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Ascher tätschelte noch Sethis Wange und wandte sich dann einem anderen Wackeren zu. Auch wenn sie mit Nachdruck vorgebracht worden waren, hatten ihn die Andeutungen nicht verwirrt. Einen Augenblick fragte sich Sethi, ob er sich nicht getäuscht hatte; doch das grauenvolle Schauspiel war noch immer in seinem Gedächtnis lebendig. Voller Einfalt hatte er gehofft, der Verräter verlöre seine Kaltblütigkeit.
PHARAO hielt eine lange Rede, deren wesentliche Punkte von seinen Boten und Ausrufern in jeder Stadt und in jedem Dorf wiederholt wurden. Als Oberster Befehlshaber der Streitkräfte gewährleiste er den Frieden und wache über die Grenzen. Die vier großen Heerscharen, die zwanzigtausend Krieger zählten, würden Ägypten vor jedem Einfallversuch beschützen. Streitwagentruppe und Fußvolk, bei denen sich etliche Nubier, Syrer und Libyer verpflichtet hatten, seien dem Glück der Beiden Länder treu verbunden und würden sie gegen jeden Angreifer, und seien es selbst ehemalige Landsleute, verteidigen. Der König dulde keine Verletzung von Vorschriften und Gehorsamspflicht, der Wesir würde seine Weisungen wortgetreu ausführen. Als Belohnung für seine guten und treuen Dienste wurde Heerführer Ascher zum Vorsteher der Ausbildung jener Offiziere ernannt, welche die zur Beobachtung nach Asien entsandten Truppen anführen würden. Seine Erfahrung würde ihnen wertvoll sein; der Heerführer, der bereits Bannerträger zur Rechten des Königs war, würde von nun an ständig zu Entscheidungen der Gefechts- und Kriegsführung zu Rate gezogen werden.
Paser nahm Einsicht in eine Unterlage, räumte sie wieder fort, ordnete bereits abgelegte Schriftstücke, gab seinem Gerichtsschreiber widersprüchliche Anweisungen und vergaß, seinen Hund auszuführen. Iarrot wagte nicht, ihm Fragen zu stellen, da der Richter ihm doch nur verworrene Antworten gab. Paser mußte tagtäglich Sethis Bestürmen erdulden, der zunehmend ungeduldiger wurde; Ascher in Freiheit zu sehen, war ihm unerträglich. Der Richter schloß jegliche Überstürzung aus, ohne irgend etwas Greifbares vorzuschlagen, und entrang seinem Freund das Versprechen, nicht ohne Sinn und Verstand einzuschreiten. Den Heerführer leichtfertig anzugreifen, würde in einem Mißerfolg münden.
Sethi bemerkte, daß Paser kaum geistigen Anteil an seinen Worten nahm; in schmerzlichen Gedanken verloren, erlosch er gleichsam nach und nach. Der Richter hatte geglaubt, die Arbeit würde ihn zerstreuen und ihn Neferet vergessen lassen. Doch das Gegenteil war der Fall; die Entfernung steigerte seine Verzweiflung noch.
Im Bewußtsein, daß die Zeit sie noch verschlimmern würde, beschloß er, zu einem Schatten zu werden. Nachdem er seinem Hund und seinem Esel Lebewohl gesagt hatte, verließ er Memphis in Richtung Westen, zur libyschen Wüste hin. Aus Feigheit hatte er sich Sethi nicht anvertraut, konnte er sich doch im voraus dessen Einwände denken. Der Liebe zu begegnen und sie nicht leben zu können, hatte sein Dasein in eine einzige Qual verwandelt. Paser schritt unter einer glühenden Sonne über sengenden Sand vorwärts. Er erklomm eine Anhöhe und setzte sich auf einen Stein, die Augen der Unendlichkeit zugewandt. Der Himmel und die Erde würden sich über ihm schließen, die Hitze ihn ausdörren, die Hyänen und die Geier seinen Balg vernichten. Indem er seine Grabstätte absichtlich vernachlässigte, würde er die Götter beleidigen und sich dazu verdammen, den zweiten Tod zu erleiden, der die Auferstehung ausschloß; doch wäre eine Ewigkeit ohne Neferet nicht die schlimmste aller Strafen? Sich selbst fern, dem Wind und dem Biß der Sandkörner gegenüber gleichgültig, versank Paser im Nichts. Leere Sonne, unbewegliches Licht … Es war nicht so einfach, zu verschwinden. Der Richter bewegte sich nicht mehr, in der festen Überzeugung, nun endlich in den letzten Schlaf zu gleiten. Als Branirs Hand sich auf seine Schulter legte, rührte er sich nicht.
»Ein ermüdender Gang in meinem Alter. Als ich aus Theben zurückkehrte, gedachte ich, mich auszuruhen; und du zwingst mich, dich in dieser Wüste wiederzufinden. Selbst mit der Wünschelrute war dies kein leichtes Unterfangen. Trink etwas.« Branir hielt seinem Schüler einen Schlauch mit kühlem Wasser hin. Mit zögernder Hand ergriff Paser diesen, steckte die Tülle zwischen die blutleeren Lippen und trank einen tüchtigen Schluck. »Abzulehnen wäre kränkend gewesen, doch ich werde Euch kein weiteres Zugeständnis machen.«
»Du bist widerstandsfähig, deine Haut ist nicht verbrannt, und deine Stimme bebt kaum.«
»Die Wüste wird mein Leben nehmen.«
»Sie wird dir den Tod verweigern.« Paser schauderte. »Ich werde geduldig sein.«
»Deine Geduld wird sinnlos sein, da du ein Eidbrüchiger bist.« Der Richter fuhr auf. »Ihr, mein Meister, Ihr …«
»Die Wahrheit ist hart.«
»Ich habe mein Wort nicht gebrochen!«
»Dein Gedächtnis läßt dich im Stich. Als du dein erstes Amt in Memphis annahmst, hast du einen Schwur abgelegt, dessen Zeuge ein Stein war. Schau dir die Wüste um uns herum an; aus diesem Stein sind Tausende geworden, er gemahnt dich an die heilige Verpflichtung, die du vor Gott, vor den Menschen und vor dir selbst eingegangen bist. Du wußtest es, Paser; ein Richter ist kein gewöhnlicher Mensch. Dein Dasein gehört dir nicht mehr. Vergeude es, verheere es, das ist ohne Bedeutung; der Eidbrüchige ist dazu verdammt, unter den haßerfüllten Schatten zu irren, die sich gegenseitig zerfleischen.« Paser bot seinem Meister die Stirn. »Ich kann nicht ohne sie leben.«
»Du mußt dein Amt als Richter erfüllen.«
»Ohne Freude und ohne Hoffnung?«
»Die Gerechtigkeit nährt sich nicht von Gemütszuständen, sondern von Rechtschaffenheit.«
»Neferet zu vergessen, ist unmöglich.«
»Erzähle mir von deinen Ermittlungen.« Das Rätsel des Sphinx, der fünfte Altgediente, Heerführer Ascher, das geraubte Korn … Paser faßte die Tatsachen zusammen, verhehlte weder seine Unsicherheiten noch seine Zweifel. »Du, ein schlichter Amtmann, der sich tief unten auf der hierarchischen Leiter befindet, bist mit außergewöhnlichen Angelegenheiten befaßt, die das Schicksal dir anvertraut hat. Sie reichen weit über deine Person hinaus und betreffen vielleicht die Zukunft ganz Ägyptens. Wirst du gewöhnlich genug sein, sie zu vernachlässigen?«
»Ich werde handeln, da Ihr es so wünscht.«
»Deine Stellung verlangt es. Glaubst du denn, die meine sei leichter?«
»Ihr werdet bald in den Genuß der Ruhe des Inneren Tempels kommen.«
»Nicht seiner Ruhe, Paser, sondern seines ganzen Lebens. Gegen meinen Wunsch hat man mich zum Hohenpriester von Karnak benannt.« Des Richters Gesicht hellte sich auf. »Wann werdet Ihr den Goldenen Ring erhalten?«
»In einigen Monaten.«
Zwei Tage lang hatte Sethi in ganz Memphis nach Paser gesucht. Er wußte, daß der Richter verzweifelt genug war, um seinem Leben ein Ende zu bereiten. Dann endlich erschien Paser in der Amtsstube mit von der Sonne gerötetem Gesicht. Sethi zog ihn sogleich in ein gewaltiges, von Kindheitserinnerungen beseeltes Saufgelage. Am Morgen danach badeten sie im Nil, ohne indes den dumpfen Kopfschmerz vertreiben zu können, der ihnen in den Schläfen pochte.
»Wo hast du dich versteckt?«
»Ich habe mich zum Nachsinnen in die Wüste begeben. Branir hat mich zurückgebracht.«
»Was hast du nun tatsächlich entschieden?«
»Selbst wenn der Weg glanzlos und grau ist, werde ich meinen Richterschwur achten.«
»Das Glück wird sich einstellen.«
»Du weißt, daß das nicht stimmt.«
»Wir werden gemeinsam kämpfen. Womit fängst du an?«
»Theben.«
»Ihretwegen?«
»Ich werde sie nicht wiedersehen. Ich muß mir Klarheit über diesen Getreideschwarzhandel verschaffen und den fünften Altgedienten aufspüren. Seine Zeugenaussage wird wesentlich sein.«
»Und falls er tot ist?«
»Dank Branir bin ich sicher, daß er sich versteckt hält. Sein Zauberstab irrt sich nicht.«
»Es könnte langwierig werden.«
»Überwache Ascher, erforsche sein Tun und Handeln, versuche, einen Schwachpunkt zu entdecken.«
Sethis Streitwagen wirbelte eine Sandwolke auf. Der neuernannte Offizier stimmte ein wüstes Lied an, das die Untreue der Frauen rühmte. Sethi war zuversichtlich; selbst wenn Paser ein Nervenbündel blieb, würde er sein Wort nicht brechen. Bei der ersten Gelegenheit würde er ihn mit einem fröhlichen Weibsstück bekannt machen, das seinen Trübsinn zu vertreiben wüßte.
Ascher würde der Gerechtigkeit nicht entgehen, so mußte auch Sethi nun Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Der Streitwagen fuhr zwischen den beiden Wegsteinen durch, welche den Eingang des Anwesens anzeigten. Die Hitze war derart drückend, daß die meisten Bauern sich im Schatten ausruhten. Vor dem Gutsgebäude bahnte sich ein Unheil an; ein Esel hatte soeben seine Last abgeworfen. Sethi hielt an, sprang ab und stieß den Eseltreiber zur Seite, der bereits seinen Stock hochreckte, um das Tier zu bestrafen. Der Offizier brachte den verschreckten Vierhufer zum Stehen, indem er ihn an den Ohren festhielt, und beruhigte ihn unter Streicheln. »Man schlägt einen Esel nicht.«
»Und mein Kornsack! Siehst du denn nicht, daß er ihn abgeworfen hat?«
»Das war nicht seine Schuld«, berichtigte ein Heranwachsender.
»Wessen dann?«
»Die der Libyerin. Sie hat Spaß daran, ihm den Hintern mit Dornen zu pieken.«
»Oh, die! Die verdient zehnmal den Stock.«
»Wo ist sie?«
»Am Teich. Wenn man sie fangen will, klettert sie auf eine Weide.«
»Ich werde mich um sie kümmern.« Als er näher kam, erklomm Panther sofort den Baum und streckte sich auf einem starken Ast aus. »Komm herunter!«