37730.fb2 Der Fluch der grunen Steine - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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Kapitel 2

In seinem weißen Kolonialstilhaus wartete Ewald Fachtmann ungeduldig auf Dr. Mohr. Die Verabredung in dem Cafe an der Ram-bla hatte Peter nicht eingehalten. Fachtmann hatte über eine Stunde gewartet, war dann unruhig mit seinem Wagen die Emerald-Street auf und ab gefahren, hatte sogar unauffällig vor dem Bürogebäude von Don Alfonso geparkt und den Eingang beobachtet… doch Dr. Mohr kam nicht heraus.

Fachtmann wurde unruhig, fuhr nach Hause und trank erst einmal zwei riesengroße Whiskys. Zwei Möglichkeiten gab es: Entweder hatte sich Peter dusselig benommen und war von den Leibwächtern Camargos kaltlächelnd kassiert worden; in diesem Falle sah man ihn nie wieder, und es hatte auch keinen Sinn, die Polizei oder die deutsche Botschaft zu alarmieren. Alfonso Camargo hatte einen so gußeisernen Namen bei allen Regierungs- und Polizeistellen, bei Ministern und Generälen, daß jeder ausgelacht worden wäre, der Don Alfonso hätte anklagen wollen. Wer dann noch beharrte und weiter behauptete, Don Alfonso sei der größte Gauner von Kolumbien und einer der gefährlichsten Gangster überhaupt, mit einer bestens ausgebildeten Killertruppe, der konnte entweder mit seiner Ausweisung oder so feinfühlig servierten Gemeinheiten und Schwierigkeiten der Behörden rechnen, daß er von selbst verstört das Land verließ.

Als zweite Möglichkeit für Peters Unpünktlichkeit erwog Facht-mann, daß dieser tatsächlich mit Camargo in ein solch intensives Gespräch gekommen war, daß Don Alfonsos wertvolle Zeit plötzlich keine Rolle mehr spielte. Das jedoch schien außerordentlich unglaubwürdig. Wer Camargo kannte, wußte von seiner Eigenheit, Entscheidungen schnell und präzise zu treffen, diskussionslos und konsequent. Mit Widerreden hatte sich Camargo noch nie aufgehalten.

Ewald Fachtmann genehmigte sich einen weiteren dreistöckigen Whisky, setzte sich dann auf die von geschnitzten Holzsäulen gestützte Terrasse, blickte trübsinnig in seinen gepflegten Park und kam sich reichlich hilflos vor. Bei Don Alfonso anzurufen, hatte überhaupt keinen Sinn. Weiter als bis zu dem Portier kam er nicht, höchstenfalls bis zu Senorita Teresa. Dann aber war Endstation.

Nach genau drei Stunden, in denen Fachtmann dreißig seelische Höllen mit Gebirgen voller Selbstvorwürfe durchwanderte, knirschten draußen die Bremsen eines Taxis. Der Hausboy riß die Tür auf. Dr. Mohr sprang lächelnd die drei Treppen zum Eingang hinauf.

«Nie wieder!«sagte Fachtmann laut und griff zur Whiskyflasche.»Nie wieder hole ich dich irgendwohin! Das überlebt ja keiner!«Er schwenkte die Flasche.»Das ist mein vierter.«

«Die vierte Flasche?«Dr. Mohr nahm sie Fachtmann aus der Hand, setzte sie direkt an den Mund und trank einen langen Schluck.»Ewald! Die Leber! Das zarte Leberchen!«Er stellte die Flasche auf einen kleinen Tisch.»Junge, du siehst ja ganz verstört aus. Was hast du denn?«

«Mein Gott, das fragst du noch?«Fachtmann ging voraus zur Terrasse und warf sich in einen der breiten Korbsessel.»Nicht allein, daß in Bogota bei fast 2.700 Metern über dem Meeresspiegel die

Luft sehr dünn ist und das Blut wallt… jede Aufregung bringt den Überdrucktopf zum Platzen. Othello, ich war nahe davor. Drei Stunden bei Don Alfonso. Das hat noch nicht einmal ein Minister geschafft.«

«Bei einem gründlichen Arzt muß man Zeit mitbringen.«

«Ich sinke um! Du hast Camargo gesehen?«

«Nein! Nur gehört. Eine sympathische Baritonstimme.«

«Die sagen kann: Liquidieren… und dann geht ein Feuerwerk los. Menschenleben bedeuten diesem sympathischen Bariton nicht viel.«

«Bei unserem Gespräch ging es nicht ums Liquidieren, eher um das Gegenteil.«

«Othello, werde kein Silbenrätsel!«

«Don Alfonso will Leben retten.«

Fachtmann beugte sich vor und schob seine Haare zurück.»Junge, guck mir mal in die Ohren. Ich habe einen Hörfehler.«

«Wußtest du, daß in den verlassenen Grubengebieten trotz drei Bataillonen Militär und Polizei über 30.000 Guaqueros vegetieren?«

«Ja. «Fachtmann blickte unschuldig in den blaßblauen Himmel.»Ich wollte dich nur nicht schon vorher erschrecken!«

«Gauner!«

«Von den 30.000 sind 29.999 V2 potentielle Mörder.«

«Wer ist der Halbe?«

«Einer mit einem Arm und einem Auge.«

«Camargo will ein Krankenhaus bauen«, sagte Dr. Mohr ernst als Reaktion auf diesen blutigen Witz. Fachtmann starrte ihn entgeistert an.

«Hast du wirklich mit Don Alfonso gesprochen? Bist du sicher?«

«Er ist ein kluger Bursche. Seine Rechnung sieht folgendermaßen aus: Wenn die Guaqueros sich durch Fieber, Krankheiten und gegenseitiges Umbringen dauernd dezimieren, werden auch weniger Smaragde gefunden. Das illegale Schürferpotential muß immer wieder aufgestockt werden. Aber weiß man, was für Leute nachkommen? Die bereits da sind, kennt man genau. Also liegt es nahe, im Interesse eines ständig sprudelnden Smaragdflusses in die Tresore von Camargo, die Arbeitskraft der Guaqueros nicht nur zu erhalten, sondern zu fördern, zu steigern, gewissermaßen medizinisch zu unterstützen.«

«Das hat er dir erzählt?«

«Und das leuchtet mir ein.«

«Dr. Peter Mohr, der Albert Schweitzer von Penasblancas.«

«Genau das hat Don Alfonso auch gesagt. Er will ein Hospital gründen, damit wenigstens die schwersten Fälle an Ort und Stelle behandelt werden können.«

«Das werden Schußwunden sein. Zerhackte Gliedmaßen. Macheten und Äxte sind sehr beliebte Diskussionshelfer. Nicht zu vergessen Messer! Es gibt da wahre Künstler, die werfen ein Messer selbst auf größte Distanz genau in den Rücken oder ins Herz.«

«Aber es existieren auch schreckliche Infektionen und Krankheiten. Unfälle mit Quetschungen sowie Reißwunden.«

«.und Syphilis!«

«Auch die! Es ist genug zu tun.«

«Das glaube ich, du heilloser Idiot!«Fachtmann wartete, obgleich er deutsch sprach, bis der Boy gegangen war. Er hatte Kuchen und Tee serviert, dazu erfrischende Säfte und einen großen Korb mit exotischen Früchten.

«Ein einziger Arzt für 30.000 Menschen!«

«Wer hat mich mit dramatischen Briefen nach Kolumbien gelockt? Wer hat geschrieben: Wir brauchen dich. Hier verfault ein Teil der Menschheit ohne jegliche Hilfe! Hier wartet auf dich eine Aufgabe als Arzt, wie sie nie wiederkommen wird! — Na, wer hat das gesagt?! Und plötzlich bin ich ein Idiot?!«

Frachtmann nickte mehrmals, trank einen Schluck Tee und kaute an seinem Stück Butterkuchen, als sei es aus Gummi.»Man kann ja plötzlich Angst vor seiner eigenen Courage bekommen, Othello! Himmel ja, ich habe dir Enthusiasmus vorgetanzt, und Kolumbien ist auch ein Land, in dem man leben kann — falls man genug Geld hat und in Bogota wohnt. Im Hinterland aber herrscht noch das Gesetz der Banditen. Straßenräuberei ist fast ein Kavaliersdelikt. Wer mit einem Truck über Land fährt, hat neben dem Lenkrad immer schußbereit seine Maschinenpistole stehen. Es gibt Strecken, die selbst ausgekochte Fernfahrer nur noch im Konvoi befahren. Außerdem, ich habe nie geglaubt, daß du dich mehr für die Smaragdsucher interessierst, als es ein Abenteuer wert ist.«

«Das Hospital in Penasblancas interessiert mich«, sagte Dr. Mohr nachdenklich.

«Peter!«Fachtmann sah Mohr entsetzt an.»Hast du Don Alfonso zugesagt?!«

«Unter bestimmten Bedingungen.«

«Du hast Bedingungen gestellt? Bei Camargo?!«Fachtmann starrte zur Decke empor und streckte die Arme aus.»Nein! Der Himmel fällt nicht 'runter! Es muß wahr sein.«

«Ich bekomme alles, was ich brauche«, sagte Dr. Mohr.»Aber was ich brauche, kann ich erst an Ort und Stelle feststellen. Und das will ich unbefangen tun. Ich fahre zunächst nicht als Arzt nach Pen-asblancas, sondern als neuer Guaquero. Ich will mich umsehen. Vielleicht baue ich das Hospital in Muzo oder Chivor? Dort jedenfalls, wo es zentral liegt und am meisten gebraucht wird.«

«Das ist Penasblancas. Vom gegenseitigen Auslöschen her gesehen auf jeden Fall. - Und Hamburg? Du hast doch nur drei Monate unbezahlten Urlaub genommen.«

«Ich werde Professor Harrenbroich schreiben und die Situation erklären.«

«Und Gabrielle?«

«Die werde ich um Verzeihung bitten.«

«Der edle Mensch von Penasblancas! — Othello, ich muß noch einen trinken.«

«Ich bin übrigens ab sofort Pedro Morero.«

«Wie bitte?«

«Pedro Morero.«

«Nicht Doktor?«

«Beim ersten Ausflug zu den Minen nicht.«

«Gestrichen!«Fachtmann sprang auf.»Peter, das lasse ich nicht zu! Gut, ich habe dich hierher gelockt. Aber neben dem Abenteuer war der Grundgedanke, daß du als Arzt zu den Guaqueros gehst. Erinnere dich. Ich habe gesagt: Es gibt für dich keinen besseren Panzer, als überall zu sagen: Ich bin Arzt! Das ist wie eine schußsichere Weste!«

«Stimmt! Aber ich fange mit dem Abenteuer an und verwandle mich erst später in einen Arzt.«

«Dazu bleibt dir keine Zeit mehr. Du wirst gar nicht erst bis Penasblancas kommen. «Fachtmann goß sich einen Whisky ein. Seine Hand zitterte dabei.»Warum hat Camargo nicht schon längst ein Hospital gebaut, wenn er seine Schürfer so hochpäppeln will?«

«Er hat keine Ärzte dafür gefunden. «Dr. Mohr nippte an seinem heißen Tee, der nach fremdartigen Blüten schmeckte. Ein Hauch von Jasmin war auch darin.»Sie hatten alle Angst.«

Eine Woche später startete Dr. Mohr, der jetzt Pedro Morero hieß, zu seiner Fahrt in die Kordilleren. Allein. Ewald Fachtmann, der drei Tage mit sich gerungen hatte, ob er seinen Freund begleiten sollte, kapitulierte schließlich doch.»Meine Feigheit«, sagte er ehrlich.»Ich hab's dir schon erklärt, Othello. Große Fresse ist nicht gleichbedeutend mit großem Mut. Außerdem habe ich meine Aufgabe bei H. Strothfeld, Pharmazeutische Werke. Bin froh, diesen Direktorposten erobert zu haben. Hier bin ich mein eigener Herr.«

Dr. Mohr hatte sich aus Beständen des kolumbianischen Militärs einen alten amerikanischen Jeep gekauft und neu lackiert. Er wählte dafür eine erdbraune Farbe, fuhr den Jeep aus Bogota hinaus und stellte ihn an eine mit Büschen bewachsene Bergwand. Schon nach zehn Schritten war der Geländewagen als Auto nicht mehr erkennbar. er verschmolz mit seiner Umgebung. Fachtmann, der ihn dabei begleitete, schüttelte den Kopf.

«Halte die alten Profis in den Minen nicht für Kretins«, sagte er.»Die erkennen eine Baumschlange, auch wenn sie ruhig wie eine Liane herunterhängt und genauso aussieht. Außerdem: Mit einem Jeep bist du immer verdächtig. Ein echter Guaquero trampt, geht zu Fuß, reitet im Glücksfall auf einem Muli, und an der ersten Station — wenn er sie überhaupt erreicht — steigt er in den Bus. Aber selbst dort ist er nicht sicher. Da stehen sie so dicht an dicht, daß keiner umfallen kann. Nachher aber, in Bogota angekommen, ist es schon vorgekommen, daß jemand plötzlich umfiel, als sich das Gedränge lichtete, und mausetot war. Stich in den Rücken, oberhalb des ersten Lendenwirbels. Absolut und sekundenschnell tödlich. Natürlich fehlte dem Mann sein zusammengeknotetes Taschentuch mit den Smaragden. Ausbeute vielleicht eines halben Jahres Schwerstarbeit.«

Dr. Mohr ließ sich nicht davon abbringen, mit dem Jeep zu fahren. Er stellte sich die erste Ausrüstung zusammen: ein Zelt, Gaskocher mit Gasflaschen, ein paar kräftige Ersatzstiefel, zwei große Hüte aus geflochtenem Stroh, einige Hemden und einen großen metallenen Koffer, den er mit den nötigsten Medikamenten, Verbandszeug und Ampullen füllte. Hinzu kam ein chirurgisches Notbesteck, wie sie es auch in den Notarztwagen in Deutschland hatten. Alle Rechnungen schickte er an Don Alfonso.

Einen Tag vor seiner Abfahrt brachte ein Taxifahrer ein Paket zu Fachtmanns Haus. Er sagte, ein unbekannter Mann habe ihm das Paket mit dem Auftrag gegeben, es hierher zu bringen. Die Fahrt sei bezahlt. Gut bezahlt. Der Taxifahrer grinste zufrieden und brauste davon. Fachtmann trug das Paket ins Haus, als enthielte es eine Bombe.

«Für dich, Othello. «Er legte das Paket auf den Rand des Schwimmbeckens.»Wir können es ins Wasser werfen oder hinten im Garten in die Luft sprengen.«

Dr. Mohr kletterte aus dem Swimming-pool und setzte sich neben das Paket.»Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: wir schnüren es einfach auf.«

«Und jubeln stückweise in die Luft!«

«Warum? Wer sollte ein Interesse daran haben, uns explodieren zu lassen? Ewald, deine Feigheit nimmt pathologische Formen an. «Er löste den leichten Knoten, wickelte das Papier ab und öffnete den Karton, der zum Vorschein kam. Fachtmann starrte ungläubig in das Paket.

«Eine Aktentasche. Gutes, schwarzes Leder mit zwei Klappverschlüssen. «Er nahm sie aus dem Karton und wunderte sich.»Die ist voll. Und schwer ist das Ding! Ha, da hat sich jemand einen dämlichen Scherz erlaubt. Die Tasche hat zwei Löcher. Da!«Er zeigte auf ein kreisrundes Loch an der Schmalseite und auf ein größeres Loch auf der Rückseite der Tasche. Es war eine Umhängetasche. Ein breiter Lederriemen mit Schulterschutz war in zwei goldfarbene Metallösen gehakt.»Wetten, da sind Steine drin! Wer will mich da auf'n Arm nehmen?!«

«Das Paket ist an mich adressiert«, sagte Dr. Mohr. Er nahm die lädierte Tasche und ließ die Klappschlösser aufschnappen.»Ich ahne etwas. Paß mal auf!«

Der Deckel klappte auf. Im Inneren der Tasche, in den Deckel eingebaut und durch geformte Hölzer gut und wackelfrei verklotzt, schimmerte das schwarze Metall einer kurzläufigen, sehr handlichen Maschinenpistole. Auffallend war das lange Magazin, bereits eingerastet, schußbereit. Quer dazu, in dem freien Raum unter Abzug und Lauf, waren zwei Ersatzmagazine festgeklemmt. Genug, um sich im Notfall den Weg freizuschießen. Jetzt waren auch die beiden Löcher erklärbar: An der Schmalseite der Aktentasche ratterte der Tod heraus. Das größere Loch auf der Hinterseite war gerade so groß, um den Zeigefinger hindurchzustecken und den Abzug zu betätigen.

Eine schöne, lederne Aktentasche, die man über die Schulter hängen konnte. Harmlos, lässig, elegant, bequem. Und unstehlbar! Der Druck eines Zeigefingers genügte.

«Don Alfonsos Abschiedsgeschenk«, sagte Fachtmann dumpf.

«Stimmt. Hier ist ein Zettel: Gute Fahrt! — Keine Unterschrift.«

«Er muß dich erstaunlicherweise sehr mögen.«

«Wieso erstaunlich?«

«Bisher hat noch niemand berichtet, daß Don Camargo sich für etwas anderes interessiert als für Smaragde. Für Menschen jeden-falls nie!«

«Ich bin für ihn auch kein Mensch«, sagte Dr. Mohr, klappte die Maschinenpistolen-Umhängetasche wieder zu und ließ die Verschlüsse zuschnappen.»Für ihn bin ich zur Zeit noch der größte Smaragd auf zwei Beinen. Ich gebe mich da gar keiner Illusion hin. Und ich weiß auch, daß ich abspringen muß, wenn meine Zeit in Camar-gos Augen herum ist. Das ist der kritischste Punkt im ganzen Unternehmen. Vor den 30.000 Guaqueros fürchte ich mich nicht.«

Am Abend übte Dr. Mohr das Schießen aus der Aktentasche. Es klappte vorzüglich. Sogar der Rückstoß war durch Schaumgummipolster weitgehend vermindert. Die Munition war höllisch: ein Panzergeschoß mit Sprengladung. Ewald Fachtmann mußte drei Sy-komorenbäume an seinem Parkteich opfern. Die Geschosse zerfetzten sie glatt.

«Mein Gott, was bleibt da von einem Menschen übrig«, sagte Dr. Mohr heiser.»Wo und wie soll ein Arzt da noch helfen?«

Nun war es also soweit. Militärisch hätte man gesagt: Der Tag X war gekommen.

Dr. Mohr saß in seinem vollgepackten Jeep, die tödliche Umhängetasche neben sich, im stählernen Halter des Wagens, neben sich, griffbereit, ein Schnellfeuergewehr. Um die Hüften, an einem breiten, mit Metallknöpfen in Hollywood-Cowboy-Art beschlagenen Ledergürtel hingen ein beidseitig geschliffenes Messer und ein Revolver in einem offenen Halfter.

«Revolver ist besser als Pistole!«hatte der Waffenhändler gesagt.»Pistolen haben zu oft Ladehemmung, Revolver aber sind immer bereit!«

Selbst das hatte Don Alfonso durch seine umfassenden Verbindungen erreicht: Dr. Mohr konnte offiziell Waffen kaufen — ein Polizeioffizier brachte ihm unaufgefordert einen Waffenschein in Facht-manns Haus — und das staatliche Hospital von Bogota lieferte eine große Rot-Kreuz-Fahne, die Dr. Mohr mit Bindfäden über den Kühler des Jeeps spannte. Allerdings nur, bis er die Straße nach Muzo erreicht hatte. Dann wollte er die Fahne einrollen und als Pedro Mo-rero weiter in die Kordilleren fahren.

Der Abschied von Freund Ewald war kurz. Sie drückten sich die Hand, Mohr ließ den Motor an, und Fachtmann lief ein paar Meter nebenher, solange der Jeep nur rollte.

«Verfluch mich nicht!«rief er und klopfte Mohr auf den Rücken.»Und wenn es irgendwie möglich ist, gib einen Laut, Othello! Ein arbeitendes Postamt gibt's in Penasblancas nicht. Wer sollte von dort Ansichtskarten schreiben? Außerdem sind die meisten dort Analphabeten. Othello, und wenn du ein hübsches Mädchen siehst in Penasblancas, geh immer mit 'nem entsicherten Revolver ins Bett! Und noch eins.«

Mohr gab Gas, die nächsten Sätze zerhackte der alte Jeepmotor. Fachtmann redete noch weiter, stand einsam auf der Straße und blickte dem hüpfenden Wagen nach. Er mußte reden, Dampf ablassen, den Druck in seiner Brust loswerden.

«Komm wieder, Othello«, sagte er endlich. Der Jeep bog um die Ecke und verschwand.»Komm mit zwei Armen und zwei Beinen wieder.«

Die Straße nach Muzo, der >Smaragd-Stadt<, ist ein paar Kilometer außerhalb Bogotas noch eine vernünftige Straße mit einer festen Decke. Omnibuslinien verbinden die Außenbezirke mit der Hauptstadt, in denen vor allem die Arbeiter der Erdölfirmen leben. Seitdem man in Kolumbien große Erdölvorkommen entdeckt hatte und ein sagenhafter Reichtum über eine Minderheit der Bevölkerung hereinbrach, wurden auch einige Slums eingeebnet und nach amerikanischem Muster Siedlungen gebaut. Riesige Bienenwaben, in denen die Menschen wie überdimensionale Insekten leben und sich nach ihren Hütten aus Steinen, Lehm und Blechdächern aus alten Benzintonnen sehnen. Dort hatten sie ihre Hühner, ihre Ziegen, ihre Karnickel und ihre Ratten. Auch Ratten kann man essen. Ernährungswissenschaftler der UNO haben festgestellt, daß Rattenfleisch den gleichen Nährwert wie Rindfleisch hat, aber einen niedrigeren

Fettgehalt. Sehr gut für einen ausgeglichenen Cholesterinspiegel. Auch Affen- und Schlangenfleisch empfehlen sie als genießbar und gesund. Ein Aufruf an die hungernden Menschen der Dritten Welt. Ein UNO-Beitrag der zivilisierten Welt.

Wo die ausgebaute Straße nach Muzo aufhört und übergeht in eine typische südamerikanische Piste durch Urwald und Gebirge, dort, wo es auch keine Haltestelle der Omnibusse mehr gibt, seitdem Muzo eine tote Stadt geworden ist, nur noch bevölkert von Abenteurern, Militär und Polizei, Spielsalons und Bordellen, Umschlagplatz für das illegale Millionengeschäft mit den kleinen grünen Steinen, dort also, wo der >blutige Weg zu den grünen Sonnen< beginnt, stand ein Mann am Straßenrand und hob nach guter, internationaler Manier den Daumen in die Höhe, als Dr. Mohrs Jeep von weitem sichtbar wurde.

Mohr hatte die Rot-Kreuz-Fahne bereits abgenommen. Nachdenklich musterte er den winkenden Mann an der Straße, rückte den Revolver im offenen Halfter griffbereit näher zum Bauch und bremste. Der Mann sah wild aus. Ein schwarzer Vollbart überwucherte sein Gesicht. Der schlanke, aber nicht dürre, vielmehr ziemlich muskulöse Körper steckte in einem uralten, fleckigen, vielfach geflickten und einmal weißen, jetzt grauen Leinenanzug. Um den Hals hatte er ein Tuch gebunden, den Kopf bedeckte der typische, breitrandige, geflochtene Hut. Auch dieser war an manchen Stellen eingerissen. Ein grüner Seesack und eine umgehängte ehemalige Militärtasche aus Segeltuch waren das ganze Gepäck der abenteuerlichen Erscheinung.

Der Mann trat an den Jeep, lehnte sich an den Kühler und sah Mohr mit einem breiten Lächeln an.

«Warum halten Sie?«fragte er.

«Warum nicht? Sie haben den Daumen hochgehalten.«

«Das mache ich seit drei Stunden. Bisher hat keiner gebremst. Einer hat mich sogar im Vorbeifahren beschossen. Einfach so. Aber bei schnellem Fahren kann man nicht gut zielen. «Er warf einen Blick auf Mohrs Bauch und grinste breit.»Auch schußbereit, was? Gute

Kanone, die Sie da haben. Ganz neu! — Nehmen Sie mich mit?«

«Wohin?«fragte Dr. Mohr verschlossen.

«Wo fahren Sie hin?«

Der Mann setzte sich auf den Nebensitz, nachdem er um den Jeep gegangen war. Mit der Hand klopfte er gegen das Schnellfeuergewehr in der Halterung.

«Die ist gut!«fügte er hinzu.»Aber anfällig gegen Feuchtigkeit. Muß immer trocken sein. Wo Sie hinwollen, ist aber viel Wasser. Bergbäche, Regenwälder, überflutete Höhlen.«

«Wo will ich denn hin?«fragte Mohr wortkarg.

«Wo wir alle hinwollen, Camarada. «Der Mann hielt seine Hand hin. Erstaunlicherweise hatte er keine dreckigen, schwieligen Hände. Sie wirkten eher gepflegt. Glatthäutig.»Ich heiße Cristobal Mon-tero.«

«Pedro Morero.«

«Ist das ein Zufall!«jubelte der Bärtige.»Morero — Montero! Wir müßten gut zusammenpassen! Natürlich fahren Sie nicht nach Muzo, sondern nach Penasblancas. Nehmen Sie mich mit?«

«Sie sitzen ja schon neben mir.«

«Sie könnten mich wegfeuern! Ich kann Ihnen nicht antworten, da ich unbewaffnet bin.«

«Und da wollen Sie nach Penasblancas? Sind Sie ein Irrer?«

«Nicht direkt! — Ich bin Priester.«

«Bravo!«Dr. Mohr lachte laut. Er schlug in die hingestreckte Hand ein, drückte sie und war versucht, ebenfalls seine Identität preiszugeben. Im letzten Augenblick verwarf er den Gedanken. Nein, bleib, was du sein willst: Pedro Morero, ein Glückssucher, ein Abenteurer, ein künftiger Guaquero. Den Deutschen sieht dir keiner an. Dein Spanisch ist gut. Tauche ein in die fremde Welt, ins letzte große Abenteuer dieser Erde.»Ein Pfaffe!«

«Vom Orden der >Grünenden Dornenkrone<.«

«Die werden Sie nötig haben, Don Montero. Wollen Sie unbedingt Märtyrer werden, Pater?«Er zeigte auf den am Straßenrand stehenden Seesack.»Steigen Sie aus und machen Sie's wie Ihr Gepäcksack: Kle-ben Sie am Boden!«

«Und Sie?«Pater Cristobal lehnte sich auf dem stählernen Jeepsitz zurück.»Was soll ich Ihnen raten? Rückkehr ins Bett einer schönen Senorita?«

«Hui! Das sagt ein Priester?!«

«Wir kennen die Welt. «Der Pater sah Mohr ernst an.»Sie sind kein Smaragdsucher.«

«Du lieber Gott, woran sieht man das?!«

«Sie haben noch viel zuviel Zivilisation an sich hängen! Aber das ändert sich schnell! — Was treibt Sie nach Penasblancas?«

«Smaragde! Ich will anfangen, zugegeben, aber ich habe große Chancen in den verlassenen Minen.«

«Das sagen alle und verwandeln sich in kurzer Zeit in Ratten.«

«Ich bin Geologe. Ich suche gezielt.«

«Die anderen zielen auch. Mit Revolvern und Gewehren, Messern und Macheten.«

«Und Sie, Sie kluger Pfaffe?«sagte Mohr ziemlich grob.»Wenn Sie zum erstenmal das Kreuz heben, heißt das für die anderen: Feuer! Sie exekutieren sich selbst, Pater.«

«Irrtum! Da hinten in den Bergschluchten und Wäldern, an den Wildwassern und Höhlen, auf den Straßen und in den Saloons wird täglich gemordet. Und dann geschieht ein Wunder: Jemand geht hin und legt dem Toten ein Kruzifix auf die Brust. Und wenn er in der Erde liegt, steht ein Kreuz über ihm, und wenn's ein schiefes Kreuz aus Krüppelholz ist! Es ist ein Kreuz!«Pater Cristobal stieg aus, wuchtete seinen Seesack in den Jeep, knallte ihn auf Mohrs Aluminium-Arztkoffer und schwang sich wieder auf den Sitz.»Los geht's, Pedro Morero! Bin froh, daß gerade Sie gehalten haben. Ich ahne es: Sie haben mich nötig!«

«Ich bin aus der Kirche ausgetreten, Pater!«knurrte Mohr.»Wegen Unglaubwürdigkeit der Predigten.«

«Recht hatten Sie, Pedro. Es ist schlimm, als Satter für Satte zu predigen. Aber wohin wir jetzt kommen, sind Verhungerte, körperlich und geistig, und wenn sie es auch nie sagen: Gott ist ihnen nahe.«»Beim Morden.«

«Eben! Sie glauben an Gott, weil ihr Leben so kurz und täglich in Gefahr ist.«

Mohr nickte. Er hat recht, dachte er. Darum fahre ich ja auch hin. Ein Priester und ein Arzt, sie haben vieles gemeinsam. Fast jeder braucht den einen oder anderen einmal in seinem Leben. aber die wenigsten danken es ihnen.

«Sie haben mich überzeugt«, sagte er und fuhr an.»Außerdem ist es besser, wenn vier Augen die Straße beobachten. Können Sie schießen?«

«Ich habe es an Spielkarten geübt.«

«Spielkarten?«

«Eine in die Luft werfen, abdrücken. Wenn das Loch mitten in der Karte sitzt, können Sie schießen.«

«Hervorragend. Ich bekomme ein ganz anderes Kirchenbild.«

«Halten Sie an!«

Mohr bremste scharf. Sein Kopf flog herum.»Was haben Sie, Pater?«

«Nichts. «Cristobal Montero hielt Mohr wieder die Hand hin.»Lassen Sie uns Du zueinander sagen. Sag einfach Cris zu mir.«

«Pedro oder Pete.«

«Pete. «Pater Cristobal nahm das Schnellfeuergewehr aus der Halterung und klemmte es zwischen seine Beine.»Jetzt weiter, Pete! Ich glaube nicht, daß wir Penasblancas heute noch erreichen. In der Nacht möchte selbst ich allein mit Gottes Hilfe nicht fahren.«

«Ich fahre.«

«Nachts ins Gebirge?«

«Wenn du Angst hast, Cris, bete zu deinem Chef.«

«Der unterstützt keine Verrücktheit! Vergeblich!«

«Dann halte dich an das Gewehr. Cris, mein Pfäfflein, ich glaube wirklich, wir passen gut zueinander.«

Nach einer Stunde gab es einen neuen Halt. Hinter ihnen tauchte ein Wagen auf, näherte sich sehr schnell und erwies sich als ein großer Geländewagen, der mit Vollgas über die Todesstraße preschte. Warum man sie so nannte, konnte sich Mohr noch nicht erklären. Bisher waren sie fast allein gewesen, abgesehen von vier Maultiertreibern, die bei ihrem Anblick sofort in den Wald sprangen und in Deckung gingen.

«Die haben es fast geschafft«, sagte Pater Cristobal.

«Vier Smaragdsucher. Sie denken, wir seien Aufkäufer der Großhändler und wollten uns auf ihre Funde stürzen. Man kann nämlich auch so >einkaufen<. Wer sieht's den Smaragden später an? Ihr leuchtendes Grün läßt nie den Gedanken an rotes Blut aufkommen.«

Der schnelle Geländewagen überholte die beiden Männer in ihrem Jeep, bremste vor ihnen und zwang sie, ebenfalls anzuhalten. Dr. Mohr trat auf die Bremse und riß gleichzeitig seinen Revolver heraus. Pater Cristobal hatte das Schnellfeuergewehr längst entsichert im Anschlag. Aus dem großen Wagen sprangen zwei Männer in Uniform. Ein Offizier der Armee und ein Offizier der Polizei. Ihre Maschinenpistolen an den Hüften kamen sie näher.

«Die Waffen weg!«brüllte der Armee-Offizier.»Hände hinter den Nacken! Aus dem Jeep raus! Aber schnell!«

Pater Cristobal legte das Gewehr weg, stieg aus und hob die rechte Hand.»Gott segne dich, mein Sohn!«sagte er laut.»Wenn du in Not bist, ich gebe dir ein Heiligenbildchen.«

«Ein Verrückter!«schrie der Offizier dem anderen zu.»Und du da? Weg vom Steuer!«

Auch Dr. Mohr stieg aus und kam langsam näher.»Wie kann man einen friedlichen Tag so vermiesen?«fragte er.»Ich dachte, ich befinde mich hier auf einer Straße in die Freiheit?!«

«Noch ein Verrückter!«brüllte der Offizier.»Namen!«

«Pater Cristobal Montero.«

«Geologe Pedro Morero.«

«Auf dem Wege nach Penasblancas.«

«Mit einer Erlaubnis des Innenministers.«

«Scheiße!«sagte der Offizier und senkte den Lauf der Maschinenpistole.»Ich bin Luis Gomez. Major der Armee. Ich soll das II. Bataillon in Muzo übernehmen.«»Felipe Salto!«Der andere Offizier, in Polizeiuniform, machte eine knappe Verbeugung.»Leutnant. Abkommandiert als neuer Polizeichef von Penasblancas.«

«Welch eine illustre Versammlung!«lachte Pater Cristobal.»Meine Herren, wir sollten jetzt sofort am Straßenrand einen Gottesdienst abhalten. Drei von Ihnen laufen Gefahr, bald leblos auf dem Rücken zu liegen. Polizeichef von Penasblancas — Leutnant, ist Ihnen klar, was das bedeutet?«

«Ja!«Felipe Salto, ein kleiner, drahtiger Mann mit einem Schuß Indianerblut, ansonsten stolzer Nachkomme seiner spanischen Eroberer, nickte.»Ordnung!«

«Amen!«Pater Cristobal schlug ein Kreuz.»Wie fahren wir nun?«

«Gemeinsam!«schlug Major Gomez vor. Er war groß und stark wie ein andalusischer Bulle.

«Nach Penasblancas also?«

«Ja! Geradenwegs!«

«Ich glaube, man hat uns alle ganz gewaltig in den Hintern getreten«, sagte Dr. Mohr.»Sie mit Ihren Versetzungen, wir mit unserer freiwilligen Gegenwart. Irgendwie sind wir verrückt, so offiziell einzumarschieren!«

«Vorschlag!«rief Pater Cristobal.»Wir nennen uns >Die idiotischen Vier<. Bedenkt: Gott ist bei denen, die schwach im Geiste sind.«

«Daß Gott mir das antut: einen Pater in meinem Bezirk!«

Major Gomez schlug die Hände zusammen.»In die Wagen! Ich funke zu meinem Bataillon, daß ich erst morgen in Muzo eintreffe und in Penasblancas übernachte.«

«Ihre Männer werden sich bereits zur Trauerfeier rüsten!«sagte Cristobal.»Wer fährt vor?«

«Sie!«Polizeileutnant Salto grinste breit.»Gott ist immer der erste.«

Sie trafen gegen Mitternacht in Penasblancas ein.

Das erste kleine Wunder hatte sich vollzogen: Niemand belästigte die beiden Wagen auf der Fahrt. Niemand beschoß die Insassen. Keine Straßensperre hielt sie auf. Es lag eine seltsame Ruhe über der Berglandschaft und in den von Urwald überwucherten Niederungen und Schluchten. Selbst die vielstimmigen Nachtgeräusche der Wildnis schienen verstummt. Mit in der Stille geradezu donnernden Motoren rumpelten die beiden Autos durch die von Schlaglöchern übersäten Straßen in die Stadt.

Wenn man Penasblancas eine Stadt nennt, sind die Slums von Rio oder Hongkong eine Anhäufung königlicher Paläste. Natürlich gibt es Häuser in Penasblancas. Flach gebaut wie zur Zeit der Siedler im amerikanischen Westen, Holzschuppen, den alten Goldgräbersiedlungen wie am Sacramento in Kalifornien oder am Klondike in Alaska ähnlich. Es gab ein paar Straßen aus festgestampfter Erde, an denen das Magazin lag, die Polizeistation, ein paar Läden, Werkstätten, Schuppen und ein großer Bau, dessen beleuchtetes Schild >Bar and Dancing< grell in die Nacht leuchtete.

Überhaupt Licht!

Als die Minen stillgelegt wurden, schnitt man auch Penasblancas den Strom ab. In Muzo gab es noch Elektrizität, desgleichen in Chi-vor und Cozques, überall, wo Militär stationiert war. Die Generatoren in Penasblancas jedoch hatte man stillgelegt. Bis auf geheimnisvolle Weise eines Tages dann doch wieder das Licht anging, wenn auch nur im >Stadtinneren<. Monteure flickten die Leitungen, brachten die Generatoren, mit Benzin betrieben, wieder in Gang, und Christus Revaila, der große Orts-Boß, der mit seiner Leibwache herumzog und Penasblancas als seinen Besitz betrachtete, ließ verkünden, daß jeder, der Licht aus der Leitung haben wollte, dafür Pesos bezahlen müsse. Da wußte man, von wem die Wohltat in die Berge gekommen war. Der große Don Alfonso.

Ein halbes Jahr herrschte Anarchie. Man versuchte, heimlich die Leitung anzuzapfen und eine Strippe in seine Berghöhlen zu ziehen, in die Waldhütten, in die Erdwohnungen der Ärmsten der Armen unter den Guaqueros. Christus Revaila unterband solch, seiner Meinung nach, unfeines Tun sehr schnell. Neun Stromdiebe wur-den erschossen, und siehe da, die anderen klemmten schnell ihre heimlichen Leitungen wieder ab. So kam es, daß einige Straßen in Penasblancas Licht hatten, strahlendes Licht, und direkt daneben die tiefe Nacht begann. Teilweise fehlte sogar das Schummerlicht der Kerzen und Petroleumlampen, und es herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Hier lebte man von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Nur in den Bergen selbst loderten noch, wie in Urzeiten, die Feuer und gaben Wärme, Licht und Schutz. Dort wohnten Tausende in blättergedeckten Hütten, in ausgebauten Höhlen, auf vorspringenden Plateaus, Vogelnestern gleich. Familien mit neun, zehn Kindern, Hühnern, Schweinen, Ziegen, Mulis, menschliche Termiten, die in den Bergfalten herumkriechen, Tag und Nacht hämmern und bohren und sich in den Fels fressen: Smaragde! Smaragde!

Der Traum vom Reichtum.

In Penasblancas war man auf den Neuzugang vorbereitet. Das Nachrichtensystem funktionierte einwandfrei. Unsichtbare Wächter, die die vier ahnungslos passiert hatten, gaben per Funk durch:»Es kommen Fremde. Militär. Nur zwei Wagen. Sollen wir sie in die Luft jagen?«

Christus Revaila stoppte die sonst übliche Begrüßung, von der genug Kreuze am Straßenrand zeugten.»Passieren lassen!«brüllte er in sein Funkgerät.»Wehe, wenn etwas in die Hosen geht! Das sind besondere Kerle.«

Die >idiotischen Vier< hielten dort an, wo sie hingehörten: vor der Polizeistation. Die vier, bisher verwaisten Polizisten standen in der Tür und salutierten. Sie trugen Uniform, nach sieben Wochen zum ersten Mal wieder. Vor sieben Wochen genau war nämlich ihr Chef durch einen rätselhaften Messerwurf in den Rücken aus dem Dienst geschieden. Ansonsten war die Straße leer. Nur aus der >Dancing Bar< tönte laute Musik. Amerikanischer Rock.

Dr. Mohr sah sich um. Das darf nicht wahr sein, dachte er. Das ist aus einem alten Hollywood-Film! Eine verkommene Stadt, rundum in den Bergen Feuer und flimmernde Lichter, ein Tanzschuppen, vier einsame Polizisten, die trübe auf ihren neuen Chef blicken.

Gespenstisch ist das! Ein maskierter Vorhof zur Hölle.

«Eine friedliche Kleinstadt«, sagte er laut. Die vier Polizisten zuckten zusammen, als rattere eine Maschinenpistole los. Leutnant Salto seufzte, ging in sein neues >Polizeipräsidium< und kam schnell wieder heraus. Der Major, Kommandeur des II. Bataillons, welches ihn bereits nach der Nachricht, er wolle in Penasblancas übernachten, abgeschrieben hatte, blieb im Geländewagen sitzen. Pater Cristobal schielte auf die Tanzbar. Er ahnte ein reiches Missionsfeld.

«Was ist los?«fragte Dr. Mohr.

Leutnant Salto zeigte nach hinten.»Was ist das für ein Weib in der Zelle?«brüllte er.»Unterhält die Polizei hier einen eigenen Puff?! Das Mädchen weint.«

Dr. Mohr ging an den vier Polizisten vorbei und betrat die Polizeistation. Hinter dem großen Dienstzimmer war eine Tür geöffnet und ließ den Blick auf einen Zellentrakt frei. Zwei Zellen waren leer, in der dritten stand ein junges Mädchen, preßte das schmale Gesicht an die Gitter und weinte herzzerreißend. Als es Dr. Mohr sah, hob es den Kopf und atmete tief durch.

Dr. Mohr blieb ruckartig stehen. Eine Madonna, dachte er. Es ist saublöd, ich weiß es. aber das ist eine weinende Madonna. So hätte Velasquez eine Madonna gemalt, ein zartes, schmales Gesicht, umflossen von schwarzen Haaren, ein Gesicht, beherrscht von den Augen und dem Mund. Ein Gesicht, das von innen strahlen kann und selbst im Leid noch einen Glanz ausströmt.

«Weinen Sie nicht«, sagte Dr. Mohr und trat an das Eisengitter.»Wenn ich Ihnen helfen kann, brauchen Sie nicht mehr zu weinen.«

Das Mädchen nickte und starrte ihn ungläubig an. Zum erstenmal in ihrem Leben redete jemand sie mit >Sie< an; zum erstenmal sagte keiner >Na, kleine Hure!< oder >Verdammtes Bastardaas!< zu ihr.

Zum erstenmal war ein Mann höflich, ohne ihr sofort in die Bluse zu greifen.

«Ich heiße Margarita«, sagte sie und unterdrückte ein neues Schluchzen.»Ich habe nichts getan! Ich wollte nur meine Schwester besuchen!«

«Ich werde Ihnen helfen«, sagte Dr. Mohr mit merkwürdig belegter Stimme.»Verlassen Sie sich nur auf mich. Ich hole Sie hier heraus.«

Das Mädchen sah ihn mit großen erstaunten Augen an. Dr. Mohr warf ihr noch einen aufmunternden Blick zu, wandte sich ab und verließ den Zellentrakt.

Vor der Tür der Polizeistation schrie Leutnant Felipe Salto noch immer herum. Die Polizisten ließen es mit ergebenem und trübem Blick über sich ergehen. Er ist neu hier, dachten sie. Da ist man noch voll Idealismus und will alles ändern, besser machen, überall aufräumen. Das kennen wir, Camaradas, das verflüchtigt sich wie ein lauter Furz, das ist bei allen so, die hier nach Penasblancas kommen und staatliche Gewalt demonstrieren wollen. Nur zwei Dinge bleiben jedoch im Endeffekt übrig: Entweder man stellt sich um, sehr schnell und gründlich — dann lebt es sich auch in dieser Hölle verhältnismäßig gut, oder aber man bleibt stur und endet so wie der Vorgänger. Wer das Messer in seinen Körper geworfen hat, wird nie in Erfahrung gebracht werden, Camarada, brüll noch ein bißchen, das tut gut. Morgen, wenn die Sonne scheint, beginnt ein anderer Tag, auch für dich. Daß Penasblancas so friedlich aussieht, so verschlafen, so treuherzig — das ist nur, weil Christus Revaila den Befehl gegeben hat: Laßt die vier kommen und tut ihnen nichts. Laßt sie ins Leere laufen. Am Smaragdsuchen wird uns keiner hindern.

Pater Cristobal, der ein paar Schritte die Straße hinunter gegangen war und die >Dancing Bar< näher betrachtet hatte, kam zurück und beugte sich in den Geländewagen. Major Luis Gomez hockte noch immer auf dem Sitz, das Schnellfeuergewehr zwischen den Beinen.

«Was sagen Sie nun?«fragte Cristobal Montero.»Ein Städtchen mit friedlich schlafenden Bürgern. Ein paar schwingen das Tanzbein und besaufen sich. Dem Gekreische nach gibt es auch unterhaltsame Damen.«

«Die spielen uns hier ein billiges Stück vor«, knurrte Gomez.»Oder glauben Sie wirklich an diesen Frieden, Pater? Hätte man uns hier mit Feindschaft empfangen — gut, damit habe ich gerechnet, das wäre normal gewesen. Aber diese Ruhe?! Das ist ja direkt pervers! Sehen Sie sich nur um, dort in den Bergen, überall diese Lichter und offenen Feuer! Da sitzen Tausende in den Felsen! Da warten ganze Regimenter auf uns vier!«

Dr. Mohr trat aus der Polizeistation und ging auf Felipe Salto zu.

«Da drinnen ist ein Mädchen, das weint!«rief er. Die vier Polizisten zogen die Köpfe ein.

«Ich weiß es!«schrie Leutnant Salto.

«Man hat sie völlig unschuldig eingesperrt.«

«Unschuldig ist hier keiner! O Madre, reden Sie in Penasblancas nie von Unschuld. Ich weiß, Pedro, das Mädchen ist hübsch! Habe es mit einem Blick gesehen. Darum verhöre ich auch meine vier Knaben!«

«Sie wollte nur ihre Schwester besuchen.«

«Das glauben Sie?«

«Ja.«

«Nur, weil sie weint und Sie mit ihren Schafsaugen anwimmert?! Mein lieber Freund — hier gibt es nur Gauner! Vom ersten Lebensschrei bis zum letzten Seufzer. Einschließlich der Polizei!«Er wandte sich wieder seinen vier Polizisten zu und brüllte:»Wer hat die Kleine für sein Bett geholt?! Antwort!«

«Komm«, sagte Pater Cristobal und hakte sich bei Dr. Mohr unter.

«Wohin?«

«Da hinüber in den Tanzschuppen. Mich reizt die Musik.«

«Und das Frauengekreische.«

«Auch.«

«In der ersten Nacht schon eine Bibelstunde? Das kann ja heiter werden!«Dr. Mohr schüttelte den Kopf.»Mich interessiert das Schicksal dieser Margarita viel mehr.«

«Sie wird entlassen!«schrie Leutnant Salto.»Natürlich kommt sie heraus!«Er hatte aus seinen vier Polizisten wenigstens einen Teil der Wahrheit herausgebrüllt.»Sie sagen, Christus Revaila habe befohlen, die Straßen zu meiden. Da tauchte dieses Mädchen auf, und um mit Christus keinen Krach zu bekommen, haben sie die Kleine eingesperrt. Pater, das wäre doch Ihr Fall. Ein Obergangster, der Christus heißt. Himmel, verzeih mir, das ist keine Lästerung, aber der Kerl heißt nun mal so.«

«Ich werde mich um diese Kleinigkeiten der Reihe nach kümmern. «Pater Cristobal zog es zur >Dancing Bar<.»Wo wohnen wir überhaupt?«

«Zunächst bei mir!«sagte Leutnant Salto.»Major Gomez fährt morgen weiter nach Muzo. Dann sehen wir weiter. Der Pater wird es am einfachsten haben: Der ganze Himmel ist sein Zelt!«

«Gehen wir. «Cristobal Montero knöpfte seine geflickte, dreckige Leinenjacke zu und stapfte die Straße hinunter zur >Bar<. Dr. Mohr zögerte, dann folgte er mit langen Schritten und holte den Pater vor der Tür des anscheinend größten und höchsten Hauses von Penasblancas ein. Es hatte eine Fassade aus weißlackiertem, geschnitztem Holz, war drei Etagen hoch und nach altem spanischem Baustil mit einigen kleinen Balkonen verziert.

Der Bar gegenüber, hinter einer Jalousie, hockte ein Mann im Dunkeln und meldete per Sprechfunk:»Jetzt gehen zwei in den Tanzschuppen. Was nun?«

Christus Revaila, der Empfänger des Funkspruches, starrte entsetzt an die Wand.

«Sind die denn verrückt?«sagte er heiser.»Sofort zu Mercedes?«

«Einer mit Bart, und ein kräftiger Bursche mit schwarzen kleinen Locken.«

«Das ist er!«

«Wer?«

«Dem keine Locke mehr gekräuselt werden darf. «fauchte Revaila.»Ich rufe Mercedes an.«

«Zu spät. Sie gehen ins Haus!«

Christus Revaila warfsein Funkgerät weg, sprang aus dem Sessel, klemmte einen Revolver in den Hosenbund und verließ schnell sein Haus. Er hatte es nicht weit bis zur >Bar<, aber er befürchtete, daß jetzt der Weg zu lang war, um zu verhindern, was sich gerade anbahnte.

Pater Cristobal und Dr. Mohr stießen die Tür auf und traten ein. Ein Faustschlag aus geballter Musik traf sie. Aus allen Ecken dröhnten Lautsprecher. Eine Art Portier, der hinter der Tür stand, bullig, breitschultrig, mit eingeschlagenem Nasenbein, glotzte sie dümmlich an. Er wußte nicht, was er tun sollte. Ein Besuch der Neuen in der >Bar<, gleich in der ersten Stunde, stand nicht auf dem Programm, das Christus Revaila verkündet hatte. Wer konnte mit so etwas rechnen?

«Aha!«sagte der Portier hilflos.»Da seid ihr ja.«

«Gott segne dich, mein Sohn!«antwortete Pater Cristobal und schlug das Kreuz über die Brust des völlig Verblüfften.»Kannst du singen?«

«Ja.«, stammelte der Portier.

«Gut?«

«Man. man kann's sich anhören.«

«Dachte ich mir. Du hast einen guten Ton in der Stimme! Ab nächsten Sonntag bist du Vorsänger in der Kirche.«

«Maria.«, stammelte der Portier. Pater Cristobal nickte freundlich.

«Sie wird dir helfen, Bruder. Du hast recht.«

An dem völlig Sprachlosen vorbei betraten sie das Tanzlokal. Es war ein riesiger Raum mit vielen runden Tischen und einfachen, mehrfach geflickten Stühlen, was bewies, daß man hier Diskussionen mit Stuhlbeinen unterstrich. Auf einigen Tischen lagen sogar Deckchen. Eine Wand wurde von einer den Raummaßen angepaßten gewaltigen Theke beherrscht, hinter der nicht, wie sonst, Regale mit Flaschen oder Gläsern standen, sondern nur die mit indianischen Motiven bemalte Wand bunt und durch von an der Decke angestrahlten Scheinwerfern in den Saal strahlte. Das Auffälligste war die Theke selbst. Sie war verkleidet mit ebenfalls bemalten Stahlplatten. Die Nieten waren deutlich zu sehen und stellten sogar ein künstlerisches Element dar.

«Ein Panzer!«sagte Pater Cristobal sinnend.»Das ist keine Theke, Pedro, das ist ein Panzer! Wer dahinter in Deckung geht, kann nur mit Granaten hervorgelockt werden. «Er ging zu einem der Tische, den ein lustiges Deckchen bedeckte, lächelte die Männer, die daran saßen, wortlos an und zog die Decke weg. In der Tischplatte saßen ein paar häßliche Löcher, die sicherlich nicht der Ventilation wegen hineingebohrt worden waren.

«Das ist alles gespenstisch«, sagte Dr. Mohr leise.»Die Zeit ist zurückgedreht: Leben wir im Wilden Westen?!«

«Ja!«

«Mit allen Zutaten.«

«Nur modifiziert!«

«Und das ist weitaus gefährlicher.«

«Warten wir es ab. «Pater Cristobal ging auf die Theke zu. Getreu allen Anordnungen von Christus Revaila kümmerte sich keiner um sie. Auf dem Holzparkett tanzten die Paare mit wilden Zuckungen und Verrenkungen, die Menschen an den Tischen sahen zu oder unterhielten sich, an der Bartheke hockten ein paar Trinker und schlugen den Takt der Musik mit den Stiefelspitzen gegen die Panzerplatten. Es waren verwegene Gestalten, kräftig, aber von der Arbeit in den Minenstollen ausgemergelt, lederhäutig, mit merkwürdig großen, glänzenden Augen.

Peyotl-Saft, dachte Dr. Mohr. Oder Cocablätterkauen. Oder Tuberkulose, Vitaminmangelerscheinungen. Kinderaugen in Greisen-köpfen.

Einen Meter vor der Theke wurden sie aufgehalten. Nicht, daß man sie festhielt oder hinderte, anrief oder sich ihnen in den Weg stellte, nein, sie blieben ruckartig von selbst stehen. Eine Erscheinung, die von der Seite kam, machte es unmöglich, gelassen weiterzugehen. Aus einer kleinen Tür neben der Theke trat eine hochgewachsene und ziemlich fleischige Frau. Mit hochgesteckten, schwarzen Haaren, einem ehemals bestimmt faszinierenden Gesicht, welches nun etwas verquollen und in die Breite gelaufen war, und in dem die Augen steckten wie zwei eben ausgeglühte Kohlenstücke.

Sie trug eine Bluse aus gelber Seide über ihrem mächtigen Busen, einen bis zu den Knöcheln reichenden Rock aus geblümtem Cotton und darunter, man sah es beim Gehen deutlich, hohe Stiefel. Um die Taille aber, und das unterschied sie besonders von den anderen Frauen, trug sie einen breiten Ledergürtel, an dem in zwei offenen Halftern die Griffe von zwei Revolvern schimmerten. Die Frau hatte einen männlich-festen Gang und brauchte sich durch die Menge ihrer Gäste gar nicht erst einen Weg zu bahnen. Es bildete sich eine Gasse, die sich hinter ihr wieder schloß.

«Aha!«sagte Dr. Mohr leise.»Die >Grande Dame< des Etablissements. Mütterchen Puff. Cristobal, aus welcher Ecke kommt jetzt John Wayne?! Das ist doch Hollywood!«

«Das ist Penasblancas, Pedro. Wo Menschen sind, wiederholt sich alles. Die Lebensumstände sind begrenzt. Wir merken es bloß nicht, weil wir uns für so vollkommen halten!«Er steckte die Hände in die Taschen seines Leinenjacketts und betrachtete mit deutlichem Wohlwollen die revolverschleppende, imponierende Frauengestalt.

«Es freut mich!«sagte der weibliche Berg und blieb vor ihnen stehen.»Ich bin Mercedes Ordaz.«

Pater Cristobal griff mit der rechten in die Innentasche, zog — zum Entsetzen Dr. Mohrs — eines der kleinen, bunt bedruckten Heiligenbildchen heraus und hielt es Mercedes Ordaz hin.»Die Heilige Mutter segne dich«, sagte er dabei.»Nächsten Sonntag um 11 Uhr vormittags ist die Heilige Messe.«

>Mercedes die Große<, wie man sie in Penasblancas nannte, griff nach dem Heiligenbildchen, betrachtete es und steckte es dann vorn in ihre Bluse. Sie schob es zwischen ihre gewaltigen Brüste. Cristobal nickte zufrieden.

«Das war der heilige Antonius. Er wird sich wohl fühlen. Tieren galt seine ganze Liebe.«

«Ich habe weder Läuse noch Flöhe«, sagte Mercedes ruhig. Ihre Stimme war angenehm dunkel, von jenem samtigen Timbre, das in Räume mit kissenbelegten Betten paßt. Ihr Spanisch war rein, sauber von allen Dialektflecken — ein vollendetes Kastilianisch.»Ha-ben Sie die Absicht, einen Bilderhandel in Penasblancas aufzumachen, Senor?«

«Ich bin Priester, Senora.«

«Das meine ich ja.«

«Wie heißt Ihr Portier?«

«Meinen Sie Miguel?«

«Er wird Vorsänger. An Stelle der noch fehlenden Orgel.«

«Dieser Idiot!«

«Gott schützt die Einfältigen. - Aber er hat eine gute Stimme. Sie auch, Senora.«

«Was trinken Sie?«fragte Mercedes Ordaz. Die Richtung des Gespräches gefiel ihr nicht. Sie sah Dr. Mohr an, musternd, kritisch, dann lächelten zuerst ihre Augen, die vollen Lippen folgten. Die erste Prüfung war bestanden.»Sie sind der Geologe aus Bogota?!«In ihrer Stimme lag ein spöttischer Klang.

Sie weiß genau, wer ich bin, dachte Dr. Mohr. Vor ihr Versteck zu spielen, wäre eine Farce.

«Ja, ich komme aus Bogota. «Er wandte sich an Pater Cristobal.»Ich muß eine Lüge zurücknehmen, Cris, ich bin kein Geologe. Ich bin Arzt!«

«Ha! Hat er das geglaubt?!«rief Mercedes.

«Nein. «Cristobal Montero lächelte breit. Man sah es daran, daß sein Vollbart etwas aufklaffte und sich verzog.»Aber man soll Menschen, auch wenn sie Freunde sind, die Freude an kleinen Geheimnissen lassen. Sie spielen so gerne damit wie Kinder mit ihrem Püppchen.«

«Danke, Cris. Eine Todsünde weniger.«

«Einen Pfaffen zu belügen, wird nicht so hoch eingestuft.«

«Was trinken Sie?«fragte Mercedes Ordaz erneut. Die Lautsprecher dröhnten, die Paare tanzten, an den Tischen wurde diskutiert und gesoffen. Alles sah ein bißchen krampfhaft aus, marionettenhaft, wie von einer unsichtbaren, großen Hand gezogen. Bis auf >Mer-cedes die Große<. Ihr zu befehlen wäre ein Unding gewesen. Das hatte selbst Christus Revaila erfahren. Nach einer Meinungsverschiedenheit mit Mercedes wegen eines Smaragdverkaufs lag er ein paar Tage im Bett. Nur ein Oberschenkelstreifschuß, nur ein harmloses Ritzchen, aber Mercedes hatte nach dem Schuß mit stolzer Grandenstimme gesagt:»Das nächstemal geht es zehn Zentimeter nach rechts, mitten ins Glockengeläut. «So etwas muß man sehr ernst nehmen. Das sind keine leeren Versprechungen!

«Was Sie trinken, Senora!«antwortete Dr. Mohr.»Ich halte mit.«

«Und Gottes Enkelchen?«

«Ich brauche das Doppelte. Mein Bart säuft mit!«

Mercedes Ordaz sah Pater Cristobal erstaunt an, ging um die Panzertheke herum und griff nach unten. Die Flasche, die sie hervorholte, war anscheinend für besondere Gäste reserviert, denn die neben Dr. Mohr und Pater Cristobal sitzenden Männer warfen ein paar mitfühlende Blicke auf die Neuen. Es sah wie ein stummer Abschied aus.

>Mercedes die Große< schüttete drei Gläser voll, nahm ihres und kippte es hinunter.»Kein Gift!«sagte sie mit unverändert warmer Stimme.

Dr. Mohr und Pater Montero taten es ihr nach. Bis zu diesem Augenblick hatten sie nicht gewußt, daß Feuer flüssig sein kann und ausschüttbar in Gläser. Ein wilder Brand durchglühte ihre Speiseröhre, fraß sich im Magen weiter fort und bildete dort einen Glutklumpen.

Dr. Mohr starrte Mercedes entsetzt an. Pater Cristobal faltete die Hände über seinen Vollbart.

«Herr, der Qualen sind Tausende«, sagte er heiser.»Und immer kommen wieder unbekannte dazu.«

«Wollen Sie Ihre Zimmer sehen, Senores?«fragte Mercedes würdevoll.

«Zimmer?«Dr. Mohr umklammerte noch immer das Glas. Es war eiskalt, obgleich es eigentlich geschmolzen sein mußte.»Wieso?«

«Ich habe zwei Zimmer für sie herrichten lassen. «Sie goß die Gläser noch einmal voll.»Die Offiziere wohnen im Polizeigebäude, das war mir klar, aber für Sie habe ich meine besten Zimmer hergege-ben.«

«Das ist rührend!«sagte Pater Cristobal. Er goß das flüssige Feuer noch einmal in sich hinein und verstand die Märtyrer, die stumm den Flammentod erlitten hatten, überhaupt nicht mehr.»Aber wir vier möchten zusammenbleiben.«

«Angst?«>Mercedes die Große< lächelte mütterlich.»In meinem Hause und an meinem Tisch gibt es keinen Judas, Pater. «Sie trank ihr Glas leer, kam um die Panzertheke herum und wartete, bis auch Dr. Mohr mit geschlossenen Augen das höllische Getränk gekippt hatte.»Ich führe Sie zu Ihren Zimmern.«

An der Schmalseite des Tanzlokals führte eine Treppe nach oben. Mercedes ging voraus, gab einem Betrunkenen, der auf den Stufen saß, einen Tritt und machte auf diese simple Art den Weg frei. Auf dem Podest zum Flur blieb sie stehen.

«Ich habe 22 Zimmer«, sagte sie.»Davon bewohne ich selbst drei. Bleiben 19. Sie, Pedro Morero, bekommen Zimmer 12. Der Pater zieht in Nummer 14 ein. Ich nehme an, Ihre Nachbarn wirken nicht allzu belastend auf Ihr Gemüt.«

«Wer sind unsere Nachbarn?«fragte Pater Cristobal.

«Entzückende, junge Mädchen. Sie arbeiten bei mir als Bedienungen und Tanzpartnerinnen für Junggesellen.«

«So kann man es auch nennen, Senora«, sagte der Pater.

«Sie reden von, ich praktiziere Nächstenliebe!«

Die Zimmer waren groß und einfach eingerichtet. Ein Schrank, ein Tisch, zwei Stühle, ein Waschbecken, ein Spiegel und ein breites Holzbett.

Am wichtigsten schien der massive Innenriegel an der Tür zu sein. Vor den Fenstern — sie gingen zur Straße hinaus — hingen starke Holzläden.

«Es ist kein Hilton!«sagte >Mercedes die Große<.

«Für Penasblancas doch!«Dr. Mohr setzte sich auf das Bett.»Was kostet die Übernachtung?«

«Ich kann mir den Luxus leisten, Sie als meine Gäste einzuladen. «Sie drückte die Tür mit ihrem Körper zu und wurde sehr ernst.»Ich setze voraus, daß Sie Gastfreundschaft zu würdigen wissen, Seno-res, und mein Geschäft für Sie unantastbar ist.«

«Ich bin Arzt, Senora. «Dr. Mohr stand auf, ging ans Fenster und lugte durch einen Spalt der Läden auf die Straße.»Ich werde und muß alles tun, was mir dieser Beruf auferlegt.«

«Meine Mädchen sind gesund! Ich untersuche sie selbst jede Woche!«

«Bravo.«

«Und sie brauchen auch keinen Beichtvater!«Sie sah Pater Cristobal an.»Sie sind zufrieden, verdienen gutes Geld und leben freiwillig bei mir. Freiwillig, Pater!«

«Ich habe das nie bestritten. Die Not ist wie ein Sumpf. Die schönsten Blüten treiben auf fauligem Grund.«

«Sie werden Penasblancas bald wieder verlassen.«

«Glauben Sie?«

«Ich weiß es. Jeder Mensch braucht einen Arzt und einen Priester. Nur diese Menschen hier nicht! Ihr Gott und ihre Medizin sind die kleinen, grünen Steine. Ihre Welt ist zusammengeschrumpft auf das Stollenloch, das sie jeden Tag tiefer in den Berg treiben. Der einzige Sinn ihres Lebens sind grüne Kristalle. Sind durch Beimengungen von Chrom zu grünen Sonnen gewordene Beryll-Mineralien.«

«Deshalb werde ich spätestens nächste Woche auch in die Berge ziehen, Senora«, sagte Dr. Mohr. Mercedes Ordaz sah ihn nachdenklich an.

«Weiß das Christus Revaila?«

«Das kümmert mich nicht.«

«Ohne Revaila — und mir — geht hier nichts, Senor Medico.«

«Es ist immer von Nutzen, wenn man die internen Kräfteverhältnisse kennt«, sagte Pater Cristobal freudig.»Um Christus werde ich mich noch kümmern, ich meine um Revaila-Christus. Sie sind zugegen, Senora, und anscheinend eine Frau, mit der man offen reden kann. In Penasblancas gibt es doch eine Kirche?«

«Gab es, Pater. Aber mangels Priester wurde ein Supermarkt daraus.«

«Ich werde mit dem Inhaber sprechen.«

«Das tun Sie bereits.«

«Sehr tüchtig! Um Wege zu sparen, wo treffe ich Sie sonst noch als Besitzer an?«

«Mir gehört die halbe Stadt«, sagte >Mercedes die Große< milde.»Ein Haus oder ein Zimmer, um eine neue Kirche zu gründen, bekommen Sie hier nicht!«

Sie holte das bunte Bildchen des heiligen Antonius zwischen ihrem Busen hervor, zerriß es und streute die Schnipsel in die Luft.

Pater Cristobal nickte mehrmals.

«Du hast Antonius vor der Versuchung gerettet, meine Tochter.«

Mercedes Ordaz hielt es für unter ihrer Würde, weiter mit dem Pfäfflein zu sprechen. Sie verließ das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

«Du wirst es schwer haben, Cris«, sagte Dr. Mohr nachdenklich.»Ich glaube nicht, daß Portier Miguel in deiner Kirche singt.«

«Wer ist Christus Revaila?«

«Der Statthalter des großen unbekannten Boß! Ich kenne ihn als Don Alfonso. Er kann aber auch anders heißen.«

«Er ist also die andere Hälfte von Penasblancas.«

«Die gefährlichere.«

«Wirklich?«Pater Cristobal ging zur Tür. Sein Zimmer Nummer 14 lag neben dem Dr. Mohrs. Dieses Hünenweib forderte mehr als Gegnerschaft. Sie ist intelligent und grausam bis in die letzte Muskelfaser.»Ich komme mir vor wie Bonifazius, bevor er die DonarEiche fällte.«

Es klopfte an der Tür.

Dr. Mohr und Pater Cristobal sahen sich erstaunt an. Daß man in Penasblancas anklopfte, bevor man eintrat, hatten sie nicht erwartet. Der dicke Türriegel verriet da andere Umgangsregeln. Als nicht sofort eine Antwort erfolgte, klopfte es noch einmal.

«Ein höflicher Mensch«, sagte Pater Cristobal.

«Herein!«rief Mohr.

Dieses Mal flog die Tür weit auf und knallte gegen die Wand. Ein Mann trat ein, bei dessen Anblick ein vernünftiger Mensch sofort in Deckung geht. Das graue Haar war kurzgeschnitten wie eine Bürste. Darunter folgte ein Gesicht, geprägt von dem Wissen, daß dieses Leben absolut nichts wert ist, wenn man es nicht in jeder Minute mit einem Colt verteidigen kann. Dieser Colt hing denn auch sichtbar am Gürtel neben einem langen Messer in einer Lederscheide. Das war das einzig Kriegerische an dem Mann. Er trug einen normalen Anzug, etwas zu derbe Schuhe, aber nach guter spanischer Herrensitte Hemd und Krawatte. Vielleicht war es die einzige Krawatte, die in Penasblancas existierte. Kalte, grüngraue, unter buschigen Brauen eingeschobene Augen musterten Dr. Mohr und Pater Cristobal.

«Christus Revaila!«sagte der muskulöse Mann.»Sie sind der Arzt. Sie sind der Pfaffe!«

«Oh, er ist intelligent!«rief Pater Cristobal begeistert. Revailas Augen verengten sich sofort wie bei einem gereizten Tier.»Waren Sie als Kind einmal Meßdiener?«

«Mercedes hat mit Ihnen gesprochen. Das wollte ich verhindern! Sie hat Ihnen sogar Zimmer gegeben. Auch das wollte ich nicht! Wenn Sie anderes gesagt hat, lügt sie. Sie sollten bei mir wohnen.«

«Können Sie mir auch so süße Nachbarschaft bieten, Revaila?«fragte Dr. Mohr sarkastisch. Revaila winkte ab.

«Wenn Sie scharf sind auf diese. diese. «Er verschluckte das unschöne Wort, das er im Sinn hatte und lehnte sich gegen die Tür.»Wenn's Sie überkommt, Doktor: In den Bergen gibt es Mädchen genug, die für eine Dose Schweinefleisch nicht mit der Uhr neben dem Bett schlafen. Für viele Eltern wird es eine Ehre sein, wenn ihr Töchterchen dem feinen Medico ein paar Stunden versüßt. Das Alter spielt keine Rolle. Es gibt Zwölfjährige, die halten Sie für zwanzig!«Revaila lachte Montero an.»Sie stehen ja noch senkrecht, Pater?!«

«Ich komme aus einer Gegend, in der Kinderprostitution zum täglichen Brot gehörte. Warum soll es gerade in Penasblancas anders sein?«

«Sie ziehen um!«Revaila zeigte mit dem Daumen nach hinten zur Tür.»Der Donnerbusen steht auf der anderen Seite und lauscht.«

«Wie sind Sie überhaupt an ihr vorbeigekommen?«fragte Dr. Mohr.

«Wir kennen uns zu gut. «Revaila lachte verhalten.»Unten an der Bar sitzen zehn Freunde. Hat sie Ihnen erzählt, wer sie ist?«

«In groben Zügen.«

«Es gibt zwei Transportwege von hier bis nach Bogota, die vollkommen sicher sind. Der eine bin ich, der andere ist die >Mama von Penasblancas<. Es gab einmal eine Zeit — das war vor drei Jahren, kurz nach Schließung der staatlichen Minen —, da tauchten hier Idioten auf, die glaubten, Mercedes sei nur eine Frau mit besonderen Maßen. Sie versuchten, ihr die Smaragde, die sie aufkaufte, abzujagen. Was passierte? Nicht der Rede wert. Wenn Sie morgen in der Stadt Spazierengehen, sehen Sie gleich am Eingang zum Friedhof vier Gräber mit vier gleichen Kreuzen. Auf jedem steht: Sie waren zu dumm! — Weiter nichts! Aber seitdem hat >Mama< Ruhe.«

«Es gibt hier tatsächlich einen Friedhof?«fragte Pater Cristobal.

«Einen großen — «

«Natürlich! Und Kreuze auf dem Grab?«

«Ja.«, sagte Revaila gedehnt.

«Am Grab wurde auch gebetet?«

«Ich kann es nicht verhindern!«schrie Christus.

«Eine brave Stadt. «Pater Cristobal faltete die Hände.»Mein Sohn, am Sonntag um 11 Uhr ist Messe.«

«Scheiße!«

«Das kannst du vorher oder hinterher tun.«

«Wir ziehen also um!«rief Revaila.

«Ich bleibe«, sagte Montero.

«Im Hurenhaus!«

«Gott ist überall.«

«Es ist noch gar nichts entschieden«, sagte Dr. Mohr.»>Mama< hat uns mit den Zimmern überrumpelt, Sie werfen uns auch die Betten nach. Vorher müssen wir mit unseren Reisekameraden sprechen.«

«Die Offiziere sind untergebracht. «Revaila zupfte an seiner Jacke.»Ich würde mich da aufhalten, Senor Medico, wo die Lebenserwartungen länger sind.«

«Ich werde es den anderen raten.«

«Tun Sie das!«Revaila grinste breit. Sein Gesicht zersprang in lauter kleine Falten.»Es ist gut, wenn ihr alle wißt, daß ihr unsere Feinde seid.«

«Wir wissen es.«

«Holen Sie Ihren Wagen, Senor. Ich habe den Auftrag, mich nur um Sie zu kümmern.«

«Ich soll Sie von Don Alfonso grüßen.«

«Bekannt. «Christus Revaila nickte zu Pater Cristobal hinüber.»Ihre Messe am Sonntag fällt aus.«

«Aber nicht doch.«

«Ich verbiete sie!«

«Und gerade du heißt Christus?«

«Ich könnte meinen Alten noch jetzt dafür aufhängen!«sagte Revaila grob und verließ das Zimmer.

>Mercedes die Große< war nicht im Flur und hatte gelauscht. Sie wußte auch so, was Revaila zu sagen hatte.

Im Polizeigebäude warteten Leutnant Salto und Major Gomez auf Dr. Mohr und Pater Cristobal. Die beiden Offiziere hatten ihre Maschinenpistolen umgehängt; die vier Polizisten standen an der Wand, ebenfalls bewaffnet und sichtlich erleichtert, als Dr. Mohr und Pater Montero eintraten.

«Das war in letzter Minute!«rief Major Gomez.»Wir waren gerade dabei, zum Sturm auf die >Bar< anzusetzen. Du lieber Himmel, was haben Sie bloß da drinnen gemacht?! Als ich sagte: Jetzt kümmern wir uns um den Schuppen, wurden die Polizisten weiß wie gekalkte Wände.«

«Wir haben zweimal Feuer geschluckt, eine enorme Frau kennengelernt, vier Betten in zwei verschiedenen Häusern angeboten bekommen und sollen Ihnen sagen, daß Ihre Lebenserwartungen begrenzt sind. «Dr. Mohr blickte zu dem Zellentrakt. Er war leer.»Wo ist Margarita?«

«Entlassen. «Leutnant Salto legte seine MP weg.»Sie war tatsächlich unschuldig.«

«Wo ist sie jetzt?«

«Weiß ich das? Bei ihren Eltern.«

«Hier in der Stadt?«

«Unbekannt. Warum?«

«Ich hätte sie gerne noch einmal gesprochen«, sagte Dr. Mohr langsam.

«Aha!«

«Nichts aha! — Wie heißt sie?«

«Wie heißt sie?«brüllte Salto die Polizisten an. Sie zogen die Köpfe ein und zuckten mit den Schultern.

«Margarita.«, wagte einer zu sagen.

«Ist denn kein Protokoll aufgenommen worden?«Das war Dr. Mohrs einzige Hoffnung.

«Wozu? Sie wollte ja nur ihre Schwester besuchen und kam in eine von Revaila angeordnete Straßenruhe hinein. Diesen Revaila kaufe ich mir noch! Spielt hier den starken Mann!«

«Kennt jemand die Schwester?«

«Wer kennt die Schwester?«schrie Salto.

«Ich!«Ein Polizist trat vor.»Sie heißt Perdita.«

«Weiter!«

«Nichts.«

«Es wird schwer werden!«seufzte Leutnant Salto.»Meine Leute haben statt Hirn gegorenen Eselsdreck im Kopf! Doctor, an Ihre Margarita kommen wir nicht mehr heran. Wenn sie in den Bergen wohnt. glauben Sie mir, es ist einfacher, einen zehnkarätigen Smaragd zu finden. Zugegeben, sie war ein hübsches Ding. Aber von denen gibt es hier genug. «Salto blickte sich um.»Machen wir den Laden dicht, Senores. Wir haben uns den Schlaf ehrlich verdient.«

«Ich wohne über der >Bar<«, sagte Pater Cristobal.

«Das ist doch nicht möglich!«schrie Major Gomez.»Bei den quietschenden Weibern?«

«Auch Straßenbahnen quietschen in den Schienen.«

«Ein köstlicher Vergleich!«

«Ich schlafe bei Revaila.«, warf Dr. Mohr ein.

«Bei wem?«Leutnant Salto beugte sich vor.

«Christus Revaila. Die Nummer eins in der Stadt. Er erwartet mich.«

«Das sagen Sie so ruhig?«

«Soll ich dabei herumhüpfen?«

«Was ich in der letzten halben Stunde über diesen Gangster gehört habe, reicht mir.«

«Zu mir war er, seiner Art entsprechend, sehr freundlich. «Dr. Mohr winkte den Offizieren zu.»Wann sehen wir uns morgen, Senores?«

«Ich fahre schon früh nach Muzo zu meinem Bataillon weiter. «Gomez winkte zurück.»Dann kehre ich mit der Truppe zurück und kämme einmal Penasblancas durch.«

Auf der Straße stiegen Dr. Mohr und Pater Cristobal in den alten Jeep und fuhren den kurzen Weg bis zur >Bar<. Dort stieg der Priester aus und holte seinen Seesack und den Beutel aus dem Wagen.

Miguel, der Portier mit dem Boxergesicht, schien darauf gewartet zu haben. Er stürzte aus der Tür auf die Straße und schleppte Monteros Gepäck ins Haus.

«Sie hatte nicht ganz recht!«sagte Pater Cristobal.»Das ist doch das Hilton von Penasblancas. Ein guter Service.«

«Du wirst wieder Feuer saufen müssen, Cris, wenn >Mama< dich erwartet.«

«Eine ganze Flasche, wenn sie am Sonntag zur Messe kommt!«

«Nie!«

«Sag niemals >nie<, Pete. «Pater Cristobal drückte Dr. Mohr die Hand.»Ich werde mit meiner Firma eher funktionstüchtig sein als du.«

«Kunststück! Du brauchst dich nur hinzustellen und >Gelobt sei Jesus Christus< zu rufen.«

«Und du brauchst nur Pillen zu verteilen.«

Sie lachten, umarmten sich, und als Montero im Haus verschwunden war, fuhr Dr. Mohr weiter. An der Straßenecke wartete Christus Revaila. Wortlos stieg er in den Jeep, ließ sich in den Sitz fallen und sagte erst dann:»Mein Hintern brennt. Ich merke, hier hat ein Pfaffe gesessen. Fahren Sie geradeaus, dann links um die Ecke, dann wieder geradeaus. Das Steinhaus mit den weißen Holzsäulen ist's.«

«Oha! Welch ein Luxus!«

«Man kann nur befehlen, wenn die anderen heraufschauen!«sagte Revaila mit der Philosophie aller Diktatoren.»Haben Sie einen König gekannt, der aus einer Grube hinaus regierte? Ich nicht! Und ich bin der König von Penasblancas.«

Es klang nicht stolz oder überheblich, es klang ganz natürlich. Christus Revaila kannte seinen Wert. Er brauchte ihn nicht zu demonstrieren.

Als die Sonne schien, erwachte Penasblancas nach der merkwürdig stillen Nacht wieder zu vollem Leben. Aus den Bergen, von den heimlichen Schürfstellen, aus den flachen, unabgestützten Stollen der alten Gruben, von den Gebirgsbächen, die mit ihren Wasserfällen und Stromschnellen die Smaragde aus dem Gestein schwemmten, kamen die Guaqueros in die Stadt, ihre verknoteten Taschentücher auf dem Leib tragend, in der Hand ihre Revolver oder Pistolen.

Die >Büros< waren geöffnet. >Mama< saß breit und wohlwollend in einem Anbau ihrer >Dancing-Bar<. Es war eine kleine Festung mit schußsicherem Glas, Eisengittern, fünfLeibwächtern und einem Panzerschrank. Im anderen Teil der Stadt lauerten die >Schlepper< von Christus Revaila auf die Schürfer und lockten sie in die >Oficina< des Königs von Penasblancas. Der tägliche blutige Kampf hatte wieder begonnen. Die grünen Steine beherrschten diese Welt. Eine gnadenlose Welt zwischen unzugänglichen Bergen.

Leutnant Salto bekam sofort Arbeit. Aufkäufer von Revaila hat-ten einen Aufkäufer von >Mama< erschossen. Nicht in der Stadt, sondern auf dem Weg zu den verlassenen Minen. Das alte Leiden: Man lauerte den Guaqueros schon auf dem Pfad aus ihren geheimen Schürfstellen auf, um sie mit Preisangeboten zu locken.

Da es nur einen Toten gab, aber keinen, dem man das Schießen nachweisen konnte, war die Polizei wie immer unlustig und sorgte nur für den Abtransport des Erschossenen. Den Toten kannte natürlich niemand.

Er vermehrte die Gräber der Namenlosen, die auf dem Friedhof von Penasblancas lagen.

Pater Cristobal erschien, sprach ein Gebet und legte ein roh gezimmertes Holzkreuz auf die Brust des Ermordeten. Seit fünf Uhr früh, ohne vorher geschlafen zu haben, stellte er aus Latten Holzkreuze her. Miguel, der Portier, half ihm dabei. Im Hof des Hauses, zwischen leeren Kartons und Kisten, umgeben von stinkenden Abfalltonnen, hämmerten sie seit Stunden unermüdlich vor sich hin.

Dr. Mohr, ebenfalls bemüht, stellte den Tod des Erschossenen fest. Das war völlig sinnlos, denn jeder sah, daß der Schuß ins linke Auge gegangen war, aber da man jetzt einen Medico hatte, mußte er auch beschäftigt werden. Die Verletzten aus diesem Feuergefecht jedoch sah Dr. Mohr nicht.

Vier Tage lang ging er danach spazieren, besuchte Leutnant Salto, hörte, daß Major Gomez tatsächlich heil in Muzo angekommen war und sein Bataillon in einem Zustand vorfand, der bejammernswürdig war, fuhr mit seinem Jeep in die Berge und wunderte sich, wo hier 30.000 Guaqueros mit ihren Familien hausen wollten. In der Nacht sah er rund herum in den Felsen die lodernden Feuer. Am Tag war die Gegend wie ausgestorben. Vier Familien sah er, in primitiven Laubhütten, die als Vordächer einer Höhlenwohnung dienten. Frauen, Kinder, drei Greise, von der gnadenlosen Natur ausgelaugt, am Rande menschlicher Existenz. Als sich Dr. Mohr den Hütten näherten, flüchteten die Kinder und Frauen ins Innere. Da blieb er stehen, ging zum Jeep zurück und fuhr weiter. Er wollte helfen, nicht provozieren. Sie werden eines Tages von selbst

zu mir kommen, dachte er. Zuerst einer, dann zwei, drei, fünf… und sie werden erzählen und die anderen ermutigen. Noch war ihr Mißtrauen ungeheuer. Warum konnte ein Arzt nicht auch ein Spitzel und ihr Feind sein?