37695.fb2 Das Testament der G?tter - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 78

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»Darf ich das so verstehen, daß …«

»Ihr habt mich bestens verstanden. Meine Entscheidung ist getroffen, ich werde meine Meinung nicht mehr ändern.«

Die Nachricht machte rasch die Runde im Palast und in den Amtsgebäuden: Zur allgemeinen Verwunderung entzog die Obrigkeit Richter Paser die Angelegenheit Ascher nicht. Wenngleich er zu keinem Erfolg gelangt war, hatte der junge Gerichtsbeamte etliche Würdenträger durch seine Zielstrebigkeit beeindruckt. Er hatte weder den Kläger noch den Beklagten bevorzugt und auch die Lücken der Untersuchung nicht verschleiert. Manche hatten gar, seine Jugendlichkeit völlig außer acht lassend, hervorgehoben, welch eine Zukunft ihm bevorstünde, auch wenn diese wegen der Persönlichkeit des Beschuldigten gefährdet sein konnte. Zweifelsohne hatte Paser unrecht daran getan, der Zeugenaussage von Sethi, diesem Helden eines Tages und wunderlichen Schwärmer, allzu großen Glauben zu schenken; obwohl die meisten nämlich, nach reiflicher Überlegung, von der Unschuld des Heerführers überzeugt waren, kamen alle darin überein, daß der Richter beunruhigende Sachverhalte an den Tag gebracht hatte. Das Verschwinden der fünf Altgedienten und der Diebstahl des himmlischen Eisens erschienen – sofern die Verschwörung, mit der dies alles in Verbindung stehen sollte, nicht bloße Einbildung war – als empörende Vorkommnisse, die nicht in Vergessenheit geraten durften. Das Reich, die Gerichtsobrigkeit, die Würdenträger, das Volk, alle erwarteten von Richter Paser die Enthüllung der Wahrheit. Pasers Benennung dämpfte Sethis Wut, der seine Enttäuschung in Panthers Armen zu vergessen suchte; er versprach dem Richter, nichts zu unternehmen, bevor sie nicht eine gemeinsame Vorgehensweise ausgearbeitet hätten. Er war zwar in der Würde eines Offiziers der Streitwagentruppe belassen worden, würde jedoch bis zum endgültigen Urteilsspruch an keinem Unternehmen mitwirken.

Die sterbende Sonne vergoldete den Sand der Wüste und den Fels der Steinbrüche; die Werkzeuge der Arbeiter waren verstummt, die Bauern kehrten zu den Höfen heim, von ihrer Last befreit, ruhten die Esel sich aus. Auf den flachen Dächern der Häuser von Memphis genoß man die Kühle, während man Käse aß und Bier trank. Brav hatte sich in ganzer Länge auf Branirs Terrasse ausgestreckt und träumte von dem Stück gebratenen Ochsenfleisch, das er soeben verspeist hatte. In der Ferne bildeten die Pyramiden der Ebene von Gizeh Dreiecke von vollendeter Reinheit, Grenzsteine der Ewigkeit im Dämmerlicht. Wie an jedem Abend der Herrschaft Ramses’ des Großen schlummerte das Land in Frieden und mit der Überzeugung ein, daß die Sonne die Schlange der Tiefen bezwingen[70] und im Morgengrauen wiedererstehen würde.

»Du hast das Hindernis überwunden«, meinte Branir.

»Ein magerer Erfolg«, wandte Paser ein. »Du bist als rechtschaffener und sachkundiger Richter anerkannt, und du hast die Möglichkeit erhalten, die Ermittlung ohne jedes Hemmnis fortzuführen. Was will man mehr?«

»Ascher hat gelogen, dabei stand er doch unter Eid. Ein Mörder und gleichzeitig ein Meineidiger.«

»Deine Geschworenen haben dich nicht gerügt. Weder der Vorsteher der Ordnungskräfte noch Nenophar haben danach getrachtet, den Heerführer als unschuldig hinzustellen. Sie haben dich deinem Schicksal anheimgestellt.«

»Der Älteste der Vorhalle hätte mir die Angelegenheit liebend gerne entzogen.«

»Er hat Vertrauen in deine Fähigkeiten, und der Wesir möchte einen hieb- und stichfesten Vorgang, um mit Bedacht einzuschreiten.«

»Ascher ist so umsichtig gewesen, die Beweise zu vernichten; ich fürchte, meine Nachforschungen könnten unergiebig bleiben.«

»Dein Weg wird lang und schwierig sein, doch du kannst zum Ziel gelangen. Bald wird dir die Unterstützung des Hohenpriesters von Karnak zugute kommen, und du wirst Zugang zur Schriftenverwahrung des Tempels erhalten.«

Sobald Branirs Berufung amtlich sein würde, wollte Paser über den Diebstahl des himmlischen Eisens und des Dächseis ermitteln.

»Du bist dein eigener Herr geworden, Paser. Unterscheide das Recht von der Unbilligkeit, ohne den Ratschlägen jener zu erliegen, die sie verquicken und vertauschen, um die Geister in die Irre zu führen. Diese Gerichtsverhandlung war lediglich ein Geplänkel; der wahre Kampf bleibt noch zu fechten. Auch Neferet wird stolz auf dich sein.«

Im Licht der Sterne erstrahlten die Seelen der Weisen. Paser dankte den Göttern, die ihm erlaubt hatten, einem von ihnen in der Welt der Menschen zu begegnen.

Wind des Nordens war ein stiller und versonnener Esel. Er stieß nur selten den für seine Art bezeichnenden Schrei aus, der so rauh und markerschütternd war, daß er ein ganzes Gäßchen aufweckte. Paser fuhr aus dem Schlaf hoch. Dies war tatsächlich der Ruf seines Esels, der an jenem frühen Tagesanbruch erscholl, da Brav und er sich einen faulen Morgen zuzubilligen gedachten. Der Richter öffnete das Fenster. Zu Füßen des Hauses hatten sich an die zwanzig Menschen zusammengeschart. Der Oberste Arzt Neb-Amun schwang die Faust. »Hier stehen die besten Heilkundigen von Memphis, Richter Paser! Wir erstatten Anzeige gegen unsere Standesschwester Neferet wegen Zubereitung gefährlicher Arzneien und fordern ihren Ausschluß aus der Körperschaft der Heilkunde.«

Paser ging zur heißesten Stunde am Westufer von Theben an Land. Er beschlagnahmte einen Wagen der Ordnungskräfte, dessen Lenker im Schatten eines Vordaches schlief, und befahl diesem, ihn in voller Fahrt zu Neferets Dorf zu bringen. Als unumschränkte Herrscherin hielt die Sonne die Zeit an, verlieh den Palmen ein ewigliches Grün und verdammte die Menschen zur Stille und zur Trägheit. Neferet war weder in ihrem Heim noch in ihrer Wirkstätte.

»Am Kanal«, erklärte ein Greis, für einen kurzen Augenblick seinem Schlaf entrissen. Paser ließ den Wagen stehen, ging ein Kornfeld entlang, durchquerte einen schattigen Garten, schlug einen kleinen Pfad ein und gelangte zum Kanal, in dem sich zu baden die Dörfler die Gewohnheit hatten. Er kletterte die steile Böschung hinunter, teilte einen Vorhang aus Schilf … und sah sie. Er hätte rufen, die Augen schließen, sich umdrehen müssen, doch kein Wort drang aus seinem Mund, und er verharrte regungslos, derart bezauberte ihn die Schönheit der jungen Frau.

Nackt schwamm sie mit der Anmut derer, die nicht gegen das Wasser ankämpfen und sich tragen lassen. Das Haar unter einer Haube aus Binsen, tauchte sie mühelos unter und wieder auf. An ihrem Hals hing eine mit türkisfarbenen Perlen gezierte Kette.

Als sie ihn erblickte, schwamm sie unbekümmert weiter.

»Das Wasser ist herrlich, kommt Euch baden.« Paser schlüpfte aus seinem Schurz und näherte sich ihr, ohne die Frische wahrzunehmen. Sie reichte ihm die Hand, er ergriff sie fiebrig. Eine Welle trug sie zueinander. Als ihre Brüste seinen Oberkörper berührten, wich sie nicht zurück. Er wagte, seine Lippen auf die ihren zu legen und sie an sich zu drücken.

»Ich liebe Euch, Neferet.«

»Ich werde lernen, Euch zu lieben.«

»Ihr seid die erste, und es wird keine andere geben.« Er küßte sie ungeschickt. Umschlungen kehrten sie zur Böschung zurück und streckten sich auf einem zwischen dem Schilf versteckten Streifen Sand aus. »Auch ich bin noch Jungfrau.«

»Ich möchte Euch mein Leben schenken. Schon morgen halte ich um Eure Hand an.« Sie lächelte, erobert und hingegeben. »Liebe mich, liebe mich, so sehr du kannst.« Er legte sich auf sie, den Blick in ihren blauen Augen verloren. Ihre Seelen und ihre Körper vereinigten sich unter der Mittagssonne.

Neferet lauschte der Rede ihres Vaters, eines Riegelschmieds, und der ihrer Mutter, die Weberin in einer Werkstatt mitten in Theben war. Weder er noch sie widersetzten sich der Vermählung, wünschten jedoch, ihren zukünftigen Eidam zu sehen, bevor sie sich entscheiden wollten. Gewiß, die junge Frau bedurfte keineswegs ihrer Einwilligung, aber die Hochachtung, die sie ihnen gegenüber empfand, erlaubte ihr nicht, diese zu übergehen. Ihre Mutter erhob einige Vorbehalte: War Paser nicht zu jung? Was seine Zukunft anbelangte, blieben noch gewisse Zweifel bestehen. Und dazu diese Verspätung, am Tage seines Heiratsantrages!

Ihre Aufgeregtheit übertrug sich auf Neferet. Ein schrecklicher Gedanke fuhr ihr jäh durch den Sinn: Und wenn er sie schon nicht mehr liebte? Wenn er, im Widerspruch zu seinen Bekundungen, nur nach einer Liebelei gesucht hätte? Nein, das war unmöglich. Seine Leidenschaft würde Bestand haben wie das Thebanische Gebirge.

Endlich schritt er über die Schwelle der bescheidenen Behausung. Neferet blieb zurückhaltend, wie es die Feierlichkeit des Augenblicks verlangte. »Ich bitte Euch, mir zu vergeben; ich habe mich in den Gäßchen verirrt. Ich muß gestehen, nicht den geringsten Ortssinn zu haben; für gewöhnlich ist es mein Esel, der mich führt.«

»Ihr besitzt einen?« wunderte sich Neferets Mutter. »Er heißt Wind des Nordens.«

»Jung und bei guter Gesundheit?«

»Krankheit ist ihm fremd.«

»Welche anderen Güter besitzt Ihr?«

»Nächsten Monat werde ich über ein Haus in Memphis verfügen.«

»Richter, das ist ein guter Beruf«, bemerkte der Vater.

»Unsere Tochter ist jung«, hob die Mutter hervor. »Könntet Ihr nicht etwas warten?«

»Ich liebe sie und hege den Wunsch, sie zu heiraten, ohne einen Augenblick zu verlieren.« Paser wirkte ernst und entschlossen. Neferet betrachtete ihn mit den Augen einer verliebten Frau. Die Eltern gaben nach.

Sethis Streitwagen durchfuhr in schneller Fahrt das Portal der Hauptkaserne von Memphis. Die Wachen ließen ihre Lanzen fallen und warfen sich auf die Erde, um nicht zerquetscht zu werden. Sethi sprang ab, während die Pferde ihre Hatz im großen Hof fortsetzten. Er erklomm, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe, die zur Unterkunft der höheren Offiziere führte, wo auch der Heerführer Ascher weilte. Mit einem Schlag des Ellbogens in den Nacken räumte er den ersten Ordnungshüter aus dem Wege, mit einem Fausthieb in den Bauch den zweiten und mit einem Fußtritt in die Hoden den dritten.

Der vierte hatte noch Zeit, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen und ihn an der linken Schulter zu verletzen; der Schmerz vervielfachte die Raserei des Offiziers der Streitwagentruppe; er schlug seinen Gegner, beide Fäuste zu einem Amboß vereint, ohnmächtig.

Auf einer Matte sitzend, eine Karte Asiens vor sich entrollt, drehte Heerführer Ascher den Kopf Sethi zu. »Was willst du hier?«

»Euch vernichten.«

»Beruhige dich.«

»Ihr entwischt der Gerechtigkeit, aber nicht mir.«

»Falls du mich angreifst, wirst du diese Kaserne nicht lebend verlassen.«

»Wie viele Ägypter habt Ihr mit Euren Händen getötet?«

»Du warst erschöpft, deine Sicht war getrübt. Du hast dich getäuscht.«

»Ihr wißt genau, daß das nicht stimmt.«

»Dann laß uns einen Vergleich schließen.«

»Einen Vergleich schließen?«

»Eine öffentliche Aussöhnung täte die beste Wirkung. Ich wäre in meiner Stellung bestärkt, dir käme eine Beförderung zugute.«

Sethi stürzte sich auf Ascher und drückte ihm die Kehle zu. »Verrecke, du dreckiger Schuft.«