37748.fb2 Der Ruf der Wildnis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

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Buck wußte mit diesen Liebkosungen nichts anzufangen, sie waren ihm zuwider. Aber er war viel zu müde, sich dagegen zu wehren.

Einer der Zuschauer, der bisher nur mit Mühe seinen Unwillen unterdrückt hatte, brach jetzt los: »Ich scher mich einen blauen Teufel um euch und was aus euch wird, aber die Hunde tun mir leid. Seht ihr denn nicht, ihr gottverlassenen Kerle, daß der Schlitten festsitzt! Brecht ihn zuerst los, dann könnt ihr weitersehen.«

Widerwillig, etwas beschämt, folgte Hal dem Rat, und mit Hilfe seines Schwagers brach er die Kufen los. Trotzdem kam der überladene, schlecht bepackte Schlitten nur mühsam vorwärts, auch die Schläge, die wahllos auf die Hunde niederfielen, halfen nichts. Hundert Yards weiter bog der Pfad ab und fiel steil zur Hauptstraße hinunter. Selbst für einen erfahrenen Mann wäre es nicht leicht gewesen, den hochbeladenen Schlitten im Gleichgewicht zu halten, für Hal war es ein Ding der Unmöglichkeit. Als sie in die Kurve einschwenkten, kippte der Schlitten um, und die halbe Ladung rollte auf die Straße. Die Hunde, wütend über die schlechte Behandlung, sahen wohl die Bescherung, aber es fiel ihnen nicht ein anzuhalten, im Gegenteil, sie begannen unter Bucks Führung ein rasendes Tempo vorzulegen. Hal schrie, aber sie hörten nicht auf ihn. Er strauchelte und verlor den Halt. Der umgekippte Schlitten schleifte unter dem Gejohle der Zuschauer die Straße hinab, zu beiden Seiten fiel die Ladung herunter und säumte die Straße ein.

Ein paar gutherzige Leute hielten die Hunde auf und sammelten die zerstreuten Habseligkeiten. Dann aber redeten sie mit den drei Besitzern ein ernstes Wort: Halbe Ladung, doppelt soviele Hunde, dann wäre es vielleicht möglich, Dawson zu erreichen. Hal samt Schwester und Schwager hörten unwillig zu, bequemten sich aber, auszupacken. Die seltsamsten Dinge kamen zum Vorschein, über die sich die Umstehenden halb krank lachten. »Wozu braucht ihr Leintücher?« rief einer der Männer. »Halb soviel ist noch zuviel. Schmeißt das Zelt weg und all dies Tellerzeug. Wer, glaubt ihr, wird es euch denn waschen? Guter Gott, meint ihr in einem Schlafwagen zu reisen?«

Mercedes jammerte, als man ihre Kleidersäcke ausleerte. Sie kämpfte um jede Kleinigkeit, und als sie die Aussichtslosigkeit ihres Tuns einsah, setzte sie sich mit verschränkten Armen auf den umgestürzten Schlitten und erklärte, um keinen Preis weiterfahren zu wollen. Aber da niemand Mitleid mit ihr hatte, gab sie den Widerstand auf und warf nicht nur nutzlose Sachen fort, sondern auch solche, die ihre Männer notwendig gebraucht hätten.

Die Ausrüstung war zwar jetzt nur mehr halb so groß, aber noch immer schwer genug. Charles und Hal kauften abends noch sechs Hunde. Zusammen mit den sechs alten und Teek und Koona, den beiden Huskies, die man bei den Rink-Stromschnellen auf der Rekordfahrt erstanden hatte, bestand das Gespann nun aus vierzehn Hunden. Aber die neuen zählten kaum. Einer war ein Neufundländer, drei waren kurzhaarige Jagdhunde und die anderen zwei rassenlose Mischlinge. Sie hatten vom Schlittenführen keine Ahnung, und die alten, erfahrenen Hunde betrachteten sie mit Unwillen. Buck konnte ihnen zur Not beibringen, was sie nicht tun durften, aber was sie tun sollten, sie das zu lehren, war ganz und gar unmöglich. Mit Ausnahme der zwei Bastarde standen sie ihrer wilden Umgebung fremd gegenüber, die schlechte Behandlung hatte sie verwirrt und widerspenstig gemacht, während die beiden stumpfsinnigen Köter nur fürs Fressen Interesse aufbrachten. Es waren trostlose Aussichten.

Die beiden Männer aber sahen das alles nicht, sie waren stolz auf ihr Gespann und überzeugt, ihre Sache groß angelegt zu haben. Sie hatten schon so manchen Schlitten nach Dawson fahren oder von Dawson kommen sehen, aber nie einen Schlitten mit vierzehn Hunden! Es kam ihnen nicht in den Sinn, daß vierzehn Hunde auch fressen wollen und daß man niemals die Nahrung für vierzehn Hunde auf einem Schlitten mitführen kann. Sie hatten die Route auf dem Papier fein säuberlich ausgearbeitet, soviel für einen Hund, soviel Hunde, soviele Tage, und je mehr Hunde, desto schneller die Fahrt. Das war so einfach! Mercedes sah ihnen beim Plänemachen über die Schulter und nickte zustimmend.

Spät am nächsten Morgen führte Buck das lange Gespann die Straße hinauf aus dem Ort. Sein Herz war nicht bei der Sache, und genauso gleichgültig trotteten die anderen Hunde ihm nach. Er war nicht mehr der stolze, ehrgeizige Führer eines stolzen Gespanns. Viermal schon hatte Buck diesen Weg zurückgelegt, aber noch niemals so abgehetzt und so übermüdet. Die Neulinge waren furchtsam und verstört, und die alten Veteranen hatten kein Vertrauen zu ihren neuen Herren. Buck fühlte, daß er sich auf diese Männer und auf diese Frau nicht verlassen konnte. Sie verstanden nichts, konnten nichts und lernten auch nichts!

Sie waren nachlässig, träge und ohne Ordnung und Disziplin. Die halbe Nacht werkten sie, um ihr schlampiges Lager aufzubauen, und den halben Vormittag, um es wieder abzubrechen und den Schlitten zu beladen, so nachlässig, daß sie tagsüber immer wieder anhalten und die Last umpacken mußten. An manchen Tagen kamen sie nicht einmal zehn Meilen vorwärts, andere vertrödelten sie und brachen überhaupt nicht auf. Es gelang ihnen niemals, mehr als die Hälfte der Entfernung zurückzulegen, die sie als Basis für ihren Hundefuttervorrat angenommen hatten.

Kommende Hungertage waren unvermeidlich. Die Neulinge waren die schwere Arbeit noch nicht gewohnt und verlangten immer mehr zu fressen, und Hal verdoppelte ihre Rationen, um sie anzuspornen. Noch dazu fütterte Mercedes die Tiere heimlich, wenn es den Tränen in ihren hübschen Augen nicht gelang, den Männern größere Portionen für die Hunde abzuschmeicheln. Aber es war ja nicht Futter, das Buck und den Huskies fehlte. Sie brauchten Ruhe, das war alles.

Dann kam der Hunger wirklich. Eines Tages entdeckte Hal, daß das Hundefutter halb verbraucht, der Weg jedoch erst zu einem Drittel zurückgelegt war. Nirgends war zusätzlich Nahrung aufzutreiben, weder mit Geld noch mit guten Worten. Hal kürzte die Rationen und erhöhte gleichzeitig die Tagesleistung. Das erste hätten die Tiere vielleicht noch ausgehalten, das letztere ging über ihre Kräfte.

Als erster schied Dub aus. Armer, ungeschickter Dieb, stets war er erwischt und bestraft worden! Aber er hatte seine Arbeit redlich verrichtet. Niemand kümmerte sich um sein verletztes Schulterblatt, es wurde immer schlechter, und eines Tages erschoß ihn Hal mit seinem großen Revolver. Ein Sprichwort im Nordland sagt, daß ein Hund aus dem Süden bei der Ration eines Huskies an Hunger stirbt. Die sechs Neulinge in Bucks Gespann, die nun nur mehr die halbe Ration eines Huskies erhielten, waren daher bald mit ihrer Kraft am Ende. Eines Morgens fand man den Neufundländer tot am Boden liegen, ihm folgten die drei kurzhaarigen Jagdhunde, die beiden Mischlinge hielten noch eine Zeitlang aus, aber gingen endlich auch ein.

Der Norden war für die Männer und Mercedes ein Land des Zaubers, der Romantik gewesen, die rauhe Wirklichkeit zerstörte aber bald nicht nur ihre Träume, sondern auch ihre guten Sitten. Mercedes weinte nicht mehr über das Elend der Hunde, sie war zu sehr damit beschäftigt, über ihr eigenes zu weinen, sich zu bemitleiden und mit den Männern zu zanken. Mochten sie für alles andere zu müde sein, für einen Streit waren sie niemals zu müde. Ihr Elend machte sie reizbar, und je elender sie sich fühlten, um so streitsüchtiger wurden sie. Die Ruhe und Ausgeglichenheit der echten Nordleute, die harte Entbehrungen mit Geduld und Ausdauer ertragen und friedlich und hilfsbereit bleiben, war diesen Männern und dieser Frau fremd. Je mehr sie leiden mußten, um so unduldsamer wurden sie.

Sie zankten sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Sie warfen sich gegenseitig Faulheit und Bequemlichkeit vor. Jeder glaubte, seine eigene Leistung sei etwas ganz besonderes, und war tief beleidigt, wenn es die anderen nicht anerkannten. Mercedes stand bald auf der Seite ihres Mannes, bald auf der ihres Bruders, und einem regelrechten Familienstreit stand nichts mehr im Weg, in den auch Väter und Mütter, Vettern und Basen mit hineingezerrt wurden; auch solche, die mit ihrer gegenwärtigen Lage gar nichts, aber schon gar nichts zu tun hatten, gaben Anlaß zu nie endenden Auseinandersetzungen. Konnten sie sich nicht einigen, wer das Brennholz schneiden sollte, beschimpften sie sich gegenseitig. Was, um Himmels willen, hatten die Dramen, die ein Onkel schrieb, mit dem Schneiden von Brennholz zu tun? Über ihrem Zank vergaßen sie alles. Sie vergaßen die Hunde zu füttern, das Feuer anzumachen, das Lager aufzubauen.

Mercedes war stets gekränkt oder fühlte sich beleidigt. Sie war eine hübsche und anlehnungsbedürftige Person und gewöhnt, galant und ritterlich behandelt zu werden. Was sie aber jetzt von ihrem Mann und ihrem Bruder zu hören bekam, hatte mit Ritterlichkeit nicht die geringste Ähnlichkeit mehr. Sie spielte gern die Hilflose und pochte auf Vorrechte, die, wie sie glaubte, einer Frau gebührten. Aber die Männer hatten in der Lage, in der sie sich befanden, keinen Sinn dafür. Längst hatte sie ihr Mitleid mit den Hunden vergessen, sie war müde und fußwund und bestand darauf, auf dem Schlitten zu fahren. Eine hübsche kleine Frau war sie, aber die abgerackerten und halbverhungerten Tiere hatten den Schlitten auch ohne ihr Gewicht kaum mehr schleppen können. Tagelang saß sie oben, bis die Hunde nicht mehr weiterkonnten. Charles und Hal baten sie abzusteigen, befahlen und flehten, und als dies nichts nützte, begann Hal zu fluchen. Mercedes schluchzte nur und rief den Himmel zum Zeugen für die Brutalität ihrer Männer an.

Einmal wandten sie Gewalt an und warfen sie vom Schlitten herunter. Sie taten es aber nicht wieder, denn sie setzte sich wie ein ungezogenes Kind einfach in den Schnee. Sie fuhren weiter, sie aber blieb sitzen. Nach drei Meilen war nichts mehr zu sehen von ihr, und es blieb den Männern nichts anderes übrig, als den Schlitten abzuladen und sie wieder zu holen. Sie saß noch an derselben Stelle.

Das eigene Elend machte sie zu Egoisten. Jeder dachte nur mehr an sich selbst. Die Theorie Hals, man müsse hart werden, bezog er nur auf die anderen, nicht aber auf sich selbst. Als sie bei seiner Schwester und bei seinem Schwager nichts fruchtete, hämmerte er sie den Hunden mit seinem Stock ein. Am Fünffingergebirge war das Hundefutter zu Ende. Eine alte, zahnlose Indianersquaw bot ihnen einige Pfund gefrorener Pferdehaut gegen den Revolver an Hals Gürtel an. Diese alte Haut, die man vor einem halben Jahr einem verhungerten Pferd abgezogen hatte, war ein armseliger Ersatz für die Fischrationen. Den Hunden blieben die Stücke wie hartes Eisen im Magen liegen, eine unverdauliche, haarige Masse.

In all diesem Elend schritt Buck an der Spitze des Gespanns wie in einem bösen Traum. Wenn er sich stark genug fühlte, dann zog er, wenn er nicht mehr konnte, fiel er hin und blieb liegen, bis ihn Peitschenschläge oder Stockhiebe wieder auf die Füße trieben. Er sah jammervoll aus. Der Glanz und die Schönheit seines Fells waren dahin, und die Haare hingen verfilzt und mit Blut verkrustet von seinem Körper. Man konnte jede Rippe an ihm zählen. Nur sein Herz schlug im alten Takt, es konnte nicht gebrochen werden. Der Mann im roten Sweater hatte es ihm gestählt.

Die anderen sechs Hunde sahen nicht anders aus. Sie waren wandelnde Skelette. Ihr Elend war so groß, daß sie die Schläge, die auf sie niederfielen, nicht mehr spürten. Der Schmerz kam ihnen nur mehr schwach und verschwommen zum Bewußtsein. Alles, was sie sahen und hörten, schien sehr weit weg von ihnen zu sein. Sie waren nur mehr ein Haufen Knochen, in denen ein schwacher Lebensfunke zuckte. Wenn angehalten wurde, dann fielen sie wie tot hin, bis die Hiebe sie auf kurze Zeit wieder auf die Beine brachten.

Eines Tages stand der gutmütige Billie nicht mehr auf. An Stelle des verschacherten Revolvers nahm Hal die Axt und schlug Billie den Schädel ein, dann schnitt er die Leiche aus dem Geschirr und zerrte sie beiseite. Buck und seine Gefährten standen daneben, und sie wußten, daß ihr Ende genauso aussehen würde.

Am nächsten Tag schied Koona aus. Fünf von ihnen waren noch übrig: Joe, zu matt, um noch bösartig zu sein; Pike, verkrüppelt und hinkend, der nicht mehr zu simulieren brauchte; der einäugige Solleks, traurig, daß er nur mehr so wenig Kraft zum Ziehen hatte; Teek, der in diesem Winter noch nicht so oft diese Strecke gefahren war und die meisten Schläge erhielt, weil er noch kräftiger war; und an der Spitze des Gespanns Buck, nur mehr ein Schatten seiner selbst.

Es war Frühling geworden, aber weder Hunde noch Menschen merkten es. Jeden Tag ging die Sonne früher auf und später unter. Es dämmerte um drei Uhr morgens, und das Tageslicht verweilte bis zum späten Abend. An dem blanken, strahlenden Himmel hing eine blanke, strahlende Sonne. Lange genug hatte das tote Schweigen des Winters über dem Land gelegen, nun füllte es sich wieder mit Stimmen, mit Stimmen voll von Lebensfreude und Frische und neuer Lust. Der Todesschlaf unter dem Eis, dem Schnee und der beißenden Kälte war vorbei. Der Saft stieg in den Föhren hoch, und die jungen Knospen barsten aus den Weiden- und Espenzweigen hervor. Büsche und Ranken hatten sich mit Grün überzogen. Nachts sangen die Heimchen, und tagsüber raschelte, kroch, krabbelte, huschte und flatterte es in der alten Moos- und Flechtendecke am Boden. Rebhühner schwirrten auf, und das Klopfen der Spechte erfüllte den Wald. Eichhörnchen schwatzten, und Vögel sangen. Mit knatternden Flügelschlägen teilten die Keile der wilden Gänse die Luft auf ihrem Zug nach Norden.

Versteckt unter der verfilzten Decke des vorjährigen Grases rannen unzählige Frühlingsbäche von jedem Hügel. Das Eis auf den Flüssen barst. Und inmitten dieses gewaltigen, pochenden, pulsierenden, neuerwachenden Lebens, unter einer blendenden Sonne, in der sanften, milden Luft wankten, dem Tode nahe, die zwei Männer, die Frau und die Hunde weiter, bis sie John Thorntons Lager am Weißen Fluß erreichten.

Der Schlitten blieb stehen, und die Hunde fielen wie tot nieder. Mercedes trocknete ihre Tränen und lächelte John Thornton an. Hal fluchte ununterbrochen, Charles ließ sich schweigend auf einem Baumstamm nieder. Ganz langsam und vorsichtig setzte er sich, denn jedes Glied schmerzte ihn.

Hal begann zu reden, John Thornton glättete die letzten Unebenheiten an einem Axtgriff aus Birkenholz und arbeitete ruhig weiter, hörte zu, gab einsilbige und kurze Antworten, erteilte Ratschläge, wenn er darum gefragt wurde, obwohl er genau wußte, daß diese Gesellschaft sie doch nicht befolgen würde.

»Die Leute da oben haben uns gesagt, daß das Eis nicht mehr trägt. Aber, wie Sie sehen, sind wir trotzdem da«, triumphierte Hal, und seine Stimme bekam einen höhnischen Beiklang.

»Nur ein Narr geht jetzt noch aufs Eis«, antwortete Thornton. »Die da oben hatten ganz recht. Nicht um alles Gold von Alaska bringt mich jemand auf diesen Fluß!«

»Wir aber gehen!« rief Hal eigensinnig. »Steh auf, Buck! Auf nach Dawson!« Er schwang wieder seine Peitsche. »Auf, sage ich! He! Go on!«

Aber das Gespann rührte sich nicht. Lange schon reagierten die Hunde nur mehr auf Schläge, und die Peitsche fiel auch sofort erbarmungslos auf ihre Rücken nieder. John Thornton nagte an seiner Unterlippe. Solleks erhob sich als erster. Teek folgte. Joe winselte vor Schmerzen und versuchte mühselig auf die Beine zu kommen. Pike fiel zweimal nieder, bevor er aufstehen konnte.

Nur Buck bemühte sich nicht. Er lag ruhig dort, wo er hingefallen war. Die Peitsche biß sich in seinen Rücken, immer wieder, er winselte nicht, er regte sich nicht. Ein paarmal schien es, als ob Thornton sprechen wollte, er schwieg aber doch, nur seine Augen wurden feucht. Er stand auf und ging unentschlossen hin und her.

Es war das erste Mal, daß Buck versagte, und es versetzte Hal in Raserei. Er vertauschte die Peitsche mit dem Prügel. Aber Buck rührte sich noch immer nicht. So viel hatte er schon erleiden müssen, daß er die Schläge kaum mehr fühlte.

Plötzlich, ohne Warnung, stieß John Thornton einen Schrei aus, der dem Aufschrei eines wilden Tieres glich, und sprang auf den Mann mit dem Prügel los. Hal taumelte und stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden. Mercedes schrie entsetzt auf, Charles aber blieb teilnahmslos. Er rieb seine wäßrigen Augen, er war viel zu müde, um einzugreifen.

John Thornton stand über dem Hund. Er war kreidebleich, und es kostete ihn Mühe, zu sprechen.

»Wenn Sie den Hund noch einmal schlagen, bringe ich Sie um!« stieß er schließlich mit erstickter Stimme hervor.

»Mit meinem Hund kann ich machen, was ich will«, erwiderte Hal. Er wischte sich das Blut vom Mund. »Weg da, oder es passiert etwas. Ich fahre nach Dawson und damit Schluß!«

Thornton stand zwischen ihm und Buck und machte keine Miene, aus dem Weg zu gehen. Hal zog sein langes Jagdmesser, und Mercedes schrie zuerst auf, dann brach sie in hysterisches Lachen aus. Thornton schlug ihm mit dem Axtgriff das Messer aus der Hand. Als Hal es aufheben wollte, holte er sich blutige Knöchel. Thornton beugte sich nieder, hob das Messer selbst auf und durchschnitt Bucks Stränge.

Hal gab seinen Widerstand auf. Seine Schwester, die halb ohnmächtig in seinen Armen lag, machte ihm genug zu schaffen. Buck war mehr tot als lebendig, was sollte er mit einem Hund machen, der zu nichts mehr zu gebrauchen war?

Einige Minuten später zogen sie mit ihrem Schlitten dem Fluß zu. Buck hörte sie fortfahren und hob schwerfällig den Kopf. Pike führte, Solleks zog an der Stange, zwischen ihnen trotteten Joe und Teek. Alle hinkten und taumelten. Mercedes kauerte auf dem hochbeladenen Schlitten, Hal steuerte, und Charles stolperte hinter ihnen her.

Buck sah dem Zug nach. Thornton kniete neben ihm und suchte mit rauhen und gütigen Händen nach gebrochenen Knochen. Aber er konnte nur Wunden und zahllose Schrammen entdecken. Inzwischen kroch der Schlitten langsam über das Eis des Flusses. Plötzlich versank das Ende im Wasser. Hal klammerte sich in Todesangst vergeblich an die Stange. Sie hörten den schrillen Schrei der Frau, sie sahen Charles umkehren, aber das Eis rundherum brach: Menschen, Hunde und Schlitten verschwanden, und nur ein schwarzes Loch blieb zurück.

John Thornton und Buck blickten einander an. »Armer Teufel«, sagte John Thornton leise, und Buck leckte ihm die Hand.

Um die Liebe eines Menschen

John Thornton hatte sich im vergangenen Dezember die Füße erfroren, und als seine Gefährten den Fluß hinauffuhren, um eine Ladung Schnittholz für Dawson herunterzubringen, hatten sie ihn gut versorgt zurückgelassen.

Er hinkte noch immer leicht, aber bei dem warmen und schönen Wetter wurden seine Füße schnell besser. Die langen Frühlingstage lag Buck am Flußufer, schaute dem vorüberfließenden Wasser nach, lauschte schläfrig auf den Gesang der Vögel, und langsam gewann er seine alte Kraft wieder. Nach dreitausend Meilen eines langen und mühseligen Weges konnte er endlich rasten.

Seine Wunden vernarbten, die Muskeln festigten sich wieder, er setzte Fleisch an. Alle genossen das Nichtstun, auch Thornton und die beiden anderen Hunde, Skeet und Nig. Sie warteten auf das Floß, das sie nach Dawson bringen sollte. Skeet war eine kleine irische Vorstehhündin, die bald mit Buck Freundschaft schloß. Sie war die geborene Pflegeschwester, und in den ersten Tagen, als Buck noch halbtot war, hatte er nicht die Kraft, sich gegen ihre Teilnahme aufzulehnen. Sie leckte und reinigte Bucks Wunden wie eine Katze, die ihre Jungen pflegt. Jeden Morgen gleich nach dem Frühstück fing sie mit ihrem Liebeswerk an, und Buck gewöhnte sich bald daran genauso wie an Thorntons Pflege. Nig, ein großer, schwarzer Hund mit gutmütigen Augen, war ebenfalls freundlich, nur zurückhaltender.

Zu Bucks Erstaunen zeigten diese Hunde keine Eifersucht. Sie waren so großherzig wie ihr Herr. Als Buck seine Kräfte wiedergewann, verleiteten sie ihn zu allen möglichen lustigen Streichen, an denen sich auch Thornton vergnügt beteiligte. So balgte sich Buck in ein neues Leben hinein, und zum erstenmal spürte er Liebe, echte, leidenschaftliche Liebe. Er hatte sie nie kennengelernt, selbst bei seinem ersten Herrn in Santa Clara nicht. An ihn hatte ihn gute und feste Freundschaft gebunden, für die Söhne war er ein Kamerad, für die Enkel ein Spielgefährte gewesen, aber Liebe, fiebernde, brennende Liebe, lernte er erst bei John Thornton kennen.

Dieser Mann hatte sein Leben gerettet, das war schon viel, aber darüber hinaus war er der ideale Herr. Andere Männer sorgten für ihre Hunde, weil es ihre Pflicht war und sie die Tiere zur Arbeit brauchten, John sorgte für sie, weil er sie so liebte, als wären es seine eigenen Kinder. Nie vergaß er sie freundlich anzurufen, mit ihnen zu reden, und oft setzte er sich in ihren Kreis und hielt mit ihnen lange Gespräche, und die Hunde liebten dies genauso wie er. Buck kannte keine größere Freude, als wenn sein Herr ihm rauh und gütig das Fell zerzauste, mit beiden Händen seinen Kopf packte und hin und her beutelte und ihm dabei Schimpfworte wie »alter Lump« oder »verrückter Gauner« ins Ohr flüsterte.

Und Buck erwiderte diese Zärtlichkeiten! Er nahm die Faust des Mannes in sein Maul und drückte sie so fest mit den Zähnen, daß sich ihre Spuren lange auf der Hand abzeichneten. Und so wie für Buck die Schimpfworte zu Koseworten wurden, die er liebte, so wußte Thornton, daß Bucks Bisse nur Liebkosungen waren. Buck verehrte seinen Herrn grenzenlos, er wurde wild vor Glück, wenn dieser ihn ansprach und berührte.

Aber er suchte diese Gunst nicht. Skeet dagegen hatte die Gewohnheit, ihre Nase unter Thorntons Hand zu schieben und so lange anzustoßen, bis sie getätschelt wurde. Nig wiederum legte seinen mächtigen Schädel auf Thorntons Knie. Buck aber genügte es, seinen Herrn aus der Entfernung zu verehren. Stundenlang lag er zu seinen Füßen, schaute zu dem geliebten Gesicht auf und verfolgte jeden flüchtigen Ausdruck und jede geringste Bewegung der Züge. Oft spürte Thornton diesen Blick, drehte sich wortlos um, und ihre Augen begegneten sich in einer stummen Zärtlichkeit.

Lange Zeit nach seiner Rettung folgte Buck seinem Herrn auf Schritt und Tritt und ließ ihn niemals allein. Wenn Thornton das Zelt verließ, blieb er ihm auf den Fersen. Buck hatte Angst, sein Herr könnte wieder aus seinem Leben verschwinden wie Perrault, François und das Halbblut. Selbst im Traum verließ ihn diese Furcht nicht. Wachte er auf, dann kroch er zur Zeltöffnung und lauschte dem Atem seines Herrn.

Aber trotz dieser großen Liebe zu John Thornton, die eine Rückkehr in sein früheres zivilisiertes Leben im Süden bedeutete, lebte in ihm das Ursprüngliche weiter, das im Nordland geweckt worden war. Das Raubtier blieb in ihm lebendig und wirksam. Am Feuer John Thorntons saß kein zahmer Hund aus dem Süden, sondern ein Wesen, das aus der Wildnis kam und ein Teil der Wildnis blieb.