37739.fb2 Der Mann, der sein Leben verga? - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 6

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Kapitel 6

Kommissar Selvano war denkbar schlechtester Laune. Er stand dem vor sich niederblickenden Primo Galbez gegenüber und klopfte beim Sprechen aggressiv auf das dicke Aktenstück Destilliano/Biancodero. Sein Gesicht war vor Erregung gerötet.

»Der Erfolg ist Null!« rief er. »Mag Ihr Verdacht richtig sein oder nicht: Wir stehen nach wie vor einem Rätsel gegenüber! Fassen wir einmal zusammen, ganz nüchtern, Galbez, was wir wissen und was wir haben: drei ungeklärte Selbstmorde, eine Jacht, auf der Sie Rauschgift fanden - und zwar nur in kleinen Mengen-, Obstkisten mit Morphium, deren Herkunft nicht voll beweisbar ist, einen Mann, der den Namen Biancodero hat und aus Spanien kommt, ein brennendes Auto mit einer unkenntlichen Leiche, eine gefälschte holländische Nummer, eine Felsenvilla, die einwandfrei und ohne Spuren ist ... alles Dinge ohne Zusammenhang, fast ohne Sinn ... eben - ein Nichts! Denken Sie einmal nüchtern darüber nach, Galbez ... Haben Sie bei Ihrem zweiten Einbruch bei Direktor Bonheas etwas gefunden?«

»Nein, nicht ein Tüpfelchen«, gestand Primo Galbez halblaut.

»Na also! Die Kisten mit dem Rauschgiftobst waren fort, Papiere waren nicht vorhanden. Jose Biancodero, den Sie des Rauschgiftschmuggels verdächtigen, ist ein Freund des ehrbaren Konsuls Manolda! Das müßte genügen! Konsul Manolda soll sich - wie sein Hotel mitteilte, zur Zeit geschäftlich in Teneriffa aufhalten.«

»Aha!«

Selvano zuckte auf.

»Nicht aha, Galbez! Ihr Aha macht mich nervös!«

»Von Teneriffa kam unter anderem auch Obst mit

Morphiumampullen«, meinte Galbez schlicht.

»Sie Spinner!« schrie Selvano. »Fangen Sie schon wieder an?! Konsul Manolda ist Mitglied des königlichen Traditionskabinetts! Wollen Sie ihn ...?«

»Ich kannte Fürsten, die Unterschlagungen machten! Warum soll ein kleiner Konsul nicht mit Rauschgift handeln? Haben Sie mal in Teneriffa angefragt, ob Manolda auch wirklich dort ist?«

Selvano sah mitleidig lächelnd auf den Detektiv herab. Welche Frage!

»Ich erwarte die Antwort jeden Augenblick. Auch Jose Biancodero lasse ich beobachten. Nur gut, daß ich in dieser verhängnisvollen Nacht nicht seine Jacht betreten habe - wir könnten heute eklig in der Tinte sitzen und eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Belästigung auf dem Pelz haben! -Galbez, Ihre sagenumwobene Spürnase in allen Ehren: Hier haben Sie ganz gewaltig danebengeschnüffelt! - Oder glauben Sie noch immer, daß Jose Biancodero ein schwerer Junge ist?«

»Ja!«

»Galbez! Ich habe Sie für weniger idiotisch gehalten!«

»Danke, Chef! Aber ich habe so meine eigenen Gedanken. Sie mögen fantastisch sein, für andere Leute einfach verrückt - ich klammere mich an sie und habe das Gefühl, irgendwie auf der richtigen Spur zu sein!«

»Und die wäre?« fragte Selvano mit leisem Spott.

»Daß Jose Biancodero gar nicht Jose Biancodero ist ...«

»Sondern ...?«

»Ein anderer, ein Unbekannter, von mir aus auch ein Unterschobener! Erinnern Sie sich, daß Anita Almiranda ihn in Gesellschaft Jose, aber privat und allein Fernando nannte?«

»Allerdings. Und ...?«

»Das macht mich stutzig! Das hat seinen Grund!«

»Vielleicht den der Liebe! Fernando klingt schmeichelnder als das harte Jose.«

»Vielleicht! Ebensogut ist es aber denkbar, daß dieser Mann zwei Leben führt! Ich habe damals in Sevilla nachgefragt, woher er angeblich stammt. Die Auskunft war äußerst mager. Er sei plötzlich verschwunden, hieß es. Ohne Grund. Er war ein Mensch, der nie auffiel. Und plötzlich geht er in Marseille an Bord der >Espana< und landet in Lissabon als Freund Professor Destillianos und Verlobter Anitas! Kaum ein Jahr später erschießt sich in der gleichen geheimnisvollen Weise nach einem Wortwechsel mit seiner Nichte Professor Destilliano, und Anita Almiranda stürzt sich in der gleichen Nacht mit ihrem Sportwagen vom Felsen ins Meer. Jose Biancodero ist Alleinerbe des riesigen Vermögens, kauft sich ein Felsenschloß und lebt, weitab von jeder Kontrolle als reicher Einsiedler. Mit Sevilla, seiner Vaterstadt, hat er keine Verbindung mehr, Konsul Manolda ist sein einziger Freund ... fünf Jahre ist Ruhe in unserem Dezernat! Doch plötzlich holt Biancodero seine Jacht aus dem Dock und gondelt wieder in der Welt herum, verläßt seine Felsenvilla und schüttelt die fünf Jahre Einsamkeit wie Wassertropfen von sich ... Und plötzlich wird es bei uns lebendig: Das Rauschgift taucht wieder in Massen auf!«

Selvano hatte mit Spannung zugehört und nickte nun Primo Galbez zu.

»Zugegeben, Galbez, eine logische, verblüffend klare Gedankenkette ... aber kein Beweis! Was Ihnen und mir fehlt, ist entweder eine Überführung Biancoderos in flagranti oder eine klare Anzeige, aus der die Schuld einwandfrei hervorgeht! Das heißt, wenn er überhaupt trotz Ihrer vernichtenden Indizienkette mit einer Schuld belastet ist! Solange ein Konsul Manolda die Bürgschaft übernimmt, tappen wir überhaupt im dunkeln!«

Selvano wollte das Aktenstück in den Schrank tragen, als das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Selvano nickte und blickte Primo Galbez an.

»Wetten, daß man wieder einen kleinen Händler mit Opium erwischt hat? Sie können ihn gleich auspressen, Galbez.«

Lächelnd nahm er den Hörer ab. Doch dann spannte sich sein Gesicht, grenzenloses Erstaunen kam in seine Augen, er zog mit dem Fuß den Stuhl heran und setzte sich. Gespannt blickte ihn Primo Galbez an.

»Ja, es ist gut«, sagte Selvano etwas unsicher ins Telefon. »Ja, wir werden sofort alles veranlassen. Ich benachrichtige umgehend das Ministerium.«

Dann hängte er ein und sah Galbez eine Weile stumm an. Dieser war bei dem Namen Ministerium wie elektrisiert hochgezuckt.

»Das ist die Bombe, die uns beide zerreißt«, sagte Selvano endlich mit leiser Stimme. »Galbez - unser Biancodero hat soeben angerufen.«

»Ach ... «

»Er gab eine Suchanzeige durch. Seit drei Tagen ist Konsul Manolda spurlos verschwunden!«

»Verdammt!«

Primo Galbez sprang auf und rannte aufgeregt im Zimmer hin und her.

»Ja, verdammt!« nickte Kommissar Selvano. »Vor drei Tagen verließ Konsul Manolda die Felsenvilla nach einem Besuch und wollte für einige Stunden nach Lissabon. Er versprach, am Abend wieder zurück zu sein!«

»Und das Hotel sagt, er wäre nach Teneriffa verreist?«

»Ja! Ich werde sofort nachforschen, wie diese Auskunft zustande kam!«

»Und vor drei Tagen raste das brennende Auto mit der unbekannten Leiche gegen den Baum!« meinte Primo Galbez nachdenklich und doch betont.

Selvano zuckte auf und griff sich an den Kopf.

»Galbez!« schrie er erregt. »Und dieser Wagen mit der falschen holländischen Nummer parkte vorher bei Biancoderos Felsennest! Mensch, Primo Galbez - das wäre zu fantastisch, das wäre einfach undenkbar, wenn Sie doch recht behielten! Der Konsul ...«

»Manolda war Konsul in Holland ...« sagte Galbez schlicht und betont. »Er kannte sich aus in holländischen Autonummern ... «

»Jetzt geht die Treibjagd los!« rief Selvano und hieb Galbez kräftig auf die Schulter. »Zwei Wagen und Sie fahren nach Azenhas do Mar und verhören Biancodero. Ich besichtige die Jacht Anita. Die verbrannte Leiche wird ins Schauhaus transportiert, und alle Bekannten Konsul Manoldas werden ersucht, die Leiche zu identifizieren. Die Trümmer des Wagens werden gleichfalls ausgestellt. Schreiben Sie, Galbez: Aufruf an die gesamte Bevölkerung! Hiermit werden sämtliche Personen, die Konsul Don Manolda kannten, aufgefordert, sich morgen und übermorgen im Polizeipräsidium, Zimmer 193, einzufinden, da vermutet wird, daß Konsul Don Manolda einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist! - Bluffen, Galbez, bluffen müssen wir jetzt! Gelingt es uns, den Toten des brennenden Autos mit der falschen Nummer als den Konsul Manolda zu identifizieren, dann haben wir die Schlüssel zu allen Verbrechen der letzten 15 Jahre in der Hand, und Sie, Galbez, sind der Held der Polizei!«

»Eine Gehaltserhöhung wäre mir lieber«, antwortete Primo Galbez trocken.

Doch die Großaktion Antonio de Selvanos verlief im Sande.

Jose Biancodero besaß außer seinem Telefonanruf ein unantastbares Alibi - er hatte an dem fraglichen Abend bis tief in die Nacht hinein mit einem Herrn der Handelskammer auf Konsul Don Manolda gewartet.

Die durch das viele Zyankali und die Flammen unkenntlich gewordene Leiche konnte nicht identifiziert werden, zumal alle

Anhaltspunkte wie Papiere, Schmuck oder andere markante Merkmale fehlten.

Der Wagen war in Lissabon unbekannt. Er gehörte zu einer Serienfabrikation der Cadillac-Werke und bot gleichfalls keine weiterzuverfolgenden Spuren.

Und dann traf eine Nachricht ein, die Selvano völlig kampfunfähig und einfach machtlos werden ließ.

Ein Herr Baron Siegurd v. Pottlach, Kaufmann in Teneriffa, teilte telegrafisch mit, er habe vorgestern noch mit Konsul Manolda über den Ankauf von 3000 Kisten Bananen verhandelt.

Wo?

Mit Konsul Manolda?

Ja!

Im Hotel Esplanade in Teneriffa! Von 10 Uhr vormittags bis 22 Uhr abends. Dann sei Konsul Manolda mit einem Küstenboot weiter nach Las Palmas gefahren. Er sei sehr vergnügt gewesen!

Zwei Tage nach dem Auffinden des brennenden Autos mit der unbekannten Leiche! Einer Leiche, von der Selvano und Primo Galbez ahnten, daß es Konsul Manolda war!

Kann ein Toter, der im Seziersaal liegt, zwei Tage später in Teneriffa 3000 Kisten Bananen verkaufen?

Und wie kam Konsul Manolda nach Teneriffa? Die Jacht Anita lag im Hafen, ein anderes Schiff der Reedereien fuhr jedoch in dieser Woche nicht zu den Kanarischen Inseln!

Wo war Konsul Manolda jetzt? Aus Las Palmas war die Nachricht gekommen, daß man ihn nicht gesehen habe und alle Nachforschungen vergeblich waren!

Selvano schickte eine Anfrage nach Santa Cruz de Tenerife.

Wer ist dieser Baron Siegurd v. Pottlach?!

Die Antwort war für Kommissar Selvano zerschmetternd.

Der beste und angesehenste Handelsherr von Teneriffa sei

Baron v. Pottlach, hieß es. Seinen Aussagen sei unbedingt Glauben zu schenken - er gehöre zu den gewissenhaftesten und lobenswertesten Bürgern der Inseln.

Selvano war am Ende seiner Kräfte. Er wußte es fast greifbar, daß der verbrannte, unbekannte Tote Konsul Don Manolda war ... und doch war er zwei Tage nach seinem - Tod in Teneriffa und kaufte Bananen ...

»Wahnsinn«, sagte Selvano und vergrub sein Gesicht in den Händen, während Primo Galbez wütend an seiner Pfeife nagte. »Einfach Wahnsinn! Ich bin am Ende meiner Weisheit ... das habe ich noch nicht erlebt ...«

Stille, unheimliche Stille legte sich über das RauschgiftDezernat. Selvano und Primo Galbez lagen wie Katzen auf der Lauer. Sie ahnten die Zusammenhänge und waren dennoch machtlos.

Sie warteten auf den großen Fehler, den einmal jeder Verbrecher begeht.

Auf den Fehler, der das Geheimnis enthüllte ...

Das plötzliche Verschwinden Konsul Manoldas wirkte auf Dr. Albez merkwürdigerweise nicht lähmend, sondern im Gegenteil anspornend und sein geschäftliches Interesse aktivierend. Zwar waren seine Gedanken durch diese neue, unmittelbar in sein Leben eingreifende Ereignis äußerst aufgewühlt und erschreckt worden, denn die Serie der Unglücksfälle mußte irgendwie einen inneren Zusammenhang besitzen - das fühlte er -, aber nach außen hin behielt er seinen ruhigen und alle Menschen erstaunenden Geschäftssinn und Gleichmut und baute die einmal gegründete Obst-Export-Gesellschaft mit Hilfe des Barons v. Pottlach nun auch in großem Stil aus.

Dr. Fernando Albez war sich noch unschlüssig, was er beginnen sollte, als Kommissar Antonio de Selvano und Primo Galbez die Nachforschungen nach Konsul Manolda einstellten und auch die Verhöre ergebnislos abbrachen. Daß man ihn verdächtigte und seine Jacht Anita durchsuchte, empfand er zuerst lächerlich, doch dann begann ihm zu dämmern, daß man ihn als den Mittelpunkt irgendeines Ereignisses oder einer Tatsache betrachtete, die ihm selbst völlig unbekannt war. Die Durchsuchung seiner Felsenvilla, die Gegenüberstellung mit der schrecklich verkohlten und unkenntlichen Leiche eines ihm fremden Mannes, die Kontrollierung seines Obstgeschäftes und die im Polizeipräsidium arangierte Begegnung, mit dem ihm unbekannten Direktor Bonheas erschienen ihm heute bei nüchterner Überlegung als Teile eines präzisen Planes, der sich um seine völlig außenstehende Person drehte.

Dr. Albez mußte trotz des Ernstes der Sache lächeln.

Verdächtigte man ihn des Mordes an Konsul Manolda?

Wer sagt denn überhaupt daß Manolda ermordet wurde?! Hat er nicht vor einigen Tagen noch in Teneriffa 3000 Kisten Bananen gekauft? Die Aussage des Kaufherrn Baron v. Pottlach war doch klar und eindeutig. Und zudem waren die Kisten auch bereits geliefert worden!

Baron v. Pottlach! War das nicht der Mann, der nach Manoldas Geschäftsplan einmal den Einkauf auf dem afrikanischen Markt übernehmen sollte?! Vielleicht wußte er mehr über das Verschwinden Manoldas?! Vielleicht auch bereiste Manolda in einer plötzlichen Eingebung den afrikanischen Markt und schrieb nicht, um die Konkurrenz nicht aufmerksam zu machen?!

Dr. Albez stand an dem großen Fenster seines Arbeitszimmers und blickte hinaus auf das weite schillernde Meer. Die Schaumkronen der gebrochenen Wellen tanzten um die Klippen.

»Man müßte nach Teneriffa fahren«, dachte Albez und lehnte sich an den Fenstervorsprung. »Damals bei Anita und Destilliano war ich wie von Sinnen und tobte wie ein Irrer ... das war ein Fehler, und die Spuren verwischten sich. Aber jetzt will ich ihnen nachfahren ... und wenn es rund um die Welt ist ...

Irgendwie, das fühle ich, hängt das alles miteinander zusammen!«

Fernando Albez war kein Mann, der einen Entschluß lange zögernd überdenkt. Mit festem Griff nahm er den Telefonhörer von der Gabel, wählte eine Nummer und wartete, am Fenster stehend, bis sich eine Stimme meldete.

»Hier Jose Biancodero«, sagte er laut und selbstbewußt. »Ist dort Kommissar Selvano?«

»Ja. Am Apparat.«

»Sehr gut. Herr Kommissar - ich möchte verreisen. Ich bitte Sie um Auskunft, ob ich morgen ungehindert fahren kann oder noch unter Kontrolle stehe.«

»Kontrolle?« Die Stimme des Kommissars klang gedehnt und äußerst erstaunt. »Sie sind nie kontrolliert worden, Senor Biancodero. Wir würden uns nie erlauben, in Ihr Privatleben einzugreifen.«

»Merkwürdig.« Dr. Albez schüttelte den Kopf. »Seit fünf Tagen beobachte ich und meine Bediensteten, daß unser Felsen von mindestens fünf bis sieben Mann Tag und Nacht regelrecht bewacht wird. Gestern stöberte mein Gärtner in der Hecke sogar einen Bauern auf, der sich in meinem Garten verlaufen hatte!« Deutlich und voll Ironie betonte Albez das Wort »verlaufen«. Um die Wirkung noch zu verstärken, legte er eine kurze Sprechpause ein. Dann fuhr er fort: »Sollten Sie denn wirklich nichts wissen, Kommissar?!« fragte er.

Die Stimme Selvanos war erregt, als er jetzt antwortete.

»Was Sie da sagen, ist ungeheuer interessant«, rief er. »Primo Galbez sagt mir eben, daß er keine Bewachung von Cintra angeordnet hat. Die Leute, die Sie dennoch beobachten, können nur aus jenen Kreisen stammen, die mit dem rätselhaften Verschwinden Konsul Manoldas zusammenhängen. Seien Sie äußerst vorsichtig, Senor Biancodero - verlassen Sie Ihr Haus nicht mehr nach Anbruch der Dunkelheit, und vor allem nie allein! Die Beobachtung Ihrer Person beweist mir, daß an Konsul Manolda ein Verbrechen begangen worden ist! Ich werde sofort mit einigen Leuten zu Ihnen hinauskommen und versuchen, einige dieser Vögel zu fangen!« Die Stimme Selvanos brach ab, ein eiliges, unverständliches Flüstern tönte durch die Leitung. Dann war Selvanos Stimme wieder da und fragte: »Kann man auch vom Meer aus auf Ihren Felsen?«

»Schlecht. Der einfachste Weg ist der normale über die Straße.«

»Gibt es denn noch einen komplizierten Weg?« fragte Selvano gespannt.

»Ja. Er führt von Azenhas do Mar aus die Küste entlang und endet in einem steilen Fußpfad, der in einer tunnelartigen Höhle mündet. Diese vom Meere ausgewaschene Höhle geht man quer durch und kommt durch ein halb mannsgroßes Felsenloch auf ein Plateau, von dem ein schmaler Felssteig über die Klippen rund um den Felsen bis zu meiner Gartenhecke führt. Eine tolle Kletterei!«

»Und man kann den Weg auch des Nachts begehen?«

»Wohl kaum! Es kommt auf jeden Schritt an. Ein Fehltritt -und man saust in das klippenreiche Meer und die kochende Brandung. Man müßte schon ganz sicher sein, um diesen Weg des Nachts zu gehen.«

»Trotzdem. Primo Galbez wagt es. Er wird morgen nacht über den Felsenpfad mit drei Beamten eintreffen. Verstehen Sie, wir möchten von Ihren Bewachern nicht gesehen werden. Nur so wird es uns möglich sein, einen wirksamen Gegenzug zu unternehmen.«

Dr. Albez hatte mit Spannung zugehört, doch jetzt schüttelte er den Kopf.

»Ihre Beamten sind mir willkommen«, sagte er. »Sie sollen ein gastfreies Haus vorfinden - und Glück wünsche ich ihnen auch. Aber mich, lieber Kommissar, müssen Sie entschuldigen.

Ich muß dringend in geschäftlichen Dingen verreisen. Darum rief ich auch bei Ihnen an. Vor allem möchte ich Sie bitten, meine Jacht wieder freizugeben.«

Vom anderen Ende der Leitung tönte wieder das undeutliche Flüstern. Endlich antwortete Kommissar Selvano mit einer Frage:

»Sie wollen über See verreisen, Senor?«

»Ja.«

»Und gerade jetzt, wo Sie von Unbekannten bewacht werden und uns eine Spur geben?!«

»Gerade jetzt! Ich will nach Teneriffa!«

»Ach! Nach Teneriffa!«

»Ja. Zu dem Kaufherrn Baron v. Pottlach. Er hat Konsul Manolda zuletzt gesehen. Von dort aus hoffe ich, vielleicht eine Spur zu finden. Das Verschwinden meines Kompagnons fällt mir jetzt langsam selbst auf die Nerven!«

»Endlich!« stöhnte Selvano ehrlich. Dr. Albez mußte lächeln.

»Ja, endlich! Ich erinnere mich, daß Manolda vor kurzem sagte, er müßte einmal den afrikanischen Markt bereisen und dort die Konkurrenz herausboxen. Daß dies aber so plötzlich und ohne Benachrichtigung geschehen sein sollte, will mir nicht in den Sinn. Immerhin deutete Manoldas erwähnte Reise nach Teneriffa und Weiterfahrt nach Las Palmas nach unserem Auslieferungslager an, daß er eine geschäftliche Aktion plante. Und das will ich eben an Ort und Stelle nachprüfen!«

»Er ist aber in Las Palmas nicht angekommen!«

»Das ist es ja, was mich stutzig macht! Irgendwie muß er plötzlich durch ein Ereignis seinen Plan geändert haben und ist von Teneriffa aus direkt aufs afrikanische Festland gefahren. Oder - was wir nicht hoffen wollen - die wachsende Konkurrenz, die jetzt auch mich beobachtet, hat ihn auf See zu beseitigen gewußt! Das eben will ich nachforschen! Aber dazu brauche ich meine Jacht Anita!«

Eine kurze Weile war es still in der Leitung. Selvano schien zu denken.

»Haben Sie sich die verbrannte Leiche in dem Auto genau angesehen?« fragte er plötzlich.

»Ja.« Erstaunt nickte Dr. Albez am Telefon. Was soll denn das nun wieder, dachte er.

»Und Sie kennen den Mann nicht?«

»Nein!«

»Ist es nicht möglich, daß der unkenntliche Tote Konsul Manolda ist?«

Dr. Albez prallte zurück. Blitzschnell rief er sich das Bild der verkohlten Gestalt in die Erinnerung zurück, den zerschellten Wagen und die angetroffene Situation. Er schüttelte heftig den Kopf.

»Ausgeschlossen«, sagte er fest. »Manolda war ein äußerst sicherer Fahrer! Und warum sollte er Zyankali nehmen, wenn es wirklich nur ein Unfall war?!«

»Wir dachten nicht an Unfall, sondern an Mord!«

»Aber Manolda hat doch zwei Tage nach der Auffindung der Leiche in Teneriffa Bananen gekauft!« rief Dr. Albez. »Gespenster interessieren sich nicht für Obst!«

»Und was halten Sie davon, wenn ein Doppelgänger des Konsuls in Teneriffa war?« fragte Selvano mit einer deutlichen Spannung in der Stimme.

Dr. Albez war im ersten Augenblick verblüfft, dann lachte er laut auf. Selvano verzog am anderen Ende der Leitung sauer das Gesicht und tippte mit dem Zeigefinger, auf Primo Galbez blickend, wütend und unmißverständlich an seine Stirn.

»In einem Kriminalroman liest sich so etwas sehr spannend«, rief Dr. Albez ins Telefon. »Im Leben, glaube ich, geschehen die Dinge weniger fantastisch und weit nüchterner! Manolda war in Teneriffa, das steht fest. Baron von Pottlach ist ein alter Freund unserer Firma und kennt den Konsul so gut, daß ihm kein Doppelgänger kommen konnte. Manolda war bei ihm, das stellen wir einmal fest. Dann verschwand er, und das will ich an Ort und Stelle nachprüfen! Einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, daß die Konkurrenz uns damit die Luft abwürgen will. Ist das der Fall, dann müßte man auch mich bei meinem Auftauchen in Teneriffa festsetzen ... und das will ich eben sehen! Ist dem so und ich bin innerhalb von zwei Wochen -von morgen an gerechnet - noch nicht zurückgekehrt oder habe keine Nachricht gegeben, dann brauchen Sie nur bei folgenden Firmen Ihren Hebel anzusetzen, um Manolda und mich, einträchtig in irgendeinem stillen Winkel versteckt, zu finden. Andernfalls gebe ich Ihnen laufend unter Chiffre Nachricht über meinen Standplatz und meine weiteren Reiserouten.«

Dr. Albez nahm vom Schreibtisch eine Firmenliste und diktierte dem Kommissar die Anschriften der Konkurrenzunternehmen. Dann ging er wieder zum Fenster zurück und hatte den Wunsch, das Gespräch abzubrechen. Die Sonne schob sich blutrot dem Horizont entgegen, es schien, als wolle sie sich im aufkochenden Meer ertränken. Es war der Anblick des gewaltigen Sonnenunterganges, den Dr. Albez seit Jahren jeden Abend allein und ungestört, in völliger Stille, mit brennendem Herzen genoß.

»Ist alles klar, Kommissar?« fragte er deshalb. »Kann ich morgen mit meiner Jacht reisen?«

»Selbstverständlich. Ich hebe hiermit die einstweilige Beschlagnahme auf. Allerdings verknüpfe ich damit eine Bitte -oder, wenn Sie wollen - auch Bedingung!«

»Und das wäre?«

»Ich möchte Ihnen als Reisebegleiter und persönlichen Schutz einen meiner besten Beamten mitgeben. Ihre Bewachung durch die Unbekannten zwingt mich dazu. Einverstanden?«

»Nicht gern. Aber wenn es sein muß - bitte!«

»Und noch eins.« Selvanos Stimme wurde leiser. »Verlassen Sie Ihre Villa noch heute abend über den Felsweg und übernachten Sie in Lissabon. Ihre Jacht fährt unter Polizeiflagge aus, und ich bitte Sie, sich erst auf See aus Ihrer Kabine zu begeben. An Bord gehen Sie in einer Polizeiuniform, die Ihnen Primo Galbez morgen früh ins Hotel >Europe< bringen wird. Ich möchte unter allen Umständen vermeiden, daß die Bewachung oder sonst ein an Ihnen Interessierter die Abreise bemerkt! Alles bleibt beim alten, und Primo Galbez wird bis zu ihrer Rückkehr Ihre Rolle übernehmen und für die Beobachter den ahnungslosen Hausherrn Jose Biancodero spielen. - Ist Ihr Personal zuverlässig?!«

»Absolut! Und was versprechen Sie sich von diesem Maskenscherz?!«

»Daß wir diese Burschen ohne Ausnahme schnappen und endlich einmal etwas Licht in das Dunkel bringen. - Sie sind doch einverstanden?«

»Mit allem!« Dr. Albez blickte auf das Meer. Wie ein roter Ball spiegelte sich die Sonne in ihm. »Ich wünsche Ihnen alles Glück, Selvano«, sagte Dr. Albez. »Auch ich will endlich wieder in meinem Leben eine helle Sonne lieben lernen.«

Wie ein erträumtes Märchen liegt Teneriffa mitten in den rollenden Wogen des weiten Atlantik. Eine steile, hafenlose Küste schützt es rundum vor lästigen Besuchern, und nur von der Hauptstadt Santa Cruz aus führt der Weg in das Innere der größten und volkreichsten Insel der Kanarischen Gruppe. Steil erhebt sich im Süden der über 3700 Meter hohe Vulkan Pik von Tenerife, in dessen oberem Teil die berühmte, in der Welt in solch bezaubernder Schönheit einmalige Eishöhle - die Cueva del velo - liegt. Drachenbäume gewaltigen Ausmaßes umgeben den Berg mit der zuckerhutartigen Kuppe, die der Eingeborene Pan de azucar oder Piton nennt. Hier am Fuße des Vulkans fand der deutsche Forscher Humboldt den fast 6000 Jahre alten Drachenbaum, den ältesten Baum der Welt überhaupt!

Große Dattel-, Bananen- und Weinplantagen strecken sich in dem äußerst gesunden subtropischen Seeklima über die ganze Insel hin. Sie sind der Reichtum Teneriffas und die Quelle eines üppigen Fruchtexportes nach allen Ländern der Erde.

Besitzer einer solchen riesigen Plantage und Mittelpunkt der Exporteure war der auf geheimnisvolle Weise mit großem Reichtum plötzlich in Teneriffa aufgetauchte Baron v. Pottlach. Seit erst zehn Jahren am Pik de Tenerife wohnend, hatte er sich durch zähen Fleiß und umsichtige Geschäftsmethoden zu einem der angesehensten Händler emporgeschwungen, und sein palastähnliches Herrenhaus mitten in seinen Plantagen wurde von Jahr zu Jahr mehr der Brennpunkt des exklusiven gesellschaftlichen Lebens und einer in seinen Händen zusammenlaufenden fruchtbaren Handelspolitik.

Baron v. Pottlach galt als der Diktator der kanarischen Wirtschaft. Groß, breit, bullig, stets nur mit einem Monokel im linken Auge und bekleidet mit einem schneeweißen Leinenanzug, verkörperte er die seltene Synthese des geborenen Aristokraten mit der Sicherheit eines zielbewußten Handelsherrn. Sein auf dem breiten Körper schmal wirkender Kopf mit der engsatteligen Nase, die dunkelbraunen, leicht angegrauten, stets kurz geschnittenen Haare, und vor allem die sehnigen, eine ungeheuere Energie ausstrahlenden Hände gaben ihm den Ruf eines Mannes, den nichts erschüttern könnte als der eigene Tod.

Und doch saß Baron v. Pottlach an diesem Tage starr und sprachlos hinter seinem Schreibtisch und merkte nicht, daß ihm das Monokel aus dem Auge geglitten war. Ungläubig, erschreckt fast, als sähe er eine übersinnliche Vision, glitt sein Blick an der Gestalt des vor ihm sitzenden Besuchers hinunter und wieder hinauf, ehe er mühsam die Worte wiederfand.

»Sind Sie es wirklich, Doktor Albez?« fragte er leise. »Soviel ich weiß ...«

Dr. Albez hob leicht die Hand. Ein verwundertes Lächeln machte einer fast maskenhaften Strenge Platz.

»Ich heiße Jose Biancodero, Herr Baron«, sagte er laut und fest. »Ich glaube, Ihnen früher auch nie einen anderen Namen genannt zu haben!«

Von Pottlach nickte. Er nahm sein Monokel auf und klemmte es ein.

»Wie Sie wünschen, Senor!« Seine Stimme klang wieder gleichförmig und höflich. »Ich dachte, es spricht sich leichter über die Dinge, die Sie bestimmt zu mir führen, wenn wir eben die Dinge beim richtigen Namen nennen und im vertrauten Kreise Ihre kleine Mimikry fallenließen.«

»Konsul Manolda hat Sie also eingeweiht?« fragte Dr. Albez erstaunt, »Selbstverständlich! Ich pflege nur mit solchen Partnern Geschäftsverbindungen aufzunehmen, die mich von ihrer absoluten Ehrlichkeit überzeugt haben. Das mag vielleicht eine Marotte sein, aber sie hat sich in mancher ausweglosen, verzweifelt erscheinenden Lage bestens bewährt.«

Dr. Albez sah zu Boden. Er hatte das unangenehme Gefühl, daß dieser Mann vor ihm mehr wußte und nun gewollt mit ihm Katze und Maus spielte, bis er eine Lücke entdeckte, die ihn zum Beherrscher der Situation werden ließ. Merkwürdig, dachte Dr. Albez, ich kann zu ihm als Geschäftsfreund freundlich sein, und mit Freundlichkeit treten wir uns gegenüber, aber schon die ersten Worte offenbaren eine innere Gegnerschaft. Äußerst merkwürdig ... und ich kenne ihn doch kaum ...

Dr. Albez beschloß, mit allem, was er sagte, vorsichtig zu sein und jedes Wort genauestens abzuwägen. Er setzte sich auf den angebotenen Korbstuhl und nahm einen dunkelbraunen, brasilianischen Zigarillo aus einer goldgehämmerten Dose. Gewandt und makellos höflich gab ihm Baron v. Pottlach Feuer.

»Sie sind also vollauf orientiert?« fragte Dr. Albez nach dem ersten Zug.

»Über alles.«

»Sehr gut. Das läßt mich freier sprechen. Ich bin vorgestern mit meiner Jacht Anita von Lissabon ausgelaufen, um Ihnen zunächst einen reinen Freundschaftsbesuch zu machen.«

»Äußerst liebenswürdig.« Baron v. Pottlach verbeugte sich im Sitzen und lächelte. Aber es war ein anerzogenes, gespieltes Lächeln. »Ich glaube bestimmt, Ihnen diese Freundlichkeit mit allen mir gebotenen Mitteln entgelten zu können. Sie trinken Wein?«

»Mit Vorliebe!«

»Ich habe einen wundervollen alten Kanariensekt im Keller. Machen Sie mir die Freude, mit Ihnen davon eine Flasche zu trinken.

Er schaltete ein kleines Tischmikrophon ein und gab einige Anweisungen zur Küche. Aber während des Sprechens las er wieder eine auf dem Schreibtisch liegende Kabelmeldung, die schuld an seiner maßlosen Verblüffung beim Erscheinen Dr. Albez' war:

»Jacht Anita heute mit Polizeibemannung ausgelaufen stop Ziel der Fahrt unbekannt stop Dr. Albez noch auf seiner Villa stop Nichts Neues stop Erwarten Nachricht was weiter geschehen soll stop X.«

Irgend etwas stimmt da nicht, schoß es v. Pottlach durch den Kopf. Die Meldung kann nicht falsch sein, das ist unmöglich ... daß der Junge hier in Santa Cruz ist, hat eine andere Bewandtnis als nur einen Besuch. Umsonst täuscht man nicht die Umwelt, wenn man abfährt!

Mit einem blendenden Lächeln wandte er sich vom Mikrophon wieder dem stumm rauchenden und interessiert um sich blickenden Dr. Albez zu.

»Gefällt es Ihnen bei mir?« fragte er liebenswürdig. »Ich entsinne mich, daß Sie zum ersten Male hier sind. Unsere bisherigen, schnellen Begegnungen fanden ja stets nur in Ihrem Lagerhaus in Las Palmas statt, zweimal mit Konsul Manolda und einmal - glaube ich - vor langer Zeit mit Professor Destilliano.«

»Ich kann mich so genau nicht mehr entsinnen«, wich Dr. Albez aus. »Auf jeden Fall waren es kurze Begegnungen.«

»Das muß aber schleunigst nachgeholt werden!« rief Baron v. Pottlach munter und sprang auf. »Es ist geradezu eine Unerhörtheit, dem besten Geschäftspartner persönlich so unbekannt zu sein! Darf ich Ihnen zunächst mein Haus zeigen? Es ist, solange Sie mein Gast sind, auch das Ihre.«

Dr. Albez verbeugte sich leicht, blieb aber auf seinem Korbsessel sitzen. Fast spielerisch streifte er die weiße Asche von dem dunklen Zigarillo.

»Recht gern, lieber Baron. Aber bevor wir zum rein freundschaftlichen Teil meines Besuches übergehen ...«

»... kommen ...« lächelte v. Pottlach mit einer widerlichen Überlegenheit, als spräche er einen guten Witz. Dr. Albez rettete sich in ein gezwungenes Lachen.

»Gut! Also kommen! Ich verbinde nämlich einen bestimmten Zweck mit meiner Reise.«

Aha, dachte v. Pottlach. Kommst du endlich zum Thema? Oder hältst du mich für so dumm, daß ich Kommentare brauche?! Ich will dir ein wenig helfen, mein Bester.

»Ich vermute, es handelt sich um das Verschwinden Konsul Manoldas?« fragte er verbindlich.

Dr. Albez nickte. Raffinierter Junge, dachte auch er. Will mir die Trümpfe aus der Hand schlagen!

»Ja«, antwortete er. »Sie haben Manolda zuletzt gesehen?«

»Wir besprachen die Entwicklung der Eroberung des afrikanischen Marktes. Dann kaufte der Herr Konsul 3000 Kisten angereifte Bananen in Stauden. Im übrigen kann ich nur wiederholen, was ich bereits der Lissaboner Polizei mitteilte. Konsul Manolda verließ mich und bestieg den planmäßigen Postdampfer nach Las Palmas. Wir winkten uns noch zu, bis wir uns nicht mehr sehen konnten. Wir standen in einem sehr herzlichen, kollegialen Verhältnis.«

»Ich weiß.« Dr. Albez nickte. »Aber Manolda ist in Las Palmas nicht angekommen! - Besteht die Möglichkeit, daß der Postdampfer auf offener See Passagiere auf andere Schiffe übersetzt?«

»Im allgemeinen nicht. Und das wäre ja auch leicht nachzuprüfen! Bei Manolda war das jedenfalls nicht so!« Von Pottlach lächelte und lehnte sich zurück. »Sie vermuten, daß der Konsul gleich nach Afrika weiterfuhr?! Wenn das der Fall ist -rein theoretisch gedacht -, verstehe ich immer noch nicht, warum er mir davon nichts sagte!«

Dr. Albez überlegte scharf. Was hatte Baron v. Pottlach polizeilich ausgesagt? Er und Manolda hätten im Hotel Esplanade in Santa Cruz bis 22 Uhr verhandelt. Warum aber im Hotel und nicht hier auf der nahe gelegenen Plantage?!

»Sie trafen Manolda im Hotel Esplanade?« fragte Dr. Albez ohne besondere Betonung.

Baron v. Pottlach horchte auf. Die Frage irritierte ihn. Dr. Albez sah an die Decke. Von Pottlach biß die Lippen aufeinander. Er wußte nicht, auf welchen Punkt die Frage hinauslief.

»Ja -« sagte er gedehnt. »Ich lud den Herrn Konsul zu mir ein, aber er wollte nur einen kleinen Fragenkomplex klären. Seine Zeit sei genau bemessen, entschuldigte er sich.«

»Und dann wurde es trotzdem 10 Uhr abends?! Man kann in 12 Stunden viel besprechen ...«

Baron v. Pottlach krauste die Stirn. Zeit gewinnen, dachte er.

Halte ihn hin - die neue Meldung muß gleich kommen.

»Soll das ein Verhör sein?« fragte er pikiert. Dr. Albez schüttelte den Kopf.

»Entschuldigen Sie, Herr Baron. Aber ich habe gedacht, daß auch Sie daran interessiert sind, das Rätsel um Manolda zu lösen. Sie werden verstehen, daß ich durch das Verschwinden meines Kompagnons äußerst beunruhigt bin!«

Am Mikrophon leuchtete kurz eine kleine rote Birne auf. Die Augen v. Pottlachs bekamen einen funkelnden Glanz. Schnell erhob er sich.

»Sie entschuldigen mich bitte einen Augenblick«, sagte er zu Dr. Albez. »Eine dringende Unterschrift im Sekretariat ...«

Mit großen Schritten eilte er aus dem Zimmer. Nachdenklich blickte ihm Dr. Albez nach.

Auf dem Flur vor dem Arbeitszimmer stand der Privatsekretär und überreichte v. Pottlach ein Kabelgramm. Mit maßlosem Erstaunen las es der Baron und schüttelte beim Lesen immer wieder den Kopf.

»Jacht Anita an der Dreimeilengrenze von Polizei verlassen stop Fahrt ging ins offene Meer weiter stop Meldung kommt erst jetzt da Nachricht und Nachforschungen aus Cintra stop Dr. Albez noch im Hause stop Wurde heute mittag von einem unserer Leute von nahem gesehen stop Bemannung und Ziel der Jacht demnach unbekannt stop X.«

»Verrückt!« sagte v. Pottlach laut. »Total verrückt! Die Kerle sehen ja schon in der Sonne Gespenster! - Wann ist das Kabelgramm eingetroffen?«

»Vor zehn Minuten - ich mußte es erst entschlüsseln«, antwortete schüchtern der Sekretär.

»Kabeln Sie zurück ...« Der Sekretär riß einen Block aus der Tasche und schrieb:

»Dr. Albez seit einer Stunde mit Jacht Anita in Santa Cruz stop Stellt fest, wer der angebliche Doktor Albez in Cintra ist stop Erwarte Meldung bis spätestens morgen früh stop Besondere Aufmerksamkeit auf Primo Galbez und Selvano stop Drahtet ob Leiche Manoldas ausgegraben wurde stop Wenn nicht, sorgt dafür, daß Leiche bis morgen abend aus dem Grab verschwunden ist stop Y.«

Von Pottlach dachte noch einen Augenblick nach, ehe er nickte. »Verschlüsseln Sie das Kabelgramm und geben Sie es sofort durch«, sagte er dann zu dem Sekretär und wandte sich ab. »Sollte etwas Besonderes eintreffen, so benachrichtigen Sie mich sofort ohne Rücksicht auf meinen Besuch.«

Der Sekretär nickte. Mit schnellen Schritten eilte Baron v. Pottlach in ein angrenzendes Zimmer und führte mit gedämpfter Stimme ein Ferngespräch. Dann trat er befriedigt und sichtlich guter Laune wieder in sein Arbeitszimmer und klopfte Dr. Albez lachend auf die Schulter.

»Ich habe gute Nachricht für Sie«, lachte er herzlich. »Die ersten afrikanischen Früchte rollen heran! Sie sind ein Glückspilz, liebster Albez.«

Zwei Stunden später betrat ein gutgekleideter, braungebrannter Herr mit einem leicht englischen Akzent in der portugiesischen Sprache die am Pier vertäute, aber unter Dampf gehaltene Jacht Anita und verlangte den Senor Jose Biancodero begleitenden Kriminalbeamten zu sprechen.

Der Zweite Offizier, der heute die Wache führte, bat ihn, in der Kapitänskajüte Platz zu nehmen, und eilte davon, den irgendwo auf Deck liegenden und sich sonnenden Beamten Selvanos zu holen.

Als Juan Permez, so hieß er, erstaunt und ahnungslos die Kajüte betrat, erhob sich der Fremde gewandt und höflich und stellte sich mit einem langen, klingenden Namen vor, den Permez unmöglich behalten konnte.

»Sie werden erstaunt sein«, sagte der Fremde, »daß ich Sie in

Ihrer Ruhe zu stören wagte. Aber Herr Biancodero schickt mich. Die Suche nach dem vermißten Konsul Don Manolda ist in ein fruchtbares Stadium getreten. Ich habe den Auftrag, Ihnen die neuesten Ergebnisse zu Protokoll zu geben. Können wir hier ungestört sprechen?«

Er sah sich um und erhob sich gleichzeitig. Auch Juan Permez stand auf und verbeugte sich leicht.

»Wir können in meine Kabine gehen«, sagte er. »Dort habe ich Schreibzeug, und wir sind vor allen etwaigen Lauschern sicher ... obgleich ich glaube, daß hier auf dem Schiff in dieser Richtung nichts zu befürchten ist.«

»Man soll die Indiskretion nicht herausfordern«, lächelte der Fremde und wandte sich zum Gehen. »Vertrauen ist das wenigste, was der Mensch verdient.«

Unter lebhaftem Gespräch gingen Juan Permez und der Fremde über das sonnenglänzende Deck und verschwanden im Eingang zu den Kajüten. Gleichgültig sah ihnen der wachhabende Zweite Offizier von der Brücke aus nach und ertappte sich bei dem frevelhaften Wunsch, auch einmal die Offiziersmütze mit solch einem leichten Panamahut, wie ihn der Fremde trug, vertauschen zu können.

Nach knapp zehn Minuten kam der Fremde wieder von den Kabinen zurück, grüßte lächelnd zu dem aufs Land blickenden Offizier hinauf und verließ gemächlichen Schrittes die Jacht Anita. Am Kai blickte er sich noch einmal um, könnte sich anscheinend nicht entschließen, in welche Richtung er gehen sollte, und verschwand dann in dem Gewirr der für alle Häfen charakteristischen Lagerschuppen.

Erst nach zwei Stunden fiel es dem Zweiten Offizier auf, daß Senor Juan Permez noch nicht wieder auf seinem Deckplatz lag und sich sonnte. Verlassen hatte er das Schiff auch nicht, und bei dieser drückenden Hitze in der Kabine zu hocken, war an sich ein kompletter Irrsinn.

Mehr aus Interesse an dem ungewöhnlichen Gehabe Juan Permez' als aus Neugier kletterte der Zweite Offizier von der Brücke herab und schlenderte den Kabinen zu. Bei Juan Permez klopfte er an, erhielt keine Antwort und fand beim Herunterdrücken der Klinke, daß die Tür unverschlossen war.

Mißtrauisch klopfte er noch einmal an. Aber keine Antwort ertönte aus dem Inneren der Kajüte. Der Offizier zögerte. Es war dem Personal strengstens verboten, die Gastkabinen der Jacht zu betreten. Doch dann überwand er seine Scheu, stieß die Tür auf und trat ein. Die Bullaugen waren zugezogen, fahles Halbdunkel umgab ihn.

Entsetzt prallte er zurück.

Lang hingestreckt, mit dem Gesicht nach unten, lag Juan Permez auf dem Boden, die Hände in den Teppich gekrallt. Eine breite Blutlache war in das Gewebe eingesogen.

Aus seinem Rücken aber ragte der Griff eines kleinen schmalen Dolches.

Auf dem Absatz wirbelte der Offizier herum und rannte mit langen Schritten über das in der Sonne glühende Deck der Kommandobrücke entgegen. Er hetzte die Treppen hinauf, stürzte auf die Signalglocke und riß an der pendelnden Schnur.

Grell durchschnitt die Glocke die heiße Luft. Unaufhörlich gellte ihr Ton über das stille, träge Schiff. Schritte trampelten die Treppen hinauf, die Freiwache rannte über Deck.

Alarm ... Alarm ...

Schrill heulte die Dampfsirene auf.

Alarm auf der Jacht Anita ...

Baron v. Pottlach begleitete Dr. Albez bis vor das schmiedeeiserne Tor des weißen Palastes und drückte ihm mit aller Herzlichkeit die Hand. Seine Augen strahlten.

»Kommen Sie bald wieder«, sagte er, und es klang ehrlich und aus vollem Herzen. »Wenn Sie in Afrika Ihren Konsul

Manolda treffen, dann sagen Sie ihm, daß ich ihm seine Heimlichkeiten nur dann verzeihen werde, wenn er mit mir eine Runde Kanariensekt trinkt. Und vergessen Sie nicht eins, Doktor Albez: Versuchen Sie, von Dakar aus den marokkanischen Markt zu erobern, nicht von Marrakesch selbst aus! Die Liste meiner Geschäftsfreunde haben Sie doch?«

»Ja. Und nochmals herzlichsten Dank. Ich steche heute noch in See. Es freut mich, daß wir uns so gut verstanden. Ehrlich gesagt, ich empfand erst Mißtrauen Ihnen gegenüber.«

»Aber bester Doktor Albez ...«

»Sie sehen, ch bin ehrlich!« Dr. Albez ging die Stufen des Einganges hinunter und wandte sich an der auf der Auffahrt wartenden Taxe noch einmal um. »Wenn Konsul Manolda in Dakar war, wird es mir leicht sein, seine Spur zu verfolgen. Ihr Hinweis ist mir äußerst wichtig. Wenn es Ihnen nicht unangenehm ist, blicke ich auf der Rückfahrt noch einmal zu Ihnen herein.«

»Aber bitte.« Von Pottlach verneigte sich, das Einglas blitzte in seinen Augen. »Mein Haus steht jederzeit zu Ihrer Verfügung. Eine gute Fahrt und viel Erfolg ...«

Langsam fuhr die Taxe an, wandte sich an der Kehre und rollte dann aus dem Park hinaus auf die breite Palmenstraße nach Santa Cruz.

Lange blickte ihr Baron v. Pottlach nach, auf den Stufen seines Palastes stehend und die Hände leicht aneinander reibend. Als der Wagen in der Ferne zwischen den Palmen verschwand, lächelte er und nahm das Einglas aus dem Auge. Sein Gesicht war merkwürdig hart und kantig.

Es war ein Lächeln, das auf den Lippen gefror.

Das Lächeln eines Spielers vor dem Fall der schicksalhaften Kugel ... vor dem letzten Einsatz ...