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»Er selbst.«
»Er war ein guter Praktiker, so sagt man, doch er hätte seit langem in den Ruhestand treten sollen.« Die grüne Äffin gähnte und sank auf Neferets Schulter zusammen.
»Ich muß aufbrechen; es hat mich sehr gefreut, mit Euch zu plaudern. Ohne Zweifel werden wir Gelegenheit haben, uns wiederzusehen; ich danke Euch von ganzem Herzen, Kani gerettet zu haben.«
Sie ging nicht, sie tanzte; ihr Schritt war leicht, ihre Erscheinung strahlend.
Paser verharrte lange unter der Purpurweide, um sich die kleinste ihrer Gesten, den zartesten ihrer Blicke, die Farbe ihrer Stimme einzuprägen.
Brav legte seine rechte Pfote auf den Schoß seines Herrn. »Du hast es begriffen … Ich bin hoffnungslos verliebt.«
Kem und sein Pavian waren zur Stelle. »Seid Ihr bereit, mich zum Oberaufseher des Sphinx zu führen?« fragte Paser. »Zu Befehl.«
»Dieser Ton gefällt mir besser als der andere; verdeckter Spott ist weniger beißend als Streitsucht.« Der Nubier wurde von des Richters Bemerkung empfindlich getroffen.
»Ich habe nicht die Absicht, mich vor Euch zu beugen.«
»Seid ein guter Ordnungshüter, und wir werden miteinander auskommen.«
Der Pavian und sein Herr starrten Paser an; in beiden Augenpaaren stand verhaltene Wut. »Gehen wir.«
Zu dieser frühen Stunde belebten sich gerade die Gäßchen; die Hausherrinnen tauschten eifrig Neuigkeiten aus, Wasserträger verteilten das kostbare Naß, Handwerker öffneten ihre kleinen Läden. Dank des Pavians wich die Menge zur Seite. Der Oberaufseher hatte eine Behausung, die der Branirs ähnlich, doch weniger reizvoll war. Auf der Schwelle spielte ein kleines Mädchen mit einer Holzpuppe; als es den großen Affen erblickte, bekam es Angst und lief schreiend ins Haus. Sogleich trat seine Mutter heftig erzürnt heraus. »Weshalb erschreckt Ihr dieses Kind? Haltet Euer Ungeheuer fern.«
»Seid Ihr die Gattin des Oberaufsehers des Sphinx?«
»Mit welchem Recht fragt Ihr mich danach?«
»Ich bin Richter Paser.«
Die Ernsthaftigkeit des jungen Gerichtsbeamten und das Gebaren des Pavians veranlaßten die sorgende Mutter, sich zu besänftigen. »Er wohnt nicht mehr hier; mein Gatte ist ebenfalls ein Altgedienter. Das Heer hat ihm diese Unterkunft zugeteilt.«
»Wißt Ihr, wohin er gezogen ist?«
»Seine Frau schien verdrossen; sie hat mir von einem Haus in der südlichen Vorstadt erzählt, als ich ihr damals bei ihrem Umzug kurz begegnet bin.«
»Nichts Genaueres?«
»Weshalb sollte ich lügen?« Der Pavian riß an seiner Leine; das wohlbeleibte Weib wich zurück, stieß sich an der Wand. »Wahrhaftig nichts?«
»Nein, ich schwöre Euch, nein!«
Da er genötigt war, seine Tochter zur Schule des Tanzes zu bringen, hatte der Gerichtsdiener Iarrot die Erlaubnis erhalten, die Amtsstube in der Mitte der zweiten Tageshälfte zu verlassen, wobei er jedoch hatte versprechen müssen, daß er die Rechenschaftsberichte der vom Richter bearbeiteten Fälle beim Verwaltungssitz des Gaus niederlegen würde. In wenigen Tagen hatte Paser mehr strittige Angelegenheiten bereinigt als sein Vorgänger in sechs Monaten. Als die Sonne sich neigte, zündete Paser mehrere Lampen an; er versuchte, sich schnellstmöglich eines Dutzends Streitfälle mit dem Schatzamt zu entledigen, die er alle zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden hatte. Alle, bis auf einen, der einen Warenbeförderer namens Denes betraf. Der Oberste Richter des Gaus hatte, von eigener Hand, eine Anmerkung unter den Vorgang gesetzt: »Folgenlos zu schließen.«
Von Esel und Hund begleitet, wollte Paser seinem Meister einen Besuch abstatten; ihn zu Rate zu ziehen, hatte er seit seiner Einsetzung nicht die Zeit gefunden. Auf dem Weg sann er über das sonderbare Geschick des Oberaufsehers nach, der zu seiner ruhmvollen Stellung auch noch seine Dienstunterkunft verloren hatte. Was verbarg sich hinter dieser Folge von Verdrießlichkeiten? Der Richter hatte Kem gebeten, die Spur des Altgedienten aufzufinden. Solange er ihn nicht befragt hatte, wollte Paser der Versetzung nicht zustimmen.
Zum wiederholten Male kratzte Brav sich sein rechtes Auge mit der linken Pfote; als er es untersuchte, stellte Paser eine Reizung fest. Der alte Arzt würde es zu behandeln wissen.
Das Haus war hell erleuchtet; Branir las gerne bei Nacht, wenn die Geräusche der Stadt verstummt waren. Paser drückte die Eingangstür auf, stieg, von seinem Hund gefolgt, in die Vorkammer hinab und hielt verdutzt inne. Branir war nicht allein. Er unterhielt sich mit einer Frau, deren Stimme der Richter sogleich erkannte. Sie, hier! »Tritt ein, Paser!«
In fieberhafter Eile kam der Richter der Aufforderung nach – und hatte nur noch Augen für Neferet, die im Schneidersitz vor dem alten Heiler saß und zwischen Daumen und Zeigefinger einen Leinenfaden hielt, an dem ein kleines, rautenförmig geschnittenes Stück Granit[24] baumelte. »Neferet, meine beste Schülerin; Richter Paser. Da ich euch nun einander vorgestellt habe, wirst du sicher etwas frisches Bier annehmen?«
»Eure beste Schülerin …«
»Wir sind uns bereits begegnet«, sagte sie belustigt. Paser dankte seinem Glück; sie wiederzusehen, berührte ihn zutiefst.
»Bevor sie ihre Kunst wird ausüben können, wird Neferet sich bald der allerletzten Prüfung unterziehen«, erinnerte Branir, »und deshalb wiederholen wir die Übungen des Auspendelns, die ihr auferlegt werden, um ihr zu helfen, ihren Befund zu stellen. Ich bin überzeugt, daß sie eine ausgezeichnete Ärztin wird, da sie zuzuhören versteht. Wer zuzuhören versteht, wird richtig handeln. Zuhören ist besser als alles, es gibt keinen größeren Schatz. Allein das Herz gewährt uns diese Gabe.«
»Ist nicht die Kenntnis des Herzens das Geheimwissen des Heilkundigen?« fragte Neferet. »Es ist das, was dir offenbart werden wird, wenn du als seiner würdig befunden bist.«
»Ich würde mich gerne ausruhen.«
»Das mußt du auch.«
Brav kratzte sich am Auge; Neferet bemerkte sein Treiben.
»Ich glaube, er ist krank«, sagte Paser. Der Hund ließ sich untersuchen. »Es ist nichts Ernstes«, schloß sie, »ein einfaches Augenwasser wird ihn heilen.« Branir holte es ihr augenblicklich; Augenerkrankungen waren ein häufiges Leiden, und es mangelte nicht an Heilmitteln. Die Arznei tat rasch ihre Wirkung; während die junge Frau Brav noch streichelte, schwoll sein Auge ab. Zum erstenmal war Paser auf seinen Hund eifersüchtig. Er suchte nach einer Möglichkeit, sie zurückzuhalten und mußte sich damit begnügen, ihr bei ihrem Aufbruch seinen Gruß zu entbieten. Branir tischte ihm ein ausgezeichnetes, am Vortag hergestelltes Bier auf. »Du erscheinst mir müde; an Arbeit dürfte es dir nicht fehlen.«
»Ich bin mit einem gewissen Qadasch aneinandergeraten.«
»Dem Zahnheilkundler mit den roten Händen … Ein umtriebiger Mann und rachsüchtiger, als es den Anschein hat.«
»Ich halte ihn der Entführung von Bauern für schuldig.«
»Stichhaltige Beweise?«
»Nur eine Vermutung.«
»Sei unerbittlich gewissenhaft in deinem Tun; Ungenauigkeit werden dir deine Oberen nicht verzeihen.«
»Erteilt Ihr Neferet häufig Unterricht?«
»Ich gebe ihr meine Erfahrung weiter, denn ich habe Vertrauen in sie.«
»Sie ist in Theben geboren, nicht wahr?«
»Sie ist die einzige Tochter eines Riegelherstellers und einer Weberin; kennengelernt habe ich sie, als ich die Familie gepflegt habe. Sie hat mir tausend Fragen gestellt, und ich habe ihre erwachende Neigung ermutigt.«
»Eine Frau als Heilkundige … Werden ihr nicht Hindernisse begegnen?«
»Feinde auch; doch ihr Mut ist nicht geringer als ihre Sanftheit. Der Oberste Arzt des Hofes hofft, wie sie weiß, auf ihr Scheitern.«
»Ein Widersacher von Gewicht!«
»Sie ist sich dessen bewußt; eine ihrer wesentlichen Eigenschaften ist ihre Zähigkeit.«
»Ist sie … verheiratet?«