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»Für das Volk bestimmte Nahrung zu stehlen ist ein ernstes Vergehen.«
»Das gestehe ich zu, doch ich möchte ein öffentliches Gerichtsverfahren vermeiden, das Ramses schaden könnte. Euren eigenen Bemerkungen zufolge ist die Voruntersuchung noch nicht abgeschlossen.« Pasers Gesicht verschloß sich. »Seid nicht besorgt, werter Standesbruder; in meiner Eigenschaft als Oberster Richter von Theben habe ich nicht die Absicht, Euren Vorgang inmitten eines Stapels verwahrter Schriften zu vergessen. Ich lege einzig und allein Wert darauf, die Anklage zu untermauern, da der Kläger das Land selbst sein wird.«
»Habt Dank für diese Klarstellung. Was die öffentliche Verhandlung angeht …«
»Wäre sie vorzuziehen, ich weiß; doch wollt Ihr zuvorderst die Wahrheit oder den Kopf der Prinzessin Hattusa?«
»Ich hege keine besondere Feindseligkeit gegen sie.«
»Ich werde versuchen, sie zu einer Aussprache zu überreden, und ihr, falls nötig, eine amtliche Vorladung zustellen. Lassen wir sie doch Herrin ihres Geschicks sein, nicht wahr? Falls sie schuldig ist, wird sie sühnen.«
Der hohe Gerichtsbeamte wirkte aufrichtig. »Ist Euch meine Beihilfe unerläßlich?«
»Im Augenblick nicht, zumal Ihr dringend nach Memphis zurückgerufen wurdet.«
»Mein Gerichtsschreiber?«
»Der Älteste der Vorhalle.«
Nenophars Zorn wollte nicht verrauchen. Wie hatte ihr Gatte sich nur auf solch törichte Weise betragen können? Wie gewöhnlich schätzte er die Leute falsch ein und hatte geglaubt, Bel-ter-an würde sich ohne Gegenwehr beugen. Das Ergebnis war fürchterlich: eine Gerichtsverhandlung in Aussicht, ein Frachtschiff beschlagnahmt, der Verdacht auf Diebstahl und der hämische Sieg dieses jungen Krokodils. »Deine Leistung ist beachtlich.« Denes bewahrte die Fassung. »Nimm noch etwas gebratene Gans, sie ist köstlich.«
»Du bringst uns in Schande und Not.«
»Beruhige dich, das Schicksal wird sich wenden.«
»Das Schicksal sicher, aber deine Beschränktheit nicht!«
»Ein Schiff ein paar Tage lang festzuhalten, was soll das schon! Die Fracht ist umgeladen worden und wird bald in Theben eintreffen.«
»Und Bel-ter-an?«
»Er wird keine Klage erheben. Wir haben eine Verständigungsgrundlage gefunden. Kein Krieg mehr gegeneinander, sondern eine Zusammenarbeit zum Besten unserer jeweiligen Belange. Er ist nicht Manns genug, unseren Platz einzunehmen; die Lehre war ihm nützlich. Wir werden sogar einen Teil seines Vorrats befördern, zu angemessenem Preis.«
»Und die Anzeige wegen Diebstahls?«
»Nicht zulässig. Schriftstücke und Zeugen werden meine Unschuld beweisen. Obendrein habe ich meine Hand tatsächlich nicht im Spiel. Hattusa hat mich überlistet.«
»Wie steht es um Pasers Klagegründe?«
»Unangenehm, das gestehe ich dir zu.«
»Folglich eine verlorene Verhandlung, unser Ruf beschmutzt und Bußzahlungen!«
»So weit sind wir noch nicht.«
»Glaubst du etwa an Wunder?«
»Wenn man sie einfädelt, warum nicht?«
Silkis hüpfte vor Freude ein paar Schritte. Sie hatte soeben eine Aloe von stattlichen zehn Metern erhalten, die gelbe, gelbrote und rote Blüten krönten. Ihr Saft enthielt ein Öl, mit dem sie ihre Scham einreiben würde, um jeder Entzündung vorzubeugen. Auch würde sie dazu dienen, die Hauterkrankung zu behandeln, welche die Beine ihres Gemahls mit rotem Nesselausschlag übersäte. Darüber hinaus würde Silkis ihm ein Pflaster aus Eiweiß und Akazienblüten auflegen.
Als Bel-ter-an über seine Einbestellung in den Palast in Kenntnis gesetzt worden war, hatte sich sogleich ein Anfall heftigen Juckreizes eingestellt. Dem Leiden trotzend, hatte der Papyrushersteller sich dennoch mit Bangigkeit in die Amtsräume der Verwaltung begeben.
Während sie auf ihn wartete, bereitete Silkis den lindernden Balsam zu.
Bel-ter-an kehrte zu Beginn des Nachmittags zurück. »Wir werden nicht so bald wieder ins Delta kommen. Ich werde einen Stellvertreter benennen.«
»Hat man uns das amtliche Wohlwollen entzogen?«
»Im Gegenteil. Ich habe die lebhaftesten Beglückwünschungen für meine Bewirtschaftung und die Geschäftsausweitung nach Memphis erhalten. In Wahrheit hat der Palast sein Augenmerk seit zwei Jahren auf meine Tätigkeiten gerichtet.«
»Wer will dir schaden?«
»Aber … niemand! Der Oberste Verwalter der Kornhäuser hat meinen Aufstieg verfolgt und sich gefragt, wie ich mich auf meinen Erfolg hin verhalten würde. Da er mich immer härter hat arbeiten sehen, ruft er mich nun an seine Seite.«
Silkis war hellauf entzückt. Der Oberste Verwalter der Kornhäuser legte die Abgaben fest, zog diese in Naturalien ein, wachte über deren Wiederverteilung in den Gauen, führte einen Stab eigener Schreiber an, beaufsichtigte die Sammelstellen in den Gauen, erhielt die Aufstellungen über Grund und landwirtschaftliche Erträge und leitete diese den Beiden Weißen Häusern weiter, wo die Schätze des Landes verwaltet wurden.
»An seine Seite … willst du damit sagen …«
»Ich bin zum Schatzaufseher der Kornhäuser ernannt worden.«
»Das ist wunderbar!« Sie flog ihm an den Hals. »Dann werden wir noch reicher werden?«
»Das ist wahrscheinlich, doch meine Obliegenheiten werden mich mehr in Anspruch nehmen. Ich werde kurze Reisen in die Gaue machen müssen und gezwungen sein, die Vorgaben meines Dienstherrn zu erfüllen. Du wirst dich um die Kinder kümmern.«
»Ich bin so stolz … du kannst auf mich zählen.«
Der Gerichtsschreiber Iarrot saß neben dem Esel vor der Tür von Pasers Amtsstube, auf der mehrere gerichtliche Siegel angebracht worden waren. »Wer hat sich das erlaubt?«
»Der Vorsteher der Ordnungskräfte in eigener Person, auf Anordnung des Ältesten der Vorhalle.«
»Aus welchem Grund?«
»Er hat sich geweigert, ihn mir zu nennen.«
»Das ist ungesetzlich.«
»Wie hätte ich ihm Widerstand leisten sollen? Ich konnte mich doch nicht prügeln!« Paser begab sich sogleich zu dem hohen Gerichtsbeamten, der ihn eine lange Stunde warten ließ, bevor er ihn empfing.
»Da seid Ihr ja endlich, Richter Paser! Ihr reist viel umher.«
»Aus beruflichen Gründen.«
»Nun denn, so werdet Ihr Euch ausruhen können! Wie Ihr festgestellt habt, seid Ihr Eurer Ämter einstweilen enthoben.«
»Auf welche Veranlassung hin?«