37696.fb2
Man soll nicht glauben, eine Friedhofsgärtnerei sei ein stiller Ort der Besinnung, wo man Blumen für die lieben Vergrabenen aussucht, Töpfe und Vasen, Kerzen und ewige Lichter, Gebinde und kleine Kränze, und wo man sich höchstens — aber still — wundert, daß ein Veilchentopf hier mehr kostet als auf dem Markt.
So ist das nicht!
Wenn man Stella Gawrilownas Erzählungen glauben darf, ist eine Friedhofsgärtnerei ein Kommunikationsort, gegen den jede andere Form der Zusammenkunft von Menschen verblaßt. Erlebnisse gibt es da, kaum zu fassen! Da war die Beerdigung eines immer tugendhaften Mannes, den beim Reparieren sein eigenes Auto überrollt hatte, sonst hätte er sicherlich noch viele Jahre weitergelebt. Und was passiert auf dem Friedhof, im Verkaufsraum der Gärtnerei? Neben der weinenden Witwe tauchen noch zwei andere Frauen aus der Umgebung auf, beide zusammen mit vier Kindern, sie jammern und lamentieren und präsentieren ihren Nachwuchs als Erinnerung an freudige Stunden mit dem lieben Verblichenen. Welch eine Überraschung! Die selige Witwe ergreift einen Blumentopf und schleudert ihn der einen jungen Mutter an den Kopf, aber diese, nicht faul, reißt einen Kranz von der Wand und stülpt ihn der Trauernden über die Schultern. Nun greift auch die dritte ein, wirft mit Vasen um sich, und bis der liebe Mann endlich in die Erde kommt, sind die drei Damen bereits auf dem Weg zu Dr. Lallikow, der jede mehrmals nähen muß.
Das war nur einer der Vorfälle, von denen Stella Gawrilowna erzählen konnte. Besonders markant war auch noch das Begräbnis des Säufers Tschechow, einer stadtbekannten Persönlichkeit, die eigentlich hätte unsterblich sein müssen, da er sich zu Lebzeiten bereits in Alkohol konserviert hatte. Aber plötzlich war er umgekippt, in einem Augenblick, in dem er kein Glas in der Hand gehalten hatte, sondern brav auf dem Lokus saß, und hatte seinen Geist aufgegeben.
Man weiß bis heute nicht, wie es geschehen konnte, aber als man den lieben Tschechow ins Grab senkte, erfolgte im Inneren des Sarges eine dumpfe Explosion, der Deckel flog hoch, und Tschechow richtete sich, vom Luftdruck getragen, auf. Neun Frauen fielen bei diesem Anblick in Ohnmacht und wurden in die Gärtnerei getragen. Nur Väterchen Akif behielt die Nerven und sagte dröhnend am Grab:»Nun kann er ruhig schlafen. Der Alkohol ist hinaus.«
Man sprach noch lange darüber.
Es war durchaus nichts Seltenes, daß der Pope auf dem Friedhof erschien, auch wenn es keine Grabreden zu halten galt. Er inspizierte die ihm lieb gewordenen Gräber ehrlicher Christen, besprach mit Stella dies und jenes, lobte oder tadelte ihre Arbeit, ermahnte sie zu gottgefälligem Lebenswandel und ruhte sich dann in einem Hinterzimmer der Friedhofsgärtnerei aus.
Dieses Zimmer enthielt ein breites Bett, einen Schrank mit Wein und Wodka, einen Holzbehälter, in dem immer frischer Kuchen lagerte, und es hatte nur ein Fenster zu einem Innenhof, den niemand betreten konnte außer Stella Gawrilowna. Ein bemerkenswertes Zimmer.
Ab und zu schloß Stella die Gärtnerei ab, wenn Väterchen Akif zu Besuch kam, hängte ein Schild ins Fenster, auf dem stand >Ge-schlossen wegen Beschaffung neuer Blüten<, und unterwarf sich einer speziellen Teufelsaustreibung.
So war sie auch nicht darüber erstaunt, daß heute Akif Victoro-witsch mit wehendem Bart in der Friedhofsgärtnerei erschien, die Tür abschloß, das bekannte Schild ins Fenster hängte und mit ausgestrecktem Arm streng und voll Autorität ins Hinterzimmer zeigte.
«Verworfene!«sagte er dabei und musterte Stella mit so scharfen Augen, daß man meinen konnte, er müsse die Kleidung wie Glas durchschauen.»Was hast du getan? Leugne nicht! Ich weiß es! Was hat Victor Semjonowitsch Jankowski bei dir gemacht?«
«Er hat sich seinen Wurzelstock bei mir geholt.«
«Haha!«Väterchen Akif rang nach Luft, sank auf die Bettkante, vergrub die Hände in seinen Bart und war erschüttert über die unsittliche Abgebrühtheit von Stella Gawrilowna.»Du gibst es zu!«
«Ja«, sagte Stella Gawrilowna ahnungslos.»Es hat ihm eine große Freude bereitet.«
«Mir bricht das Herz. «Akif rollte wild die Augen.»Das sagst du so frei heraus? Es hat ihm. oh! Welch ein Abgrund! Welch eine Schlucht voll brodelnder Sünde! Wann ist es geschehen?«
«Genau vor vier Tagen, Väterchen.«
«So genau hast du das behalten?«
«Es war ein besonderer Tag.«
«Natürlich! Natürlich!«Akif spürte sein Herz wie einen heißen Kloß.»So etwas vergißt man nicht!«
«So ist es, Väterchen. Ich hatte große Mühe mit der Wurzel.«
Akif zuckte schmerzvoll zusammen und riß beide Arme hoch.»Satan, entferne dich aus ihr!«brüllte er.»Ich vernehme deine Sprache! Fahre wieder aus ihr heraus!«
«So eine Wurzel ist selten«, fuhr Stella Gawrilowna unschuldig fort.»Aber Victor Semjonowitsch wollte sie unbedingt haben. Eine japanische Zwergkirsche. Ich habe bis Swerdlowsk telefoniert. Dort hatten sie drei Exemplare in der Forschungsanstalt. Drei Wochen habe ich immer wieder gebettelt, bis man mir eine Wurzel schickte.«
Mamedow starrte ungläubig auf Stella Gawrilowna. Ihr langes, schwarzes Haar glänzte wie Seide, ihr Körperchen war auch unter dem Kleid und der Gärtnerschürze noch von aufreizendem Schwung, und die Beine, bis über die Knie entblößt, waren gerade und schlank und doch kraftvoll.
«Eine japanische Zwergkirsche?«fragte er leise.
«Ja, Väterchen.«
«Und sonst nichts?«
«Nichts Besonderes.«
«Was heißt das?«
«Die üblichen Blumen. Der Genosse Jankowski ist ein großer Blumenfreund. Immer neue Blüten in seiner Wohnung. Der schönste Strauß steht stets vor dem Bild seiner Mutter.«
«Woher weißt du das?«
«Ich brachte ihm manchmal Blumen ins Haus.«
«Du warst in seiner Wohnung?«rief Akif verzweifelt.
«Ja. Öfter.«
«Wie oft?«
«Ich habe es nicht gezählt, Väterchen.«»Und ihr habt euch nur über Blumen unterhalten?«
«Ich habe zweimal bei ihm zu Abend gegessen. Der Genosse Jankowski kocht vorzüglich.«
«Und ihr habt getrunken?«
«Ja.«
«Und dann hat er von seinen Reisen durch Asien erzählt?«
«Ja.«
«Auch von den fernöstlichen Freudenhäusern?«
«Ja«, sagte Stella etwas zögernd.
«Welche moralischen Tiefen!«donnerte Akif erschüttert.»Komm her, und zieh dich aus!«
«Nein«, sagte sie störrisch.
«Stellanka…«
«Heute nicht. Sie sind so merkwürdig, Väterchen.«
«Ich habe meine Gründe. «AkifVictorowitsch legte die Hände aneinander.»Ich will nur einen Blick auf dich werfen. Einen harmlosen Blick. So wie man ein Bild betrachtet. Ein keuscher Kunstgenuß. Eine stille Erhabenheit.«
«Ich will nicht!«sagte Stella Gawrilowna trotzig.
Akif Victorowitsch brannte innerlich lichterloh. Diese Renitenz war neu. Diese Weigerung, von seiten Stellas sonst nie erlebt, sollte eine Schuld beweisen. Wer nichts zu verbergen hat, kann es getrost zeigen, vor allem, wenn es keine Neuheiten zu betrachten gibt. Aber nein, sie weigerte sich konstant. Sie wich sogar zur Tür zurück, bereit zur Flucht in den Laden. Wie verdächtig war das!
«Es genügen zwei Sekunden«, sagte Väterchen Akif dumpf.»Schnell wie ein fotografischer Blitz.«
«Sie sind heute unheimlich, Väterchen«, antwortete Stella Gaw-rilowna. Sie empfand wirklich Angst vor dem Popen. Er redete so viel. Bei seinen sonstigen Besuchen entledigte er sich wortlos seiner Bekleidung, trank einen großen Wodka und sagte allenfalls genußvoll:»Ein schöner Tag sollte nie ungenutzt vertan werden.«
«Du hältst doch viel von Fotografie?«donnerte Akif plötzlich. Stella erschrak gewaltig und nickte brav. Mamedow nahm dieses Nicken auf, als habe Stella einen Mord eingestanden.»Auch Jankowski fotografiert?«
«Ja.«
«Die Erde bebt, der Himmel bricht auf, das Jüngste Gericht kommt über uns«, klagte Akif und stöhnte vor Erschütterung.»Das genügt, Verworfene, unrettbar Geschändete. Wann war es?«
«Als der Genosse Jankowski seine Wurzel abholte.«
«Natürlich. Wann sonst?«Akif verdrehte die Augen.»Die japanische Kirsche. Zeitlich trifft es genau zusammen. «Er erhob sich, ging an der zurückweichenden Stella hoch erhobenen Hauptes vorbei und riß im Laden das Schild aus dem Fenster.»Ich werde für dich beten«, sagte er feierlich.»Mehr kann man nicht tun. Der Satan hat dich bereits für den Einzug in die Hölle geschoren. Verstehst du: geschoren!«Er zögerte, legte dann die Hand auf Stellas Haupt und sagte mit bebender Stimme:»Du armes Mädchen. Nur ich weiß, wie sehr du dich verirrt hast. Der Wolf hat dich listig von der Herde gelockt… aber noch bin ich da. Ich werde dich dem Wolf wieder entreißen. Fürchte dich nicht, dein Hirte ist bei dir.«
Mit verständnislosem Staunen blickte Stella Gawrilowna dem Popen nach. Erst als er um die Ecke gebogen war, erwachte sie aus ihrer Erstarrung und ordnete ziellos ein paar Blumensträuße in den Vasen. Was Väterchen von ihr gewollt hatte, war ihr rätselhaft. Nur soviel hatte sie herausgehört, daß er sich aufregte, weil sie dem Genossen Jankowski eine japanische Kirsche besorgt hatte. Warum sie deshalb den Rock lüften sollte, war ihr aber völlig rätselhaft und geradezu unheimlich geblieben.
Haben wir nicht festgestellt, daß in einer Friedhofsgärtnerei ab und zu merkwürdige Dinge geschehen? Nun war es sogar der Pope Ma-medow, der am hellichten Tag Rätsel aufgab.
Galina Iwanowna, die fröhliche, braungelockte Verkäuferin vom staatlichen Magazin, saß im Wartezimmer von Dr. Lallikow, blätterte in der Illustrierte Sowjetunion heute< und hatte sich für diesen Be-such besonders fein gemacht. Sie trug einen geblümten Baum-wollrock, eine lichtblaue Bluse, Söckchen an den schlanken Beinen und moderne Sportschuhe, was nicht verwunderlich war, wenn man an der Quelle saß und als eine der ersten von Zuteilungen profitierte.
Die Aufforderung zur Kontrolluntersuchung laut Lebensmittelgesetz empfand sie als etwas ganz Natürliches, auch wenn die Untersuchung so plötzlich angesetzt worden war und Dr. Lallikow sie per Telefon hinter der Ladentheke hervorgeholt hatte. Sie hatte sich im Magazin schnell umgezogen und vorher geduscht und sah nun so sauber und unschuldig aus, so lieb und herzig, daß jedermann sie gern angesprochen hätte, wenn da nicht ihr Verlobter Lagatin gewesen wäre, der Mittelgewichtsmeister im Boxen.
Dr. Lallikow erfuhr von Marfa Felixowna, seiner unentbehrlichen Sprechstundenhilfe, daß Galina gekommen sei, aber noch neunzehn Patienten vor ihr an der Reihe wären.
«Wir ziehen sie vor«, entschied Lallikow.»Sie steht im Arbeitseinsatz und muß sofort zurück ins Magazin. So gesehen, ist sie ein Notfall. Führen Sie die Genossin nebenan in die Kabine, sie soll sich schon entkleiden.«
Dr. Lallikow hörte noch das schwache Herz von Mütterchen Jewge-nija ab, einer Dreiundachtzigjährigen, die geschworen hatte, 150 Jahre alt zu werden, weil sie ihre Schwiegertochter haßte und diese dann überlebt hätte. Dann begab er sich hinüber in die gynäkologische Kabine. Dort saß Galina ausgezogen auf einem Hocker und zwitscherte fröhlich mit Marfa Felixowna. Die starke Glühlampe beleuchtete ihren wirklich schönen Körper, und Dr. Lallikow sagte sich, daß Schultern, Brust und Leib, Hüften und Schenkel sehr gut mit denen auf den Fotos übereinstimmten. Nur etwas störte bei diesem Vergleich. Dr. Lallikow zog die Augenbrauen mißbilligend zusammen.
«Ich habe gesagt ausziehen, Galina Iwanowna, auch das Höschen. Das Lebensmittelgesetz schreibt vor, daß.«
Marfa Felixowna ging hinaus. Das war sonst nicht üblich, gerade bei solchen Untersuchungen mußte eine Zeugin in der Nähe sein, denn zuviel war schon von tollen Weibern behauptet und sogar beschworen worden und hatte so manchen Arzt in Schwierigkeiten gebracht. Dr. Lallikow war bisher zwar davon verschont geblieben, und es war auch undenkbar, daß ein Weibchen ihn unlauterer Griffe hätte beschuldigen können. Seine Grobheit war so groß, daß jegliche Gedanken an solche Verfehlungen sofort abstarben.
Galina Iwanowna blieb sitzen und war sehr verlegen.»Genügt das nicht?«fragte sie mit umwerfendem Charme.
«Nein. «Dr. Lallikow rückte an seiner starken Brille.»Bei einer Untersuchung gibt es Unwichtiges, Wichtiges und sehr Wichtiges. Der Arzt allein kann das beurteilen. Dafür ist er ja Arzt. Du bist dabei, sehr Wichtiges der ärztlichen Beurteilung zu entziehen. Das ist fast ein asoziales Verhalten. Du stehst im öffentlichen Leben. Gesundheit ist ein Fundament unseres Fortschritts. Also.«
«Ich bitte um Verzeihung, Genosse Doktor«, sagte Galina Iwanowna leise.»Aber ich schäme mich.«
«Vor deinem Arzt? Seit wann denn?«
«Seit neunzehn Tagen.«
Dr. Lallikow starrte die schüchterne Schönheit verblüfft an, zog einen Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber.»Das mußt du mir erzählen«, sagte er väterlich.»Hat dich vor neunzehn Tagen etwas verändert?«
«Ja.«
«Körperlich?«
Galina Iwanowna nickte schüchtern.»Ja. «Das war wie ein Hauch.
«Auch seelisch?«
«Vielleicht.«
«Öffne dein Herz«, sagte Dr. Lallikow gütig. Er merkte gar nicht, daß er damit in das Revier des Popen geriet.
«Mein Verlobter kam von einem Boxkampf aus Swerdlowsk zurück.«
«Meister Lagatin?«
«Ja. «Galina schluckte krampfhaft.»Und er brachte eine Zeitschrift mit. Aus dem dekadenten Westen. Aus Paris. Völlig dekadent, Genosse Doktor. Unmöglich, diese Fotos. Aber irgendwie interessant.«
«Ha!«Dr. Lallikow spürte, wie sich der große Kreis rundete. Seine Brillengläser beschlugen wieder, er nahm sie von der Nase und putzte sie mit Hilfe des Zipfels seines weißen Arztkittels.»Und was geschah weiter?«
«Ich schäme mich so.«
«Vor deinem Arzt, Galina Iwanowna?«
«Lagatin sagte: >Das solltest du auch mal machen.««Galina bedeckte mit beiden Händen ihr Gesicht. Sie schämte sich wirklich in Grund und Boden.»Da habe ich es gemacht.«
«Aha«, sagte Dr. Lallikow.
«Lagatin fand es sehr schön. Ich gar nicht. Ich bin keine aus dem dekadenten Westen. Aber Lagatin sagte: >Ganz still, es weiß ja keiner. Das ist unser Geheimnis. Es kommt ja wieder…««
«Na ja. «Dr. Lallikow räusperte sich.»Ich habe Verständnis dafür — das vorweg! Die forschende Jugend. Der Reiz des Neulandes. Beruhige dich, Galina Iwanowna, es bleibt ja unter uns.«
«Jetzt ziehe ich mich aus«, sagte sie und erhob sich vom Hocker.
Dr. Lallikow winkte großzügig ab.
«Nicht mehr nötig. Die Anamnese war überzeugend.«
«Ist das der Name dafür?«
Dr. Lallikow räusperte sich erneut, erhob sich auch und stieß die Tür zur Kabine auf. Marfa Felixowna saß hinter dem Schreibtisch und füllte eine Karteikarte aus.
«Die Genossin Galina ist gesund«, erklärte Dr. Lallikow herrisch wie immer.»Sie bekommt ihr Gesundheitszeugnis. Keine Beanstandungen. Eine Wiedervorführung ist in absehbarer Zeit nicht notwendig. «Er zögerte, drehte sich zu Galina Iwanowna um und betrachtete sie forschend, während sie sich wieder anzog. Dieser verfluchte Jankowski, dachte er. Der Bräutigam macht es, und er fotografiert es. Welch simple Verteilung des Genusses!
«Ihr seid viel mit dem Genossen Jankowski zusammen?«fragte er leichthin.
Galina nickte. Sie zog gerade ihre Söckchen an.»Er ist unser Freund.«
«Victor Semjonowitsch kann gut fotografieren, nicht wahr?«
«O ja. Er hat einen vorzüglichen Apparat.«
«Wer wagt das zu bestreiten?«Dr. Lallikow rückte seine dicke Brille zurecht, setzte sich an seinen Tisch und genoß die Befriedigung, diesen delikaten Fall so elegant gelöst zu haben. Er konnte Kasu-tin nun davon unterrichten, daß Nowo Korsaki nicht in den Sog verderblicher westlicher Tendenzen geraten würde.
Aber mit dem Genossen Jankowski mußte man sprechen. Unbedingt!
Solche Fotos gibt man nicht zum Vergrößern in der eigenen Stadt ab!
Das ist eine unverzeihliche Dummheit, unwürdig eines intelligenten Menschen, wie Victor Semjonowitsch einer war.
Eigentlich war es nun verschwendete Zeit, sich auch noch um die schöne Witwe Sitkina und die blöde Herrlichkeit Rimma Ifanowna zu kümmern, nachdem für Dr. Lallikow feststand, daß Galina die Unbekannte ohne Kopf auf den unanständigen Fotos war. Aber Lal-likow war ein Gründlichkeitsfanatiker. Der Vollständigkeit halber mußte man alle auf der Liste abhaken, und an der Reihe war jetzt die rothaarige Rimma.
Hätte Dr. Lallikow doch bloß darauf verzichtet! Seiner Gründlichkeit war ja auch der Vorsitzende, der ehrenwerte, jedoch nun entmannte Boris Nikolajewitsch Werschokin, zum Opfer gefallen, und es hatte Lallikow seinen weiteren Aufstieg in der Chirurgie gekostet. Wer kann aber schon über seinen eigenen Schatten springen, vor allem, wenn er von seiner Mission geradezu reformatorisch erfüllt ist?
Da man Rimma als Korbflechterin nicht zur Erstellung eines Gesundheitszeugnisses vorladen konnte, machte sich Dr. Lallikow nach einem ausgiebigen Mittagessen auf den Weg zur weiteren Erforschung
der Wahrheit.
Rimma Ifanowna bewohnte ein kleines Haus an der Peripherie von Nowo Korsaki, dort, wo vor vierzig Jahren noch Urwald gewesen war und Rimmas Eltern ihre Felder gerodet hatten. Es waren arme, aber ehrliche Leute gewesen, die sich krumm gearbeitet hatten für ihr tägliches Brot, und deren einziger Kummer nur ihr Töchterchen gewesen war. Nachdem Rimma ihren unglücklichen Fenstersturz erlitten hatte und seitdem mit dem logischen Denken in ständigem Hader lag, sagten sich die Eltern, daß es Ärgeres gäbe als ein Mädchen, das mehr grinste als sprach. Und es wurde in der Tat noch ärger, denn Rimma entwickelte sich zu einer solch einsamen Schönheit, daß die Burschen ihr rundherum auflauerten und geradezu Jagd machten auf diese rothaarige Pracht. Ein paarmal schoß Väterchen mit der Schrotflinte auf allzu geile zweibeinige Böcke, aber dann raffte ihn eine Lungenentzündung hinweg, und auch die Mutter überlebte diese Katastrophe nur um ein halbes Jahr.
Nun war Rimma Ifanowna allein und machte aus ihrer Beschäftigung einen Beruf: Sie flocht Körbe und verkaufte sie auf dem Markt. Das Geschäft lief so gut, daß sie noch zwei alte Frauen einstellte und es sich leisten konnte, ein Motorrad zu fahren. So blöd war sie nicht, um dieses Fahrzeug nicht zu beherrschen. Vor allem aber sah man mit Verblüffung, daß sie sich ihrer Schönheit voll bewußt war und ihre Tugend so tapfer zu verteidigen verstand, daß bis zur Stunde sich niemand brüsten konnte, Rimma Ifanownas gesamte glatte Haut zu kennen. Zwar munkelte man, sie fahre nicht nur wegen des Großhandelszentrums nach Magnitogorssk und bringe neue Aufträge mit, aber beweisen konnte niemand etwas. Rimma war immer freundlich, lächelte in ihrer leicht blöden Art jeden an, wurde von Jahr zu Jahr schöner und hatte jetzt, mit sechsundzwanzig Jahren, eine Reife erlangt, die zu Superlativen an Lobpreisungen Anlaß gab. Im Sommer konnte man das ab und zu von weitem bewundern: Da hüpfte sie in einem engen Badeanzug im Garten herum, stellte sich unter eine Dusche, und ihr helles Lachen vergoldete die Sonne noch mehr. Dazu leuchtete ihr feuerrotes Haar. Es war ein Anblick, der jeden Mann nach innen seufzen ließ.
Natürlich hatte auch der Geologe Jankowski die Bekanntschaft mit Rimma Ifanowna gemacht. Nach seinen Zeichnungen flocht sie Spezialkörbe, in denen er Gesteinsproben sammelte und sortierte. Das war ein raffinierter, unverfänglicher Anlaß, öfter bei Rimma vorzusprechen und sogar ins Haus zu gehen.
So jedenfalls rekonstruierte Dr. Lallikow den Angriff Jankowskis auf Rimmas Tugend, und Kasutin und Babajew stimmten ihm zu. Nur so hatte es geschehen können, daß Rimma — bisher noch rein theoretisch — über Zeichnungen für Spezialkörbe zum Modell für unanständige Fotos abgesunken war. Jankowskis Art, selbst Frauen, die sich wie Schnecken in ihre Häuser zurückzogen, von entarteten Dingen zu überzeugen, war sattsam bekannt geworden.
Rimma Ifanowna saß im Garten in der Sonne unter einem Schirm, arbeitete an einem großen Rundkorb und sah Dr. Lallikow mit ihrem bekannten Grinsen an. Ihre Schönheit war so umwerfend, daß selbst Lallikow eine leichte Unsicherheit verspürte. Rimma trug eine tief ausgeschnittene Bluse, die man gewissermaßen als ein Fenster-chen zur unantastbaren körperlichen Vollendung empfinden konnte.
«Das ist aber selten«, sagte Rimma Ifanowna sofort.»Sie machen Besuche? Was soll das? Hier liegt niemand im Sterben.«
Sie konnte sich eine solche Sprache erlauben, man nahm sie ihr nicht übel. Von jeher, seit Jahrhunderten, nehmen in Rußland die Idioten eine gesellschaftliche Sonderstellung ein. Es gab sogar eine Zeit, in der man die Stammler und Epileptiker Heilige nannte und ehrfurchtsvoll um sie herum saß, wenn sie ihre Anfälle hatten. So etwas wurzelt tief und läßt vieles erklären, was an Rußland unverständlich erscheint.
Dr. Lallikow lachte väterlich, setzte sich neben Rimma auf die Holzbank, blickte in den tiefen Blusenausschnitt und stellte fest, daß Rimmas rote Haare wie dünnste Seide waren. Der leichte Wind hielt sie in ständiger Bewegung.
«War Victor Semjonowitsch schon da?«fragte er geradeheraus. Bei
Rimma Ifanowna waren keine diplomatischen Umwege nötig. Ihr unkomplizierter Geist begriff nur das Direkte.
«Wer ist Victor Semjonowitsch?«fragte Rimma zurück.
«Jankowski.«
«Nein.«
«Was heißt nein?«
«Er war nicht da.«
«Nicht mit seinem Apparat?«
«Mit welchem Apparat?«
«Mit dem Fotoapparat. Er wollte doch fotografieren.«
«Mich? Schon wieder?«
Dr. Lallikow spürte, wie es heiß in ihm aufwallte. Die Dinge komplizierten sich, das war nun offensichtlich. Er hatte von Rimma auch hier ein Nein erwartet; nun stellte sich heraus, daß der hyperpotente Jankowski auch Rimma vor die Linse bekommen hatte. Es gab also nicht nur ein Opfer — Galina Iwanowna —, sondern zwei, und damit war die Frage wieder völlig offen, wer nun die unbekannte Nackte ohne Kopf auf den Fotos war. Außer Zweifel stand, daß alle Aufnahmen die gleiche Person zeigten. so völlig ähnlich hätten zwei Frauenkörper nicht sein können.
«Schon wieder«, wiederholte Dr. Lallikow mit einem heiseren Beiklang.»Wann hat er denn.?«
«Ich weiß nicht. Mich interessiert kein Kalender.«
«Aber es war erst vor kurzem?«
«Ja, das war es.«
Rimma grinste lieb und blöd. Dr. Lallikow verstand die Schöpfung nicht mehr, die in eine solche Schönheit so wenig Gehirn investierte.
«Wo hat er dich fotografiert?«fragte Lallikow direkt.
«Auf der Wiese. Ich mußte einen Strauß weißer Margeriten halten und mein Haar darumlegen. >Das sieht wunderbar aus<, hat er gesagt. >Die weißen Blüten und deine roten Haare. Das Bild verkaufe ich an eine Illustrierten Er will mir dann die Illustrierte schenken.«
Dr. Lallikow nahm die dicke Brille ab und putzte die Gläser. Hier stimmt etwas nicht, dachte er. Von einem Blumenstrauß war auf den Fotos nichts zu sehen. Außerdem waren sie schwarzweiß. Hochglänzend. Da muß ein Irrtum vorliegen. Auf jeden Fall weiß man aber jetzt, daß Rimma Ifanowna ein williges Modell gewesen ist. Einen Film hat der raffinierte Jankowski mit den Blümchen verknipst, den anderen Film hat er dann mit anderen Flächen belichtet. So wird es gewesen sein, ohne Zweifel.
«Es war ein Farbfilm?«fragte Dr. Lallikow leichthin.
«Ja, natürlich.«
«Der zweite Film auch?«
So etwas nennt man eine Fangfrage. Wer da nicht höllisch aufpaßt, tappt in die Falle. Rimma Ifanowna in ihrer Einfalt merkte die Grube nicht. Sie sagte unbefangen:»Ich nehme es an.«
Dr. Lallikow atmete rasselnd aus. Überführt! Der Triumph der Logik! Man konnte jetzt sogar rekonstruieren, wie Jankowski vorgegangen war, um die naive Rimma zu solchen Fotos herumzukriegen. Über den Umweg eines Margeritenstraußes. Einfach genial, das mußte man zugeben.
«Mein verführtes Kind«, sagte Dr. Lallikow in ehrlicher Erschütterung. Er wagte gar nicht, ins Detail zu gehen und zu fragen, wie Jankowski es Rimma erklärt haben mochte, daß eine Rasur den künstlerischen Eindruck noch verstärkte. Seine Fantasie reichte aus, sich diese Szene auszumalen — sie war von atemberaubender Dekadenz.»Du hast es nicht überblickt. Du brauchst dich nicht zu schämen.«
«Warum sollte ich mich schämen? Weil ich in eine Illustrierte komme?«
«Natürlich! Das rothaarige Blumenkind! Hach!«Dr. Lallikow stand auf und strich Rimma Ifanowna wie tröstend über das herrliche Haar.»Wer weiß noch von diesen Fotos?«
«Niemand. Ich will damit alle überraschen.«
«Das wird dir gelingen. «Dr. Lallikow blickte noch einmal in ihren Blusenausschnitt und dann in ihre grünblauen Augen. Ihr ewiges, dummes Lächeln war für einen Eingeweihten erschütternd. Welch ein Lüstling, dieser Jankowski, dachte Lallikow. Er scheut vor gar nichts zurück.»Sprich auch nie darüber«, sagte er zu Rimma und tätschelte ihr die Wange.»Und vergiß das alles schnell. Und wenn Jankowski kommt, laß ihn nicht mehr in dein Haus.«
«Was soll ich ihm denn sagen?«
«Schick ihn zu mir.«
«Gut. «Rimma Ifanowna wandte sich wieder ihrem großen Rundkorb zu.»Ich werde ihm bestellen, daß er Sie auch fotografieren soll.«
Dr. Lallikow wollte noch etwas sagen, wischte die Worte dann aber mit einer Handbewegung weg in dem Bewußtsein, daß Rimma keinen Zugang zur Logik hatte.
Die schöne Witwe Alla Philippowna Sitkina tat so, als habe sie Dr. Lallikow erwartet. Sie brachte duftenden Tee, einen kleinen Butterkuchen und eine Flasche Moosbeeren-Likör, setzte sich dann ihm gegenüber, und es genierte sie nicht im geringsten, daß ihr Morgenrock dabei über den Knien aufklaffte und ihre schönen, schlanken Beine bis zu den Hüften sehen ließ. Lallikow wagte einen schnellen Blick… die Witwe Sitkina trug ein enges, fliederfarbenes Höschen. Das Corpus delicti war also verborgen. Daß Alla Philippowna noch am frühen Nachmittag im Morgenrock und darunter ziemlich entblößt herumlief, erstaunte Dr. Lallikow kaum. Der Ruf der Sitkina hatte sich nach dem tragischen Tod ihres Mannes rapide verschlechtert. Bis nach Swerdlowsk sollten sich ihre Liebhaber verteilen.
«Unser Freund Jankowski«, sagte Dr. Lallikow gemütlich.»So vielseitig begabt und unermüdlich. Die Fotos, die er von Ihnen machte, meine liebe Alla Philippowna, sind wahre Kunstwerke.«
«Sie haben sie gesehen?«rief die Sitkina ohne die geringste Hemmung aus.»Das freut mich, lieber Doktor! Ich finde sie wundervoll!«
Dr. Lallikow wackelte mit der Nase, mußte seine Brille putzen und bescheinigte innerlich Jankowski eine geradezu phänomenale Männlichkeit. Galina Iwanowna, Rimma Ifanowna und nun auch noch Alla Philippowna, und das alles in einer Woche. Hut ab, Victor Semjonowitsch! Der Beruf eines Geologen muß unheimlich kräftigend sein. Viel frische Luft, das Blut dadurch voller Ozon, immer draußen in der Natur — das wirkt sich aus.
«Die Fotos sind erstaunlich«, sagte Lallikow, mit der Zunge schnalzend.
«Und vor allem so natürlich.«
«Das wollte ich damit sagen.«
«Zum Hingreifen plastisch.«
«Das ist nicht zu leugnen.«
«Was haben Sie gedacht, Doktor, als Sie die Fotos sahen?«fragte die Sitkina sichtlich begeistert.»Sagen Sie es mir. Was haben Sie spontan gedacht?«
«Spontan?«
«Ja.«
«Donnerwetter!«
«Wirklich?«
«Ja, Donnerwetter!«Lallikow sah die Sitkina sichtlich erschöpft an.»Was soll man anderes dazu sagen?«
«Die gesamte Komposition stammt von Jankowski.«
«Das habe ich mir gedacht. So etwas fällt auch nur ihm ein.«
«Genau das habe ich ihm auch gesagt.«
«Und wie hat der gute Victor Semjonowitsch darauf reagiert?«
«Er hat gelacht. Er kann so herrlich lachen. So jungenhaft. So bezwingend.«
«Das ist der richtige Ausdruck: dieser liebe Junge. «Dr. Lallikow sprang auf. Die Sitkina blickte erstaunt zu ihm empor.
«Sie wollen schon wieder gehen, Doktor? Nicht noch ein Likör-chen?«
«Heute war ein anstrengender Tag.«
«Wenigstens einen Schluck Tee. Und ein Stückchen Kuchen. Mit bester Butter. Simon Michailowitsch, bei mir können Sie sich ausruhen. Hier stört Sie niemand.«
«Ich bin dessen nicht so sicher.«
«Aber ja. Wenn ich Besuch habe, lasse ich am Fenster über der Tür die Jalousie herunter. Da weiß gleich jeder: besetzt. «Die schö-ne Witwe Sitkina goß Tee nach und zerteilte den Butterkuchen.»So lange Sie bleiben, Doktor Lallikow, ist hier die Ruhe einer einsamen Insel um Sie.«
Sie läßt die Jalousie herunter, dachte Lallikow. Das ist ihr rotes Licht. Besetzt. Man lernt nie aus. Im gleichen Augenblick fiel ihm ein, daß man ihn beobachten könne, wie er nachher das Haus der Sitkina verließ und sie die Jalousie wieder hochzog. Freie Fahrt. Der Nächste. Böswillige könnten dabei selbst bei einem Arzt auf abwegige Gedanken kommen.
Lallikow wurde rot, trank im Stehen seinen Moosbeeren-Likör und ging zur Tür.
«Ein Arzt hat nie Zeit«, sagte er entschuldigend.»Wenn Sie wüßten, Alla Philippowna, was mich heute abend noch alles erwartet.«
«Ich glaube es Ihnen. «Die Sitkina erhob sich, ordnete ihren Morgenrock und brachte Lallikow zum Ausgang. Dabei zog sie die Jalousie hoch, was Lallikow wie eine Provokation empfand.»Nur eine Frage noch. Warum sind Sie überhaupt zu mir gekommen, Simon Michailowitsch?«
«Es ging um die Klarstellung einer Klarheit.«
«Wie bitte? Erklären Sie mir das, mein Lieber.«
«Es wäre zu kompliziert, Alla Philippowna. Nehmen Sie hin, daß ich mich nur erkundigen wollte, wie es Ihnen geht. Ich habe mich davon überzeugt, daß nichts auszusetzen ist.«
Auf der Straße blieb er ostentativ stehen, damit auch alle sahen, daß er aus dem Haus der Sitkina kam und er nichts zu verbergen hatte. Dann ging er würdevoll weiter, machte einen Abstecher zur Apotheke und ließ sich im Rezepturraum auf einen Stuhl fallen. Dudorow, der Apotheker, sah ihn besorgt an.
«Was haben Sie?«fragte er ihn hastig.
«Ich brauche einen großen Wodka«, sagte Dr. Lallikow erschöpft.»Am besten gleich 100 Gramm. O Himmel, fragen Sie nicht, Ak-bar Nikolajewitsch! Es gibt Dinge körperlicher Konsistenz, die auch medizinisch nicht erfaßbar sind.«
Daraufhin trank er den Wodka wie Wasser und versank in dump-fes Brüten.
Am Abend trafen sie sich wieder bei Väterchen Mamedow.
Sie traten, da sie sich auf der Straße begegnet waren, alle gemeinsam ins Zimmer, zuerst Kasutin, dann Babajew, am Ende Dr. Lallikow.
Der Pope saß regungslos auf seinem Stuhl und sah ihnen stumm entgegen. Er schien sich die Haare gerauft zu haben, denn deren sonst so gepflegte weiße Pracht wirkte unordentlich und irgendwie zerstört. Mit einem trüben Blick nahm er wahr, daß die drei sich setzten. Dr. Lallikow legte einen Bogen auf den Tisch: die verfluchte Liste der schönen Weiber von Nowo Korsaki.
«Gehen wir gleich zur Sache«, sagte Dr. Lallikow.»Die Frage ist gelöst, indem man sie nicht lösen kann. Die Ergebnisse der Nachforschungen sind deprimierend. Sie sprengen alle Vorstellungen, übertreffen selbst medizinisch die Erkenntnisse männlicher Physiologie. Ich bin glattweg erschüttert.«
«Sprechen Sie nicht weiter«, stöhnte Väterchen Akif voller Qual.»Ich durchleide seit Stunden das Fegefeuer. Ich büße ehrlich. Aber ich muß es sagen: Ja! Sie ist es!«
«Wer?«rief Kasutin und beugte sich vor.
«Sie hat es gestanden«, sagte Mamedow.»Mit der Wurzel einer japanischen Kirsche fing es an. Es ist Stella Gawrilowna.«
«Was ist sie?«fragte Dr. Lallikow und wurde bleich.
«Das unanständige Modell«, röhrte Väterchen Akif.
«Wer kann das noch ertragen?«stammelte Lallikow.»Ich kaum.«
«Ich werde daran zerbrechen«, stöhnte Akif Victorowitsch.
«Das ist unglaublich. «Lallikow hielt mit beiden Händen seine dicke Brille fest.»Jetzt sind es vier. Vier in einer Woche. Ob das wirklich die ozonhaltige Luft bewirkt?«
Kasutin hob beide Hände und wedelte mit ihnen in der Luft.»Ich weiß nicht, was ihr redet«, sagte er verwundert.»Der Fall ist doch ganz einfach. Durch einen Zufall, so im Vorbeigehen, habe ich ihn gelöst. Eine ganz simple Sache: Es ist Antonina Pawlowna Zwetkowa.«
«Nein!«stöhnte Dr. Lallikow.»Nein! Pjotr Dementijewitsch, bringen Sie mich nicht um! Widerrufen Sie das!«
«Es ist die Wahrheit: Der Körper ohne Kopf gehört der schönen Antonina.«
«Ich überlebe das nicht«, stammelte Lallikow.»Das ist schlimmer als in einem altgriechischen Drama.«
«Der Körper gehört Stella Gawrilowna«, sagte Väterchen Akif dumpf und wie schon jenseits dieser Welt.»Ich weiß es genau.«
«Wenn ein Pope das genau weiß.«, ließ sich der verschüchterte Babajew vernehmen.
«Und warum läßt sich die Zwetkowa Päckchen mit Enthaarungscreme schicken?«regte sich Kasutin auf.»Ist das kein Beweis?«
«Sie läßt sich.«, flüsterte Lallikow.»O nein!«
«Über Dudorow. Ich war dabei, als die Creme ankam. Enthaarungscreme! Wer kann da noch etwas sagen? Und Jankowski ist mindestens dreimal in der Woche bei Zwetkow zu Gast. Wollt ihr alle Logik auf den Kopf stellen?«
«Ja. «Dr. Lallikow strich mit beiden Händen über die Liste, als sei sie ein wertvolles Pergament aus grauer Vorzeit.»Ich kann es beweisen.«
«Ich auch«, schloß sich AkifVictorowitsch an.
«Gehen wir methodisch vor. Ich rufe die Namen auf. «Lallikow holte tief seufzend Atem.»Dunja Sergejewna — «
«Ist doch einwandfrei gestrichen!«rief Kasutin.
«Sie Glücklicher«, brummte Akif.
«Galina Iwanowna — hat gestanden«, sagte Dr. Lallikow laut.
«Wie man sich täuscht«, meinte Babajew.
«Stella Gawrilowna.«
«Hat gestanden«, stammelte Väterchen Mamedow.
«Rimma Ifanowna — hat gestanden.«
«Mir wird schwarz vor den Augen«, flüsterte Babajew, der plötzlich das ganze Ausmaß der Tragödie überblickte.
«Alla Philippowna Sitkina — hat gestanden. - Antonina Pawlowna Zwetkowa.«
«Hat mit dem Bezug von Enthaarungscreme gestanden«, fiel Kasutin ein.
«Das sind fünf. Alle fünf auf der Liste. «Dr. Lallikow lehnte sich weit zurück.»Alle fünf sind überführt, die unanständigen Modelle des Genossen Jankowski zu sein. Aber nur eine kann es wirklich sein! Nur eine auf diesem Film! Doch wer? Wer?« Lallikows Stimme wurde fast weinerlich.»Liebe Genossen, ich stelle fest: Wir sind genau an dem Punkt angelangt, an dem wir am Anfang standen. Wir wissen nichts. Wem gehört der Körper ohne Kopf?«
«Wir wissen nur eins«, sagte der unselige Babajew heiser.»Jankowski hat sie alle fotografiert… so fotografiert! Sie… sie haben ja alle gestanden.«
«Man muß ihn umbringen«, sagte Akif kaum hörbar.»Dieser Victor Semjonowitsch ist ja ein sexuelles Monster. Man muß die Welt von ihm befreien.«
«Er versetzt uns in diese Zwangssituation, ja. «Dr. Lallikow starrte Kasutin und Babajew mit hervorquellenden Augen an. Durch die starken Brillengläser sah das noch grausiger aus.»Was schlagen Sie vor, Genossen?«
«Man sollte Zwetkow einen Wink geben«, sagte Babajew.»Vielleicht vergiftet er Jankowski beim nächsten Abendessen.«
«Dann würde man Rassul Alexejewitsch als Mörder verhaften. Wäre das gerecht? Ich sage: nein!«Kasutin hieb mit der Faust auf den Tisch.»Man müßte Jankowski draußen in den Wäldern, wenn er nach seinen Steinchen sucht, überfallen und entmannen.«
«Dabei besteht aber auch die Gefahr, daß er verblutet«, sagte Dr. Lallikow.
«Und wenn Sie ihn nach diesem Überfall operieren, Genosse?«fragte Kasutin.
«So geht es nicht. «Väterchen Akif hob den Kopf. Er wirkte wie ein waidwundes Tier, das noch einmal einen Laut von sich gibt.»Vertraut auf die Kirche, Freunde. Auf das bezwingende Wort. Auf das Anstechen der Seele. Ich werde mit Victor Semjonowitsch morgen ein offenes Wort sprechen.«
Man fand diese Zwischenlösung gut und ging auseinander.
Aber irgendein Zweifler mußte unter ihnen sein, denn eine Stunde später rief ein Anonymus beim Baubeauftragten Zwetkow an und sagte:»Mein lieber Rassul Alexejewitsch, beäuge einmal genau dein Weibchen Antonina, und frage sie dann nach der Enthaarungscreme. Bitte, unterzieh dich dieser interessanten Pflicht.«
Der dicke Zwetkow schüttelte den Hörer, brüllte:»Wer ist denn da?«und legte dann baß erstaunt auf.