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»Nun los, Buck!« sagte er ruhig.
Buck spannte die Stränge an und lockerte sie wieder, wie er es gelernt hatte. Dann zog er mit einem Ruck scharf nach rechts. Die Ladung erzitterte ein wenig, und das Eis unter den Kufen knirschte. Ein neuerlicher Ruck folgte, diesmal nach links. Das Eis splitterte, die Kufen bewegten sich, der Schlitten war frei.
Die Zuschauer hielten den Atem an.
»Go!« Wie ein Schuß klang die Stimme Thorntons durch die Stille.
Buck warf sich nach vorne und spannte die Stränge, sein ganzer Körper zog sich bei dieser ungeheuren Anstrengung zusammen, die Muskeln krümmten sich unter dem seidigen Fell wie Lebewesen und schwollen an. Seine mächtige Brust berührte fast den Boden, und seine Klauen rissen lange Furchen in den Schnee. Der Schlitten schwankte, zitterte und bewegte sich zuckend, ganz langsam, wieder ein Stückchen, zehn, zwanzig, dreißig Zoll, und dann kam er ins Gleiten.
Die Männer keuchten vor Aufregung. Thornton rannte hinter dem Schlitten her und ermutigte Buck mit kurzen, aufmunternden Worten. Die Strecke war vorher ausgemessen worden, und als sich der Schlitten dem Stapel Brennholz näherte, der das Ende der hundert Yards anzeigte, begannen die Männer zu schreien. Und als Buck das Ziel passiert hatte und auf Kommando stehenblieb, tobten sie vor Begeisterung. Sogar Matthewson schrie mit. Pelzmützen und Handschuhe flogen in die Luft. Man schüttelte sich die Hände, ganz gleich, ob man sich kannte oder nicht.
John Thornton aber lag neben seinem Hund auf den Knien, zauste ihn und schüttelte ihn hin und her.
»Du Dummkopf, du Strolch, du verfluchter Kerl!« Der Mann legte sein Gesicht an den Kopf des Hundes, und die Stimme, die Flüche wie Koseworte flüsterte, war so zärtlich, daß die Umstehenden sich verwundert anstarrten.
»Donnerwetter, hören Sie«, rief der König von Skokum, »Herr, ich gebe Ihnen für diesen Hund tausend Dollar, was sage ich, zwölfhundert! Aber der Hund gehört mir!«
Thornton erhob sich. Seine Augen waren feucht. Tränen liefen ihm über die Wangen.
»Herr, gehen Sie zum Teufel mit Ihrem Geld! Das ist das Beste, was Sie tun können!«
Buck faßte mit den Zähnen die Hand seines Herrn und schüttelte sie kräftig.
Die Zuschauer fühlten, daß sie hier nicht länger stören durften. Sie zogen sich schweigend zurück, und keiner wagte es, noch einmal Geld für den Hund zu bieten.
Der Ruf ertönt
Mit den mehr als tausend Dollar, die Buck seinem Herrn in wenigen Minuten verdient hatte, konnten alle dringenden Schulden bezahlt werden, und einer Reise nach dem Osten stand nichts mehr im Wege. Eine sagenhafte Goldmine sollte es dort geben, und ihre Geschichte war so alt wie die Geschichte des Landes. Viele Männer hatten schon nach ihr gesucht, und kaum einer war zurückgekehrt. Geheimnis umgab diese Mine, ein tragisches Geheimnis. Kein Mensch wußte, wer sie entdeckt hatte, selbst die ältesten Überlieferungen reichten nicht so weit zurück. Sterbende Männer schworen auf ihrem Totenbett, daß es diese Mine gab, und bewiesen es mit Goldkörnchen, so groß wie sonst kein Nugget im Nordland. Seit jeher sollte dort eine alte, baufällige Hütte stehen, aber kein Lebender hatte sie je gesehen, und die Toten blieben stumm.
Thornton beschloß, auf gut Glück diese Mine zu suchen. Mit seinen beiden Gefährten Pete und Hans, mit Buck und noch einem halben Dutzend anderer Hunde fuhr er auf seinem Schlitten siebzig Meilen den Yukon hinauf, bog dann rechts ab zum Stuartfluß, dessen Lauf er bis zu seiner Quelle folgte.
John Thornton brauchte die Menschen nicht, und die Wildnis bot ihm keine Schrecken. Mit einer Handvoll Salz und einer Flinte konnte er ein fremdes Land durchstreifen, so lange er wollte. Nach Indianerart, ohne jegliche Hast, erjagte er sich sein Essen, und blieb er erfolglos, wanderte er gleich dem Indianer weiter und wußte, daß er früher oder später Beute finden würde. Auf dieser großen Fahrt in den einsamen Osten nährten sie sich von der Jagd, und auf dem Schlitten lagen nur die Munition und die Ausrüstung. Sie hatten keine Eile, sie hatten Zeit, und kein Kalender drängte sie.
Buck fand an diesem Leben ein unbändiges Vergnügen: Jagen, Fischen und endlose Fahrten durch unbekanntes Land. Manchmal wanderten sie viele Wochen. Tag für Tag zogen die Hunde den Schlitten, um dafür wochenlang wieder im Lager herumzulungern, während die Männer auf ihrer vergeblichen Goldsuche Feuer anmachten und in ihren Pfannen Erde auftauten und auswuschen. Manchmal blieben sie hungrig, manchmal hatten sie im Überfluß, wenn das Wild reichlich war und sie Glück bei der Jagd hatten.
Es wurde Sommer, und Männer und Hunde packten sich ihre Last auf den Rücken, flößten über blaue Gebirgsseen und befuhren unbekannte Flüsse auf schlanken Booten, die sie sich gebaut hatten. Sie wanderten über kahle Berge und durch sonnige Täler, durch Gegenden, die keines Menschen Fußspuren trugen und wo doch Menschen gewesen sein mußten, wenn es die verlassene Hütte und Mine wirklich geben sollte.
Die Monate vergingen. Sie erlebten die Gewitter im Hochsommer und froren beim fahlen Schein der Mitternachtssonne. Sie litten unter den Mücken- und Fliegenschwärmen, und im Schatten von Gletschern pflückten sie Erdbeeren und Blumen, reif und leuchtend wie jene des Südlandes. Im Herbst drangen sie in ein unheimliches Seengebiet vor, in dem wilde Enten und Gänse genistet hatten, das nun verlassen und traurig dalag, den kalten Winden ausgesetzt, ohne das geringste Zeichen von Leben. Eis bildete sich in den Buchten, und eintönig rollten die Wellen an einsame Ufer.
Einen zweiten Winter lang suchten sie, folgten nun den verwischten Spuren von Menschen, die vor ihnen das Land durchzogen hatten. Einmal stießen sie auf einen Pfad, und die verlassene Hütte schien plötzlich sehr nahe zu sein. Aber der Weg begann nirgends, endete nirgends und blieb ein Geheimnis wie die Männer, die ihn angelegt hatten.
Später kamen sie zu einer morschen, alten Hütte, und mitten unter verfaulten Decken lag ein langschäftiges Zündnadelgewehr. Es war ein Erzeugnis der Hudson-Bay-Kompanie aus jener längst vergangenen Zeit, als diese Gewehre noch mit Gold aufgewogen wurden. Nichts sonst war zu finden, nicht der kleinste Hinweis auf den Mann, der diese Hütte errichtet und die Büchse unter den Decken zurückgelassen hatte.
Im nächsten Frühling hatten sie zwar die Hütte noch immer nicht gefunden, dafür aber ein breites Tal, über dessen Sohle eine Schicht Sand, vermischt mit Gold, lagerte. Sie suchten nicht weiter. An jedem Arbeitstag verdienten sie Tausende von Dollars an reinem Staub oder kleinen Goldkörnern. Das Gold wurde in Säcke aus Elchhaut geschüttet, fünfzig Pfund in jeden Sack, und sie stapelten es wie Brennholz an der Hüttenwand auf.
Sie schufteten wie Zwangsarbeiter, und die Tage vergingen ihnen wie im Traum.
Die Hunde hatten in dieser Zeit nichts zu tun. Sie brachten Thorntons Jagdbeute ins Lager, und damit war ihre Arbeit getan. Buck lag endlose Stunden beim Feuer. Die Vision des kurzbeinigen, behaarten Mannes erschien ihm jetzt häufiger. Und wenn Buck schläfrig in die Flammen blinzelte, wanderte er mit dem haarigen Mann in jene andere Welt, die nur in seiner Erinnerung lebte.
Diese andere Welt beherrschte die Angst. Der haarige Mann schlief beim Feuer mit dem Kopf zwischen den Knien, die Hände darüber gefaltet. Buck sah, wie er immer wieder, aus dem Schlaf aufgeschreckt, angsterfüllt ins Dunkel starrte und mehr Holz in die Flammen warf. Gingen sie über den Strand am Meer, wo der haarige Mann nach Muscheln suchte und sie sofort roh aß, dann wanderten die Augen des Mannes unruhig umher, und er war stets bereit, beim ersten Zeichen einer Gefahr wie der Wind davonzurennen. Lautlos krochen sie durch den Wald, Buck an den Fersen des Mannes, und sie waren gleich wachsam und gleich angespannt, und der haarige Mann konnte genau so gut hören und riechen wie Buck. Der haarige Mann sprang auch auf Bäume, schwang sich von Ast zu Ast und kam dort ebenso schnell vorwärts wie am Boden. Niemals machte er einen falschen Griff, und er war dort, hoch oben in den Bäumen, zu Hause wie auf der Erde.
Und mit der Vision dieses merkwürdigen Menschen aus einer alten Zeit kam zu Buck wieder der Ruf aus den Tiefen der Wälder. Er weckte in Buck eine große Unruhe und eine seltsame, glückliche Sehnsucht. Er hörte ihn ganz deutlich, und ein wildes Verlangen nach irgend etwas, das er noch nicht kannte, packte ihn.
Er lief dem Ruf nach, suchte ihn, als wäre er ein greifbares Wesen, und bellte sanft, werbend oder herausfordernd, je nach seiner Laune. Oft bohrte er seine Nase in das kühle Waldmoos oder in den schwarzen Humus, aus dem lange Gräser wuchsen, und schnaubte vor Freude über den Geruch der fetten Erde; er kroch stundenlang zwischen schwammbewachsenen, geheimnisvollen Strünken gestürzter Bäume umher mit weit offenen Augen und Ohren, und nichts, was sich um ihn bewegte, entging ihm. Er wollte diesen Ruf ergründen, ihn kennenlernen. Buck wußte nicht, warum er dies alles tat, und er dachte auch nicht darüber nach. Der Trieb in ihm zwang ihn unwiderstehlich.
Oft lag er träge vor dem Zelt und döste in der Tageshitze, plötzlich hob er den Kopf, die Ohren spitzten sich, und er mußte aufspringen und fortlaufen. Er lief stundenlang, er lief über Lichtungen und offene Plätze, wo Schwarzbeeren in dichten Büscheln wuchsen. Er folgte den trockenen Wasserläufen und spürte dem Vogelleben nach. Manchen Tag lag er im Unterholz und sah den Rebhühnern zu, wie sie aufschwirrten und umherstolzierten. Aber mehr als all das liebte er es, im matten Zwielicht der Sommermitternächte umherzustöbern, wenn das Leben in den Wäldern zu einem friedlichen und gedämpften Murmeln geworden war. Und immer suchte er nach der geheimnisvollen Stimme, die ihn rief – rief, wenn er wach war und wenn er schlief, und die er immer hörte und nie fand.
Eines Nachts schreckte er aus dem Schlaf auf, er zitterte am ganzen Leib, und seine Rückenhaare sträubten sich. Vom Wald her kam ein Ruf, deutlich und bestimmt wie nie zuvor – ein langgezogenes Heulen, ähnlich dem Heulen der Polarhunde und doch ganz anders. Und Buck erkannte den Ruf wie eine altvertraute Stimme. Er rannte durch das schlafende Lager und brach lautlos in das Gehölz ein. Je näher der Ruf kam, desto vorsichtiger und langsamer schlich er, bis er auf einer Lichtung einen langen, abgemagerten Wolf traf, der seine Nase gegen den Himmel streckte.
Buck bewegte sich nicht, aber der Wolf spürte seine Gegenwart und hörte zu heulen auf. Halb kriechend, den Körper fast an den Boden gedrückt, den Schwanz steil aufgerichtet, kam Buck näher. Jede seiner Bewegungen war drohend und zugleich freundlich und werbend nach Art aller wilden Tiere bei ihrem ersten Zusammentreffen. Der Wolf sprang auf und floh. Buck folgte ihm mit wilden Sätzen und versuchte ihn zu überholen. Er drängte ihn in einen Hohlweg und sperrte ihm den Rückweg ab. Der Wolf wirbelte herum, knurrte und sträubte die Haare, fletschte die Zähne und benahm sich nicht anders als alle anderen Eskimohunde, die Buck kannte.
Buck griff aber nicht an, er umkreiste werbend den Wolf. Der Wolf blieb mißtrauisch, er hatte Angst, denn Buck war viel größer und stärker als er selbst, sein Schädel reichte dem Hund kaum bis zu den Schultern. Plötzlich schoß er pfeilgerade an Buck vorbei, und die Jagd begann von neuem. Immer wieder wurde der Wolf in die Enge getrieben, stellte sich und entkam wieder.
Aber Bucks Hartnäckigkeit wurde belohnt. Der Wolf verlor endlich seine Angst und beschnüffelte ihn. Damit war die Freundschaft geschlossen, sie verloren die Scheu voreinander und balgten sich spielend umher. Nach einer Weile lief der Wolf einen flachen Hang hinab und zeigte deutlich, daß Buck ihm folgen sollte. Er lief bestimmt und ohne Zögern, und so rannten sie Seite an Seite durch das düstere Zwielicht entlang dem Creek, durchquerten eine Schlucht und kamen bis zur Wasserscheide.
Das Land wurde eben, die Wälder waren weitgestreckt und durchzogen von Flüssen. Die Sonne stieg höher, und der Tag wurde wärmer. Stetig, gleichmäßig rannten sie Stunde um Stunde. Buck war glücklich. Er wußte, daß er an der Seite seines wilden Bruders aus den Wäldern dem Ruf folgte, den er so oft gehört und niemals gefunden hatte. Alte Erinnerungen tauchten in ihm auf, als hätte er dies alles schon einmal erlebt, irgendwo in jener anderen Welt, als wiederholte sich etwas, das vor langer Zeit geschehen war. Und so lief Buck, und er lief über eine Erde, die niemals eines Menschen Fuß betreten hatte, und über ihm war der weite, endlose Himmel.
An einem kalten, klaren Bach hielten sie an und tranken, und als er trank, dachte Buck an John Thornton. Er setzte sich nieder. Der Wolf begann weiterzulaufen, weiter zu auf jenen Ort, von woher der Ruf gewiß kam. Als er bemerkte, daß Buck ihm nicht folgte, kehrte er um, beschnüffelte ihn und stieß ihn mit der Nase sanft an. Aber Buck drehte um und lief langsam auf der alten Fährte zurück. Fast eine Stunde rannte sein wilder Bruder leise winselnd neben ihm her. Dann setzte er sich nieder, streckte seine Nase zum Abendhimmel empor und heulte. Es war ein klagendes, schwermütiges Geheul, und Buck hörte es noch lange. Es wurde langsam schwächer und schwächer, bis es sich ganz in der Ferne verlor.
John Thornton saß gerade beim Mittagessen, als Buck ins Lager stürmte, ihn voll rasender Liebe ansprang, umwarf, auf ihm herumkletterte, sein Gesicht beleckte, in seine Nase biß und den Hanswurst spielte, während Thornton den Hund hin und her schüttelte und ihm liebevolle Schimpfworte ins Ohr flüsterte.
Zwei Tage und Nächte verließ Buck das Lager nicht und behielt seinen Herrn ununterbrochen im Auge. Er folgte ihm zu seiner Arbeit, schaute ihm beim Essen zu, begleitete ihn bis ins Zelt und holte ihn morgens wieder heraus.
Aber nach zwei Tagen hörte er den Ruf aus den Wäldern befehlender denn je. Über Buck kam wieder die Unruhe, deren er nicht Herr werden konnte. Er mußte an den wilden Bruder denken, an das heitere Land jenseits der Wasserscheide, an die dunklen Wälder, durch die sie Seite an Seite gerannt waren. Und er verließ das Lager und durchstreifte die Wälder, aber er suchte vergebens. Der wilde Bruder kam nicht mehr, und so viele lange Nachtwachen auch Buck wartete, er hörte das sehnsüchtige, schwermütige Heulen nicht mehr.
Buck fing an, die Nächte im Wald zu schlafen, und es kam vor, daß er tagelang vom Lager fortblieb; einmal überquerte er die Wasserscheide am Oberlauf des Creek und lief in das Land der Wälder und Ströme. Er wanderte eine Woche lang und suchte vergebens nach frischen Fährten des wilden Bruders. Er zog mit jenem leichten Trott dahin, der nicht müde macht. An einem breiten Strom fischte er nach Lachsen und tötete einen großen, schwarzen Bären, der von Moskitos geblendet hilflos durch die Wälder torkelte. Trotzdem war es ein harter Kampf, und in Buck erwachte eine Wildheit wie nie zuvor in seinem Leben. Als er zwei Tage später zum Kampfplatz zurückkehrte, fand er den Bären von einem Dutzend Vielfraße besetzt, die sich um die Überreste der Beute stritten. Mühelos zerstreute er sie, und jene zwei, die am Kampfplatz zurückblieben, mußten in alle Ewigkeit nicht mehr um ihre Nahrung kämpfen.
Das Raubtier in Buck wuchs. Er riß sich seine Beute allein und ohne Hilfe. In einer feindlichen Umgebung, in der alles Schwache untergeht, blieb er der Sieger. Sein Stolz und Selbstvertrauen wurden immer größer und zeigten sich in allen seinen Bewegungen, im Spiel seiner Muskeln und verliehen seinem wunderschönen Fell einen noch glänzenderen Schimmer.
Hätte er nicht die braunen Flecken auf seiner Schnauze und über den Augen gehabt und ein paar weiße Haarbüschel auf seiner Brust, man hätte ihn leicht mit einem riesigen Wolf verwechseln können. Von seinem Vater, dem Bernhardiner, hatte er die Größe und das Gewicht geerbt, von seiner Mutter, der Schäferhündin, stammten die Leichtigkeit und das schöne Aussehen. Seine Schnauze war etwas länger als die eines Wolfes, aber sein Kopf, wenn auch breiter, war der Kopf eines Wolfes, eines Riesenwolfes.
Seine Schlauheit war die Schlauheit eines Wolfes, seine Intelligenz die Klugheit eines Schäferhundes und eines Bernhardiners. Dazu kamen seine Erfahrungen aus der Schule des harten, erbarmungslosen Nordlandes. Er war den wilden Tieren aus den Wäldern gleichwertig, ja überlegen.
Alle Teile seines Körpers, alle Nerven und Muskeln waren wunderbar aufeinander abgestimmt, und zwischen allen diesen Teilen herrschte eine vollkommene Harmonie.
Auf jeden Laut, auf jeden Vorfall, der eine Tat verlangte, reagierte Buck blitzschnell. Jede seiner Bewegungen war doppelt so schnell wie die der Polarhunde, Entschluß und Ausführung folgten fast gleichzeitig. Seine Muskeln strotzten von Vitalität und waren hart wie Stahlfedern. Wenn Thornton mit der Hand zärtlich über den Rücken des Hundes strich, spürte er ein Knistern, als wäre jedes einzelne Haar elektrisch geladen.
»Nie gab es einen solchen Hund«, sagte John Thornton eines Tages zu seinen Gefährten, als er Buck im Lager herumstreichen sah.
»Als er gegossen wurde, ging die Form entzwei«, meinte Pete.
»Wahrhaftig, das glaub’ ich auch«, setzte Hans hinzu.
Sie sahen ihn das Lager verlassen, sie sahen aber nicht die augenblickliche, schreckliche Veränderung, die mit ihm vorging, sobald ihn das Dunkel des Waldes aufnahm. Er schritt nicht mehr; auf einmal wurde er zum Raubtier, das katzenartig dahinschlich, zu einem gleitenden Schatten, der plötzlich auftauchte und wieder verschwand. Er wußte jede Deckung auszunutzen. Er kroch wie eine Schlange auf dem Bauch, und wie eine Schlange stieß er zu und tötete. Er holte sich das Schneehuhn aus dem Nest und das Kaninchen aus seinem Bau. Die kleinen gestreiften Erdhörnchen schnappte er sich im Flug, wenn sie eine Sekunde zu spät auf den nächsten Baum springen wollten. Er tötete, wenn er hungrig war, nicht aus Lust am Morden. Manchmal spielte er vergnügt wie ein junger Welpe, beschlich die Eichhörnchen, jagte sie und ließ sie wieder laufen, und er empfand eine diebische Freude, wenn sie laut schimpfend in die höchsten Wipfel der Bäume flüchteten.
Als der Herbst kam, tauchten die Elche scharenweise auf und zogen langsam in die tieferen, weniger rauhen Täler, um dort zu überwintern. Buck hatte schon einmal ein vereinzeltes, halbwüchsiges Kalb niedergerissen, aber er wollte eine größere und gefährlichere Beute. Eines Tages stieß er auf eine Herde von zwanzig Tieren, die vom Land der Ströme und der Wälder über die Wasserscheide herübergewechselt waren. Das Leittier war ein außergewöhnlich mächtiger, großer Bulle, und da er sich obendrein in gereizter Stimmung befand, so konnte sich Buck keinen würdigeren Gegner wünschen. Nach allen Seiten stieß er mit seinen riesigen Schaufeln, seine kleinen Augen brannten bösartig, und als Buck auftauchte, fing er sofort zornig zu röhren an. Aus seiner Flanke ragte das gefiederte Ende eines Indianerpfeiles, und seine Wut war begreiflich. Buck hatte noch niemals mit einem Elch gekämpft, aber der Instinkt aus alten Jagdtagen einer urzeitlichen Welt leitete ihn. Er begann den Bullen von der Herde abzusondern, und das war keine leichte Aufgabe. Er bellte und tanzte um ihn herum, aber stets außer Reichweite der mächtigen Schaufeln und der furchtbaren Spalthufe. Die Wut des verwundeten Elchbullen steigerte sich zur Raserei. Er griff Buck an, der geschickt auswich und ihn von den anderen Tieren weglockte. Aber jedesmal wenn der Leitbulle von seiner Herde getrennt wurde, griffen zwei oder drei jüngere Tiere Buck an, und der alte Schaufler fand wieder Anschluß an seine Herde.