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»Ich kam, um Kupfer von erster Güte zu kaufen. Der Handel ist nicht gut verlaufen.«
»Wer hat Euch auf das Vorhandensein dieses Metalls hingewiesen?«
»Der Verantwortliche der Kaserne.«
»Das ist falsch.«
»Ich versichere, ich …«
»Das Gericht verfügt über eine schriftliche Aussage. Zu diesem Punkt habt Ihr gelogen. Überdies habt Ihr diese Lüge soeben wiederholt, nachdem Ihr Euren Eid geleistet habt; folglich habt Ihr Euch des Verstoßes der Falschaussage schuldig gemacht.« Qadasch schauderte. Eine strenge Geschworenenversammlung würde ihn zu Zwangsarbeit in den Bergwerken verurteilen; eine nachsichtige zu einer Jahreszeit Feldarbeit.
»Ich ziehe Eure vorherigen Antworten in Zweifel«, fuhr Paser fort, »und ich stelle meine Frage nochmals: Wer hat Euch das Vorhandensein und den Verwahrungsort des kostbaren Metalls genannt?« Wie erstarrt stand Qadasch mit offenem Mund da. »War es der Forscher Scheschi?« Der Zahnheilkundige brach unter Tränen zusammen. Auf einen Wink des Richters führte der Gerichtsschreiber ihn zurück zu seinem Platz. »Ich rufe den Metallkundigen Scheschi auf.« Einen kurzen Augenblick glaubte Paser, der Gelehrte mit der traurigen Gestalt und dem schwarzen Schnurrbart würde nicht erscheinen. Doch er hatte sich verständig gezeigt, wie sich der Vorsteher der Ordnungskräfte ausgedrückt hatte. Der Heerführer bat ums Wort. »Erlaubt mir, mein Erstaunen auszudrücken. Handelt es sich hier nicht um eine andere Verhandlung?«
»Diese Personen sind, meiner Meinung nach, nicht unbeteiligt an der Angelegenheit, die uns beschäftigt.«
»Weder Qadasch noch Scheschi haben unter meinem Befehl gedient.«
»Etwas Geduld, Heerführer.« Verdrossen beobachtete Ascher den Metallkundigen aus den Augenwinkeln. Er wirkte entspannt. »Ihr arbeitet doch für das Heer in einer Forschungsstätte zur Vervollkommnung der Bewaffnung?«
»Ja.«
»Ihr bekleidet in Wahrheit zwei Stellungen: eine amtliche, im Licht der Öffentlichkeit, in einer Wirkstätte des Palastes, und eine andere, weit unauffälligere, in einer geheimen Gießerei in einer Kaserne.« Scheschi begnügte sich mit einem Kopfnicken. »In der Folge eines Diebstahlversuchs, dessen Urheber der Zahnheilkundige Qadasch ist, habt Ihr Eure Gerätschaften dort ausgeräumt, jedoch keine Anzeige erhoben.«
»Aus Gründen der Geheimhaltung.«
»Als Fachmann für Metallegierungen und Gußverfahren erhaltet Ihr die Grundstoffe vom Heer, verwahrt sie und führt darüber ein Bestandsverzeichnis.«
»Selbstverständlich.«
»Weshalb verbergt Ihr Barren von Himmelseisen, das kultischen Zwecken vorbehalten ist, und einen Dächsel aus demselben Metall?« Die Frage verblüffte die Anwesenden. Weder dieses Metall noch ein derartiger Gegenstand verließen gemeinhin den heiligen Bezirk des Tempels; sie zu entwenden wurde mit der Todesstrafe geahndet. »Mir ist das Vorhandensein dieses Schatzes nicht bekannt.«
»Wie rechtfertigt Ihr dann dessen Gegenwart in Euren Räumlichkeiten?«
»Eine böswillige Unterschiebung.«
»Habt Ihr Feinde?«
»Wenn man mich verurteilte, würde man meine Forschungen unterbrechen und Ägypten schaden.«
»Ihr seid nicht ägyptischer, sondern beduinischer Herkunft.«
»Ich hatte es vergessen.«
»Ihr habt den Aufseher der Wirkstätten belogen, als Ihr behauptetet, Ihr wärt in Memphis geboren.«
»Wir haben uns nicht richtig verstanden. Ich wollte sagen, daß ich mich ganz und gar als Memphiter fühle.«
»Das Heer hat dies nachgeprüft, wie es sich ziemt, und Eure Behauptung bestätigt. Unterstand die Prüfungsstelle nicht Eurer Verantwortung, Heerführer Ascher?«
»Das ist möglich«, brummelte der Angesprochene. »Ihr habt Euch also für eine Lüge verbürgt.«
»Nicht ich, sondern ein unter meinem Befehl stehender Beamter.«
»Das Gesetz macht Euch für die Fehler Eurer Untergebenen verantwortlich.«
»Das gestehe ich zu, doch wer würde eine solche Kleinigkeit bestrafen? Die Schreiber irren sich alle Tage, wenn sie ihre Berichte abfassen. Überdies ist Scheschi ein ehrbarer Ägypter geworden. Sein Beruf ist Beweis für das Vertrauen, das ihm gewährt wurde, und dessen er sich würdig gezeigt hat.«
»Es gibt noch eine andere Auslegung der Dinge. Ihr kanntet Scheschi seit langem; Eure Begegnung geht auf Eure ersten Feldzüge gen Asien zurück. Seine Begabungen als Forscher haben Eure Aufmerksamkeit geweckt; Ihr habt ihm die Einreise auf ägyptisches Gebiet erleichtert, seine Vergangenheit ausgetilgt und ihm eine Laufbahn in den Streitkräften ermöglicht.«
»Unbewiesene Mutmaßungen.«
»Das himmlische Eisen ist keine. Wozu habt Ihr es bestimmt, und weshalb habt Ihr es Scheschi beschafft?«
»Hirngespinste.«
Paser wandte sich den Geschworenen zu. »Ich bitte Euch zu vermerken, daß Qadasch Libyer ist, und Scheschi Beduine, syrischer Abstammung. Ich bin von der Helfershelferschaft der beiden Männer und ihrer engen Bande zu Heerführer Ascher überzeugt. Sie schmieden seit langem Ränke miteinander und gedachten, mit der Verwendung himmlischen Eisens einen entscheidenden Schritt zu vollbringen.«
»Das sind lediglich Eure Ansichten«, wandte der Heerführer ein. »Ihr verfügt über keinen einzigen Beweis.«
»Ich räume ein, bloß drei strafwürdige Sachverhalte bewiesen zu haben: die Falschaussage Qadaschs, die falschen Angaben von Scheschi und die Leichtfertigkeit Eurer Verwaltungsstellen.« Der Offizier verschränkte hochmütig die Arme. Bisher machte sich der Richter seiner Meinung nach nur lächerlich.
»Kommen wir zum zweiten Gesichtspunkt meiner Untersuchung«, fuhr Paser fort, »die Angelegenheit um den Großen Sphinx von Gizeh. Den amtlichen, von Heerführer Ascher unterzeichneten Schriftstücken zufolge sollen fünf altgediente Krieger, welche die Ehrenwache des Bauwerks bildeten, bei einem Unfall zu Tode gekommen sein. Bestätigt Ihr dies?«
»Ich habe mein Petschaft tatsächlich daruntergesetzt.«
»Diese Fassung des Sachverhalts entspricht nicht der Wirklichkeit.«
Verstört löste Ascher die Arme. »Das Heer hat die Bestattungsfeiern dieser Unglücklichen beglichen.«
»Bei drei von ihnen, dem Oberaufseher und seinen beiden Waffenbrüdern, die im Delta lebten, habe ich die genaue Todesursache nicht ermitteln können; die beiden anderen sind in den Ruhestand in ihrer thebanischen Heimat entlassen worden. Sie waren folglich nach dem angeblichen Unfall wahrhaftig noch am Leben.«
»Das ist sonderbar«, erkannte Ascher an. »Können wir sie dazu hören?«
»Sie sind alle beide tot. Der vierte Altgediente wurde Opfer eines Unfalls; doch hat man ihn nicht vielleicht in seinen Brotofen gestoßen? Der fünfte verbarg sich in heilloser Angst unter dem Gewand des Fährmanns. Er ist durch Ertrinken gestorben oder, besser gesagt, ertränkt worden.«
»Einspruch«, erklärte der Älteste der Vorhalle. »Den in mein Amt gelangten Berichten zufolge spricht sich der örtliche Ordnungshüter zugunsten des Unfalls aus.«
»Wie dem auch sei, sind mindestens zwei der fünf Altgedienten keineswegs bei einem Sturz vom Sphinx gestorben, wie es der Heerführer Ascher glauben machen wollte. Darüber hinaus hat der Fährmann vor seinem Tod noch Zeit gehabt, mit mir zu sprechen. Seine Genossen waren von einer bewaffneten, aus mehreren Männern und einer Frau bestehenden Rotte angegriffen und getötet worden. Jene äußerten sich in einer fremden Sprache. Dies ist die Wahrheit, die des Heerführers Bericht verdunkelte.« Der Älteste der Vorhalle runzelte die Stirn. Wenngleich er Paser verabscheute, zog er die Rede eines Richters, die, inmitten einer Sitzung vorgetragen, einen neuen Sachverhalt von entsetzlicher Schwere eröffnete, nicht in Zweifel. Selbst Monthmose war erschüttert; die wahre Verhandlung begann. Der Krieger verteidigte sich mit Heftigkeit. »Ich unterzeichne jeden Tag etliche Berichte, ohne deren Gehalt selbst nachzuprüfen, und ich befasse mich reichlich wenig mit Altgedienten.«
»Die Geschworenen werden mit gewisser Anteilnahme erfahren, daß die Wirkstätte Scheschis, in der die Kiste mit dem Eisen abgestellt war, sich in einer Kaserne für Altgediente befand.«
»Das ist unerheblich«, befand Ascher gereizt. »Der Unfall ist von den Ordnungshütern der Streitkräfte aufgenommen worden, und ich habe lediglich den Verwaltungsvorgang unterzeichnet, damit die Beisetzungsfeiern ausgerichtet werden konnten.«
»Ihr verneint unter Eid, über den Angriff gegen die Ehrenwache des Sphinx unterrichtet worden zu sein?«
»Das verneine ich. Und ich streite desgleichen jede unmittelbare oder mittelbare Verantwortung am Ableben dieser fünf Unglücklichen ab. Mir waren dieses verhängnisvolle Ereignis und dessen Folgen gänzlich unbekannt.«