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In Buck steckten nicht nur zwei Teufel, wie die Männer festgestellt hatten, er war auch ein vorzüglicher Leithund. François hatte Spitz als Leithund hoch eingeschätzt, aber er mußte zugeben, daß Buck seinem früheren Rivalen weit überlegen war, besonders, wenn es auf Urteilsvermögen, schnelles Denken und Handeln ankam. Dave und Solleks berührte der Wechsel des Leithundes nicht. Ihre Arbeit war es, zu ziehen und nichts als zu ziehen. Solange sie daran nicht gehindert wurden, kümmerten sie sich um nichts, was geschah. Ihretwegen hätte sogar der gutmütige Billie führen können, wenn nur die Ordnung nicht darunter litt. Der Rest des Gespanns aber war in der letzten Zeit unlenksam geworden, und zu ihrem Erstaunen fanden sie in Buck einen strengen Führer, der die Ordnung wieder herstellte.
Pike, der hinter Buck lief und niemals mehr Kräfte verschwendete, als unumgänglich notwendig war, wurde so oft wegen Faulheit durchgebeutelt, daß er, noch ehe der Tag um war, sich in die Stränge legte wie nie zuvor in seinem Leben. Am ersten Abend schon erhielt Joe, den Spitz nie hatte unterwerfen können, seinen Denkzettel. Buck drückte ihn einfach mit seinem Riesengewicht nieder und zerzauste ihn, bis Joe zu beißen aufhörte und um Erbarmen winselte.
Der Ton im Gespann verbesserte sich. Es gewann seine ehemalige Ordnung wieder, und die Hunde zogen in ihrer alten Einmütigkeit an den Strängen. Bei den Rink-Stromschnellen kamen noch zwei einheimische Wolfshunde, Teek und Koona, zum Gespann, und die Schnelligkeit, mit der sie Buck anlernte, raubte François fast den Atem.
»Nie solch Hund gehabt wie dies Buck«, schrie er. »No, nie! Er wert tausend Dollar, bei Gott! Eh? Was sagst du, Perrault?«
Perrault nickte bloß. Er hatte den Rekord jetzt schon gebrochen und gewann Tag für Tag einen größeren Vorsprung. Die Strecke war in einem ausgezeichneten Zustand, festgetreten und hart, und kein Neuschnee behinderte sie. Es war nicht zu kalt. Die Männer fuhren und rannten abwechselnd, und die Hunde zogen gleichmäßig vorwärts, und es gab nur selten Atempausen.
Der Dreißigmeilenfluß war verhältnismäßig gut mit Eis bedeckt, und sie legten jene Strecke, zu der sie bei der Herfahrt zehn Tage gebraucht hatten, jetzt in einem Tag zurück. In einem Zug bewältigten sie die sechzig Meilen vom Le-Barge-See zu den White-Horse-Stromschnellen. Eine Seenkette, siebzig Meilen lang, folgte, und das Gespann raste so schnell vorwärts, daß François, der gerade neben dem Schlitten lief, kaum mehr folgen konnte und sich am Seil nachziehen lassen mußte. Am letzten Abend der zweiten Woche überstiegen sie den Weißen Paß und glitten den Küstenhang hinunter und sahen die Lichter von Skaguay und seinem Hafen aufblitzen.
Es war eine Rekordfahrt! Vierzehn Tage lang hatten sie täglich durchschnittlich vierzig Meilen zurückgelegt. Drei Tage lang stolzierten Perrault und François mit geschwellter Brust die Hauptstraße von Skaguay auf und ab und wurden mit Einladungen zu Drinks überschüttet, während das Gespann der ständige Mittelpunkt einer Menge von Hundeliebhabern war. Erst als drei oder vier Rowdies, die versucht hatten, die Stadt zu plündern, wie Pfefferkisten durchlöchert wurden, ließ das allgemeine Interesse an den Hunden wieder nach. Bald darauf kamen amtliche Befehle, und die beiden Schlittenführer erhielten andere Aufgaben. Als sich François von Buck verabschiedete, schlang er seinen Arm um ihn und weinte. Wie so viele andere Menschen verschwanden François und Perrault für immer aus Bucks Leben.
Ein schottisches Halbblut übernahm Buck und seine Gefährten, und zusammen mit einem Dutzend anderer Hundegespanne fuhren sie die mühsame Strecke nach Dawson zurück. Das war kein leichtes Laufen mehr, keine Rekordfahrt, sondern harte Arbeit vor einer schweren Last. Sie führten den Postschlitten, der den Männern, die in der Polargegend Gold suchten, Nachrichten aus der zivilisierten Welt brachte.
Buck gefiel dieses Leben nicht, aber er hielt willig durch und setzte seinen Stolz darein, daß jeder Hund seines Gespannes seine Pflicht tat. Es war ein eintöniges Leben. Ein Tag glich dem anderen. Zur gleichen Zeit an jedem Morgen standen die Köche auf, Feuer wurden angezündet, und die Männer frühstückten. Einige brachen das Lager ab, andere schirrten die Hunde an, und eine Stunde vor dem Morgengrauen waren sie schon unterwegs. Abends wurde das Lager wieder aufgebaut. Man stellte die Zelte auf, schnitt Brennholz und sammelte Fichtenäste für die Betten und schleppte Wasser oder Eis für die Küche. Die Hunde wurden gefüttert, und wenn sie ihren Anteil gefressen hatten, lungerten sie noch mit ihren Kameraden eine Stunde im Lager umher. Streitbare Gesellen waren unter ihnen, aber drei Kämpfe genügten, um auch die wildesten unter ihnen von Bucks Überlegenheit zu überzeugen. Wenn er seine Zähne fletschte, ging ihm jeder aus dem Weg.
Am liebsten lag er nahe am Feuer, die Hinterbeine unter den Körper gezogen, die Vorderbeine ausgestreckt. Er blinzelte träumerisch in die Flammen. Manchmal wanderten seine Gedanken zum großen Haus seiner sonnigen Heimat zurück, zu Bella, der Mexikanerin, und Toot, dem japanischen Mops, aber viel häufiger noch erinnerte er sich an den roten Mann, an den Tod Curlys, an den großen Kampf mit Spitz und an die guten Dinge, die er gefressen hatte oder gern fressen wollte. Aber er hatte kein Heimweh. Das Sonnenland erschien ihm nur sehr undeutlich und entfernt, und die Erinnerungen daran berührten ihn kaum. Weit mächtiger waren die Erinnerungen seiner Vorfahren. So lange hatte ihr Erbe in ihm geschlafen, und nun erwachte es und wurde wieder lebendig.
Wenn er manchmal da so kauerte und in die Flammen blinzelte, schien es ihm, daß die Flammen von einem anderen Feuer waren und daß bei diesem anderen Feuer ein anderer Mann als das Halbblut neben ihm saß. Dieser andere Mann hatte kürzere Beine und längere Arme mit Muskeln, die sehnig und knotig waren. Das Haar dieses Mannes war lang und wirr verfilzt, und seine Stirn wich unter ihnen zurück. Er stieß seltsame Laute aus und schien große Angst vor dem Dunkel zu haben, in das er unaufhörlich starrte. Seine Hand, die weit über die Knie reichte, umkrampfte einen Stock, der einen schweren Stein am Ende trug. Der Mann war fast nackt, nur ein zerrissenes, feuerversengtes Fell hing über seine Schultern herab. Der Körper war mit Haaren bedeckt, über der Brust und an den Schultern und auf der Außenseite der Arme und Schenkel waren sie dick wie ein Pelz. Er stand nicht aufrecht, sondern mit vorgeneigtem Oberkörper und auf Beinen, die sich in den Knien bogen. Diesen Körper belebte eine fast katzenähnliche Spannkraft und Elastizität, eine Wachsamkeit, die aus der ständigen Furcht vor sichtbaren und unsichtbaren Dingen kommt.
Ein anderes Mal wieder hockte dieser haarige Mann mit dem Kopf zwischen den Beinen am Feuer und schlief. Seine Ellbogen ruhten auf den Knien, seine Hände schlossen sich über dem Kopf, als wollte er mit den haarigen Armen den Regen abhalten. Und jenseits des Feuers, in der umgebenden Dunkelheit, konnte Buck viele glühende Kohlen sehen, zwei und zwei, immer zwei und zwei, und er wußte, daß es die Augen wilder Tiere waren. Und er hörte das Knacken des Unterholzes und hörte, wie sie umherschlichen. Und so lag Buck träumend am Ufer des Yukon, starrte schläfrig in das Feuer, und die Laute und Bilder einer fernen Welt ließen sein Rückenhaar sich sträuben, und er winselte leise und unterdrückt, bis ihn das Halbblut anrief: »He du, Buck, wach auf!« Dann verschwanden diese Bilder, und die Wirklichkeit trat wieder in ihre Rechte; er gähnte und streckte sich, als ob er geschlafen hätte.
Die Fahrt mit dem Postschlitten war hart, und die schwere Arbeit zehrte an den Kräften des Gespanns. Sie hatten an Gewicht verloren und waren in elender Verfassung, als sie in Dawson eintrafen. Eine Rast von mindestens einer Woche hätten sie dringend nötig gehabt, aber schon zwei Tage später mußten sie, mit Briefen und Paketen beladen, den Rückweg antreten. Die Hunde waren müde, die Führer müde. Noch dazu schneite es jeden Tag. Die Bahn war weich und das Ziehen harte Arbeit für die Hunde. Die Leute sorgten, so gut sie es konnten, für die Tiere.
Jeden Abend wurden zuerst die Hunde betreut. Sie bekamen ihre Mahlzeit zuerst, dann aßen die Männer, und keiner von ihnen ging schlafen, ehe er nicht die Pfoten seiner Hunde untersucht hatte. Trotzdem nahmen ihre Kräfte ständig ab. Seit Beginn des Winters hatten sie achtzehnhundert Meilen zurückgelegt und ihren schweren Schlitten gezogen; achtzehnhundert Meilen mußten auch dem Zähesten in die Beine gehen. Buck hielt durch, feuerte seine Gefährten zur Arbeit an und sorgte für Ordnung, obwohl auch er erschöpft war. Billie klagte und winselte jede Nacht. Joe war verdrießlicher denn je, und Solleks durfte man sich überhaupt nicht nähern, weder auf seiner blinden noch auf seiner anderen Seite. Von allen aber litt Dave am meisten. Etwas war bei ihm nicht in Ordnung. Er wurde immer mürrischer und gereizter und machte sich, wenn das Lager aufgeschlagen wurde, sofort sein Nest, wo ihn sein Lenker füttern mußte. Sobald er ausgeschirrt war und am Boden lag, stand er nicht wieder auf bis morgens, wenn er zum Schlitten mußte. Manchmal heulte er vor Schmerz auf, mitten auf der Straße, wenn das Gespann ruckartig zum Stillstand kam oder von neuem losfuhr und die Stränge sich straffzogen. Die Lenker untersuchten ihn, konnten aber nichts finden. Alle Männer interessierten sich für seinen Fall. Sie sprachen von Dave zur Essenszeit und wenn sie ihre Pfeifen vor dem Schlafengehen rauchten. Eines Abends holten sie ihn aus seinem Nest und brachten ihn ans Feuer. Sie tasteten seinen Körper ab, und obwohl er immer wieder kläglich aufheulte, fanden sie nichts, keinen gebrochenen Knochen, keine innere Verletzung. Aber irgend etwas stimmte nicht mit Dave.
Als man die Cassiar Bay erreichte, war er so schwach, daß er immer wieder in den Strängen zusammenbrach. Das schottische Halbblut ließ halten, nahm ihn aus dem Gespann heraus, und an seine Stelle trat Solleks. Dave sollte sich ausruhen und frei hinter dem Schlitten herlaufen. Aber so elend er auch war, Dave wollte sich nicht ausspannen lassen, er knurrte und grollte, als die Stränge gelöst wurden, und winselte herzzerreißend, als er Solleks auf seinem Platz sah, auf dem er so lange treu gedient hatte. Selbst als Todkranker konnte er es nicht ertragen, daß ein anderer seine Dienste verrichten sollte.
Als der Schlitten anlief, stolperte er in dem weichen Schnee neben Solleks her, schnappte nach ihm und versuchte, ihn aus der Spur zu stoßen, um selbst wieder an seine Stelle zu springen. Er jaulte kläglich. Das Halbblut wollte ihn mit der Peitsche wegtreiben, aber Dave kümmerte sich nicht darum, und der Hundeführer brachte es nicht übers Herz, ihn zu schlagen. Eine Zeitlang schleppte sich Dave noch weiter, dann stolperte er und blieb liegen und heulte jämmerlich, als der lange Schlittenzug an ihm vorüberglitt.
Noch einmal raffte er sich auf und mühte sich hinter den Gespannen ab, bis sie anhielten. Er taumelte zu seinem Schlitten und blieb neben Solleks stehen. Nur einen Augenblick ließ der Lenker den Hund aus den Augen, als er sich bei seinem Hintermann Feuer für seine Pfeife holte. Als er zurückkam und die Hunde antrieb, begannen sie zu ziehen, blieben aber sofort wieder verblüfft stehen, und verblüfft war auch der Treiber. Der Schlitten hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Das Halbblut rief seine Kameraden herbei: Dave hatte beide Stränge Solleks’ durchgebissen und stand nun vor dem Schlitten an seinem richtigen Platz.
Er bettelte mit seinen Augen, und das Halbblut starrte ratlos auf ihn. Seine Kameraden erzählten, daß einem Hund das Herz brechen konnte, wenn man ihn von seiner gewohnten Arbeit nahm, und sie erzählten von Hunden, zu alt für die Schinderei oder verletzt, die eingegangen waren, als man sie vom Gespann ausgeschlossen hatte. Und da Dave todkrank war und da ihn nichts mehr retten konnte, wäre es barmherziger, ihn zufrieden und glücklich mitten in seiner harten Arbeit sterben zu lassen. Dave wurde wieder angeschirrt, und stolz trabte er wie früher dem Schlitten voraus, obwohl er immer wieder qualvoll aufheulte, wenn der Schmerz in seinem Körper allzu wütend biß. Er stolperte immer wieder, und einmal gingen die Schlittenkufen über seine Hinterbeine hinweg, und er konnte nur mehr hinkend weiterziehen.
Aber er hielt aus, bis das Lager erreicht war und sein Lenker ihm am Feuer einen Platz zurechtmachte. Der Morgen fand ihn zu schwach, um aufzustehen. Um die Anschirrzeit versuchte er, zu seinem Treiber zu kriechen. Mit unsäglicher Mühe kam er auf die Füße, taumelte und fiel wieder hin. Sein ganzes Sinnen ging dorthin, wo seine Kameraden waren. Er schob die Vorderbeine voraus und schleppte den Körper ruckartig nach, bis ihn die Kräfte endgültig verließen. Er blieb, nach Atem ringend, im Schnee liegen, seinen versagenden Blick sehnsüchtig auf das Gespann gerichtet. Das war das Letzte, was seine Gefährten von ihm sahen. Sie verloren ihn hinter einem Hügel aus den Augen, aber noch immer konnten sie sein trauriges, klägliches Heulen hören. Der Schlittenzug hielt an. Das Halbblut ging langsam in der Spur zurück. Die Männer hörten zu sprechen auf. Ein Revolverschuß, und der Mann kam eilig zurück. Die Peitschen klatschten, die kleinen Glocken bimmelten hell, und die Schlitten fuhren weiter; aber Buck und jeder Hund wußte, was hinter dem Felsen geschehen war.
Die Schrecken des langen Pfades
Dreißig Tage nachdem sie Dawson verlassen hatten, kamen die Postschlitten mit Buck und seinen Gefährten in Skaguay an. Sie waren in einem elenden Zustand, übermüdet und abgerackert. Bucks hundertvierzig Pfund waren auf hundertfünfzehn zusammengeschrumpft. Die anderen hatten im Verhältnis zu ihrer Größe noch mehr Gewicht verloren. Pike, der so oft in seinem Leben ein wundes Bein vorgetäuscht hatte, hinkte nun wirklich. Solleks lahmte, und Dub hatte ein verrenktes Schulterblatt.
Ihre Pfoten waren zerfetzt und wund, und den Sprunggelenken fehlte jede Spannkraft. Schwerfällig trotteten sie vor dem Schlitten und brauchten die doppelte Kraft, ihn zu ziehen. Das war keine gewöhnliche Müdigkeit mehr, von der man sich nach ein paar Ruhestunden erholt hat. Nach wochenlanger Überanstrengung waren ihre Körper erschlafft, und alle Kraftreserven fehlten. Sie konnten nicht mehr. Ihre Muskeln versagten, jede Faser, jede Sehne ihres Körpers war schlaff und kraftlos. In weniger als fünf Monaten hatten sie zweitausendfünfhundert Meilen zurückgelegt, und die Rasttage waren viel zu kurz gewesen. Als sie in Skaguay ankamen, stolperten sie auf ihren letzten Beinen. Sie waren kaum mehr imstande, die Stränge straff zu halten, und beim Bergabgleiten kamen sie fast unter die Kufen.
»Oh, ihr armen, armen Kerle«, redete ihnen das Halbblut zu, als sie die Hauptstraße hinuntertorkelten. »Gleich sind wir da! Dann gibt’s eine lange Rast. Ganz sicher! Eine verdammt lange Rast!«
Alle Kuriere hofften auf eine lange Rast. Wer zwölfhundert Meilen neben dem Schlitten herläuft, hat sich ehrlich seine Erholung verdient. Aber es sollte anders kommen. Dort oben in Klondike lebten allzu viele Männer, die auf Nachricht warteten, und allzu viele Frauen und Kinder warteten im Süden auf Nachricht von ihren Gatten und Vätern. Dazu kamen noch amtliche Schriftstücke. Die wartende Post hatte sich wahrhaftig zu einem Riesenberg aufgestapelt. Die Hunde waren für eine neue Fahrt nicht mehr tauglich, und sie mußten durch neue ersetzt werden.
Drei Tage vergingen, und Buck und seine Gefährten merkten erst jetzt, wie übermüdet und schwach sie waren. Am Morgen des vierten Tages erschienen zwei Männer aus den Staaten und kauften sie in Bausch und Bogen um einen Pappenstiel. Sie nannten sich Hal und Charles. Charles war ein Mann mittleren Alters, leicht gebräunt, mit schwachen, wäßrigen Augen. Sein mächtiger Schnurrbart konnte die schlaff herabhängenden Lippen nicht verbergen. Hal dagegen war ein Kerl von neunzehn oder zwanzig Jahren, der an seinem Gürtel einen großen Revolver und ein Jagdmesser hängen hatte. Dieser mit Patronen gespickte Gürtel war das einzig Bemerkenswerte an ihm, er verriet seine schier strafbare Unreife. In ihrer Gesellschaft war auch eine Frau, Mercedes hieß sie, und sie nannte Charles ihren Mann und Hal ihren Bruder. Beide Männer waren hier fremd und paßten auch nicht ins Nordland.
Buck hörte dem Schachern zu, sah, wie zwischen den Männern und dem Regierungskurier Geld gewechselt wurde, und wußte nun, daß das Halbblut und die anderen Schlittenlenker ebenso aus seinem Leben verschwinden würden wie Perrault und François. Als Buck mit seinen Gefährten zum Lager seiner neuen Besitzer getrieben wurde, fand er dort eine heillose Wirtschaft. Das Zelt war unordentlich gespannt, das Eßgeschirr schmutzig und alles verschlampt und ungepflegt.
Buck sah ihnen neugierig zu, wie sie sich umständlich daranmachten, das Zelt abzureißen und die Schlitten zu beladen. Jede Erfahrung fehlte ihnen. Das Zelt wurde zu einem plumpen Bündel zusammengerollt, das dreimal so groß war, als es hätte sein dürfen. Das Geschirr wurde, wie es war, schmutzig und ungespült auf den Schlitten geworfen. Anstatt zu helfen, stand Mercedes den Männern nur im Weg, sie rannte bald dorthin, bald dahin, redete ohne Unterbrechung und tat doch nichts.
Wenn sie einen Kleidersack vorne auf den Schlitten legten, schlug sie vor, ihn hinten anzubringen, und wenn sie ihn dann rückwärts verstaut und bereits ein paar Bündel darauf verschnürt hatten, entdeckte sie, daß zuunterst Dinge lagen, die sie notwendig brauchte. Also wurde wieder umgepackt.
Die Männer vom Nachbarzelt beobachteten dieses unsinnige Getue und zwinkerten sich gegenseitig zu.
»Ihr habt da eine ganz schöne Ladung beisammen«, sagte einer von ihnen, »es geht mich zwar nichts an, aber ich an eurer Stelle würde das Zelt nicht mitschleppen.«
»Nicht daran zu denken!« schrie Mercedes und rang theatralisch die Hände. »Ich kann doch ohne Zelt nicht auskommen!«
»Aber ja, es wird schon gehen, es ist Frühling, und das kalte Wetter ist vorbei«, erwiderte der Mann.
Sie schüttelte entschieden den Kopf und legte die letzten Kleinigkeiten auf die Riesenladung.
»Glaubt ihr, daß ihr damit weiterkommt?« fragte ein anderer.
»Warum nicht?« entgegnete Charles kurz angebunden.
»Schon gut, schon gut. Ich erlaube mir nur, mich zu wundern, es scheint mir eine Kleinigkeit zu schwer.«
Charles kehrte ihm den Rücken zu und zog die Verschnürung fest, so gut er es konnte, das heißt, er zog sie nur sehr ungenügend fest.
»Das alles sollen die Hunde ziehen?« fragte ein Neuankommender.
»Selbstverständlich! Dazu sind sie ja da!« antwortete Hal eisig und hob die Peitsche. »Hüh!« schrie er. »Hüh! Vorwärts!«
Die Hunde zogen mit aller Kraft an, mußten aber wieder aussetzen. Der Schlitten hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
»Ihr faulen Biester, ich werd’s euch schon zeigen!« schrie Hal und holte mit der Peitsche zum Schlag aus.
Mercedes fiel ihm in den Arm und beschwor ihn: »O Hal, bitte nicht schlagen, das darfst du nicht!« Sie versuchte, ihm die Peitsche zu entwinden. »Ihr armen Lieblinge! Du mußt mir versprechen, den Rest der Fahrt nicht so streng mit ihnen zu sein, sonst gehe ich keinen Schritt weiter.«
»Was weißt denn du von Hunden?« antwortete ihr Bruder grob. »Laß mich zufrieden! Sie sind faul, sie brauchen die Peitsche. Das kann dir jeder sagen. Frag nur einen dieser Männer!«
Mercedes blickte flehend um sich, und in ihrem hübschen Gesicht stand die Abneigung gegen häßliche Dinge geschrieben.
»Sie sind zu schwach, das ist alles, wenn ihr’s wissen wollt«, antwortete einer von den Umstehenden. »Höllisch abgerackert sind sie. Ruhe brauchen sie.«
»Rutsch mir mit deiner Ruhe den Buckel runter!« rief der milchgesichtige Hal. Mercedes sagte entsetzt »Oh!«, ob aus Mitgefühl für die Hunde oder wegen der ordinären Ausdrucksweise ihres Bruders blieb dahingestellt. Aber da sie Familienstolz besaß, kam sie trotzdem ihrem Bruder sofort zu Hilfe.
»Kümmere dich nicht um den Mann. Die Hunde gehören uns, und was wir mit ihnen tun, ist unsere Sache.«
Und wieder sauste Hals Peitsche auf die Hunde nieder. Noch einmal warfen sie sich verzweifelt in die Stränge und setzten ihre ganze Kraft ein. Aber der Schlitten steckte fest, als ob er verankert wäre. Nach dem zweiten Versuch standen sie keuchend still. Zum drittenmal pfiff die Peitsche durch die Luft. Das war für Mercedes zuviel. Sie warf sich vor Buck auf die Knie, Tränen in den Augen, und schlang die Arme um seinen Nacken.
»Ihr armen, armen Lieblinge«, rief sie, »zieht doch, dann schlägt euch niemand!«