37695.fb2
»Neferet hat dich behandelt, du wirst gesund werden.«
»Deine Verlobte?«
»Eine außerordentliche Wundärztin und die beste aller Heilkundigen.«
Sethi versuchte, den Oberkörper aufzurichten; der Schmerz entriß ihm einen Schrei, und er fiel wieder zurück.
»Vor allem rühre dich nicht!«
»Ich, zur Bewegungslosigkeit verdammt …«
»Sei etwas geduldig.«
»Dieser Bär hat mich zerfleischt.«
»Neferet hat dich wieder zusammengenäht, deine Kräfte werden zurückkehren.« Unversehens brachen Sethis Augen. Voller Entsetzen glaubte Paser, er würde dahinschwinden; doch Sethi drückte seine Hand mit aller Macht. »Ascher! Ich mußte unbedingt überleben, um dir von diesem Ungeheuer zu berichten!«
»Beruhige dich.«
»Du mußt die Wahrheit kennen, Richter, du, der du der Gerechtigkeit in diesem Land Achtung verschaffen mußt.«
»Ich höre dir zu, Sethi, aber ereifere dich nicht, ich bitte dich.«
Der Zorn des Versehrten legte sich. »Ich habe Heerführer Ascher einen ägyptischen Krieger foltern und meucheln sehen. Er war in Gesellschaft von Asiaten, von jenen Aufrührern, die er zu bekämpfen vorgibt.«
Paser fragte sich, ob nicht das Fieber seinen Freund im Wahn reden ließ; Sethi hatte sich indes beherrscht geäußert, wenn er auch jedes Wort hämmernd betonte. »Du tatest recht daran, ihn zu verdächtigen, und ich, ich erbringe dir den Beweis, der dir fehlte.«
»Eine Zeugenaussage«, berichtigte der Richter.
»Genügt das nicht?«
»Er wird es leugnen.«
»Mein Wort wiegt soviel wie seines!«
»Sobald du wieder auf den Beinen bist, werden wir über eine geeignete Vorgehensweise nachsinnen. Sprich mit niemandem darüber.«
»Ich werde leben. Ich werde leben, um diesen Elenden zum Tode verurteilt zu sehen.« Ein schmerzvolles Grinsen verzerrte Sethis Gesicht. »Bist du stolz auf mich, Paser?«
»Du und ich, wir stehen zu unserem Wort.«
Am Westufer wuchs Neferets Ansehen. Das Gelingen des Eingriffs erstaunte ihre Berufsgenossen; manche wandten sich gar zur Behandlung schwieriger Fälle an die junge Ärztin. Sie verweigerte sich dem nicht, machte jedoch zur Bedingung, daß das Dorf, das sie beherbergt hatte, auch in Zukunft bevorzugt und Sethi in Der el-Bahri[63] aufgenommen werden möge. Die für die Gesundheitspflege zuständigen Obrigkeiten willigten ein; der wundersam gerettete Held der Schlachtfelder wurde zu einer Zierde der Heilkunde.
Der Tempel von Der el-Bahri verehrte Imhotep, den größten Heiler des Alten Reiches, dem man eine in den Fels gehauene heilige Stätte gewidmet hatte. Die Ärzte sammelten sich in ihr und erbaten die für die Ausübung ihrer Kunst unerläßliche Weisheit ihres Ahnherrn. Einige wenige Kranke wurden zugelassen, die Dauer ihrer Genesung an diesem herrlichen Ort zu verbringen; sie schritten unter Säulengängen dahin, erfreuten sich an den Steinbildnereien, die von den Großtaten der Pharaonenkönigin Hatschepsut berichteten, und lustwandelten in den Gärten, um dort den harzigen Duft der Weihrauchbäume zu atmen, die aus dem märchenumwobenen Lande Punt, nahe der Somaliküste, eingeführt worden waren. Kupferrohre speisten Becken aus unterirdischen Sickerschächten und Kammern mit einem heilenden Wasser, das mit ebenfalls kupfernen Gefäßen geschöpft wurde; Sethi mußte an die zwanzig von ihnen jeden Tag leeren, um damit Entzündungen sowie den anderen nach einem Eingriff auftretenden Unbilden vorzubeugen. Dank seiner erstaunlichen Lebenskraft würde er rasch gesunden. Paser und Neferet schritten die lange blumengeschmückte Rampe hinunter, die die Terrassen Der el-Bahris miteinander verband. »Ihr habt ihn gerettet.«
»Ich habe Glück gehabt, und er auch.«
»Sind irgendwelche Nachwehen zu befürchten?«
»Einige Narben.«
»Sie werden ihn nur anziehender machen.« Eine sengende Sonne erreichte den Scheitelpunkt.
Sie ließen sich im Schatten einer Akazie am Fuße der Rampe nieder. »Habt Ihr nachgedacht, Neferet?« Sie blieb still. Ihre Antwort würde ihm Freude oder Leid bereiten. Unter der Mittagshitze hielt das Leben inne. Auf den Feldern aßen die Bauern im Schutze von Schilfhütten, in denen sie sich einen ausgiebigen Mittagsschlaf gönnen würden. Neferet schloß die Augen.
»Ich liebe Euch mit meinem ganzen Sein, Neferet. Ich möchte Euch heiraten.«
»Ein gemeinsames Leben … sind wir dazu imstande?«
»Ich werde keine andere Frau lieben.«
»Wie könnt Ihr Euch dessen sicher sein? Liebeskummer ist schnell vergessen.«
»Wenn Ihr mich kennen würdet …«
»Ich bin mir der Ernsthaftigkeit Eures Schritts durchaus bewußt.«
»Seid Ihr von einem anderen angetan?«
»Nein.«
»Ich könnte es nicht ertragen.«
»Eifersüchtig?«
»Über alle Maßen.«
»Ihr malt Euch mich als eine vollkommene Frau aus, ohne Makel, mit allen Tugenden geziert.«
»Ihr seid kein Traum.«
»Ihr erträumt mich. Eines Tages werdet Ihr aufwachen, und Ihr werdet enttäuscht sein.«
»Ich sehe Euch leben, ich atme Euren Duft, Ihr seid mir nahe … ist das ein Trugbild?«
»Ich habe Angst. Falls Ihr Euch irrt, falls wir uns irren, wird der Schmerz grauenvoll sein.«
»Niemals werdet Ihr mich enttäuschen.«
»Ich bin keine Göttin. Wenn Euch dies zu Bewußtsein kommen wird, werdet Ihr mich nicht mehr lieben.«
»Mich entmutigen zu wollen, ist sinnlos. Von unserer ersten Begegnung an, von dem Augenblick an, da ich Euch das erste Mal sah, habe ich gewußt, daß Ihr die Sonne meines Lebens seid. Ihr strahlt, Neferet; niemand kann das Licht leugnen, das von Euch ausgeht. Mein Dasein gehört Euch, ob Ihr es nun wollt oder nicht.«
»Ihr versteigt Euch. Ihr müßt Euch an den Gedanken gewöhnen, weit entfernt von mir zu leben; Eure Laufbahn wird sich in Memphis abspielen, die meine in Theben.«
»Was schert schon meine Laufbahn?«