alles; auf einem besorgten Gesicht einen fröhlichen Ausdruck zurückkehren zu sehen, entschädigte sie für ihre Mühen. Neb-Amun hatte ihr einen Dienst erwiesen, als er sie nötigte, sich in Fühlung mit den einfachsten Menschen weiterzubilden. Hier wären die schönen Reden eines Arztes der besseren Gesellschaft fehlgeschlagen; der Landmann, der Fischer, die Mutter wünschten eine unverzügliche Genesung ohne hohe Kosten. Wenn Überdruß sie überkam, vertrieb Schelmin, das grüne Äffchen, das sie aus Memphis hatte herbringen lassen, diesen mit ihren Augen. Sie erinnerte sie an ihre erste Begegnung mit Paser, diesem so eigensinnigen, so bedingungslos geradlinigen, diesem zugleich beunruhigenden und anziehenden Paser. Welche Frau könnte mit einem Richter leben, dessen Berufung Vorrang vor allem anderen hatte?
Eines Tages legten unversehens an die zehn Korbträger ihre Last vor Neferets neuer Wirkstätte nieder. Schelmin sprang von einem zum anderen. Sie enthielten Weidenrinde, Natron, Weißöl, Olibanum, Honig, Terebinthenharz und verschiedenste tierische Fette von erster Güte. »Ist das für mich?«
»Ihr seid doch die Heilkundige Neferet?«
»Ja.«
»Dann gehört dies Euch.«
»Der Preis dieser Kostbarkeiten …«
»Es ist alles beglichen.«
»Durch wen?«
»Wir begnügen uns damit, die Dinge zu liefern. Ihr müßt mir den Empfang bestätigen.« Betäubt und gleichzeitig verzückt schrieb Neferet ihren Namen auf ein Holztäfelchen. Sie würde nun zusammengesetzte Heilmittel verordnen und ohne fremde Hilfe die ernsten Erkrankungen behandeln können.
Als Sababu bei Sonnenuntergang über die Schwelle ihrer Behausung trat, war Neferet nicht verwundert.
»Ich erwartete Euch.«
»Hattet Ihr es geahnt?«
»Die Salbe gegen Gelenkentzündung wird bald fertig sein. Es fehlt nicht eine Zutat.« Sababu, deren Haar Duftbinse zierte und deren Hals eine Kette aus lotosförmigen Karneolen schmückte, hatte nichts mehr von einer Bettlerin. Ein leinenes Gewand, von den Lenden an durchsichtig, bot ihre langen Beine dem Blick dar.
»Ich will von Euch, und nur von Euch, gepflegt werden. Die anderen Ärzte sind Quacksalber und Diebe.«
»Ist das nicht etwas übertrieben?«
»Ich weiß, was ich sage. Nennt Euren Preis, ich werde ihn bezahlen.«
»Euer Geschenk ist überaus stattlich. Ich verfüge nun über eine ausreichende Menge an kostspieligen Stoffen, um Hunderte von Fällen zu behandeln.«
»Den meinen zuerst.«
»Solltet Ihr zu Reichtum gekommen sein?«
»Ich habe meine Tätigkeiten wiederaufgenommen. Theben ist zwar kleiner als Memphis, der hier herrschende Geist gottesfürchtiger und weniger weltoffen, doch die wohlhabenden Herren schätzen die Häuser des Bieres und deren hübsche Bewohnerinnen genauso sehr. Ich habe einige junge Frauen angeworben, ein hübsches Haus mitten in der Stadt gepachtet, dem örtlichen Vorsteher der Ordnungskräfte seinen Soll entrichtet und die Pforten einer Stätte geöffnet, deren Ruf rasch gefestigt war. Den Beweis dafür habt Ihr vor Augen!«
»Ihr seid sehr großzügig.«
»Täuscht Euch nicht. Ich wünsche, gut gepflegt zu werden.«
»Befolgt Ihr meine Ratschläge?«
»Wortgetreu. Ich führe, doch ich übe nicht mehr aus.«
»An Ansuchen dürfte es nicht mangeln.«
»Ich willige ein, einem Manne Lust zu geben, doch ohne Gegenleistung. So bin ich nun unnahbar.« Neferet war errötet.
»Sollte ich bei Euch Anstoß erregt haben?«
»Nein, selbstverständlich nicht.«
»Ihr gebt viel Liebe, aber erhaltet Ihr auch welche?«
»Diese Frage ist ohne jeden Belang.«
»Ich weiß: Ihr seid Jungfrau. Glücklich der Mann, der Euch zu betören verstehen wird.«
»Dame Sababu, ich …«
»Dame, ich? Ihr scherzt!«
»Schließt die Tür, legt Euer Kleid ab. Bis zur vollständigen Genesung werdet Ihr jeden Tag zu mir kommen, damit ich Euch einen Balsam auflege.« Sababu streckte sich auf der Walkbank aus. »Auch Ihr verdient es, wirklich glücklich zu werden.«
Eine starke Strömung machte den Flußarm gefährlich. Sethi hob Panther hoch und trug sie auf seinen Schultern weiter.
»Hör auf, dich zu sträuben. Wenn du fällst, ertrinkst du.«
»Du möchtest mich nur demütigen.«
»Willst du dich davon überzeugen?« Sie beruhigte sich. Das Wasser bis zur Leibesmitte, folgte Sethi einer krummen Furt, indem er sich auf große Steine stützte.
»Klettere auf meinen Rücken und halte dich an meinem Hals fest.«
»Ich kann fast schwimmen.«
»Du wirst dich später darin üben.« Der junge Mann verlor den Boden unter den Füßen, Panther stieß einen Schrei aus. Während er geschmeidig und schnell vorankam, klammerte sie sich fester an ihn.
»Mach dich leicht und strampele mit den Füßen.« Angst ließ sie erstarren. Eine tosende Welle überspülte Sethis Kopf, doch er behielt die Oberhand und erreichte das Ufer.
Er trieb einen Pflock in den Boden, verknotete einen Strick daran, warf ihn ans andere Ufer, wo ein Krieger ihn befestigte. Panther hätte währenddessen fliehen können.
Die Überlebenden des Sturmangriffs und die Abteilung Bogenschützen des Heerführers Ascher überwanden das Hindernis. Der letzte Fußsoldat, der sich auf seine Kräfte einiges einbildete, ließ zum Spaß den Strick los. Von der Last seiner Waffen behindert, stieß er gegen einen trügerisch herausragenden Fels, wurde ohnmächtig und versank. Sethi sprang in die Flut.
Als freute sie sich darüber, zwei Opfer zu verschlingen, schwoll die Strömung an. Unter der Oberfläche schwimmend, machte Sethi den Unglücklichen aus. Mit beiden Händen packte er ihn unter den Achseln, konnte den sinkenden Körper halten und versuchte, ihn nach oben zu ziehen. Der Ertrinkende kam wieder zu Bewußtsein, stieß seinen Retter mit einem Schlag des Ellbogens auf die Brust zur Seite und verschwand schließlich in den Tiefen des Sturzbachs. Mit brennender Lunge war Sethi gezwungen aufzugeben.
»Du bist nicht schuld daran«, bekräftigte Panther.