37721.fb2
So phantastisch manche Personen und Ereignisse in diesem Roman erscheinen mögen, sehr vieles davon ist historisch verbürgt. Das gilt für Kaiser Rudolf II. (1552-1612), den »Alchimisten auf dem Kaiserthron«, und seine Mätresse Katharina Stradovä, aber auch für den unglücklichen Don Julius Caesar d’Austria (1587-1609) und Markéta Pichlerovä. Als herausragender Sammler und Mäzen förderte Rudolf die schönen Künste, namentlich Malerei und Bildhauerei, und trug in seinen Kunst- und Wunderkammern einzigartige Schätze aus Artefakten und Kuriositäten zusammen, darunter die im Roman erwähnte Gralsschale und das so genannte Ainkurn. Zudem begründete er eine alchimistische Akademie, versammelte die bekanntesten Alchimisten und Astrologen, Mathematiker und Scharlatane seiner Zeit am Kaiserhof zu Prag und ließ sich auch seinerseits als Adept von den haarsträubenden Wundern der magischen Wissenschaft faszinieren; etwa vom Zitterling tremella nestoc, in dem nach alchimistischer Überzeugung nichts Geringeres als der Weltgeist enthalten ist und der sich tatsächlich bei den ersten Sonnenstrahlen in Luft auflöst.
Wahr ist auch, dass Rudolf seinem ältesten »natürlichen Sohn« die Krumauer Residenz übertrug. Dort näherte sich Don Julius der Tochter des örtlichen Baders Sigmund Pichler. Diese Liaison ging auch in der historischen Wirklichkeit weder für den Kaiserbastard noch für Markéta Pichlerovä glücklich aus: Der ererbte Wahnsinn, die »Habsburger Umnachtung«, verleitete den Unseligen, seine Geliebte zu ermorden. Nach dieser Bluttat, die unter den Krumauer Bürgern, aber auch in der Aristokratie halb Europas helle Empörung hervorrief, ließ Rudolf II. seinen Bastardsohn im Turm zu Krumau einsperren und von seiner eigenen Garde bewachen, bis Don Julius im Sommer 1609 durch einen Sprung aus dem Verliesfenster seinem Leben ein Ende setzte.
Der wahre Wahn der Epoche war die Alchemie. Nicht allein Rudolf II. oder Wilhelm von Rosenberg, sondern nahezu jeder Gebildete - die Ungebildeten ohnehin - glaubte an die zauberischen Fähigkeiten der Schwarzkünstler, Blei in Gold zu verwandeln, den »Stein der Weisen« herzustellen und sogar menschliches Leben aus der Retorte zu erschaffen. Die im Roman geschilderte Goldprobe hat der berühmte Alchimist Edward Kelley tatsächlich vor Kaiser Rudolfs Augen abgelegt.
Kurz darauf versank die rudolfinische Welt im Chaos des Dreißigjährigen Krieges, die Kunst- und Wundersammlungen des Alchimistenkaisers wurden in alle Winde zerstreut. Manche Träume und Alpträume seiner Epoche aber elektrisieren die Menschheit noch immer: Während Sie diese Zeilen lesen, arbeiten Wissenschaftler in verborgenen Laboren daran, Kreaturen in der »gläsernen Mutter« zu erschaffen - heute wie vor vierhundert Jahren.
Coburg, im Frühjahr 2004 Andreas Gößling