37730.fb2 Der Fluch der grunen Steine - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

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Kapitel 10

Die Karawane mit den 170 Mulis und den zehn Mann Begleitung kam unversehrt am Zielort an. Man hatte kaum Verluste. Die kräftigen und vor allem geduldigen Tiere schleppten die schweren Lasten über Felsstege und durch Schluchten, kletterten schmale Wege hinauf und balancierten an Abgründen vorbei. Die Jeeps hatte man längst zurücklassen müssen. Nachdem man das schwere MG abmontiert hatte, fuhr man es in ein Tal und versteckte es unter Dornenbüschen.

John Berner, der mit seiner Truppe seitlich den Transport begleitete und auf eine gute Gelegenheit wartete, fluchte fürchterlich, als Dr. Novarra mit seinen Männern in einem Hohlweg die Karawane erwartete.

«Oh, das war nötig!«sagte Henry Duk, der dicke Glatzkopf, und schüttelte Novarra die Hände.»Einen Überfall haben wir schon hinter uns. Und ich habe so ein komisches Gefühl im Nacken, als ob uns viele Augen beobachteten. Vor der zweiten Nacht hatte ich ein Jucken in der Hose.«

Dr. Novarra wußte genau wie Duk, daß um sie herum die Gefahr lauerte. Um zu demonstrieren, was den Gegner erwartete, sagte er zu Dr. Simpson:»Zeigen Sie mal Ihren Minenwerfer her. Oder besser noch, bringen Sie ihn in Stellung.«

Simpson nickte, ließ den schußbereit montierten Werfer von drei Mann zwischen zwei Bäume tragen und öffnete einen der Munitionskästen. Er schob eine der länglichen, grau glänzenden Minen in das dicke Rohr und richtete den Werfer dann auf den gegenüberliegenden Felsen.

Hier lag Brenner in Deckung und begann plötzlich unruhig zu werden.»Auch das noch!«stieß er hervor.»Zurück in Deckung! Sucht euch Überhänge und Höhlen. Schnell!«

«Was soll'n das?«fragte der Mann neben ihm.»Bauen die'n Ofenrohr auf? Wollen wohl in aller Gemütlichkeit kochen?«

«Das ist ein Minenwerfer, du Rindvieh!«keuchte Berner.»Wenn der hinhaut, bist du Gulasch! In Deckung, Männer.«

Berner und seine Kumpane krochen eilig fort, suchten sich kleine Bergaushöhlungen und preßten sich an den Stein. Da krachte es schon, der Donner hallte als Echo mehrfach wider, dann explodierte in den Felsen die Mine und schleuderte eine Wolke von Steinen und Stahlsplittern durch die Luft.

«Hervorragend, Simpson!«sagte Dr. Novarra.»Sie haben da wirklich ein Höllending geklaut! Wer jetzt noch angreifen will, muß kein Hirn mehr haben. Das Krankenhaus ist uns sicher!«

John Berner befahl den Rückzug. Sein altes Geschäft, die Erpressung, war sicherer und risikoloser. Auch da gab es Aufsässige, aber sie wehrten sich nur mit Revolvern, nicht mit Minenwerfern.

In der zweiten Nacht zog sich ein Postenring um die 170 Mulis, aber es blieb alles still. Der Weg zu Dr. Morero war frei.

«Wenn Sie zu nichts nütze wären, Simpson«, sagte am frühen Morgen Dr. Novarra,»gestern hatte Ihr Dasein einen Sinn!«

«Und eines Tages trete ich Ihnen noch in den Hintern, Novarra!«sagte Dr. Simpson beleidigt.»O Gott, wäre das schön, wenn Sie mal als Patient vor mir auf dem Tisch lägen.«

Gegen Mittag erreichte der Trupp das Hochplateau.

Männer, Frauen und Kinder aus der ganzen Umgebung waren versammelt und winkten mit beiden Armen, riefen >Hoch! Hoch!< und gebärdeten sich wie toll vor Freude. Unter ihnen die Männer von der >Burg<, der fast blinde Pepe Garcia, die Familie Pebas und Juan Zapiga mit seiner Frau Nuria und seinen zehn Kindern. Pater Cristobal gab dem Boxer Miguel ein Zeichen. Mit seiner dröhnenden Stimme stimmte er einen Choral an. Schüchtern, mit dünner Stimme, fielen die anderen ein, aber dann sangen sie aus voller Kehle, je mehr schwerbeladene Mulis auf das Plateau getrieben wurden.

Henry Duk, der kleine, fette Glatzkopf, tastete mit den Blicken die Menge ab. Dann fixierte er einen Mann, der in der ersten Reihe stand und seinen Arm um die Hüfte eines hübschen Mädchens gelegt hatte.

Das ist er, dachte Duk. Das ist Dr. Morero. Freue dich nur, mein Junge, in einer Stunde bist du steif.

Henry Duk sollte sich täuschen.

Es dauerte länger als eine Stunde.

Dr. Mohr war nie so ungeschützt, daß Duk seinen Auftrag ausführen konnte. Inmitten der 170 Mulis, der Männer aus der >Burg< und der Guaqueros half er beim Abladen mit, schleppte die wertvollen Kisten voll Medikamente zusammen mit Dr. Novarra, Dr. Simpson, Pater Cristobal und Miguel in das Hospital und überwachte den Transport des auseinandergenommenen Röntgengerätes, des Narkoseapparates und anderer unersetzbarer OP-Einrichtungen.

«Heute abend werden wir uns einen ansaufen!«sagte Dr. Novarra. Er saß auf einer Kiste mit Ersatzteilen des benzinbetriebenen Generators, der den Strom für die elektrischen Geräte erzeugen sollte.

Die Männer hatten eine Pause eingelegt. Ihre Rücken schmerzten vom Kistentragen. Dr. Mohr, schwitzend, das Hemd bis zum Gürtel offen, rauchte eine Zigarette. Auch andere diverse Dinge hatte man mitgeschickt: Tee, Kaffee, Zigaretten aus Amerika, Whisky und kolumbianischen Kognak.»Doctor, sind Sie sich bewußt, daß durch Sie hier ein neues Zeitalter begonnen hat?«fragte Novarra.

«Ich würde das nicht so hymnisch benennen.«

«Aber es ist so. Um diesen Teil der Welt hat sich keiner mehr gekümmert. Über 30.000 Menschen existierten nicht mehr. Sie waren höchstens nur noch Maden, die über die Steine krochen. Ein Leben galt nichts — und da kommen Sie des Weges, bekleidet mit der Unbekümmertheit eines Idioten.«

«Danke.«

«Lassen sich nieder und sagen ganz schlicht: Hier baue ich ein Hospital und behandele diese armen Lebewesen, die außerhalb der Menschheit stehen! Und es gelingt Ihnen sogar: Sie stellen ein Krankenhaus auf die Beine!«Dr. Novarra klopfte sich auf die Schenkel.»Kaum zu glauben! Verraten Sie mir einmal, was den Erzgauner Camargo bewogen hat, Ihnen das alles zur Verfügung zu stellen.«

«Er hat es mir versprochen.«

«Natürlich! Aber mit welchem Hintergedanken? Ein Don Alfonso krümmt nicht mal den kleinen Finger, wenn nicht wenigstens etwas dabei herausspringt. Da er die Guaqueros jetzt ärztlich betreuen läßt, kann das doch nur eines heißen: eine verstärkte Tätigkeit in den Minen. Ein Gesunder schafft mehr als vier Schwache, das ist eine Regel. Dieses wiederum bedeutet: Es kommen viel mehr Smaragde ans Tageslicht.«

«Das mag sein.«

«Sie Trottel vom heiligen Geist! Mehr Smaragde, mehr Tote — das ist die Satansformel. Begreifen Sie das nicht? Auf dem Wege von hier bis Penasblancas, und von Penasblancas bis Bogota lauern die Aufkäufer, die nicht mit Pesos, sondern mit Bleikugeln bezahlen! Und wem es gelingt, Bogota zu erreichen, der muß erst noch die Emerald-Street überleben, denn hier ist die Endstation. Hier muß er seine Steinchen absetzen, sonst sind sie so wertlos wie Kiesel. Dann stehen sie sich gegenüber: Die Dealer mit den Ausbeulungen in ihren Jacketts und die Schürfer mit ihrem grünen, glitzernden Vermögen in verknoteten, dreckigen Taschentüchern. Das ist eine geradezu elementare Situation! Sie wird in Zukunft in verstärktem Maße stattfinden, dank Ihrer ärztlichen Tätigkeit. Sie päppeln Menschen hoch, damit man sie später erschießen oder erdolchen kann. Kom-men Sie da nicht in einen Gewissenskonflikt, Doctor?«

«Ich will nur den Kranken helfen, Ramon. Was sie aus ihrem Leben machen, ist ihre Sache.«

«Sie ähneln den Ärzten im Krieg, die auch nicht mit ihrem Gewissen klarkommen. Vom ärztlichen Ethos angehalten, flicken sie jeden Verwundeten wieder zusammen, nur mit dem Ziel, den Gesunden dann wieder an die Front zu schicken, damit er die Chance hat zu sterben. So wird der Arzt Gehilfe eines Völkermordes, so furchtbar das klingt! Auf der einen Seite muß er helfen und heilen, auf der anderen Seite versorgt er damit den Nachschub für den Tod. Jeder Geheilte ist ein neues Opfer! Doctor, ich möchte kein Arzt sein, der die Zurechtgeflickten beglückwünscht und mit dem Wissen entläßt, daß ein neues Sterben auf sie wartet! Wie haltet ihr das bloß aus?«

«Eine böse Frage, Dr. Novarra. «Dr. Mohr trat seine Zigarette aus.»Ich habe das Glück gehabt, nicht mehr in diese Zeit hineinzukommen. Ich glaube, man rettet sich in die Phrase: Es ist fürs Vaterland!«

«Und hier?! Hier ist es für Camargo… für die Smaragde… für die teuflischen grünen Steine. Sie arbeiten auch nur für die Ausbeutung, für die Vernichtung. Erkennen Sie das jetzt?«

«Wenn das Hospital die Arbeit voll aufnimmt, wird sich vieles ändern.«

«Da bin ich aber gespannt.«

«Die Schürfer werden nicht mehr allein ihre Steine zu den Dealern bringen und sich damit in tödliche Gefahr begeben. Ich werde den Smaragdstrom lenken.«

«Sie Phantast! Wie denn?«

«Mit Ihrer Hilfe!«

«Mit mir?«

«Ich brauche Ihre Leute als Leibgarde! Neben dem Krankenhaus werde ich auch eine Sammelstelle für Steine einrichten. Eine Art Genossenschaft. Was in der Landwirtschaft und bei anderen Produkten möglich ist, muß auch bei Smaragden praktikabel sein! Jeder liefert hier seine Steine ab, sie werden geschätzt, und der Schürfer bekommt einen Gutschein über die Summe. Wenn genug Steine zusammengekommen sind, werden sie in einem einzigen, schwer bewachten Transport nach Bogota gebracht.«

«Und Sie glauben wirklich, Sie kommen durch?«

«Mit Ihrer Streitmacht, Dr. Novarra.«

«Sie Utopist! Was glauben Sie, wird Camargo unternehmen, wenn er sieht, daß sein Smaragdfluß versiegt und Sie plötzlich die Preise bestimmen? Zugegeben: Ihre Idee einer Smaragd-Genossenschaft ist faszinierend, aber Camargo hat die Macht, sogar mit Militär gegen Sie vorzugehen! Die geschäftliche Verfilzung reicht bis in die höchsten Kreise!«

«Wir werden alle Guaqueros auf unserer Seite haben!«

«Bis auf die Banditen, die Sie trockenlegen wollen. Und das sind Hunderte, ja Tausende! Das wird dann Camargos Streitmacht!«

«Haben Sie Angst, Novarra?«fragte Dr. Mohr spöttisch.

«Kommen Sie mir nicht so!«Novarra blickte ihn böse an.»Ich bin nur kein Spinner wie Sie! Ihrem Genossenschaftstransport mit Smaragden im Werte von vielleicht 200.000 Dollar stehen Hunderte von Banditen gegenüber, die die Straßen absperren! Jeder Durchbruch nach Bogota wird eine Schlacht sein! Das machen die Schürfer vielleicht zweimal mit. mehr nicht. Dann versuchen sie es wieder einzeln. Als einzelner durchsickern ist sicherer als sich in einer Gruppe durchzuschlagen!«Novarra erhob und dehnte sich.»Machen wir weiter. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie weit sich der Segen Ihrer Tätigkeit zum stillen Fluch wandelt.«

Er ging zu den Mulis und ließ Dr. Mohr allein.

Das war der Augenblick, auf den Henry Duk so lange gewartet hatte.

Der kleine, dicke Glatzkopf lehnte ausgerechnet an der Kirchenwand, keine zwanzig Schritte von Dr. Mohr entfernt. Er hatte beim Abladen mitgeholfen, ruhte sich jetzt aus und kaute an einem Grashalm. Als der Arzt allein war, griff er in die Hosentasche, holte ein ausziehbares Rohr heraus und wickelte aus einem Bogen Papier vor-sichtig und mit spitzen Fingern einen etwa zehn Zentimeter langen, sich bis zu einer Nadelspitze verdünnenden Bambuspfeil, schob ihn in das Blasrohr und fixierte mit zusammengekniffenen Augen sein Opfer.

Dr. Mohr sah sich ahnungslos um. Die Hälfte der Mulis war abgeladen. Die anderen standen noch mit ihren schweren Lasten herum, geduldig, mit gesenkten Köpfen, müde und kraftlos. Maria Dolores und Margarita hockten vor den Porzellankisten und packten das Geschirr aus.

Henry Duk atmete tief ein, saugte die Lungen voll Luft, hielt sie komprimiert im Brustkorb. Dr. Mohr drehte ihm jetzt den Rücken zu. Das schweißnasse Hemd klebte an seinem Oberkörper. Noch eine kleine Drehung, dachte Duk. Nur noch ein wenig. Ich muß den Giftpfeil genau neben die Halsschlagader einblasen. Noch besser, wenn man die Ader selbst trifft, aber das wäre zuviel Glück. Es genügt, wenn der Pfeil in den Hals dringt. Dann geht es schnell. Die Lähmung tritt sofort ein. Sie haben ein höllisches Gift, die Indianer von Chopzena. Den >lautlosen Donner< nennen sie es, weil das Blut plötzlich rauscht und durch die Adern donnert, aber das hört nur das Opfer, und das auch nur sekundenlang, ehe die große Dunkelheit einbricht.

Henry Duk riß das Blasrohr an den Mund. Seine Brust wölbte sich. Dr. Mohr stand richtig, und Duk hatte noch nie sein Ziel verfehlt.

In diesem Augenblick irritierte ihn ein Blitzen in der Luft, nahe vor seinen Augen. Und bevor er seinen Atem ausstoßen konnte, um den Giftpfeil mit ungeheurem Druck abzuschicken, traf ihn ein Schlag in den rechten, angewinkelten Arm, dem ein heißer Schmerz folgte. Das Blasrohr fiel aus seiner plötzlich kraftlosen Hand, er atmete seufzend aus und starrte auf das Messer, das in seinem Arm stak. Gleichzeitig aber hörte er eine schreiende Jungenstimme, die den Lärm um ihn herum übertönte.

«Festhalten! Mörder! Mörder! Festhalten. Er wollte unseren Doctor umbringen!«

Henry Duk wirbelte herum. Die Schrecksekunde war vorbei, nun begriff er seine Situation. Er preßte den blutenden Arm mit dem Messer an sich und wollte wegrennen, den Hang hinunter in die mit Buschwerk verfilzte Schlucht, aber ein langer, dürrer Mann stellte sich ihm in den Weg, hob das rechte Bein und trat Duk in den Unterleib. Heulend krümmte sich der Glatzkopfzusammen, versuchte trotzdem, weiterzutorkeln, aber drei Männer von der >Burg< ergriffen ihn, rissen ihn hoch und trugen ihn zum Hospital. Duk wimmerte und schrie, wollte um sich treten und schlagen, aber die Männer hieben ihm auf den Mund, drückten ihm die Kehle zu und schleppten ihn weiter.

«Das war gut, Pablo«, sagte Juan Zapiga zu seinem Sohn. Der Junge lehnte bleich an der Kirchenwand, seinen dick geschwollenen, unbeweglichen Arm in einer Schlinge. Die andere Hand zitterte noch, als habe der Messerwurf alle seine Nerven entzündet. Plötzlich weinte er und warf den Kopf zurück.

«Mit einem Blasrohr, Papa«, stammelte er.»Er wollte unseren Medico mit einem Blasrohr töten. Im letzten Moment habe ich es erkannt.«

«Du hast hervorragend geworfen, Pablo. «Zapiga zerwühlte die Haare seines Sohnes.»Ich bin stolz auf dich! Warum weinst du?«

«Ich habe zum erstenmal auf einen Menschen geworfen.«

«Aber du hast damit einem anderen Menschen das Leben gerettet. Hast du gesehen, wie ich ihn getreten habe?«

«Ja, Papa. «Pablo blickte hinüber zum Hospital. Dort hatte man Duk zu Dr. Novarra geschleppt. Dr. Mohr und Pater Cristobal redeten auf Novarra ein. Dr. Simpson schrie mit den Guaqueros herum, die sich näherdrängten. Einige schwenkten Taue oder drohten mit erhobenen Messern.»Was machen sie jetzt mit ihm?«

«Wie würdest du über einen Mörder entscheiden, der unseren Medico töten wollte?«

«Frag mich nicht, Papa.«, sagte Pablo leise.

«Dann dreh dich um, geh in die Kirche, bete und warte. Ich sage dir Bescheid, wenn alles vorbei ist. Pablo, du bist ein tapferer Junge.«

Novarra hielt sich mit Vorreden nicht auf. Er drehte das Blasrohr in seinen Händen, betrachtete den eingelegten Giftpfeil und hob wie schaudernd die Schulter. Dann blickte er Duk an, der bleich und mit schwammigem Gesicht, über das ein Blutrinnsal lief, in den Händen von vier Männern hing. Um sie herum schrien die anderen in verschiedenen Chören:»Hängt ihn auf. Erschießen! Erschießen! Ins Feuer legen und rösten! Dreht ihm den Hals um!«

Henry Duk schnappte nach Luft. Der Tritt in den Unterleib wirkte noch nach, aber er war so weit wieder bei klarem Verstand, um zu erkennen, daß seine einzige Chance die Gnade war. Mehr gab es für ihn nicht mehr.

«Ein Blasrohr«, sagte Novarra gedehnt.»Lautlos, schnell und sicher. Wer denkt daran, daß jemand unter uns ist, der mit einem indianischen Blasrohr töten kann?! Es wäre ein perfekter Mord gewesen. Auf dich, mein Dickerchen, wäre nie jemand gekommen. «Er blickte zu Dr. Mohr und Pater Cristobal. Margarita hatte sich vor Dr. Mohr gestellt, als wolle sie ihn jetzt noch mit ihrem Körper schützen. Sogar der auf ewig beleidigte und gedemütigte Adolfo Pebas war aus seinem Haus gekommen, hatte sich durch die Menge gedrückt und starrte Duk an.

«Pater… Doctor… haben Sie nichts in der Kirche oder im Hospital zu tun?«fragte Dr. Novarra finster.

«Nein!«antwortete Pater Cristobal.

«Verdammt! Ich möchte, daß Sie hier verschwinden! Vielleicht will jemand beichten?«

«Jetzt nicht.«

«Doch! Ich!«Pebas trat vor.»Ich möchte jetzt beichten.«

«In einer Stunde, mein Sohn«, sagte Cristobal mahnend.

«In einer Stunde kann ich tot sein. Wissen Sie es? Man hat uns gesagt: Mit Gott kann man zu jeder Zeit sprechen! Also, ich will mit ihm sprechen. Jetzt sofort!«

«Gut. «Pater Cristobal faltete die Hände.»Dann sprich!«

«Hier?«»Gott ist überall!«

«Die Beichte unterliegt dem Geheimnis.«

«Dann flüstere mir ins Ohr.«

«Verflucht, sind Sie ein sturer Hund, Pater!«schrie Novarra.»Wandeln Sie endlich in Ihre Kirche! Oder wollen Sie diesen Mörder vielleicht noch segnen?«

«Wenn er es nötig hat.«

«Haben wir es nötig, Glatzkopf?«fragte Dr. Novarra höhnisch.»Gibt es noch was, das du dir von der Seele reden mußt?«

«Hört mich an!«schrie Duk mit quiekender Stimme.»Hört mich doch erst an. Dahinter steckt Christus Revaila.«

«Wo ist Christus Revaila?«brüllte Novarra.»Revaila, vortreten! Er ist nicht da? Merkwürdig! Wer nicht da ist, kann kein Blasrohr durchpusten! Ist das logisch, Fettsack?«

«Ich heiße Duk, Henry Duk. Revaila hat mir.«

Novarra schnitt mit einer Handbewegung den Satz ab.»Wo ist Revaila?«

«In Penasblancas«, stotterte Duk.

«Und wer ist hier? Wie heißt du?«

«Duk.«

«Der kleine, fette Duk ist hier! Mit einem Blasröhrchen! Und nicht Revaila hat geblasen, sondern der kleine Duk. Warum sollen wir also Revaila verfluchen und den Blasrohr-Henry streicheln? Warum wohl? Weil er so gerne ein paar tausend Pesos haben wollte, schnell verdient, indem man einen Mann umbläst? Was ist denn schon dabei? Was ist ein Mensch denn wert in dieser Gegend?! Natürlich, der Auftrag kommt von Christus Revaila, ein wahres Miststück ist das, das wissen wir alle. aber wer klebte am Blasrohrmundstück? Wer wollte töten? Duk, wir fragen dich.«

Der dicke Glatzkopf schwieg. Alles an ihm schmerzte. Der Unterleib, der Arm, in dem noch immer das Messer stak, das Herz, das sich vor Angst und Grauen zusammenkrampfte. Plötzlich begann er zu wimmern, weinte wie ein Kind und hing schlaff in den Händen der Männer.

«Ich kann nichts sagen«, stammelte er.»Seid gnädig. Bitte, bitte, seid gnädig.«

«Warst du mit dem Doctor gnädig? Wieviel war er Revaila wert, na?«

«Gnade.«

Novarra sah sich um.»Wer hat das Wort schon mal gehört?«fragte er laut.

«Keiner!«brüllten die Guaqueros.

«Ich.«, sagte Pater Cristobal in die plötzliche Stille hinein.

«Einer also!«Novarra wischte sich über die Augen.»Aber bis er uns das Fremdwort übersetzt, bis wir es begreifen, ist die Zeit verronnen. Duk.«

Henry Duk blickte hoch. Sein feistes Gesicht zuckte. Mit flimmerndem Blick verfolgte er, wie Dr. Novarra das Blasrohr mit dem vergifteten Pfeil an einen Mann weitergab, der wie ein Halbblut aussah. Der Mann nickte, wog das Blasrohr in der Hand und setzte es dann an seine Lippen.

«Wir sind gerecht«, sagte Novarra langsam und betont.»Wir sind so gerecht, daß wir sogar die Bibel respektieren. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Hier heißt es Pfeil um Pfeil. Führt ihn an die Hauswand!«

«Nein!«brüllte Duk. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf. Er fiel auf die Knie und umfaßte mit beiden Händen seinen Kopf. Das Blut aus seinem Arm, in dem noch immer das Messer stak, rann ihm jetzt auch über den Schädel und färbte ihn mit roten Streifen.»Nein! Ich schwöre, ein guter Mensch zu sein. «Er warf sich herum, sah Cristobal an und begann, auf den Knien zu ihm hinzurutschen.»Pater! Helfen Sie mir«, greinte er. Er faltete die Hände und hob sie wie betend empor.»Pater. Im Namen Gottes, schützen Sie mich. Man kann mich doch nicht einfach töten.«

Zwei Männer rissen Duk von Cristobal zurück und schleiften ihn zur Hospitalwand. Der Glatzkopf schrie durchdringend und grell, stemmte die dicken Beine gegen die Erde, ließ sich fallen, — aber es nutzte ihm nichts, sie trugen ihn weg, warfen ihn an die Wand und traten von ihm zurück. Er lag auf dem felsigen Grund, zusammengekrümmt, weinend, geschüttelt von Todesangst und glaubte daran, daß ihm niemand etwas täte, wenn er so liegen blieb. Erst wenn er sich aufrichtete, würde man den Pfeil abschießen. Er streckte sich, legte sich auf den Bauch und preßte das Gesicht auf die Erde.

Novarra nickte dem Halbindianer zu. Bevor Pater Cristobal es verhindern konnte, denn plötzlich stand das Bollwerk Adolfo Pebas im Weg, trat das Halbblut an Henry Duk heran und legte das Blasrohr an die Lippen.

«Duk!«rief Novarra hart.

Der Glatzkopf hob den Kopf. Mit offenem Mund starrte er in das Blasrohr, sah wie ein Aufblitzen den Pfeil herumzischen und fühlte den fast schmerzlosen Einstich in seiner Kehle. Gurgelnd warf er sich auf den Rücken, riß sich mit beiden Händen den Pfeil aus dem Hals, aber schon bei diesem Griff spürte er die Lähmung und hörte in sich den >lautlosen Donner<. Sein Blut rauschte wie ein riesiger Wasserfall, das Grollen schwoll an und erreichte seinen Kopf, und dieser Kopfwar nur noch eine himmelweite Trommel, aus dem das Leben herausgeschlagen wurde.

Als übermanne ihn eine alles erlösende Müdigkeit, so streckte er sich aus, seine geweiteten, in einem fürchterlichen Glanz schwimmenden Augen suchten das Licht, und so blieb er liegen, mit abgewinkeltem Arm, plötzlich ganz still, steifund in einem letzten Zuk-ken emporschnellend wie ein luftsuchender Fisch.

Der Halbindianer beugte sich über ihn, legte ihm das Blasrohr an die Brust und trat dann zurück. Stumm standen die Männer herum, nur die 170 Mulis scharrten, wieherten und trappelten über das Gestein.

Dr. Novarra ging hinüber zu Dr. Mohr und Pater Cristobal.

«Wollen Sie den Tod feststellen, Doctor?«fragte er hart.

«Nein!«

«Und Sie Pater? Wollen Sie ein Gebet sprechen?«

«Später. wenn Sie weg sind.«

«Sie mögen jetzt über mich denken, was Sie wollen, mich kümmert's nicht! Wer hier leben und überleben will, muß sich an andere Gesetze gewöhnen. Ihre zehn Gebote von Moses sind überholt, Pater! Vertreiben Sie aus einem hungrigen Löwen den Hunger, wenn Sie ihm eine Predigt über Nächstenliebe halten? Sagen Sie nicht: Das hier sind Menschen! Was sie mit Menschen gemeinsam haben, ist ihr Aussehen, sonst kaum etwas! Henry Duk wollte töten. Er ist mit seiner eigenen Waffe bestraft worden! Das ist Konsequenz, Pater. Das ist logische Gerechtigkeit. Ob sie human ist.? Hat der Menschheit jemals Humanität genützt?! Vom Steinbeil bis zur Atombombe schreitet die Entwicklung des Tötens fort. Trotz Humanität! Da sind wir hier sogar ehrlicher: Wir wissen genau, was jeder vom anderen zu erwarten hat! So, und nun klagen Sie hinauf zu Gott! Und Sie, Doctor, massieren sich Ihre Gänsehaut weg und richten Ihr Hospital wieder ein. Unser Leben ist zu kurz und kostbar, um auch nur eine Minute um einen Auswuchs wie diesen Henry Duk zu trauern.«

Er ließ Dr. Mohr und Pater Cristobal stehen, winkte und brüllte über die Menge:

«Weitermachen! Bis zum Abend muß alles abgeladen sein!«

Um Henry Duk, den Toten, kümmerte sich niemand mehr.

Pater Cristobal winkte Miguel herbei.»Trag ihn in die Kirche«, sagte er.

«Ich?«Miguel schüttelte sein breitgeschlagenes Boxergesicht.»Ich fasse ihn nicht an. Gift! Weiß ich, ob das Gift nicht auch in die Haut geht?«

Pater Cristobal sah Dr. Mohr fragend an. Der nickte.»Ich helfe dir. Wirklich in die Kirche?«

«Ja. Er hat in seiner letzten Minute nach Gott gerufen. Das allein ist wichtig.«

Sie packten den steifen Toten an den Beinen und Armen und trugen ihn weg. Jeder, an dem sie vorbeigingen, drehte ihnen den Rücken

In der Kirche, die noch nicht fertig war, und in der im Altarraum nur ein einfaches Holzkreuz stand, kniete Pablo Zapiga, der Junge, der Dr. Mohr das Leben gerettet hatte. Er bedeckte mit der beweglichen Hand seine Augen, als Cristobal und Dr. Mohr die Leiche an ihm vorbeischleppten. Plötzlich war auch Adolfo Pebas da, stellte sich neben Pablo und sah zu, wie sie den Toten vor das Kreuz legten. Pater Cristobal drehte sich um.

«Hinaus!«sagte er schroff zu Pebas.

«Ich will beichten, Pater.«

«Du hast dich mir in den Weg gestellt. Du hast verhindert, daß ich Duk rette.«

«Darum möchte ich beichten. Ich möchte auch für den Jungen hier beichten, der das Messer geworfen hat. Er weiß noch nicht, was beichten ist, er hat es nie gelernt. aber hätte er das Messer nicht geworfen, lebte Henry Duk jetzt noch. Tot wäre nur unser Medico. Mit einem Giftpfeil erschossen. Aber anscheinend wäre das richtiger gewesen, als Duk zu töten. Ich kenne mich da nicht mehr aus, Pater. Darum will ich beichten und Gottes Wort hören. Ist ein ermordeter Mörder mehr wert als ein gerettetes Opfer? Sie werden mir das erklären, Pater.«

«Er hatte noch nicht getötet!«sagte Cristobal laut.

«Ein Bruchteil einer Sekunde lag dazwischen. Er hatte die Backen zum Blasen gefüllt, als ihn das Messer traf. Für Duk war Dr. Mo-rero schon tot! Hätte man ihn schießen lassen sollen?«

«Adolfo! Welche Frage!«Der Pater kam näher. Pablo, der Junge, bedeckte noch immer das Gesicht mit der gesunden Hand und weinte leise in sich hinein.»Was willst du noch hier?«

«Ich wollte zu Gott sagen: Ich habe verhindert, daß man Duk rettete. Also habe ich ihn mitgetötet. Und ich bereue nichts, ich bin stolz darauf. Die Welt ist um eine Bestie ärmer. Nun, was sagt Gott dazu?«

«Er ist traurig, Pebas«, sagte Cristobal langsam.»Traurig über alle Menschen. Aber er verzeiht dir, wie er jedem verzeiht, auch diesem Toten da vor dem Kreuz. Verstehst du das?«

«Nein!«Pebas drehte sich weg.»Wer Blut sät, soll Blut ernten, das ist mein Spruch. Wer anders denkt, hat in den Bergen bei Penas-blancas nichts zu suchen. Pater, Sie werden vor leeren Bänken predigen.«

Er faßte Pablo sanft am Arm, zog ihn hoch, legte dann seinen Arm um die Schulter des Jungen und führte ihn aus der Kirche.

Dr. Mohr sah Pater Cristobal ernst an, als dieser zum Altarraum zurückkehrte.

«Wir werden es verdammt schwer haben, Cris«, sagte er und vermied es, den Toten anzusehen. Das Gift färbte seine Haut hellgelb.»Ich bin mir da noch nicht klar: Entweder denken wir zu normal oder zu anormal. Auf jeden Fall leben wir in einer Welt, für die wir noch kein Rezept haben.«

Am Abend, als die großen Feuer angezündet wurden und die Mulis getränkt und gefüttert waren, kam Dr. Novarra in die Kirche.

Pater Cristobal und Dr. Mohr saßen auf einer Liege neben dem Holzkreuz. Die Leiche von Henry Duk war vor einer Stunde begraben worden. Juan Zapiga hatte sie mit einem düster blickenden Nachbarn abgeholt und versprochen, sie zu verscharren. Aber er tat es nicht. Sie schleppten die Leiche zu einem Abhang und warfen sie in die Tiefe. Geier und Hyänen würden dafür sorgen, daß von Duk nichts mehr erhalten blieb als ein paar Knochen.

«Ihr Prunkstück ist soweit fertig, wie wir konnten«, sagte Novarra.»Die Betten stehen, um den ärztlichen Bereich müssen Sie sich schon selbst kümmern, Doctor. Auch der Generator ist schon Probe gelaufen. Wenn Sie wollen, Doctor, können Sie Ihr Hospital jetzt einweihen, und der Pater kann den Weihwasserwedel schwingen. Oder grollen die Herren noch immer?«Dr. Novarra machte eine weite Armbewegung.»Sie sollten sich das ansehen, Dr. Morero. Don Ca-margo hat an alles gedacht, sogar an eine schmucke Schwesterntracht mit Schürze und Häubchen. Und das hier! Aber alles, was recht ist: Ihre Margarita sieht in der Tracht aus wie ein weißer Engel. Darf ich Sie einladen, Doctor? Ihr Personal wartet auf den Chef..«